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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Galizien

durchschnittlich auf 4^ Millionen Gulden, der wirkliche Wert für den arbeit
deuten Bauer steht aber vielfach höher. Das Betrübendste dabei ist nnn, das;
der Bauer in der Mehrzahl wegen ganz geringfügiger Betrüge enteignet wird. Bei
den 7568 Versteigerungen insgesamt, die in den Jahren 1895/97 vorgenommen
wurden, betrafen nur 459 Fälle größere Schuldforderungen von mehr als
tausend Gulden, in 2825 Fällen wurden die Besitzungen wegen Schulden von
fünfhundert bis tausend Gulden versteigert, und in 3749 Fällen wegen Forde¬
rungen unter hundert Gulden, davon in 1009 Fällen wegen ganz winziger
Beträge von 1 bis 25 Gulden. Tausende von Bauernfamilicn sind nicht im¬
stande, solche Schulden abzutragen, werden darum vou der väterlichen Scholle
vertrieben und in das Elend gestoßen. Die Folge davon sind massenhafte
Auswandrungen und Streiks der Feldarbeiter. Für die Schlachtn ist die
Auswandrerbewegung sehr ungünstig, den Bauern aber bringt sie große Vor¬
teile. So wurden vor zwei Jahren allein an die Postämter im Bezirk Jaslo
von Auswandrern für ihre Angehörigen Geldbeträge von mehr als einer
Million Kronen eingesandt. Dorfgeistliche erzählen, daß die nach Deutschland
wandernden "Sachsengänger" viel im Auslande lernen und sich nach der Rück¬
kehr in die Heimat meistens durch größere Arbeitsamkeit und Ordnungsliebe
auszeichnen. Dabei haben viele von ihnen soviel Geld erworben, daß sie
Grundbesitz zu ansehnlichen Preisen ankaufen können.

Die Verhältnisse im Großgrundbesitz sind wirtschaftlich ebenso ungesund
wie beim Bauernstande. Dabei ist in letzter Zeit eine in nichts begründete
Güterspetulativn eingerissen, durch die die meisten Güter auf das Drei- und
Bierfache von dem geschätzt wurden, was sie noch vor dreißig Jahren wert
waren. Männer mit sehr bekannten Namen, die auch in, politischen Leben
eine große Rolle gespielt haben, sind in diese Güterspekulationen verwickelt,
wobei die Summen, die zu den Anzahlungen nötig waren, meist dnrch Wechsel
aufgetrieben wurden. Dadurch sind der Hypothekar- und der Pcrsoualkredit der
galizischen und auch einzelner Wiener Banken ans das äußerste in Anspruch
genommen worden, was zu krisenhaften Erscheinungen führen muß und im
einzelnen auch schou geführt hat. Die Mehrzahl der Hypotheken wird exe-
quiert werden müssen, und manche werden gar nicht realisiert werden können.
Unter diesen Umständen versteht es sich von selbst, daß der Großgrundbesitz
immer mehr in jüdische Hände übergeht, und traurig ist dabei, daß die
verschuldete Schlachtn zuläßt oder nicht verhindern kann, daß ihre Güter an
jüdische Spekulanten übergehn, weil sie selbst aus sich heraus nicht ins Werk
zu setzen vermag, solche Güter durch eine verstündige Parzellierung an Bauern
zu verkaufen. Die neuen Besitzer freilich werden das versteh" und zu gelegner
Zeit in Angriff nehmen. Der kleine Landbesitz geht zwar auch allmühlich mehr
und mehr in den Besitz der Dorfjnden über, aber sie behalten ihn eben meist
nicht, sondern verkaufen ihn mit Nutzen weiter, dagegen ist ein bedeutender
Teil des großen Grundbesitzes schon in jüdischen Händen. Nach or. Heinrich
Gabel gehören den Juden in Galizien 13,26 Prozent des lcmdtäflichen Gro߬
grundbesitzes, und es gebührten ihnen deshalb von Rechts wegen zwei Mandate.
Im Wahlkreis Stryj-Dolium könnten sie allein ihren Abgeordneten durch-


Galizien

durchschnittlich auf 4^ Millionen Gulden, der wirkliche Wert für den arbeit
deuten Bauer steht aber vielfach höher. Das Betrübendste dabei ist nnn, das;
der Bauer in der Mehrzahl wegen ganz geringfügiger Betrüge enteignet wird. Bei
den 7568 Versteigerungen insgesamt, die in den Jahren 1895/97 vorgenommen
wurden, betrafen nur 459 Fälle größere Schuldforderungen von mehr als
tausend Gulden, in 2825 Fällen wurden die Besitzungen wegen Schulden von
fünfhundert bis tausend Gulden versteigert, und in 3749 Fällen wegen Forde¬
rungen unter hundert Gulden, davon in 1009 Fällen wegen ganz winziger
Beträge von 1 bis 25 Gulden. Tausende von Bauernfamilicn sind nicht im¬
stande, solche Schulden abzutragen, werden darum vou der väterlichen Scholle
vertrieben und in das Elend gestoßen. Die Folge davon sind massenhafte
Auswandrungen und Streiks der Feldarbeiter. Für die Schlachtn ist die
Auswandrerbewegung sehr ungünstig, den Bauern aber bringt sie große Vor¬
teile. So wurden vor zwei Jahren allein an die Postämter im Bezirk Jaslo
von Auswandrern für ihre Angehörigen Geldbeträge von mehr als einer
Million Kronen eingesandt. Dorfgeistliche erzählen, daß die nach Deutschland
wandernden „Sachsengänger" viel im Auslande lernen und sich nach der Rück¬
kehr in die Heimat meistens durch größere Arbeitsamkeit und Ordnungsliebe
auszeichnen. Dabei haben viele von ihnen soviel Geld erworben, daß sie
Grundbesitz zu ansehnlichen Preisen ankaufen können.

Die Verhältnisse im Großgrundbesitz sind wirtschaftlich ebenso ungesund
wie beim Bauernstande. Dabei ist in letzter Zeit eine in nichts begründete
Güterspetulativn eingerissen, durch die die meisten Güter auf das Drei- und
Bierfache von dem geschätzt wurden, was sie noch vor dreißig Jahren wert
waren. Männer mit sehr bekannten Namen, die auch in, politischen Leben
eine große Rolle gespielt haben, sind in diese Güterspekulationen verwickelt,
wobei die Summen, die zu den Anzahlungen nötig waren, meist dnrch Wechsel
aufgetrieben wurden. Dadurch sind der Hypothekar- und der Pcrsoualkredit der
galizischen und auch einzelner Wiener Banken ans das äußerste in Anspruch
genommen worden, was zu krisenhaften Erscheinungen führen muß und im
einzelnen auch schou geführt hat. Die Mehrzahl der Hypotheken wird exe-
quiert werden müssen, und manche werden gar nicht realisiert werden können.
Unter diesen Umständen versteht es sich von selbst, daß der Großgrundbesitz
immer mehr in jüdische Hände übergeht, und traurig ist dabei, daß die
verschuldete Schlachtn zuläßt oder nicht verhindern kann, daß ihre Güter an
jüdische Spekulanten übergehn, weil sie selbst aus sich heraus nicht ins Werk
zu setzen vermag, solche Güter durch eine verstündige Parzellierung an Bauern
zu verkaufen. Die neuen Besitzer freilich werden das versteh» und zu gelegner
Zeit in Angriff nehmen. Der kleine Landbesitz geht zwar auch allmühlich mehr
und mehr in den Besitz der Dorfjnden über, aber sie behalten ihn eben meist
nicht, sondern verkaufen ihn mit Nutzen weiter, dagegen ist ein bedeutender
Teil des großen Grundbesitzes schon in jüdischen Händen. Nach or. Heinrich
Gabel gehören den Juden in Galizien 13,26 Prozent des lcmdtäflichen Gro߬
grundbesitzes, und es gebührten ihnen deshalb von Rechts wegen zwei Mandate.
Im Wahlkreis Stryj-Dolium könnten sie allein ihren Abgeordneten durch-


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[0343] Galizien durchschnittlich auf 4^ Millionen Gulden, der wirkliche Wert für den arbeit deuten Bauer steht aber vielfach höher. Das Betrübendste dabei ist nnn, das; der Bauer in der Mehrzahl wegen ganz geringfügiger Betrüge enteignet wird. Bei den 7568 Versteigerungen insgesamt, die in den Jahren 1895/97 vorgenommen wurden, betrafen nur 459 Fälle größere Schuldforderungen von mehr als tausend Gulden, in 2825 Fällen wurden die Besitzungen wegen Schulden von fünfhundert bis tausend Gulden versteigert, und in 3749 Fällen wegen Forde¬ rungen unter hundert Gulden, davon in 1009 Fällen wegen ganz winziger Beträge von 1 bis 25 Gulden. Tausende von Bauernfamilicn sind nicht im¬ stande, solche Schulden abzutragen, werden darum vou der väterlichen Scholle vertrieben und in das Elend gestoßen. Die Folge davon sind massenhafte Auswandrungen und Streiks der Feldarbeiter. Für die Schlachtn ist die Auswandrerbewegung sehr ungünstig, den Bauern aber bringt sie große Vor¬ teile. So wurden vor zwei Jahren allein an die Postämter im Bezirk Jaslo von Auswandrern für ihre Angehörigen Geldbeträge von mehr als einer Million Kronen eingesandt. Dorfgeistliche erzählen, daß die nach Deutschland wandernden „Sachsengänger" viel im Auslande lernen und sich nach der Rück¬ kehr in die Heimat meistens durch größere Arbeitsamkeit und Ordnungsliebe auszeichnen. Dabei haben viele von ihnen soviel Geld erworben, daß sie Grundbesitz zu ansehnlichen Preisen ankaufen können. Die Verhältnisse im Großgrundbesitz sind wirtschaftlich ebenso ungesund wie beim Bauernstande. Dabei ist in letzter Zeit eine in nichts begründete Güterspetulativn eingerissen, durch die die meisten Güter auf das Drei- und Bierfache von dem geschätzt wurden, was sie noch vor dreißig Jahren wert waren. Männer mit sehr bekannten Namen, die auch in, politischen Leben eine große Rolle gespielt haben, sind in diese Güterspekulationen verwickelt, wobei die Summen, die zu den Anzahlungen nötig waren, meist dnrch Wechsel aufgetrieben wurden. Dadurch sind der Hypothekar- und der Pcrsoualkredit der galizischen und auch einzelner Wiener Banken ans das äußerste in Anspruch genommen worden, was zu krisenhaften Erscheinungen führen muß und im einzelnen auch schou geführt hat. Die Mehrzahl der Hypotheken wird exe- quiert werden müssen, und manche werden gar nicht realisiert werden können. Unter diesen Umständen versteht es sich von selbst, daß der Großgrundbesitz immer mehr in jüdische Hände übergeht, und traurig ist dabei, daß die verschuldete Schlachtn zuläßt oder nicht verhindern kann, daß ihre Güter an jüdische Spekulanten übergehn, weil sie selbst aus sich heraus nicht ins Werk zu setzen vermag, solche Güter durch eine verstündige Parzellierung an Bauern zu verkaufen. Die neuen Besitzer freilich werden das versteh» und zu gelegner Zeit in Angriff nehmen. Der kleine Landbesitz geht zwar auch allmühlich mehr und mehr in den Besitz der Dorfjnden über, aber sie behalten ihn eben meist nicht, sondern verkaufen ihn mit Nutzen weiter, dagegen ist ein bedeutender Teil des großen Grundbesitzes schon in jüdischen Händen. Nach or. Heinrich Gabel gehören den Juden in Galizien 13,26 Prozent des lcmdtäflichen Gro߬ grundbesitzes, und es gebührten ihnen deshalb von Rechts wegen zwei Mandate. Im Wahlkreis Stryj-Dolium könnten sie allein ihren Abgeordneten durch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/343>, abgerufen am 24.11.2024.