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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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werten, und da es geschneit und wieder gekaut hatte, hatte man vorgezogen, die
Galoschen nicht mit ins Vorzimmer zu nehmen, sondern sie draußen zu lassen.

Ich ging gerührt in mein Zimmer und nahm mir vor, mich nie wieder auf
Kosten der heutigen Jugend zum Ig-natator temxoris avei zu machen.




Heuer!
Erinnerung aus dein russischen polizeileben
Alexander Andreas von(Fortsetzung)
7

FZM
^I?VZS>>>es lachte etwas bitter über des Aufsehers letzte Worte, wahrend
ich den Rückweg zum Stadtteilhause antrat. Jemeljan Afanasjewitsch
hatte sich in der Gewandtheit, mit der er die Zeit zum Dienst aus¬
nutzte, einen eigentümlichen Begriff von der Zeitdauer angeeignet.
Mache" Sie, daß Sie zur Ruhe kommen, hatte er ganz ernsthaft
> gesagt. Es war aber kurz vor neun. Um eins mußte ich bel den
Leuten sein, die zum Nachmittagsdienst ausrückten. In der Zwischenzeit sollte ich
Guido einen Auftrag geben, mußte mich nach einem Speisehause umsehen, wo ich
auf das Mittagessen für mich und meinen Gerasfim abonnieren konnte, mußte das
Essen holen lassen und essen. Wann sollte ich unter solchen Umstanden zur Ruhe
kommen? Freilich, Jemeljau Afanasjewitsch hätte sich an den Tisch gesetzt, die
Stirn gegen die Hand gestützt und geschlafen, während Gerassini nach dem Essen
ging; ich verstand das aber einstweilen noch nicht.

Wer sich im Stadtteilhause nicht antreffen ließ, das war natürlich Peter Ar-
kadijewitsch Guido.

Jemeljan Afanasjewitsch hat im Gespräch mit Ihnen unvorsichtigerweise die
Äußerung fallen lassen, daß er am Vormittag nicht mehr herkommen werde, sagte
Grigori Ssemenhtsch, der Schriftführer, während er sich mit Seelenruhe, eine dicke
Zigarette drehte. Das hat Peter Arkadijewitsch gehört. Außerdem hat er sich auch
selbst ausrechnen können, daß der Aufseher vor einigen Stunden nicht zurückkehren
wird, da er dem Polizeimeister eine so wichtige Meldung zu macheu hat, infolge
deren beide wohl in das Hanptgefängnis gehn und nach dem Befinden des Urre
standen sehen werden.

Nun, und?

Der Schriftführer sah mich erstaunt an.

Nun, da ist er natürlich weggegangen, zum Frühstück zu irgend einer Witwe,
oder jungen Frau, deren Mann um diese Zeit Dienst hat -- er ist nicht wähle-
rjsH --, und Wird vor Mittag nicht zurückkommen.

Das ist die notwendige Folge?

Unbedingt, sagte er entschieden und betrachtete mit Wohlgefallen die fertige
Papirvs.

Nemirow wird wohl auch nicht mehr herkommen?

Grigori Ssemenytsch schüttelte mit Überzeugung den Kopf, während er die
Papiros anrauchte und acht gab, daß der Rand sich rund umher gleichmäßig
entzündete.

Nemirow ist freilich nur mit drei Schriftstücken weggegangen, fügte er dann hinzu,
indem er rin Genuß eine gewaltige Rauchwolke durch die Nase blies. Er hat sie
drei Hausbesitzern gegen Unterschrift einzuhändigen. Aber ich stehe Ihnen dafür,
daß er diese Beschäftigung auf den ganzen Tag ausdehnt und erst morgen früh
um acht wieder erscheint.


werten, und da es geschneit und wieder gekaut hatte, hatte man vorgezogen, die
Galoschen nicht mit ins Vorzimmer zu nehmen, sondern sie draußen zu lassen.

Ich ging gerührt in mein Zimmer und nahm mir vor, mich nie wieder auf
Kosten der heutigen Jugend zum Ig-natator temxoris avei zu machen.




Heuer!
Erinnerung aus dein russischen polizeileben
Alexander Andreas von(Fortsetzung)
7

FZM
^I?VZS>>>es lachte etwas bitter über des Aufsehers letzte Worte, wahrend
ich den Rückweg zum Stadtteilhause antrat. Jemeljan Afanasjewitsch
hatte sich in der Gewandtheit, mit der er die Zeit zum Dienst aus¬
nutzte, einen eigentümlichen Begriff von der Zeitdauer angeeignet.
Mache» Sie, daß Sie zur Ruhe kommen, hatte er ganz ernsthaft
> gesagt. Es war aber kurz vor neun. Um eins mußte ich bel den
Leuten sein, die zum Nachmittagsdienst ausrückten. In der Zwischenzeit sollte ich
Guido einen Auftrag geben, mußte mich nach einem Speisehause umsehen, wo ich
auf das Mittagessen für mich und meinen Gerasfim abonnieren konnte, mußte das
Essen holen lassen und essen. Wann sollte ich unter solchen Umstanden zur Ruhe
kommen? Freilich, Jemeljau Afanasjewitsch hätte sich an den Tisch gesetzt, die
Stirn gegen die Hand gestützt und geschlafen, während Gerassini nach dem Essen
ging; ich verstand das aber einstweilen noch nicht.

Wer sich im Stadtteilhause nicht antreffen ließ, das war natürlich Peter Ar-
kadijewitsch Guido.

Jemeljan Afanasjewitsch hat im Gespräch mit Ihnen unvorsichtigerweise die
Äußerung fallen lassen, daß er am Vormittag nicht mehr herkommen werde, sagte
Grigori Ssemenhtsch, der Schriftführer, während er sich mit Seelenruhe, eine dicke
Zigarette drehte. Das hat Peter Arkadijewitsch gehört. Außerdem hat er sich auch
selbst ausrechnen können, daß der Aufseher vor einigen Stunden nicht zurückkehren
wird, da er dem Polizeimeister eine so wichtige Meldung zu macheu hat, infolge
deren beide wohl in das Hanptgefängnis gehn und nach dem Befinden des Urre
standen sehen werden.

Nun, und?

Der Schriftführer sah mich erstaunt an.

Nun, da ist er natürlich weggegangen, zum Frühstück zu irgend einer Witwe,
oder jungen Frau, deren Mann um diese Zeit Dienst hat — er ist nicht wähle-
rjsH —, und Wird vor Mittag nicht zurückkommen.

Das ist die notwendige Folge?

Unbedingt, sagte er entschieden und betrachtete mit Wohlgefallen die fertige
Papirvs.

Nemirow wird wohl auch nicht mehr herkommen?

Grigori Ssemenytsch schüttelte mit Überzeugung den Kopf, während er die
Papiros anrauchte und acht gab, daß der Rand sich rund umher gleichmäßig
entzündete.

Nemirow ist freilich nur mit drei Schriftstücken weggegangen, fügte er dann hinzu,
indem er rin Genuß eine gewaltige Rauchwolke durch die Nase blies. Er hat sie
drei Hausbesitzern gegen Unterschrift einzuhändigen. Aber ich stehe Ihnen dafür,
daß er diese Beschäftigung auf den ganzen Tag ausdehnt und erst morgen früh
um acht wieder erscheint.


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[0366] werten, und da es geschneit und wieder gekaut hatte, hatte man vorgezogen, die Galoschen nicht mit ins Vorzimmer zu nehmen, sondern sie draußen zu lassen. Ich ging gerührt in mein Zimmer und nahm mir vor, mich nie wieder auf Kosten der heutigen Jugend zum Ig-natator temxoris avei zu machen. Heuer! Erinnerung aus dein russischen polizeileben Alexander Andreas von(Fortsetzung) 7 FZM ^I?VZS>>>es lachte etwas bitter über des Aufsehers letzte Worte, wahrend ich den Rückweg zum Stadtteilhause antrat. Jemeljan Afanasjewitsch hatte sich in der Gewandtheit, mit der er die Zeit zum Dienst aus¬ nutzte, einen eigentümlichen Begriff von der Zeitdauer angeeignet. Mache» Sie, daß Sie zur Ruhe kommen, hatte er ganz ernsthaft > gesagt. Es war aber kurz vor neun. Um eins mußte ich bel den Leuten sein, die zum Nachmittagsdienst ausrückten. In der Zwischenzeit sollte ich Guido einen Auftrag geben, mußte mich nach einem Speisehause umsehen, wo ich auf das Mittagessen für mich und meinen Gerasfim abonnieren konnte, mußte das Essen holen lassen und essen. Wann sollte ich unter solchen Umstanden zur Ruhe kommen? Freilich, Jemeljau Afanasjewitsch hätte sich an den Tisch gesetzt, die Stirn gegen die Hand gestützt und geschlafen, während Gerassini nach dem Essen ging; ich verstand das aber einstweilen noch nicht. Wer sich im Stadtteilhause nicht antreffen ließ, das war natürlich Peter Ar- kadijewitsch Guido. Jemeljan Afanasjewitsch hat im Gespräch mit Ihnen unvorsichtigerweise die Äußerung fallen lassen, daß er am Vormittag nicht mehr herkommen werde, sagte Grigori Ssemenhtsch, der Schriftführer, während er sich mit Seelenruhe, eine dicke Zigarette drehte. Das hat Peter Arkadijewitsch gehört. Außerdem hat er sich auch selbst ausrechnen können, daß der Aufseher vor einigen Stunden nicht zurückkehren wird, da er dem Polizeimeister eine so wichtige Meldung zu macheu hat, infolge deren beide wohl in das Hanptgefängnis gehn und nach dem Befinden des Urre standen sehen werden. Nun, und? Der Schriftführer sah mich erstaunt an. Nun, da ist er natürlich weggegangen, zum Frühstück zu irgend einer Witwe, oder jungen Frau, deren Mann um diese Zeit Dienst hat — er ist nicht wähle- rjsH —, und Wird vor Mittag nicht zurückkommen. Das ist die notwendige Folge? Unbedingt, sagte er entschieden und betrachtete mit Wohlgefallen die fertige Papirvs. Nemirow wird wohl auch nicht mehr herkommen? Grigori Ssemenytsch schüttelte mit Überzeugung den Kopf, während er die Papiros anrauchte und acht gab, daß der Rand sich rund umher gleichmäßig entzündete. Nemirow ist freilich nur mit drei Schriftstücken weggegangen, fügte er dann hinzu, indem er rin Genuß eine gewaltige Rauchwolke durch die Nase blies. Er hat sie drei Hausbesitzern gegen Unterschrift einzuhändigen. Aber ich stehe Ihnen dafür, daß er diese Beschäftigung auf den ganzen Tag ausdehnt und erst morgen früh um acht wieder erscheint.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/366>, abgerufen am 24.11.2024.