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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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hauen, dann mühsam auf erhabnere Plätze zum Trocknen schleppen, und wo
man mit Fuhrwerk nicht hingelangen kann, oder wenn das Gesetz die Anwendung
desselben verbietet, in Körben auf dem Rücken wohl stundenlang nach Hanse
tragen, , , , Einen Tag hindurch barfuß die Sümpfe zu durchwaten, hält der
dortige Bauer für eine Universalmedizin, und die Schradenmüdchen, welche das
Viehfutter aus Moor und Wasser holen müssen, bleiben ebenso rotbäckig und
kerngesund wie ihre Schwestern in lachendem und trocknem Gegenden, Brannt¬
wein, Kartoffeln, Speck und Fische sind die gewöhnliche Nahrung des Schraden-
bcwohners, der sich durch einen nervigen Körperbau und durch rohere Sitten
merklich von den Landleuten in der Gegend von Meißen, Lommatzsch usw. unter¬
scheidet." In der Tat sagt man noch heute z. B. in Meißen von einem alt¬
modischen Menschen: "Ach, der ist wohl aus dem Schrader"; der Waldschratt
ist ja durch Gerhart Hauptmanns "Versnnkne Glocke" sogar in die Literatur
eingeführt worden.

Ich hatte noch am Abende von Frauenhain aus Elsterwerda erreicht. Dieses
Städtchen, im fünfzehnten Jahrhundert im Besitz der Köckeritz, im sechzehnten
bei deu Maltitz, dann 1727 von August dem Starken erworben und zum Kammer¬
gut gemacht, hat außer dem am linken Elsterufer auf künstlicher Anhöhe liegenden,
ehedem kurfürstlichen Jagdschlosse kaum etwas Bemerkenswertes auszuweisen -
ich müßte denn meine Verstimmung darüber registrieren, daß der gemütliche
Stammtisch des besten Gasthofs durch ein darauf liegendes Exemplar des giftigen
und gemeingefährlichen Auarchistenblattes "Simplizissimus" verunziert war. Als
nun der nächste Sonnenaufgang einen wunderschönen Morgen herausführte, be¬
schloß ich meinen Weg durch den Schrader zu nehmen und dabei auch die
wichtigsten Schradendörfer kennen zu lernen. Ich fuhr also an der kursächsischen
Postsäule vorüber, die noch heute dem Wandrer verkündet, daß es 141 Stunden
von Elsterwerda bis Warschau seien, besichtigte das anmutige Schlößchen, das von
1776 bis 17W dem mit dem Geisterreiche korrespondierenden Herzog Karl von
Kurland als Sommeraufenthalt diente, bewunderte die beiden riesigen Platanen
des Gartens, der jetzt als Spielplatz des im Schlosse untergebrachten Seminars
dient, und bog bei Krauschwitz links ab in den Schrader hinein. Bald war
ich in einer weiten, melancholischen Ebne. Rings um mich her lagen riesige
Felder mit schwarzem Moorboden, aber der Wald oder das Erlengebüsch,
das ich zu finden hoffte, war verschwunden. Auch offne Wasserspiegel, die in
der Beleuchtung des schönen Herbstmorgens besonders belebend gewirkt hätten,
fehlten. Das ist die Folge der großen, vor ungefähr fünfzig Jahren vorge-
nommnen Entwässerung und der damit zusammenhängenden EntHolzung. Nur
ganz in der Mitte des Schraders hat sich noch der Wald des Oberbuschhäuser
Reviers erhalten. Mehrere Tausend Acker pflugfähigen Landes und guter
Wiesen sind so gewonnen worden, aber die Einförmigkeit der Gegend hat durch
die Meliorationen noch zugenommen. Und doch -- wer möchte behaupten,
daß diese Gegend alles Reizes entbehre? Wie tröstende Gestalten erheben sich
hie und da, namentlich um den Entwässerungsgräben, die weißen Stämme ver¬
einzelter Birken aus dem schwarzen Erdreich und lassen ihr herbstliches Land,
das sich wie zitterndes Gold vom tiefblauen Himmel abhebt, leise im Morgen-


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hauen, dann mühsam auf erhabnere Plätze zum Trocknen schleppen, und wo
man mit Fuhrwerk nicht hingelangen kann, oder wenn das Gesetz die Anwendung
desselben verbietet, in Körben auf dem Rücken wohl stundenlang nach Hanse
tragen, , , , Einen Tag hindurch barfuß die Sümpfe zu durchwaten, hält der
dortige Bauer für eine Universalmedizin, und die Schradenmüdchen, welche das
Viehfutter aus Moor und Wasser holen müssen, bleiben ebenso rotbäckig und
kerngesund wie ihre Schwestern in lachendem und trocknem Gegenden, Brannt¬
wein, Kartoffeln, Speck und Fische sind die gewöhnliche Nahrung des Schraden-
bcwohners, der sich durch einen nervigen Körperbau und durch rohere Sitten
merklich von den Landleuten in der Gegend von Meißen, Lommatzsch usw. unter¬
scheidet." In der Tat sagt man noch heute z. B. in Meißen von einem alt¬
modischen Menschen: „Ach, der ist wohl aus dem Schrader"; der Waldschratt
ist ja durch Gerhart Hauptmanns „Versnnkne Glocke" sogar in die Literatur
eingeführt worden.

Ich hatte noch am Abende von Frauenhain aus Elsterwerda erreicht. Dieses
Städtchen, im fünfzehnten Jahrhundert im Besitz der Köckeritz, im sechzehnten
bei deu Maltitz, dann 1727 von August dem Starken erworben und zum Kammer¬
gut gemacht, hat außer dem am linken Elsterufer auf künstlicher Anhöhe liegenden,
ehedem kurfürstlichen Jagdschlosse kaum etwas Bemerkenswertes auszuweisen -
ich müßte denn meine Verstimmung darüber registrieren, daß der gemütliche
Stammtisch des besten Gasthofs durch ein darauf liegendes Exemplar des giftigen
und gemeingefährlichen Auarchistenblattes „Simplizissimus" verunziert war. Als
nun der nächste Sonnenaufgang einen wunderschönen Morgen herausführte, be¬
schloß ich meinen Weg durch den Schrader zu nehmen und dabei auch die
wichtigsten Schradendörfer kennen zu lernen. Ich fuhr also an der kursächsischen
Postsäule vorüber, die noch heute dem Wandrer verkündet, daß es 141 Stunden
von Elsterwerda bis Warschau seien, besichtigte das anmutige Schlößchen, das von
1776 bis 17W dem mit dem Geisterreiche korrespondierenden Herzog Karl von
Kurland als Sommeraufenthalt diente, bewunderte die beiden riesigen Platanen
des Gartens, der jetzt als Spielplatz des im Schlosse untergebrachten Seminars
dient, und bog bei Krauschwitz links ab in den Schrader hinein. Bald war
ich in einer weiten, melancholischen Ebne. Rings um mich her lagen riesige
Felder mit schwarzem Moorboden, aber der Wald oder das Erlengebüsch,
das ich zu finden hoffte, war verschwunden. Auch offne Wasserspiegel, die in
der Beleuchtung des schönen Herbstmorgens besonders belebend gewirkt hätten,
fehlten. Das ist die Folge der großen, vor ungefähr fünfzig Jahren vorge-
nommnen Entwässerung und der damit zusammenhängenden EntHolzung. Nur
ganz in der Mitte des Schraders hat sich noch der Wald des Oberbuschhäuser
Reviers erhalten. Mehrere Tausend Acker pflugfähigen Landes und guter
Wiesen sind so gewonnen worden, aber die Einförmigkeit der Gegend hat durch
die Meliorationen noch zugenommen. Und doch — wer möchte behaupten,
daß diese Gegend alles Reizes entbehre? Wie tröstende Gestalten erheben sich
hie und da, namentlich um den Entwässerungsgräben, die weißen Stämme ver¬
einzelter Birken aus dem schwarzen Erdreich und lassen ihr herbstliches Land,
das sich wie zitterndes Gold vom tiefblauen Himmel abhebt, leise im Morgen-


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[0488] Herbstbildcr von der Roter und der Plilsnitz hauen, dann mühsam auf erhabnere Plätze zum Trocknen schleppen, und wo man mit Fuhrwerk nicht hingelangen kann, oder wenn das Gesetz die Anwendung desselben verbietet, in Körben auf dem Rücken wohl stundenlang nach Hanse tragen, , , , Einen Tag hindurch barfuß die Sümpfe zu durchwaten, hält der dortige Bauer für eine Universalmedizin, und die Schradenmüdchen, welche das Viehfutter aus Moor und Wasser holen müssen, bleiben ebenso rotbäckig und kerngesund wie ihre Schwestern in lachendem und trocknem Gegenden, Brannt¬ wein, Kartoffeln, Speck und Fische sind die gewöhnliche Nahrung des Schraden- bcwohners, der sich durch einen nervigen Körperbau und durch rohere Sitten merklich von den Landleuten in der Gegend von Meißen, Lommatzsch usw. unter¬ scheidet." In der Tat sagt man noch heute z. B. in Meißen von einem alt¬ modischen Menschen: „Ach, der ist wohl aus dem Schrader"; der Waldschratt ist ja durch Gerhart Hauptmanns „Versnnkne Glocke" sogar in die Literatur eingeführt worden. Ich hatte noch am Abende von Frauenhain aus Elsterwerda erreicht. Dieses Städtchen, im fünfzehnten Jahrhundert im Besitz der Köckeritz, im sechzehnten bei deu Maltitz, dann 1727 von August dem Starken erworben und zum Kammer¬ gut gemacht, hat außer dem am linken Elsterufer auf künstlicher Anhöhe liegenden, ehedem kurfürstlichen Jagdschlosse kaum etwas Bemerkenswertes auszuweisen - ich müßte denn meine Verstimmung darüber registrieren, daß der gemütliche Stammtisch des besten Gasthofs durch ein darauf liegendes Exemplar des giftigen und gemeingefährlichen Auarchistenblattes „Simplizissimus" verunziert war. Als nun der nächste Sonnenaufgang einen wunderschönen Morgen herausführte, be¬ schloß ich meinen Weg durch den Schrader zu nehmen und dabei auch die wichtigsten Schradendörfer kennen zu lernen. Ich fuhr also an der kursächsischen Postsäule vorüber, die noch heute dem Wandrer verkündet, daß es 141 Stunden von Elsterwerda bis Warschau seien, besichtigte das anmutige Schlößchen, das von 1776 bis 17W dem mit dem Geisterreiche korrespondierenden Herzog Karl von Kurland als Sommeraufenthalt diente, bewunderte die beiden riesigen Platanen des Gartens, der jetzt als Spielplatz des im Schlosse untergebrachten Seminars dient, und bog bei Krauschwitz links ab in den Schrader hinein. Bald war ich in einer weiten, melancholischen Ebne. Rings um mich her lagen riesige Felder mit schwarzem Moorboden, aber der Wald oder das Erlengebüsch, das ich zu finden hoffte, war verschwunden. Auch offne Wasserspiegel, die in der Beleuchtung des schönen Herbstmorgens besonders belebend gewirkt hätten, fehlten. Das ist die Folge der großen, vor ungefähr fünfzig Jahren vorge- nommnen Entwässerung und der damit zusammenhängenden EntHolzung. Nur ganz in der Mitte des Schraders hat sich noch der Wald des Oberbuschhäuser Reviers erhalten. Mehrere Tausend Acker pflugfähigen Landes und guter Wiesen sind so gewonnen worden, aber die Einförmigkeit der Gegend hat durch die Meliorationen noch zugenommen. Und doch — wer möchte behaupten, daß diese Gegend alles Reizes entbehre? Wie tröstende Gestalten erheben sich hie und da, namentlich um den Entwässerungsgräben, die weißen Stämme ver¬ einzelter Birken aus dem schwarzen Erdreich und lassen ihr herbstliches Land, das sich wie zitterndes Gold vom tiefblauen Himmel abhebt, leise im Morgen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/488>, abgerufen am 24.11.2024.