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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Eine Inselreihe durch das griechische Meer
Friedrich Seiler von
3. Von paros bis Thera
(Schluß)

o ging es in der ersten Klasse zu. Noch schlimmer waren natür¬
lich die Zustünde, die in der zweiten Kajüte herrschten. Als ich
eines Tages infolge der allgemeinen Klagen dort hinunterstieg,
um mir die Verhältnisse einmal selbst anzusehen, glaubte ich bei¬
nahe, in ein Massenquartier aus dem Kriege versetzt zu sein. Um
einen engen halbrunden Raum, wo der honiglose Frühstücktisch und ein paar
Stühle standen, lagen in doppelter Reihe etwa zwanzig Schlafstätten, Matratze
an Matratze ohne trennende Wand. Während nun einige der Herren schon
frühstückten, lagen andre noch auf den Matratzen, wieder andre zogen sich an
oder drängten sich um die beiden Waschgefüße, die für alle diese Menschen
ausreichen sollten. Jeder, der sich waschen wollte, mußte sich selbst das Wasser
von der Pumpe holen. Man mag sich vorstellen, was sich für Unzuträglich¬
keiten bei solchem Gedränge entwickelten, und wie die Luft in diesem Gelaß
beschaffen war. Daneben lag noch ein andres für sieben Personen; das war
aber wegen seiner Kleinheit nicht um ein Haar besser.

Das Ärgste jedoch war, daß die Schiffsmannschaft diese zweite Kajüte
als ihre rechtmäßige Domäne anzusehen schien und ihren Besitz mit Zähigkeit
den Passagieren streitig machte. Wenn die Herren abends zur Ruhe gehn
wollten, fanden sie regelmäßig einige Schiffsjungen, Heizer und Matrosen auf
ihren Lagerstätten, natürlich in den schmutzigen Kitteln, die sie am Tage im
Dienst getragen hatten. Diese ungebetenen Gäste mußten jedesmal erst geweckt
und vertrieben werden, was oft nicht ganz leicht gewesen sein soll.

Nimmt man nun noch das vielfach schlechte Wetter hinzu, das Schaukeln
und Rollen des kleinen Schiffes, das Rasseln und Stampfen der Maschine
und die fürchterlichen Fett- und Ölgerüche, die aus dem Schiffe nicht heraus¬
zubringen waren, so wird man zugeben, daß man diese Inselreihe nicht eine
Vergnügungsreise im gewöhnlichen Sinne des Wortes nennen konnte. Der
Genuß, den sie auf der einen Seite gewährte, mußte auf der andern durch
mannigfache Entbehrungen und zahlreiche Unannehmlichkeiten erkauft werden.
Namentlich die Damen litten in der Stille viel unter diesen Verhältnissen,
trugen aber immer frohen Mut zur Schau und bewiesen bis zuletzt frische
Aufnahmefähigkeit für all das Große und Schöne, was uns ja zum Ersatz
für alle Leiden in reichem Maße geboten wurde.

Eine von ihnen, die schon öfter erwähnte Gattin des Oberlehrers
Dr. Bruckner, hatte eine Art kleinen Gesangvereins gebildet, der gerade an




Eine Inselreihe durch das griechische Meer
Friedrich Seiler von
3. Von paros bis Thera
(Schluß)

o ging es in der ersten Klasse zu. Noch schlimmer waren natür¬
lich die Zustünde, die in der zweiten Kajüte herrschten. Als ich
eines Tages infolge der allgemeinen Klagen dort hinunterstieg,
um mir die Verhältnisse einmal selbst anzusehen, glaubte ich bei¬
nahe, in ein Massenquartier aus dem Kriege versetzt zu sein. Um
einen engen halbrunden Raum, wo der honiglose Frühstücktisch und ein paar
Stühle standen, lagen in doppelter Reihe etwa zwanzig Schlafstätten, Matratze
an Matratze ohne trennende Wand. Während nun einige der Herren schon
frühstückten, lagen andre noch auf den Matratzen, wieder andre zogen sich an
oder drängten sich um die beiden Waschgefüße, die für alle diese Menschen
ausreichen sollten. Jeder, der sich waschen wollte, mußte sich selbst das Wasser
von der Pumpe holen. Man mag sich vorstellen, was sich für Unzuträglich¬
keiten bei solchem Gedränge entwickelten, und wie die Luft in diesem Gelaß
beschaffen war. Daneben lag noch ein andres für sieben Personen; das war
aber wegen seiner Kleinheit nicht um ein Haar besser.

Das Ärgste jedoch war, daß die Schiffsmannschaft diese zweite Kajüte
als ihre rechtmäßige Domäne anzusehen schien und ihren Besitz mit Zähigkeit
den Passagieren streitig machte. Wenn die Herren abends zur Ruhe gehn
wollten, fanden sie regelmäßig einige Schiffsjungen, Heizer und Matrosen auf
ihren Lagerstätten, natürlich in den schmutzigen Kitteln, die sie am Tage im
Dienst getragen hatten. Diese ungebetenen Gäste mußten jedesmal erst geweckt
und vertrieben werden, was oft nicht ganz leicht gewesen sein soll.

Nimmt man nun noch das vielfach schlechte Wetter hinzu, das Schaukeln
und Rollen des kleinen Schiffes, das Rasseln und Stampfen der Maschine
und die fürchterlichen Fett- und Ölgerüche, die aus dem Schiffe nicht heraus¬
zubringen waren, so wird man zugeben, daß man diese Inselreihe nicht eine
Vergnügungsreise im gewöhnlichen Sinne des Wortes nennen konnte. Der
Genuß, den sie auf der einen Seite gewährte, mußte auf der andern durch
mannigfache Entbehrungen und zahlreiche Unannehmlichkeiten erkauft werden.
Namentlich die Damen litten in der Stille viel unter diesen Verhältnissen,
trugen aber immer frohen Mut zur Schau und bewiesen bis zuletzt frische
Aufnahmefähigkeit für all das Große und Schöne, was uns ja zum Ersatz
für alle Leiden in reichem Maße geboten wurde.

Eine von ihnen, die schon öfter erwähnte Gattin des Oberlehrers
Dr. Bruckner, hatte eine Art kleinen Gesangvereins gebildet, der gerade an


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[0419] [Abbildung] Eine Inselreihe durch das griechische Meer Friedrich Seiler von 3. Von paros bis Thera (Schluß) o ging es in der ersten Klasse zu. Noch schlimmer waren natür¬ lich die Zustünde, die in der zweiten Kajüte herrschten. Als ich eines Tages infolge der allgemeinen Klagen dort hinunterstieg, um mir die Verhältnisse einmal selbst anzusehen, glaubte ich bei¬ nahe, in ein Massenquartier aus dem Kriege versetzt zu sein. Um einen engen halbrunden Raum, wo der honiglose Frühstücktisch und ein paar Stühle standen, lagen in doppelter Reihe etwa zwanzig Schlafstätten, Matratze an Matratze ohne trennende Wand. Während nun einige der Herren schon frühstückten, lagen andre noch auf den Matratzen, wieder andre zogen sich an oder drängten sich um die beiden Waschgefüße, die für alle diese Menschen ausreichen sollten. Jeder, der sich waschen wollte, mußte sich selbst das Wasser von der Pumpe holen. Man mag sich vorstellen, was sich für Unzuträglich¬ keiten bei solchem Gedränge entwickelten, und wie die Luft in diesem Gelaß beschaffen war. Daneben lag noch ein andres für sieben Personen; das war aber wegen seiner Kleinheit nicht um ein Haar besser. Das Ärgste jedoch war, daß die Schiffsmannschaft diese zweite Kajüte als ihre rechtmäßige Domäne anzusehen schien und ihren Besitz mit Zähigkeit den Passagieren streitig machte. Wenn die Herren abends zur Ruhe gehn wollten, fanden sie regelmäßig einige Schiffsjungen, Heizer und Matrosen auf ihren Lagerstätten, natürlich in den schmutzigen Kitteln, die sie am Tage im Dienst getragen hatten. Diese ungebetenen Gäste mußten jedesmal erst geweckt und vertrieben werden, was oft nicht ganz leicht gewesen sein soll. Nimmt man nun noch das vielfach schlechte Wetter hinzu, das Schaukeln und Rollen des kleinen Schiffes, das Rasseln und Stampfen der Maschine und die fürchterlichen Fett- und Ölgerüche, die aus dem Schiffe nicht heraus¬ zubringen waren, so wird man zugeben, daß man diese Inselreihe nicht eine Vergnügungsreise im gewöhnlichen Sinne des Wortes nennen konnte. Der Genuß, den sie auf der einen Seite gewährte, mußte auf der andern durch mannigfache Entbehrungen und zahlreiche Unannehmlichkeiten erkauft werden. Namentlich die Damen litten in der Stille viel unter diesen Verhältnissen, trugen aber immer frohen Mut zur Schau und bewiesen bis zuletzt frische Aufnahmefähigkeit für all das Große und Schöne, was uns ja zum Ersatz für alle Leiden in reichem Maße geboten wurde. Eine von ihnen, die schon öfter erwähnte Gattin des Oberlehrers Dr. Bruckner, hatte eine Art kleinen Gesangvereins gebildet, der gerade an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/419>, abgerufen am 27.07.2024.