erkennt, und an denen nur deshalb nichts geändert wird, weil man sie doch ohnehin als toten Bnchstnben ansieht und sich scheut, an die unschädlichen und ehrwürdigen Wahrzeichen einer entschwundnen Zeit in vermcssner Weise Hand anzulegen.
So ist es zum Beispiel mit der Bestimmung der Statuten, wodurch dem österreichischen Vließrittcr noch heutigentags die mit allen Mitteln in Angriff zu nehmende Befehdung des spanischen zur heiligsten Pflicht gemacht wird. Die hohen Herren versprechen zwar bei der Investitur auf das feierlichste den ihnen durch die Statuten auferlegten besondern Pflichten in aller und jeder Weise nachzukommen, aber sie sowohl wie der allerdurchlauchtigste Großmeister selbst wissen sehr gut, daß wenn sie dein Wortlaut der Statuten nachgehn wollten, ihr Halts Vater- und brudermörderischer werden müßte als das der Atriden, denn die Fälle, wo der Vater das österreichische, der Sohn das spanische Vließ hat, oder wo von zwei Brüdern der eine dem, der andre jenem Orden angehört, sind seit dem Schisma zu keiner Zeit Seltenheiten gewesen. Und doch liest man Gott sei Dank nirgends von einer durch den Ingrimm der Statuten veranlaßten fanatischen Tat.
Die Statuten scheinen vielmehr die Ordensinsignien zu begleiten wie die Papyrusrollen die Mumien, schweigsam und vom Laufe der Zeit längst über¬ holt, nur mit dem Unterschiede, daß bei ihnen die sie entrollende Hand nie von ungefähr einen vergessenen Gesang Homers, ein verloren geglaubtes Aschyleisches Drama wieder auffinden wird. Eher möchte man fürchten, die Statuten selbst könnten wie die Mumien in ein Häufchen leichten braunen Staubes zusammenfallen, wenn dem Licht und der Luft Zutritt zu ihnen ge¬ währt würde.
Gobineaus Renaissance
le Einheit von Geist und Sinnlichkeit, deren sich angeblich die Griechen erfreut haben, ehe philosophische Grübelei und dann noch gründlicher das Christentum die Seelenharmonie auflöste, ist erst in der christlichen Zeit erreicht worden. Menschen, die ohne Gewissensbisse ihren Lüsten frönen, kommen wohl in den Platonischen Dialogen vor, aber ein Übermensch aus Fleisch und Blut ist erst im fünfzehnten Jahrhundert erschienen, und zwar auf dem päpstlichen Stuhle.
Als Cesare Borgia den jungen Gemahl seiner Schwester Lucrezia ermordet hatte, eilte die trostlose Witwe zu ihrem Vater, den die übertreibende Bolks- meinuug auch noch zu ihrem Geliebten machte, um ihm anzukündigen, daß sie sich von der Welt zurückziehn wolle. Alexander redet ihr das aus und sagt unter anderm: "Wisse hinfort, daß für die zur Herrschaft berufnen die ge¬ wöhnlichen Pflichten nicht gelten. Gut und Böse rücken in eine höhere Sphäre hinauf, lind was man an einer gewöhnlichen Fran loben darf, das würde bei
erkennt, und an denen nur deshalb nichts geändert wird, weil man sie doch ohnehin als toten Bnchstnben ansieht und sich scheut, an die unschädlichen und ehrwürdigen Wahrzeichen einer entschwundnen Zeit in vermcssner Weise Hand anzulegen.
So ist es zum Beispiel mit der Bestimmung der Statuten, wodurch dem österreichischen Vließrittcr noch heutigentags die mit allen Mitteln in Angriff zu nehmende Befehdung des spanischen zur heiligsten Pflicht gemacht wird. Die hohen Herren versprechen zwar bei der Investitur auf das feierlichste den ihnen durch die Statuten auferlegten besondern Pflichten in aller und jeder Weise nachzukommen, aber sie sowohl wie der allerdurchlauchtigste Großmeister selbst wissen sehr gut, daß wenn sie dein Wortlaut der Statuten nachgehn wollten, ihr Halts Vater- und brudermörderischer werden müßte als das der Atriden, denn die Fälle, wo der Vater das österreichische, der Sohn das spanische Vließ hat, oder wo von zwei Brüdern der eine dem, der andre jenem Orden angehört, sind seit dem Schisma zu keiner Zeit Seltenheiten gewesen. Und doch liest man Gott sei Dank nirgends von einer durch den Ingrimm der Statuten veranlaßten fanatischen Tat.
Die Statuten scheinen vielmehr die Ordensinsignien zu begleiten wie die Papyrusrollen die Mumien, schweigsam und vom Laufe der Zeit längst über¬ holt, nur mit dem Unterschiede, daß bei ihnen die sie entrollende Hand nie von ungefähr einen vergessenen Gesang Homers, ein verloren geglaubtes Aschyleisches Drama wieder auffinden wird. Eher möchte man fürchten, die Statuten selbst könnten wie die Mumien in ein Häufchen leichten braunen Staubes zusammenfallen, wenn dem Licht und der Luft Zutritt zu ihnen ge¬ währt würde.
Gobineaus Renaissance
le Einheit von Geist und Sinnlichkeit, deren sich angeblich die Griechen erfreut haben, ehe philosophische Grübelei und dann noch gründlicher das Christentum die Seelenharmonie auflöste, ist erst in der christlichen Zeit erreicht worden. Menschen, die ohne Gewissensbisse ihren Lüsten frönen, kommen wohl in den Platonischen Dialogen vor, aber ein Übermensch aus Fleisch und Blut ist erst im fünfzehnten Jahrhundert erschienen, und zwar auf dem päpstlichen Stuhle.
Als Cesare Borgia den jungen Gemahl seiner Schwester Lucrezia ermordet hatte, eilte die trostlose Witwe zu ihrem Vater, den die übertreibende Bolks- meinuug auch noch zu ihrem Geliebten machte, um ihm anzukündigen, daß sie sich von der Welt zurückziehn wolle. Alexander redet ihr das aus und sagt unter anderm: „Wisse hinfort, daß für die zur Herrschaft berufnen die ge¬ wöhnlichen Pflichten nicht gelten. Gut und Böse rücken in eine höhere Sphäre hinauf, lind was man an einer gewöhnlichen Fran loben darf, das würde bei
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ehrwürdigen Wahrzeichen einer entschwundnen Zeit in vermcssner Weise Hand
anzulegen.
So ist es zum Beispiel mit der Bestimmung der Statuten, wodurch dem
österreichischen Vließrittcr noch heutigentags die mit allen Mitteln in Angriff
zu nehmende Befehdung des spanischen zur heiligsten Pflicht gemacht wird.
Die hohen Herren versprechen zwar bei der Investitur auf das feierlichste den
ihnen durch die Statuten auferlegten besondern Pflichten in aller und jeder
Weise nachzukommen, aber sie sowohl wie der allerdurchlauchtigste Großmeister
selbst wissen sehr gut, daß wenn sie dein Wortlaut der Statuten nachgehn
wollten, ihr Halts Vater- und brudermörderischer werden müßte als das der
Atriden, denn die Fälle, wo der Vater das österreichische, der Sohn das
spanische Vließ hat, oder wo von zwei Brüdern der eine dem, der andre jenem
Orden angehört, sind seit dem Schisma zu keiner Zeit Seltenheiten gewesen.
Und doch liest man Gott sei Dank nirgends von einer durch den Ingrimm
der Statuten veranlaßten fanatischen Tat.
Die Statuten scheinen vielmehr die Ordensinsignien zu begleiten wie die
Papyrusrollen die Mumien, schweigsam und vom Laufe der Zeit längst über¬
holt, nur mit dem Unterschiede, daß bei ihnen die sie entrollende Hand nie
von ungefähr einen vergessenen Gesang Homers, ein verloren geglaubtes
Aschyleisches Drama wieder auffinden wird. Eher möchte man fürchten, die
Statuten selbst könnten wie die Mumien in ein Häufchen leichten braunen
Staubes zusammenfallen, wenn dem Licht und der Luft Zutritt zu ihnen ge¬
währt würde.
Gobineaus Renaissance
le Einheit von Geist und Sinnlichkeit, deren sich angeblich die
Griechen erfreut haben, ehe philosophische Grübelei und dann
noch gründlicher das Christentum die Seelenharmonie auflöste,
ist erst in der christlichen Zeit erreicht worden. Menschen, die
ohne Gewissensbisse ihren Lüsten frönen, kommen wohl in den
Platonischen Dialogen vor, aber ein Übermensch aus Fleisch und Blut ist erst
im fünfzehnten Jahrhundert erschienen, und zwar auf dem päpstlichen Stuhle.
Als Cesare Borgia den jungen Gemahl seiner Schwester Lucrezia ermordet
hatte, eilte die trostlose Witwe zu ihrem Vater, den die übertreibende Bolks-
meinuug auch noch zu ihrem Geliebten machte, um ihm anzukündigen, daß sie
sich von der Welt zurückziehn wolle. Alexander redet ihr das aus und sagt
unter anderm: „Wisse hinfort, daß für die zur Herrschaft berufnen die ge¬
wöhnlichen Pflichten nicht gelten. Gut und Böse rücken in eine höhere Sphäre
hinauf, lind was man an einer gewöhnlichen Fran loben darf, das würde bei
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/35>, abgerufen am 25.01.2025.
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