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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die kennst des Tanzes

zuvor in solcher Vollkommenheit gesehen zu bilden glaubte; in den ersten Jahren
ihres Auftretens muß sie in der Tat als spanische Natioualtäuzeriu geradezu eine
ideale Erscheinung gewesen sein. Eine Ausbildung zur Balletttänzerin großen Stils
war natürlich mehr als einmal in Frage gewesen, da erste Ballerinen in Paris
und Se. Petersburg wie Premierminister bezahlt werden, aber immer war ihr von
wohlwollender Seite abgeraten worden. Sie solle das Gewisse, was sie habe, nicht
für das Ungewisse aufgeben, denn die Anforderungen, die man an eine erste
Tänzerin stelle, würden ihr einen Teil ihrer Schönheit und ihrer Jugendlichkeit
kosten, und es erscheine zweifelhaft, ob ihre Gesundheit den Anstrengungen des
Studiums und der täglichen Gefahr schwerer Erkältungen gewachsen sei. Ich hatte
diese Bedenken damals für einen Vorwand gehalten, den sich die angeborne Be¬
häbigkeit der schönen Spanierin mit Freuden zu nahe gemacht habe! in Paris er¬
fuhr ich später, daß der erste beste Heizer auf einem transatlantischen Schrauben¬
dampfer mehr Chance hat, es zu einem leidlich gesunden Alter zu bringen, als die
gefeiertste Tänzerin an der Großen Oper, und daß nur ganz außergewöhnlich
robuste Naturen den Anstrengungen gewachsen sind, die der Sylphidcnberuf von
seinen Koryphäen fordert. Wenn Rosita Mauri auf einer Diagonale, die man sich
von der linken Ecke des äußersten Prospekts nach der rechten Prvszeniumskulisse
gezogen denkt, in einer bestimmten Anzahl von Pirouetten hingankelt und auf die
Sekunde genau nu dem vorgeschriebnen Punkte, in der beabsichtigte" Attitüde Halt
macht, sich dann aber mit dem kindlichsten Lächeln auf den Lippen einen Augen¬
blick, wie in Gedanken versunken, auf der großen Fußzehe versäumt, ehe sie den
Beifallssturm durch eine leichte vertrauliche Verbeugung entfesselt, so ist das trotz
der spielenden Leichtigkeit, mit der es bewirkt wird, etwas, was ihr nach dem
Urteil erfahrener .Kenner unter den besten Tänzerinnen der Welt mit dieser un¬
bedingten Sicherheit nicht eine nachmachen kann. Neben allen übrigen Vorzügen
der Schönheit, der Eleganz und der Grazie ist es diese vollendete Herrschaft über
ihren Körper, die mau bewundert und bezahlt, und zu der sie es nur nach langem
Studium und mit eiserner Energie hat bringen können. Die "Mutter" der schönen
Spanierin hatte Recht, bei einer solchen Ausbildung gehn die weichen Konturen
verloren, und wenn sie das Lächeln der an der Grenze ihrer Kräfte angekommnen
"großen Tänzerin" mit dem Blick des Basilisken verglich, so war darin nur ein
ganz klein wenig Übertreibung.

Für diese Art des "großen Tanzes" gelten die Italienerinnen als die bei
weitem Begabtesten. Was die Natur für sie tut, tut sie für kein andres Volk;
nur die Spanierinnen könnten sich mit ihnen messen, wenn sie nicht zu indolent
zum Lernen wären. Übrigens läßt sich die schaulustige Menge bei gehöriger
Reklame überall die sonderbarsten Leistungen schmecken. Wer Lucile Grcchn, die
namentlich als Esmeralda mit ihrer Ziege berühmt war, hat springen sehen, wird
verstehn, was ich meine. Und was sie leistete, war doch noch in gewissem Sinne
Kunst, während die schöne Otero, deren erstes Auftreten in Paris ich erlebt habe,
und die inzwischen manches gelernt haben kann, nur mit einem sich sinnlos ans der
Bühne herumtummelnden Mvudkalbe vergliche" werden konnte. Man erzählte sich,
der zweite Baßgeiger unten im Orchester habe dreist behauptet, er könne es besser.
"

Eine besondre Abart des "großen Tanzes ist die Pantomime und das senti¬
mentale Ballett, das sich ihm anschließt. Berühmte Tänzerinnen haben in den für
sie zurechtgemachten Rollen, zum Beispiel als Fenelln in der Stummen, Bedeutendes
geleistet, aber der Genre hat aufgehört, modern zu sein, und die Pantomime bildet
sich selbständig und völlig unabhängig vom Ballett zur Nachfolgerin der italienischen
Komödie mit ihren typischen Figuren aus, unter denen sich Pierrot besondrer Be¬
liebtheit erfreut. Die Balletts dagegen sind Spektakelstücke geworden, in denen mit
reichen Stoffe", Anilinfarben und elektrischem Licht gewirkt wird, Aufzüge und
Massentänze mit einigen kurzen Sternleistungen dazwischen nehmen die meiste Zeit
in Anspruch, und für das, was man sieht und hört, könnte man ebensogut im


Die kennst des Tanzes

zuvor in solcher Vollkommenheit gesehen zu bilden glaubte; in den ersten Jahren
ihres Auftretens muß sie in der Tat als spanische Natioualtäuzeriu geradezu eine
ideale Erscheinung gewesen sein. Eine Ausbildung zur Balletttänzerin großen Stils
war natürlich mehr als einmal in Frage gewesen, da erste Ballerinen in Paris
und Se. Petersburg wie Premierminister bezahlt werden, aber immer war ihr von
wohlwollender Seite abgeraten worden. Sie solle das Gewisse, was sie habe, nicht
für das Ungewisse aufgeben, denn die Anforderungen, die man an eine erste
Tänzerin stelle, würden ihr einen Teil ihrer Schönheit und ihrer Jugendlichkeit
kosten, und es erscheine zweifelhaft, ob ihre Gesundheit den Anstrengungen des
Studiums und der täglichen Gefahr schwerer Erkältungen gewachsen sei. Ich hatte
diese Bedenken damals für einen Vorwand gehalten, den sich die angeborne Be¬
häbigkeit der schönen Spanierin mit Freuden zu nahe gemacht habe! in Paris er¬
fuhr ich später, daß der erste beste Heizer auf einem transatlantischen Schrauben¬
dampfer mehr Chance hat, es zu einem leidlich gesunden Alter zu bringen, als die
gefeiertste Tänzerin an der Großen Oper, und daß nur ganz außergewöhnlich
robuste Naturen den Anstrengungen gewachsen sind, die der Sylphidcnberuf von
seinen Koryphäen fordert. Wenn Rosita Mauri auf einer Diagonale, die man sich
von der linken Ecke des äußersten Prospekts nach der rechten Prvszeniumskulisse
gezogen denkt, in einer bestimmten Anzahl von Pirouetten hingankelt und auf die
Sekunde genau nu dem vorgeschriebnen Punkte, in der beabsichtigte» Attitüde Halt
macht, sich dann aber mit dem kindlichsten Lächeln auf den Lippen einen Augen¬
blick, wie in Gedanken versunken, auf der großen Fußzehe versäumt, ehe sie den
Beifallssturm durch eine leichte vertrauliche Verbeugung entfesselt, so ist das trotz
der spielenden Leichtigkeit, mit der es bewirkt wird, etwas, was ihr nach dem
Urteil erfahrener .Kenner unter den besten Tänzerinnen der Welt mit dieser un¬
bedingten Sicherheit nicht eine nachmachen kann. Neben allen übrigen Vorzügen
der Schönheit, der Eleganz und der Grazie ist es diese vollendete Herrschaft über
ihren Körper, die mau bewundert und bezahlt, und zu der sie es nur nach langem
Studium und mit eiserner Energie hat bringen können. Die „Mutter" der schönen
Spanierin hatte Recht, bei einer solchen Ausbildung gehn die weichen Konturen
verloren, und wenn sie das Lächeln der an der Grenze ihrer Kräfte angekommnen
„großen Tänzerin" mit dem Blick des Basilisken verglich, so war darin nur ein
ganz klein wenig Übertreibung.

Für diese Art des „großen Tanzes" gelten die Italienerinnen als die bei
weitem Begabtesten. Was die Natur für sie tut, tut sie für kein andres Volk;
nur die Spanierinnen könnten sich mit ihnen messen, wenn sie nicht zu indolent
zum Lernen wären. Übrigens läßt sich die schaulustige Menge bei gehöriger
Reklame überall die sonderbarsten Leistungen schmecken. Wer Lucile Grcchn, die
namentlich als Esmeralda mit ihrer Ziege berühmt war, hat springen sehen, wird
verstehn, was ich meine. Und was sie leistete, war doch noch in gewissem Sinne
Kunst, während die schöne Otero, deren erstes Auftreten in Paris ich erlebt habe,
und die inzwischen manches gelernt haben kann, nur mit einem sich sinnlos ans der
Bühne herumtummelnden Mvudkalbe vergliche» werden konnte. Man erzählte sich,
der zweite Baßgeiger unten im Orchester habe dreist behauptet, er könne es besser.
"

Eine besondre Abart des „großen Tanzes ist die Pantomime und das senti¬
mentale Ballett, das sich ihm anschließt. Berühmte Tänzerinnen haben in den für
sie zurechtgemachten Rollen, zum Beispiel als Fenelln in der Stummen, Bedeutendes
geleistet, aber der Genre hat aufgehört, modern zu sein, und die Pantomime bildet
sich selbständig und völlig unabhängig vom Ballett zur Nachfolgerin der italienischen
Komödie mit ihren typischen Figuren aus, unter denen sich Pierrot besondrer Be¬
liebtheit erfreut. Die Balletts dagegen sind Spektakelstücke geworden, in denen mit
reichen Stoffe», Anilinfarben und elektrischem Licht gewirkt wird, Aufzüge und
Massentänze mit einigen kurzen Sternleistungen dazwischen nehmen die meiste Zeit
in Anspruch, und für das, was man sieht und hört, könnte man ebensogut im


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[0360] Die kennst des Tanzes zuvor in solcher Vollkommenheit gesehen zu bilden glaubte; in den ersten Jahren ihres Auftretens muß sie in der Tat als spanische Natioualtäuzeriu geradezu eine ideale Erscheinung gewesen sein. Eine Ausbildung zur Balletttänzerin großen Stils war natürlich mehr als einmal in Frage gewesen, da erste Ballerinen in Paris und Se. Petersburg wie Premierminister bezahlt werden, aber immer war ihr von wohlwollender Seite abgeraten worden. Sie solle das Gewisse, was sie habe, nicht für das Ungewisse aufgeben, denn die Anforderungen, die man an eine erste Tänzerin stelle, würden ihr einen Teil ihrer Schönheit und ihrer Jugendlichkeit kosten, und es erscheine zweifelhaft, ob ihre Gesundheit den Anstrengungen des Studiums und der täglichen Gefahr schwerer Erkältungen gewachsen sei. Ich hatte diese Bedenken damals für einen Vorwand gehalten, den sich die angeborne Be¬ häbigkeit der schönen Spanierin mit Freuden zu nahe gemacht habe! in Paris er¬ fuhr ich später, daß der erste beste Heizer auf einem transatlantischen Schrauben¬ dampfer mehr Chance hat, es zu einem leidlich gesunden Alter zu bringen, als die gefeiertste Tänzerin an der Großen Oper, und daß nur ganz außergewöhnlich robuste Naturen den Anstrengungen gewachsen sind, die der Sylphidcnberuf von seinen Koryphäen fordert. Wenn Rosita Mauri auf einer Diagonale, die man sich von der linken Ecke des äußersten Prospekts nach der rechten Prvszeniumskulisse gezogen denkt, in einer bestimmten Anzahl von Pirouetten hingankelt und auf die Sekunde genau nu dem vorgeschriebnen Punkte, in der beabsichtigte» Attitüde Halt macht, sich dann aber mit dem kindlichsten Lächeln auf den Lippen einen Augen¬ blick, wie in Gedanken versunken, auf der großen Fußzehe versäumt, ehe sie den Beifallssturm durch eine leichte vertrauliche Verbeugung entfesselt, so ist das trotz der spielenden Leichtigkeit, mit der es bewirkt wird, etwas, was ihr nach dem Urteil erfahrener .Kenner unter den besten Tänzerinnen der Welt mit dieser un¬ bedingten Sicherheit nicht eine nachmachen kann. Neben allen übrigen Vorzügen der Schönheit, der Eleganz und der Grazie ist es diese vollendete Herrschaft über ihren Körper, die mau bewundert und bezahlt, und zu der sie es nur nach langem Studium und mit eiserner Energie hat bringen können. Die „Mutter" der schönen Spanierin hatte Recht, bei einer solchen Ausbildung gehn die weichen Konturen verloren, und wenn sie das Lächeln der an der Grenze ihrer Kräfte angekommnen „großen Tänzerin" mit dem Blick des Basilisken verglich, so war darin nur ein ganz klein wenig Übertreibung. Für diese Art des „großen Tanzes" gelten die Italienerinnen als die bei weitem Begabtesten. Was die Natur für sie tut, tut sie für kein andres Volk; nur die Spanierinnen könnten sich mit ihnen messen, wenn sie nicht zu indolent zum Lernen wären. Übrigens läßt sich die schaulustige Menge bei gehöriger Reklame überall die sonderbarsten Leistungen schmecken. Wer Lucile Grcchn, die namentlich als Esmeralda mit ihrer Ziege berühmt war, hat springen sehen, wird verstehn, was ich meine. Und was sie leistete, war doch noch in gewissem Sinne Kunst, während die schöne Otero, deren erstes Auftreten in Paris ich erlebt habe, und die inzwischen manches gelernt haben kann, nur mit einem sich sinnlos ans der Bühne herumtummelnden Mvudkalbe vergliche» werden konnte. Man erzählte sich, der zweite Baßgeiger unten im Orchester habe dreist behauptet, er könne es besser. " Eine besondre Abart des „großen Tanzes ist die Pantomime und das senti¬ mentale Ballett, das sich ihm anschließt. Berühmte Tänzerinnen haben in den für sie zurechtgemachten Rollen, zum Beispiel als Fenelln in der Stummen, Bedeutendes geleistet, aber der Genre hat aufgehört, modern zu sein, und die Pantomime bildet sich selbständig und völlig unabhängig vom Ballett zur Nachfolgerin der italienischen Komödie mit ihren typischen Figuren aus, unter denen sich Pierrot besondrer Be¬ liebtheit erfreut. Die Balletts dagegen sind Spektakelstücke geworden, in denen mit reichen Stoffe», Anilinfarben und elektrischem Licht gewirkt wird, Aufzüge und Massentänze mit einigen kurzen Sternleistungen dazwischen nehmen die meiste Zeit in Anspruch, und für das, was man sieht und hört, könnte man ebensogut im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/360>, abgerufen am 24.11.2024.