Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Gobineaus Renaissance einem Pilger, der auszieht, das himmlische Jerusalem zu suchen, und sich Nach Savonarolas Untergang wendet sich Machiavelli dem Herzog von Gobineaus Renaissance einem Pilger, der auszieht, das himmlische Jerusalem zu suchen, und sich Nach Savonarolas Untergang wendet sich Machiavelli dem Herzog von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0039" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239595"/> <fw type="header" place="top"> Gobineaus Renaissance</fw><lb/> <p xml:id="ID_101" prev="#ID_100"> einem Pilger, der auszieht, das himmlische Jerusalem zu suchen, und sich<lb/> Plötzlich am Rande des Höllenschlundes findet. Ich glaubte, das Gute ließe<lb/> sich so leicht verwirklichen wie erkennen. Ich ahnte nicht, daß die Tat ge¬<lb/> meiniglich zum Verräter an der Absicht wird. Geistige Wohltaten werden<lb/> nicht willig angenommen. Man muß sie aufzwingen. Wem, ich rate, so hört<lb/> man mich nicht, ich muß also strafen. Wo ist dann das Maß? Schelte ich,<lb/> so gerate ich ins Fluchen; der Verweis wird zur Beleidigung. Schlage ich<lb/> mit dem Hirtenstabe, so verwandelt sich dieser in ein blutbeflecktes Schwert,<lb/> lind ich bringe die Menschen um, die ich zu retten gedachte. Alles verkehrt<lb/> sich bei meinem Wirken: der Honig in Galle, die Milde in Wut, die Festig¬<lb/> keit in Raserei. Glaubt ihr, ich wüßte nicht, wie es meine Getreuen treiben?<lb/> Sie Hansen wie Wölfe. Ach mein Gott, ich wollte nur das Recht, und eitel<lb/> Reinheit; rufe mich ub von hier!" Sein Wunsch wird erfüllt, und sein ge¬<lb/> treues Volk atmet nicht allein auf, da es vom Zwange zur Heiligkeit befreit<lb/> wird, nein, es freut sich königlich auf das Schauspiel seiner Hinrichtung und<lb/> genießt es mit Wollust. „Erster Bürger. Wir werden eine gute Stunde<lb/> zu warten haben; ich kenne die heutigen Regierenden; die geben sich gar keine<lb/> Mühe, uns gefällig zu sein. Hütten wir doch die Medici bald wieder!<lb/> Erste Frau. Ach das hübsche Kind! Ist es euer, Mouna Teresa? Zweite<lb/> Frau. Ja, meine Liebe; es ist mein Ältester. Erste Fran. Komm an<lb/> mein Herz, Engelchen! Diese schönen schwarzen Haare! Was machst du denn<lb/> da mit deinen artigen Kameraden? Das Kind. Wir machen unsre Stöcke<lb/> spitz- Zweiter Bürger. Was habt ihr denn damit vor, kleiner Schelm?<lb/> Das Kind. Wir wollen Bruder Girolamo in die Füße und in die Beine<lb/> stechen, wenn sie ihn geführt bringen. Erste Frau. Sind das Schelme!<lb/> Komm, laß dich in den Arm nehmen, mein Herzchen! Erster Bürger. Wohl<lb/> den Staaten, wo schon die Kinder mit der öffentlichen Meinung harmonieren<lb/> lernen! Ein Mann. Er ist derb gefoltert worden, der Schuft; sechsmal<lb/> haben sie ihm die Wippe gegeben; er ist ganz zerschlagen. Ein Kind. Das<lb/> war recht! Ein Kaufmann. Mit dir, du kleiner Bengel, hätte man es<lb/> gerade so machen sollen, als dn mir, es sind kaum vierzehn Tage, die Spiegel<lb/> in meinem Laden zerbrochen hast. Das Kind. Die Leute haben mir gesagt,<lb/> ich solle sie zerbrechen. Eine alte Frau. Das Kind hat Recht; wir sind<lb/> alle vou diesem Bösewicht zum Narren gehabt worden. Ein Handwerker.<lb/> Waren wir dumm! Ah ... er steigt auf die Leiter . . . Werden sie ihn<lb/> nicht lebendig verbrennen? Ein junges Mädchen. Hoffentlich doch! Sagt<lb/> doch, Herr Soldat, wird er nicht verbrannt? usw."</p><lb/> <p xml:id="ID_102" next="#ID_103"> Nach Savonarolas Untergang wendet sich Machiavelli dem Herzog von<lb/> Valentin», Cesare Borgia, zu, der zwar so schlimm oder schlimmer als die andern<lb/> sei, aber große Pläne habe: ein prachtvolles Raubtier. Und in der Tat, als<lb/> Herr Niccolo im nennen der Florentiner mit ihm verhandelt, vernimmt er<lb/> das Bekenntnis: „Ich bin nicht, wie der armselige Herzog von Mailand, eine<lb/> Schlange, die einen Säugling verschlingt. Ich bin die lernäische Hydra, ein<lb/> großes Ungeheuer, das die kleinen Ungeheuer vertilgt; ich will die Dreckfürstcn<lb/> und die Condottieri ausrotten bis auf den letzten, will mir aus den Trümmern</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0039]
Gobineaus Renaissance
einem Pilger, der auszieht, das himmlische Jerusalem zu suchen, und sich
Plötzlich am Rande des Höllenschlundes findet. Ich glaubte, das Gute ließe
sich so leicht verwirklichen wie erkennen. Ich ahnte nicht, daß die Tat ge¬
meiniglich zum Verräter an der Absicht wird. Geistige Wohltaten werden
nicht willig angenommen. Man muß sie aufzwingen. Wem, ich rate, so hört
man mich nicht, ich muß also strafen. Wo ist dann das Maß? Schelte ich,
so gerate ich ins Fluchen; der Verweis wird zur Beleidigung. Schlage ich
mit dem Hirtenstabe, so verwandelt sich dieser in ein blutbeflecktes Schwert,
lind ich bringe die Menschen um, die ich zu retten gedachte. Alles verkehrt
sich bei meinem Wirken: der Honig in Galle, die Milde in Wut, die Festig¬
keit in Raserei. Glaubt ihr, ich wüßte nicht, wie es meine Getreuen treiben?
Sie Hansen wie Wölfe. Ach mein Gott, ich wollte nur das Recht, und eitel
Reinheit; rufe mich ub von hier!" Sein Wunsch wird erfüllt, und sein ge¬
treues Volk atmet nicht allein auf, da es vom Zwange zur Heiligkeit befreit
wird, nein, es freut sich königlich auf das Schauspiel seiner Hinrichtung und
genießt es mit Wollust. „Erster Bürger. Wir werden eine gute Stunde
zu warten haben; ich kenne die heutigen Regierenden; die geben sich gar keine
Mühe, uns gefällig zu sein. Hütten wir doch die Medici bald wieder!
Erste Frau. Ach das hübsche Kind! Ist es euer, Mouna Teresa? Zweite
Frau. Ja, meine Liebe; es ist mein Ältester. Erste Fran. Komm an
mein Herz, Engelchen! Diese schönen schwarzen Haare! Was machst du denn
da mit deinen artigen Kameraden? Das Kind. Wir machen unsre Stöcke
spitz- Zweiter Bürger. Was habt ihr denn damit vor, kleiner Schelm?
Das Kind. Wir wollen Bruder Girolamo in die Füße und in die Beine
stechen, wenn sie ihn geführt bringen. Erste Frau. Sind das Schelme!
Komm, laß dich in den Arm nehmen, mein Herzchen! Erster Bürger. Wohl
den Staaten, wo schon die Kinder mit der öffentlichen Meinung harmonieren
lernen! Ein Mann. Er ist derb gefoltert worden, der Schuft; sechsmal
haben sie ihm die Wippe gegeben; er ist ganz zerschlagen. Ein Kind. Das
war recht! Ein Kaufmann. Mit dir, du kleiner Bengel, hätte man es
gerade so machen sollen, als dn mir, es sind kaum vierzehn Tage, die Spiegel
in meinem Laden zerbrochen hast. Das Kind. Die Leute haben mir gesagt,
ich solle sie zerbrechen. Eine alte Frau. Das Kind hat Recht; wir sind
alle vou diesem Bösewicht zum Narren gehabt worden. Ein Handwerker.
Waren wir dumm! Ah ... er steigt auf die Leiter . . . Werden sie ihn
nicht lebendig verbrennen? Ein junges Mädchen. Hoffentlich doch! Sagt
doch, Herr Soldat, wird er nicht verbrannt? usw."
Nach Savonarolas Untergang wendet sich Machiavelli dem Herzog von
Valentin», Cesare Borgia, zu, der zwar so schlimm oder schlimmer als die andern
sei, aber große Pläne habe: ein prachtvolles Raubtier. Und in der Tat, als
Herr Niccolo im nennen der Florentiner mit ihm verhandelt, vernimmt er
das Bekenntnis: „Ich bin nicht, wie der armselige Herzog von Mailand, eine
Schlange, die einen Säugling verschlingt. Ich bin die lernäische Hydra, ein
großes Ungeheuer, das die kleinen Ungeheuer vertilgt; ich will die Dreckfürstcn
und die Condottieri ausrotten bis auf den letzten, will mir aus den Trümmern
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