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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die Irrtümer der Demokratie

den jüngsten Referendaren gemacht. Diese und manche andre regelmüßig zu
erstattende Berichte, die viel Arbeit verursachen, müßten beseitigt oder doch auf
das notwendigste Maß beschränkt werden, wie zum Beispiel die vielen statistischen
Mitteilungen, Auf manchen Gebieten wäre auch eine Änderung der gesetzlichen
Bestimmungen nötig,
-,
(Schluß folgt)




Z)le Irrtümer der Demokratie
Julius patzelt i vonn
(Schluß)

> bgleich fast alle Verfassungen nur ein "instruktiousloses Mandat"
kennen, gibt es tatsächlich heute keine Wahl mehr ohne In¬
struktion. Gerade das auf dem Gebiete des Erwerbslebens
immer mehr um sich greifende Streben nach "Vergesellschaftung,"
!das einerseits zu der irrigen Annahme geführt hat, daß der
politische Kollektivismus, durch einen wirtschaftlichen Kollektivismus ergänzt,
die vollkommenste Ordnung der menschlichen Gesellschaft gebe, hat am
meisten dazu beigetragen, die Idee des politischen Kollektivismus als einen
Irrtum zu erweisen. Heute haben sich beinahe alle ständischen Elemente der
modernen Verfassungen in Interessenvertretungen umgewandelt, während zu¬
gleich neben ihnen ähnliche Gebilde neu emporwuchsen. Die wahlrechtlich
privilegierten Großgrundbesitzer haben sich mit den Bauern zur Wahrnehmung
der agrarischen Interessen vereinigt; die Börse hat große parlamentarische
Parteien in ihrem Dienste; die Lohnarbeiter haben sich in der Sozialdemo-
kratie eine Vertretung ihrer besondern Interessen geschaffen, und wo die Kraft
der einzelnen Stunde zur Herstellung einer parlamentarischen Organisation
nicht ausreicht, hört man häufig den Ruf nach einer gesetzlichen Sicherung
parlamentarischer Vertretung, sodaß heute fast jeder Stand einige Parlaments¬
sitze verlangt. Natürlich fordern aber diese Interessenten von ihrem Vertreter
im Parlament nicht einen möglichst weiten, sondern im Gegenteil einen mög¬
lichst engen Gesichtskreis. Von ihrem Standpunkt aus ist dies durchaus be¬
rechtigt, denn es steht außer allem Zweifel, daß der Schuhmacher am besten
Bescheid weiß über die Verhältnisse und die Bedürfnisse seines Gewerbes, der
Landwirt über die der Landwirtschaft, der Fabrikarbeiter über die Lage der
Lohnarbeiter usw. Aber wäre eine solche Versammlung, much wenn sie die
fähigsten und intelligentesten Vertreter aller dieser Interessengruppen umfaßte,
imstande, Gesetze zu geben, zu regieren? Nein! Ein Jnteressenvertreter hat
die Verpflichtung, die Interessen seiner Auftraggeber uuter alle" Umständen
zur Geltung zu bringen, ohne Rücksicht auf die übrigen Gruppen, ohne Rück¬
sicht auf das Ganze. Zugegeben, daß die Forderungen einer Gruppe durchaus
berechtigt seien, so ist es doch ganz gut möglich, daß aus Rücksicht auf das
allgemeine Wohl diese Forderungen augenblicklich zurücktreten müssen. In


Die Irrtümer der Demokratie

den jüngsten Referendaren gemacht. Diese und manche andre regelmüßig zu
erstattende Berichte, die viel Arbeit verursachen, müßten beseitigt oder doch auf
das notwendigste Maß beschränkt werden, wie zum Beispiel die vielen statistischen
Mitteilungen, Auf manchen Gebieten wäre auch eine Änderung der gesetzlichen
Bestimmungen nötig,
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(Schluß folgt)




Z)le Irrtümer der Demokratie
Julius patzelt i vonn
(Schluß)

> bgleich fast alle Verfassungen nur ein „instruktiousloses Mandat"
kennen, gibt es tatsächlich heute keine Wahl mehr ohne In¬
struktion. Gerade das auf dem Gebiete des Erwerbslebens
immer mehr um sich greifende Streben nach „Vergesellschaftung,"
!das einerseits zu der irrigen Annahme geführt hat, daß der
politische Kollektivismus, durch einen wirtschaftlichen Kollektivismus ergänzt,
die vollkommenste Ordnung der menschlichen Gesellschaft gebe, hat am
meisten dazu beigetragen, die Idee des politischen Kollektivismus als einen
Irrtum zu erweisen. Heute haben sich beinahe alle ständischen Elemente der
modernen Verfassungen in Interessenvertretungen umgewandelt, während zu¬
gleich neben ihnen ähnliche Gebilde neu emporwuchsen. Die wahlrechtlich
privilegierten Großgrundbesitzer haben sich mit den Bauern zur Wahrnehmung
der agrarischen Interessen vereinigt; die Börse hat große parlamentarische
Parteien in ihrem Dienste; die Lohnarbeiter haben sich in der Sozialdemo-
kratie eine Vertretung ihrer besondern Interessen geschaffen, und wo die Kraft
der einzelnen Stunde zur Herstellung einer parlamentarischen Organisation
nicht ausreicht, hört man häufig den Ruf nach einer gesetzlichen Sicherung
parlamentarischer Vertretung, sodaß heute fast jeder Stand einige Parlaments¬
sitze verlangt. Natürlich fordern aber diese Interessenten von ihrem Vertreter
im Parlament nicht einen möglichst weiten, sondern im Gegenteil einen mög¬
lichst engen Gesichtskreis. Von ihrem Standpunkt aus ist dies durchaus be¬
rechtigt, denn es steht außer allem Zweifel, daß der Schuhmacher am besten
Bescheid weiß über die Verhältnisse und die Bedürfnisse seines Gewerbes, der
Landwirt über die der Landwirtschaft, der Fabrikarbeiter über die Lage der
Lohnarbeiter usw. Aber wäre eine solche Versammlung, much wenn sie die
fähigsten und intelligentesten Vertreter aller dieser Interessengruppen umfaßte,
imstande, Gesetze zu geben, zu regieren? Nein! Ein Jnteressenvertreter hat
die Verpflichtung, die Interessen seiner Auftraggeber uuter alle» Umständen
zur Geltung zu bringen, ohne Rücksicht auf die übrigen Gruppen, ohne Rück¬
sicht auf das Ganze. Zugegeben, daß die Forderungen einer Gruppe durchaus
berechtigt seien, so ist es doch ganz gut möglich, daß aus Rücksicht auf das
allgemeine Wohl diese Forderungen augenblicklich zurücktreten müssen. In


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[0456] Die Irrtümer der Demokratie den jüngsten Referendaren gemacht. Diese und manche andre regelmüßig zu erstattende Berichte, die viel Arbeit verursachen, müßten beseitigt oder doch auf das notwendigste Maß beschränkt werden, wie zum Beispiel die vielen statistischen Mitteilungen, Auf manchen Gebieten wäre auch eine Änderung der gesetzlichen Bestimmungen nötig, -, (Schluß folgt) Z)le Irrtümer der Demokratie Julius patzelt i vonn (Schluß) > bgleich fast alle Verfassungen nur ein „instruktiousloses Mandat" kennen, gibt es tatsächlich heute keine Wahl mehr ohne In¬ struktion. Gerade das auf dem Gebiete des Erwerbslebens immer mehr um sich greifende Streben nach „Vergesellschaftung," !das einerseits zu der irrigen Annahme geführt hat, daß der politische Kollektivismus, durch einen wirtschaftlichen Kollektivismus ergänzt, die vollkommenste Ordnung der menschlichen Gesellschaft gebe, hat am meisten dazu beigetragen, die Idee des politischen Kollektivismus als einen Irrtum zu erweisen. Heute haben sich beinahe alle ständischen Elemente der modernen Verfassungen in Interessenvertretungen umgewandelt, während zu¬ gleich neben ihnen ähnliche Gebilde neu emporwuchsen. Die wahlrechtlich privilegierten Großgrundbesitzer haben sich mit den Bauern zur Wahrnehmung der agrarischen Interessen vereinigt; die Börse hat große parlamentarische Parteien in ihrem Dienste; die Lohnarbeiter haben sich in der Sozialdemo- kratie eine Vertretung ihrer besondern Interessen geschaffen, und wo die Kraft der einzelnen Stunde zur Herstellung einer parlamentarischen Organisation nicht ausreicht, hört man häufig den Ruf nach einer gesetzlichen Sicherung parlamentarischer Vertretung, sodaß heute fast jeder Stand einige Parlaments¬ sitze verlangt. Natürlich fordern aber diese Interessenten von ihrem Vertreter im Parlament nicht einen möglichst weiten, sondern im Gegenteil einen mög¬ lichst engen Gesichtskreis. Von ihrem Standpunkt aus ist dies durchaus be¬ rechtigt, denn es steht außer allem Zweifel, daß der Schuhmacher am besten Bescheid weiß über die Verhältnisse und die Bedürfnisse seines Gewerbes, der Landwirt über die der Landwirtschaft, der Fabrikarbeiter über die Lage der Lohnarbeiter usw. Aber wäre eine solche Versammlung, much wenn sie die fähigsten und intelligentesten Vertreter aller dieser Interessengruppen umfaßte, imstande, Gesetze zu geben, zu regieren? Nein! Ein Jnteressenvertreter hat die Verpflichtung, die Interessen seiner Auftraggeber uuter alle» Umständen zur Geltung zu bringen, ohne Rücksicht auf die übrigen Gruppen, ohne Rück¬ sicht auf das Ganze. Zugegeben, daß die Forderungen einer Gruppe durchaus berechtigt seien, so ist es doch ganz gut möglich, daß aus Rücksicht auf das allgemeine Wohl diese Forderungen augenblicklich zurücktreten müssen. In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/456>, abgerufen am 24.11.2024.