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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Line Inselreihe dnrch das griechische Meer

gewölbten Dach versehen, was mich lebhaft an mein geliebtes Capri erinnerte.
Die Santoriner haben es leicht, Häuser zubauen, denn sie verfügen über das
beste Bindematerial von der Welt, die aus verwittertem Bimsstein bestehende
"Scmtorinerde," die auch beim Bau des Suezkauals in ungeheuern Mengen
gebraucht wurde und eine der ergiebigsten Einnahmequellen der Insel ist.

In Phira ist, wie in so vielen griechischen Städten, ein Lokalmuseum für
die in der Gegend gefundnen oder ausgegrabnen Altertümer. Es gab hier
vielerlei Interessantes zu sehen, besonders prähistorische Sachen, aber auch
Dipylonvasen, schöne Köpfe und Statuen, z. B. eine Sandalenbinderin, einen
Silen, einen Affen. Die Besichtigung dauerte deshalb ziemlich lauge. Dann
ritten wir auf einem neuen, wunderbare Aussichten bietenden Reitwege ans
ein sich vor uns erhebendes zwcigipsliges Gebirge los. Dieses ist nicht vul¬
kanischen Ursprungs, sondern besteht aus blauem Kalkstein. Es ist älter als
die vulkanische Insel und bei deren Entstehung mit ihr zusammengewachsen.
Der höchste der beiden Gipfel, der selbstverständlich, wie die meisten höhern
Berge in Griechenland, Hagios Elias heißt, steigt bis zu 570 Meter an,
ist also doppelt so hoch wie der Kraterrand der Insel. Ein Sattel, die so¬
genannte Sellada, trennt ihn von dem nur 370 Meter hohen, steil ins Meer
vorspringenden Messavuno. Am Fuße des "heiligen Elias" liegt das kleine
Dorf Pyrgos. Hier hatte Dörpfeld den genialen Gedanken, beim Durchreiten
ein Fäßchen Wein für uns zu bestellen. Dann ritten wir den steilen Weg
zum Gipfel hinauf. Diesen krönt ein Kloster, an dem die meisten vorüber¬
ritten. Einige aber, worunter ich, wollten erst die schöne Aussicht genießen,
die das flache Dach offenbar gewähren mußte. Wir stiegen also ab, übergaben
unsre Tiere den Agojaten und gelangten durch die unverschlossene Pforte in
den Hof des Klosters. Hier empfing uns einer der ehrwürdigen Väter in
seiner schwarzen Kutte und seinem hohen Barett und führte uns durch ein
Wohnzimmer, worin zwei andre Jünger des heiligen Basilius vor bunten
Heiligenbildern in stiller Kontemplation saßen, zur Treppe. Zum Glück war
Professor Philippsohn bei uns; auf dem Dache hielt er uns einen kleinen
Vortrag über die geographische Beschaffenheit und die geologischen Schicksale
der Insel, wobei diese selbst, wie eine Landkarte, zu unsern Füßen lag.

Das schroffe Kalkgebirge mit seinen bläulichen Klippen, auf dem wir
standen, ragte wie ein Kastell über dem vulkanischen Jnselring empor. Dieser selbst
zeigte nach dem äußern Meere zu eine graugrüne, schräg geneigte Fläche, nach
dem innern Kratersee dagegen einen schroffen, schwarzroten Absturz. Während
schaumgekrönte Wellen das Meer bedeckten, lag der See wie ein blauschwarzer
Spiegel ruhig da. Aus seiner Flut erhoben sich drei riesige schwarze Maulwurfs¬
hügel, jüngere Erzeugnisse der geheimnisvollen unterirdischen Kräfte und noch
jetzt in langsamem Wachstum begriffen. Philippsohn versprach uns, sie am
Abend mit uns zu besuchen.

Von hier oben wurde dem Auge der Phantasie erst deutlich, welche ko¬
lossale Zerstöruugsarbeit die Natur hier verrichtet hat. Die ganze Insel ist
im Grunde eine einzige ungeheure Ruine. Der Bimsstein hat die Wälder
und alles vegetative Leben zerstört, und ein ganzes Volk glücklicher und fleißiger


Line Inselreihe dnrch das griechische Meer

gewölbten Dach versehen, was mich lebhaft an mein geliebtes Capri erinnerte.
Die Santoriner haben es leicht, Häuser zubauen, denn sie verfügen über das
beste Bindematerial von der Welt, die aus verwittertem Bimsstein bestehende
„Scmtorinerde," die auch beim Bau des Suezkauals in ungeheuern Mengen
gebraucht wurde und eine der ergiebigsten Einnahmequellen der Insel ist.

In Phira ist, wie in so vielen griechischen Städten, ein Lokalmuseum für
die in der Gegend gefundnen oder ausgegrabnen Altertümer. Es gab hier
vielerlei Interessantes zu sehen, besonders prähistorische Sachen, aber auch
Dipylonvasen, schöne Köpfe und Statuen, z. B. eine Sandalenbinderin, einen
Silen, einen Affen. Die Besichtigung dauerte deshalb ziemlich lauge. Dann
ritten wir auf einem neuen, wunderbare Aussichten bietenden Reitwege ans
ein sich vor uns erhebendes zwcigipsliges Gebirge los. Dieses ist nicht vul¬
kanischen Ursprungs, sondern besteht aus blauem Kalkstein. Es ist älter als
die vulkanische Insel und bei deren Entstehung mit ihr zusammengewachsen.
Der höchste der beiden Gipfel, der selbstverständlich, wie die meisten höhern
Berge in Griechenland, Hagios Elias heißt, steigt bis zu 570 Meter an,
ist also doppelt so hoch wie der Kraterrand der Insel. Ein Sattel, die so¬
genannte Sellada, trennt ihn von dem nur 370 Meter hohen, steil ins Meer
vorspringenden Messavuno. Am Fuße des „heiligen Elias" liegt das kleine
Dorf Pyrgos. Hier hatte Dörpfeld den genialen Gedanken, beim Durchreiten
ein Fäßchen Wein für uns zu bestellen. Dann ritten wir den steilen Weg
zum Gipfel hinauf. Diesen krönt ein Kloster, an dem die meisten vorüber¬
ritten. Einige aber, worunter ich, wollten erst die schöne Aussicht genießen,
die das flache Dach offenbar gewähren mußte. Wir stiegen also ab, übergaben
unsre Tiere den Agojaten und gelangten durch die unverschlossene Pforte in
den Hof des Klosters. Hier empfing uns einer der ehrwürdigen Väter in
seiner schwarzen Kutte und seinem hohen Barett und führte uns durch ein
Wohnzimmer, worin zwei andre Jünger des heiligen Basilius vor bunten
Heiligenbildern in stiller Kontemplation saßen, zur Treppe. Zum Glück war
Professor Philippsohn bei uns; auf dem Dache hielt er uns einen kleinen
Vortrag über die geographische Beschaffenheit und die geologischen Schicksale
der Insel, wobei diese selbst, wie eine Landkarte, zu unsern Füßen lag.

Das schroffe Kalkgebirge mit seinen bläulichen Klippen, auf dem wir
standen, ragte wie ein Kastell über dem vulkanischen Jnselring empor. Dieser selbst
zeigte nach dem äußern Meere zu eine graugrüne, schräg geneigte Fläche, nach
dem innern Kratersee dagegen einen schroffen, schwarzroten Absturz. Während
schaumgekrönte Wellen das Meer bedeckten, lag der See wie ein blauschwarzer
Spiegel ruhig da. Aus seiner Flut erhoben sich drei riesige schwarze Maulwurfs¬
hügel, jüngere Erzeugnisse der geheimnisvollen unterirdischen Kräfte und noch
jetzt in langsamem Wachstum begriffen. Philippsohn versprach uns, sie am
Abend mit uns zu besuchen.

Von hier oben wurde dem Auge der Phantasie erst deutlich, welche ko¬
lossale Zerstöruugsarbeit die Natur hier verrichtet hat. Die ganze Insel ist
im Grunde eine einzige ungeheure Ruine. Der Bimsstein hat die Wälder
und alles vegetative Leben zerstört, und ein ganzes Volk glücklicher und fleißiger


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[0423] Line Inselreihe dnrch das griechische Meer gewölbten Dach versehen, was mich lebhaft an mein geliebtes Capri erinnerte. Die Santoriner haben es leicht, Häuser zubauen, denn sie verfügen über das beste Bindematerial von der Welt, die aus verwittertem Bimsstein bestehende „Scmtorinerde," die auch beim Bau des Suezkauals in ungeheuern Mengen gebraucht wurde und eine der ergiebigsten Einnahmequellen der Insel ist. In Phira ist, wie in so vielen griechischen Städten, ein Lokalmuseum für die in der Gegend gefundnen oder ausgegrabnen Altertümer. Es gab hier vielerlei Interessantes zu sehen, besonders prähistorische Sachen, aber auch Dipylonvasen, schöne Köpfe und Statuen, z. B. eine Sandalenbinderin, einen Silen, einen Affen. Die Besichtigung dauerte deshalb ziemlich lauge. Dann ritten wir auf einem neuen, wunderbare Aussichten bietenden Reitwege ans ein sich vor uns erhebendes zwcigipsliges Gebirge los. Dieses ist nicht vul¬ kanischen Ursprungs, sondern besteht aus blauem Kalkstein. Es ist älter als die vulkanische Insel und bei deren Entstehung mit ihr zusammengewachsen. Der höchste der beiden Gipfel, der selbstverständlich, wie die meisten höhern Berge in Griechenland, Hagios Elias heißt, steigt bis zu 570 Meter an, ist also doppelt so hoch wie der Kraterrand der Insel. Ein Sattel, die so¬ genannte Sellada, trennt ihn von dem nur 370 Meter hohen, steil ins Meer vorspringenden Messavuno. Am Fuße des „heiligen Elias" liegt das kleine Dorf Pyrgos. Hier hatte Dörpfeld den genialen Gedanken, beim Durchreiten ein Fäßchen Wein für uns zu bestellen. Dann ritten wir den steilen Weg zum Gipfel hinauf. Diesen krönt ein Kloster, an dem die meisten vorüber¬ ritten. Einige aber, worunter ich, wollten erst die schöne Aussicht genießen, die das flache Dach offenbar gewähren mußte. Wir stiegen also ab, übergaben unsre Tiere den Agojaten und gelangten durch die unverschlossene Pforte in den Hof des Klosters. Hier empfing uns einer der ehrwürdigen Väter in seiner schwarzen Kutte und seinem hohen Barett und führte uns durch ein Wohnzimmer, worin zwei andre Jünger des heiligen Basilius vor bunten Heiligenbildern in stiller Kontemplation saßen, zur Treppe. Zum Glück war Professor Philippsohn bei uns; auf dem Dache hielt er uns einen kleinen Vortrag über die geographische Beschaffenheit und die geologischen Schicksale der Insel, wobei diese selbst, wie eine Landkarte, zu unsern Füßen lag. Das schroffe Kalkgebirge mit seinen bläulichen Klippen, auf dem wir standen, ragte wie ein Kastell über dem vulkanischen Jnselring empor. Dieser selbst zeigte nach dem äußern Meere zu eine graugrüne, schräg geneigte Fläche, nach dem innern Kratersee dagegen einen schroffen, schwarzroten Absturz. Während schaumgekrönte Wellen das Meer bedeckten, lag der See wie ein blauschwarzer Spiegel ruhig da. Aus seiner Flut erhoben sich drei riesige schwarze Maulwurfs¬ hügel, jüngere Erzeugnisse der geheimnisvollen unterirdischen Kräfte und noch jetzt in langsamem Wachstum begriffen. Philippsohn versprach uns, sie am Abend mit uns zu besuchen. Von hier oben wurde dem Auge der Phantasie erst deutlich, welche ko¬ lossale Zerstöruugsarbeit die Natur hier verrichtet hat. Die ganze Insel ist im Grunde eine einzige ungeheure Ruine. Der Bimsstein hat die Wälder und alles vegetative Leben zerstört, und ein ganzes Volk glücklicher und fleißiger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/423>, abgerufen am 24.11.2024.