Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Die Irrtümer der Demokratie berufen würe zu regieren, sondern nur der mit einem starken Willen gepaarte, Also müßte man den Absolutismus vorziehn? -- In dieser Form kann Dieses "Gleichgewicht" ist auch so ein Wahngebilde der Demokratie, das Die Irrtümer der Demokratie berufen würe zu regieren, sondern nur der mit einem starken Willen gepaarte, Also müßte man den Absolutismus vorziehn? — In dieser Form kann Dieses „Gleichgewicht" ist auch so ein Wahngebilde der Demokratie, das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0459" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240015"/> <fw type="header" place="top"> Die Irrtümer der Demokratie</fw><lb/> <p xml:id="ID_2375" prev="#ID_2374"> berufen würe zu regieren, sondern nur der mit einem starken Willen gepaarte,<lb/> die Bedürfnisse des Einzelnen wie der Gesamtheit durchdringende Intellekt<lb/> eines Mannes ist imstande, alle in der Nation endigen Kräfte dem Gesamt-<lb/> wohle dienstbar zu machen, d. h. zu regieren.</p><lb/> <p xml:id="ID_2376"> Also müßte man den Absolutismus vorziehn? — In dieser Form kann<lb/> man die Frage wohl nicht beantworten. Die Frage der politischen Organi¬<lb/> sation ist, wie wir schon erwähnt haben, nicht eine Frage des Rechts, sondern<lb/> eine der Zweckmäßigkeit; ihre Beantwortung hängt mithin ausschließlich ab<lb/> von der Zeit, in der die Organisation notwendig war, und von den Eigen¬<lb/> tümlichkeiten des Volkes, für das sie eingeführt wurde. Die alte Doktorfrage,<lb/> ob Monarchie oder Republik, kommt erst an zweiter Stelle in Betracht, wobei<lb/> man die Wahrnehmung jedoch nicht unterdrücken kann, daß in der Monarchie<lb/> ein stärkeres soziales Element liegt als in der Republik, die ausnahmlos in<lb/> eine zumeist recht unsaubre Oligarchie aufkauft, während die Monarchie den<lb/> Unterdrückten, und das sind immer die Massen, einen größern Schutz gewährt.<lb/> Die Revolutionen der beiden Gracchen bereiteten den Boden für Cäsar und für<lb/> Augustus, indem diese, gestützt auf ihre Tribunengewalt, die Macht der<lb/> senatorischen Oligarchie brachen. Das von Konvent und Direktorium geknechtete<lb/> französische Volk begrüßte Nnpvleou als Befreier; auf die demokratische Republik<lb/> von 1848 folgt der volksgewählte Kaiser, und der „Bloe" in der heutigen<lb/> französischen Kammer fürchtet wiederum nichts so sehr als das Plebiszit. Es<lb/> war eben einer der vielen Irrtümer der großen französischen Revolution, daß<lb/> sie durch die Abschaffung des Königtums jedem Mißbrauch der öffentlichen<lb/> Gewalt durch einen Einzelnen vorgebeugt zu haben wähnte. Die Souveränität<lb/> gedeiht nicht nur in Kvnigsschlössern, und der größte Theoretiker der fran¬<lb/> zösischen Revolution, Sieyes, mußte die bittre Erfahrung machen, daß sein fein<lb/> ausgeklügelter Bau des Gleichgewichts der Gewalten durch eine verächtliche<lb/> Handbewegung des ersten Konsuls einfach beiseite geschoben wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_2377" next="#ID_2378"> Dieses „Gleichgewicht" ist auch so ein Wahngebilde der Demokratie, das<lb/> in der Fassung Montesquieus auch die „Konstitutionellen" übernommen haben,<lb/> in der Meinung, dadurch der Demokratie und dem Absolutismus die Giftzähne<lb/> nusbrccheu zu können. Man schied Gesetzgebung und Verwaltung voneinander<lb/> und meinte, damit den Stein der Weisen gefunden zu haben. Freilich vergaß<lb/> man dabei, wie schon Vollgraff in seinen „Täuschungen des Reprüsentativ-<lb/> shstems" und dann ans ihm fußend Konstantin Frantz in seiner „Naturlehre<lb/> des Staates" überzeugend nachgewiesen hat, daß die Verwaltung ein weit<lb/> stärkeres politisches Element ausmache als die Gesetzgebung, beide zusammen<lb/> über erst den Begriff des Regierens ergüben, also notwendig in einer Hand<lb/> vereinigt sein müßten. Die Demokratie fordert das auch, übersieht aber dabei,<lb/> daß sie dadurch notgedrungen wieder zur Einzelherrschaft gelangt. In diesem<lb/> innern unlösbaren Gegensatz wurzelt aber auch die Unfruchtbarkeit der Demo¬<lb/> kratie. Es würe Torheit zu behaupten, daß die Ströme von Blut, die in<lb/> den Verfassungskümpfeu seit 1789 geflossen sind, der Menschheit keine Frucht<lb/> getragen Hütten, aber nur in einem einzigen Punkte sind die Bestrebungen von<lb/> 1789 siegreich gewesen und mich siegreich geblieben, in dem Grundsätze der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0459]
Die Irrtümer der Demokratie
berufen würe zu regieren, sondern nur der mit einem starken Willen gepaarte,
die Bedürfnisse des Einzelnen wie der Gesamtheit durchdringende Intellekt
eines Mannes ist imstande, alle in der Nation endigen Kräfte dem Gesamt-
wohle dienstbar zu machen, d. h. zu regieren.
Also müßte man den Absolutismus vorziehn? — In dieser Form kann
man die Frage wohl nicht beantworten. Die Frage der politischen Organi¬
sation ist, wie wir schon erwähnt haben, nicht eine Frage des Rechts, sondern
eine der Zweckmäßigkeit; ihre Beantwortung hängt mithin ausschließlich ab
von der Zeit, in der die Organisation notwendig war, und von den Eigen¬
tümlichkeiten des Volkes, für das sie eingeführt wurde. Die alte Doktorfrage,
ob Monarchie oder Republik, kommt erst an zweiter Stelle in Betracht, wobei
man die Wahrnehmung jedoch nicht unterdrücken kann, daß in der Monarchie
ein stärkeres soziales Element liegt als in der Republik, die ausnahmlos in
eine zumeist recht unsaubre Oligarchie aufkauft, während die Monarchie den
Unterdrückten, und das sind immer die Massen, einen größern Schutz gewährt.
Die Revolutionen der beiden Gracchen bereiteten den Boden für Cäsar und für
Augustus, indem diese, gestützt auf ihre Tribunengewalt, die Macht der
senatorischen Oligarchie brachen. Das von Konvent und Direktorium geknechtete
französische Volk begrüßte Nnpvleou als Befreier; auf die demokratische Republik
von 1848 folgt der volksgewählte Kaiser, und der „Bloe" in der heutigen
französischen Kammer fürchtet wiederum nichts so sehr als das Plebiszit. Es
war eben einer der vielen Irrtümer der großen französischen Revolution, daß
sie durch die Abschaffung des Königtums jedem Mißbrauch der öffentlichen
Gewalt durch einen Einzelnen vorgebeugt zu haben wähnte. Die Souveränität
gedeiht nicht nur in Kvnigsschlössern, und der größte Theoretiker der fran¬
zösischen Revolution, Sieyes, mußte die bittre Erfahrung machen, daß sein fein
ausgeklügelter Bau des Gleichgewichts der Gewalten durch eine verächtliche
Handbewegung des ersten Konsuls einfach beiseite geschoben wurde.
Dieses „Gleichgewicht" ist auch so ein Wahngebilde der Demokratie, das
in der Fassung Montesquieus auch die „Konstitutionellen" übernommen haben,
in der Meinung, dadurch der Demokratie und dem Absolutismus die Giftzähne
nusbrccheu zu können. Man schied Gesetzgebung und Verwaltung voneinander
und meinte, damit den Stein der Weisen gefunden zu haben. Freilich vergaß
man dabei, wie schon Vollgraff in seinen „Täuschungen des Reprüsentativ-
shstems" und dann ans ihm fußend Konstantin Frantz in seiner „Naturlehre
des Staates" überzeugend nachgewiesen hat, daß die Verwaltung ein weit
stärkeres politisches Element ausmache als die Gesetzgebung, beide zusammen
über erst den Begriff des Regierens ergüben, also notwendig in einer Hand
vereinigt sein müßten. Die Demokratie fordert das auch, übersieht aber dabei,
daß sie dadurch notgedrungen wieder zur Einzelherrschaft gelangt. In diesem
innern unlösbaren Gegensatz wurzelt aber auch die Unfruchtbarkeit der Demo¬
kratie. Es würe Torheit zu behaupten, daß die Ströme von Blut, die in
den Verfassungskümpfeu seit 1789 geflossen sind, der Menschheit keine Frucht
getragen Hütten, aber nur in einem einzigen Punkte sind die Bestrebungen von
1789 siegreich gewesen und mich siegreich geblieben, in dem Grundsätze der
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