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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die Kunst des Tanzes

reinlicher zugegangen wäre! Es herrschte aber in dieser Hinsicht eine wahr¬
haft orientalische Wirtschaft, Über die Tischtücher und die Servietten mußte mau
hinwegsehen, wenn man nicht allen Appetit verlieren wollte. Das Auswaschen
des Geschirrs geschah von Tag zu Tag nachlässiger, die Nufwürter hatten über
diesen Punkt unglaublich naive Ansichten. Als ich den Kellner eines Morgens
darauf aufmerksam machte, daß meine Tasse am Rande noch deutlich ein
getrocknete Spuren vom Tage vorher zeige, steckte er zwei Finger in den
Mund, fuhr damit reinigend um den Rand und war sehr erstaunt, daß ich
die Tasse nunmehr erst'recht zurückwies. Noch schlimmer erging es einel"
andern Herrn. Ein gewisser Ort, den man in nördlichen Breiten peinlich
sauber zu halten pflegt, hatte sich als augenblicklich unbenützbar erwiesen, und
der Herr forderte den Aufwärter aus, ihn in gebrauchsfähigen Zustand zu
versetzen. Da nahm dieser eine Serviette vom Tisch und verschwand damit
hinter der kleinen Tür. Der Zeuge dieses durch Einfachheit hervorragenden
Verfahrens verzichtete für diesesmcil auf das Frühstück.

(Schluß folgt)




Die Kunst des Tanzes

as Tanzen lernt der Alpler, wie das Ringen, das Klettern und das
Jodeln, im täglichen Wettbewerb um einen Platz an der Sonne
und in der Gunst der Frauen. Der Steirer zum Beispiel lernt es
so früh, daß man ihn ohne große Übertreibung einen gebornen Tänzer
nennen kann wie den Spanier und den Italiener, und wer auf seinen
-- Zügen durch das Steierland in der nächsten Umgebung der Tanzplätze
le kleinen verschossenen grünen Hüte und ihre verhältnismäßig noch kleinern Träger
eobachtet hat, kann bestätigen, dnß in den Bergen wenn von nichts andern", sicher
'°>n Tänzer das Sprichwort gilt: Was ein Häkchen werden will, das krümmt sich
beizeiten.

Aber auch in der nächsten Umgebung unsrer reichsdeutschen Dorfschenken kann
>um derartige Progymnasien und deren vorbereitenden Einfluß beobachten. Zu der
Mratischen Ruhe des Dorfdrehers, bei dessen korrekter Ausführung Tänzer und
^anzerin einander, Stirn gegen Stirn gelehnt, in tranmnrtigem Sinnenrausch, unter
.^"'üßigem Fußschlnrfen umkreisen, kommt es freilich bei der versuchenden Jugend
^' J>" Takt gleichmäßig einherzuschleifen gelingt ihnen noch nicht: sie hopsen
ut bücken, weil sie die richtige Kraft nicht an der rechten Stelle und im rechten
"eitmaße verwenden, aber daß sich später der sechzehn- bis siebzehnjährige Jüngling
in die Reihen der bewährten Tänzer mischen kann, ohne das schwerfällige Rad der
unfeinandcrfolgenden Paare, das sich um den Mittelpunkt des Saales dreht, aus
ven Geleise zu bringen, verdankt er seinen dilettantischen Vorstudien unten im Hofe
°er Schankwirtschaft oder oben am Zugang zur Stiege, wenn es da einen gerän-
""gen, spärlich erleuchteten Vorplatz gibt."

Auch die Mädchen lernen in diesen Kreisen das Tanzen "von alleine, nur
orei besser als die Jungen, weil ihre Spiele ohnehin meist Neigen sind, und weil
>>e nicht das Bärenhafte der neuerwachten und deshalb ungeschlachten Leibeskräfte
ZU überwinden haben, das den jungen Burschen anfangs ungelenk und eckig macht,


Grenzvoten I 1908 45
Die Kunst des Tanzes

reinlicher zugegangen wäre! Es herrschte aber in dieser Hinsicht eine wahr¬
haft orientalische Wirtschaft, Über die Tischtücher und die Servietten mußte mau
hinwegsehen, wenn man nicht allen Appetit verlieren wollte. Das Auswaschen
des Geschirrs geschah von Tag zu Tag nachlässiger, die Nufwürter hatten über
diesen Punkt unglaublich naive Ansichten. Als ich den Kellner eines Morgens
darauf aufmerksam machte, daß meine Tasse am Rande noch deutlich ein
getrocknete Spuren vom Tage vorher zeige, steckte er zwei Finger in den
Mund, fuhr damit reinigend um den Rand und war sehr erstaunt, daß ich
die Tasse nunmehr erst'recht zurückwies. Noch schlimmer erging es einel»
andern Herrn. Ein gewisser Ort, den man in nördlichen Breiten peinlich
sauber zu halten pflegt, hatte sich als augenblicklich unbenützbar erwiesen, und
der Herr forderte den Aufwärter aus, ihn in gebrauchsfähigen Zustand zu
versetzen. Da nahm dieser eine Serviette vom Tisch und verschwand damit
hinter der kleinen Tür. Der Zeuge dieses durch Einfachheit hervorragenden
Verfahrens verzichtete für diesesmcil auf das Frühstück.

(Schluß folgt)




Die Kunst des Tanzes

as Tanzen lernt der Alpler, wie das Ringen, das Klettern und das
Jodeln, im täglichen Wettbewerb um einen Platz an der Sonne
und in der Gunst der Frauen. Der Steirer zum Beispiel lernt es
so früh, daß man ihn ohne große Übertreibung einen gebornen Tänzer
nennen kann wie den Spanier und den Italiener, und wer auf seinen
— Zügen durch das Steierland in der nächsten Umgebung der Tanzplätze
le kleinen verschossenen grünen Hüte und ihre verhältnismäßig noch kleinern Träger
eobachtet hat, kann bestätigen, dnß in den Bergen wenn von nichts andern«, sicher
'°>n Tänzer das Sprichwort gilt: Was ein Häkchen werden will, das krümmt sich
beizeiten.

Aber auch in der nächsten Umgebung unsrer reichsdeutschen Dorfschenken kann
>um derartige Progymnasien und deren vorbereitenden Einfluß beobachten. Zu der
Mratischen Ruhe des Dorfdrehers, bei dessen korrekter Ausführung Tänzer und
^anzerin einander, Stirn gegen Stirn gelehnt, in tranmnrtigem Sinnenrausch, unter
.^"'üßigem Fußschlnrfen umkreisen, kommt es freilich bei der versuchenden Jugend
^' J>" Takt gleichmäßig einherzuschleifen gelingt ihnen noch nicht: sie hopsen
ut bücken, weil sie die richtige Kraft nicht an der rechten Stelle und im rechten
«eitmaße verwenden, aber daß sich später der sechzehn- bis siebzehnjährige Jüngling
in die Reihen der bewährten Tänzer mischen kann, ohne das schwerfällige Rad der
unfeinandcrfolgenden Paare, das sich um den Mittelpunkt des Saales dreht, aus
ven Geleise zu bringen, verdankt er seinen dilettantischen Vorstudien unten im Hofe
°er Schankwirtschaft oder oben am Zugang zur Stiege, wenn es da einen gerän-
""gen, spärlich erleuchteten Vorplatz gibt."

Auch die Mädchen lernen in diesen Kreisen das Tanzen „von alleine, nur
orei besser als die Jungen, weil ihre Spiele ohnehin meist Neigen sind, und weil
>>e nicht das Bärenhafte der neuerwachten und deshalb ungeschlachten Leibeskräfte
ZU überwinden haben, das den jungen Burschen anfangs ungelenk und eckig macht,


Grenzvoten I 1908 45
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[0357] Die Kunst des Tanzes reinlicher zugegangen wäre! Es herrschte aber in dieser Hinsicht eine wahr¬ haft orientalische Wirtschaft, Über die Tischtücher und die Servietten mußte mau hinwegsehen, wenn man nicht allen Appetit verlieren wollte. Das Auswaschen des Geschirrs geschah von Tag zu Tag nachlässiger, die Nufwürter hatten über diesen Punkt unglaublich naive Ansichten. Als ich den Kellner eines Morgens darauf aufmerksam machte, daß meine Tasse am Rande noch deutlich ein getrocknete Spuren vom Tage vorher zeige, steckte er zwei Finger in den Mund, fuhr damit reinigend um den Rand und war sehr erstaunt, daß ich die Tasse nunmehr erst'recht zurückwies. Noch schlimmer erging es einel» andern Herrn. Ein gewisser Ort, den man in nördlichen Breiten peinlich sauber zu halten pflegt, hatte sich als augenblicklich unbenützbar erwiesen, und der Herr forderte den Aufwärter aus, ihn in gebrauchsfähigen Zustand zu versetzen. Da nahm dieser eine Serviette vom Tisch und verschwand damit hinter der kleinen Tür. Der Zeuge dieses durch Einfachheit hervorragenden Verfahrens verzichtete für diesesmcil auf das Frühstück. (Schluß folgt) Die Kunst des Tanzes as Tanzen lernt der Alpler, wie das Ringen, das Klettern und das Jodeln, im täglichen Wettbewerb um einen Platz an der Sonne und in der Gunst der Frauen. Der Steirer zum Beispiel lernt es so früh, daß man ihn ohne große Übertreibung einen gebornen Tänzer nennen kann wie den Spanier und den Italiener, und wer auf seinen — Zügen durch das Steierland in der nächsten Umgebung der Tanzplätze le kleinen verschossenen grünen Hüte und ihre verhältnismäßig noch kleinern Träger eobachtet hat, kann bestätigen, dnß in den Bergen wenn von nichts andern«, sicher '°>n Tänzer das Sprichwort gilt: Was ein Häkchen werden will, das krümmt sich beizeiten. Aber auch in der nächsten Umgebung unsrer reichsdeutschen Dorfschenken kann >um derartige Progymnasien und deren vorbereitenden Einfluß beobachten. Zu der Mratischen Ruhe des Dorfdrehers, bei dessen korrekter Ausführung Tänzer und ^anzerin einander, Stirn gegen Stirn gelehnt, in tranmnrtigem Sinnenrausch, unter .^"'üßigem Fußschlnrfen umkreisen, kommt es freilich bei der versuchenden Jugend ^' J>" Takt gleichmäßig einherzuschleifen gelingt ihnen noch nicht: sie hopsen ut bücken, weil sie die richtige Kraft nicht an der rechten Stelle und im rechten «eitmaße verwenden, aber daß sich später der sechzehn- bis siebzehnjährige Jüngling in die Reihen der bewährten Tänzer mischen kann, ohne das schwerfällige Rad der unfeinandcrfolgenden Paare, das sich um den Mittelpunkt des Saales dreht, aus ven Geleise zu bringen, verdankt er seinen dilettantischen Vorstudien unten im Hofe °er Schankwirtschaft oder oben am Zugang zur Stiege, wenn es da einen gerän- ""gen, spärlich erleuchteten Vorplatz gibt." Auch die Mädchen lernen in diesen Kreisen das Tanzen „von alleine, nur orei besser als die Jungen, weil ihre Spiele ohnehin meist Neigen sind, und weil >>e nicht das Bärenhafte der neuerwachten und deshalb ungeschlachten Leibeskräfte ZU überwinden haben, das den jungen Burschen anfangs ungelenk und eckig macht, Grenzvoten I 1908 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/357>, abgerufen am 24.11.2024.