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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Das Goldne Vlies;

geblich der des Großmeisters vom Orden des Goldner Vließes stillschweigend
unverstanden wurde, zeitlebens behalten, ihre Erben aber nur die Titel der
Länder führen sollten, die sie wirklich besäßen, war damit die Streitfrage über
die Zugehörigkeit des Goldner Vließes noch nicht aus der Welt geschafft.

Als Maria Theresia nach ihres Vaters Tode ihrem Gemahl Franz dem
Ersten die Großmeisterwürde übertragen hatte, ließ Philipp der Fünfte 1741
in den Wahlkonventen zu Wien und zu Frankfurt a, M. auch hiergegen
Widerspruch einlegen und verlangte, daß die Krone Österreich auf das Groß-
meistertum keinen Anspruch mache und vielmehr anerkenne, daß es der Krone
Spanien zustehe. Es kam jedoch weder bei dieser Gelegenheit noch bei den
Friedenstraktntcn zu Aachen (1748) zu irgend einer Entscheidung über diesen
strittigen Punkt.

Da beide Teile auf ihren Ansprüchen behnrrten, wurde vielmehr ein Aus¬
weg gefunden, über den sich in der Hauptsache nur das Haus Habsburg be¬
klagen kann, während die ordenshungrige Welt dadurch mit einer doppelten
Serie von Vließrittern beschenkt worden ist. Da nämlich neben dem Kaiser
von Österreich auch der König von Spanien die Würde eines Großmeisters
vom Goldner Vließ in Anspruch nimmt, und da beide Souveräne den nnter
ihrer Leitung stehenden Orden durch Neuernenmingcn ergänzen, so gibt es bis
auf den heutigen Tag zwei Goldne Vließe, ein österreichisches und ein spanisches,
und es würde ihrer sogar drei geben, wenn sich der in Schönbrunn zur Welt
gekommene Gedanke Napoleons des Ersten, einen Orden der Irois loiscms
et'Or zu stiften, verwirklicht, und dadurch auch die französische Krone Anteil
an den Ernennungen erlangt hätte.

Das österreichische Vließ für das vornehmere zu halten würde schon um
deswillen schwer angehn, weil das spanische aus der Zahl der europäischen
Potentaten jederzeit ebenso hochstehende und mächtige Persönlichkeiten um¬
faßt hat als dieses. Es ist zwischen den beiden vielmehr nur der Unterschied,
daß, wie dem Kaiser von Österreich historisch das bessere Recht zur Seite zu
stehn scheint, so auch die Art und Weise, wie man seither in Wien das Über¬
kommene behandelt hat, die konservativere ist. So wird das österreichische
Vließ den Eingangsworten der Statuten gemäß ("damit der wahre Glaube,
die Kirche verteidigt, beschützt und aufrecht gehalten werde") fast ausnahmlos
nur an Katholiken, das spanische auch an Andersgläubige, ja sogar bisweilen,
wenn auch selten an Mohammedaner verliehen; die mit der Feier des Ordens¬
festes und -der geistlichen Bedeutung des Ordens zusammenhängenden kirchlichen
Zeremonien haben sich in Wien länger als in Madrid erhalten, und ebenso
ist es auch mit der für feierliche Gelegenheiten vorgeschriebnen Ordenskleidung
des Großmeisters und der Ritter gewesen.

Diese Verschiedenheiten setzen jn die Welt uicht in Flammen, und mich
das Vorhandensein der einander gegenüberstehenden Ansprüche der beiden fürst¬
lichen Hünser hat nur ein historisches, man möchte fast sagen antiquarisches
Interesse. Aber eigen bleibt es immerhin, wie sich in gewissen höhern Sphären,
die vom Zugwind der öffentlichen Meinung wenig berührt sind, die wunder¬
lichsten Bestimmungen erhalten, die jeder Denkende als Anachronismen an-


Das Goldne Vlies;

geblich der des Großmeisters vom Orden des Goldner Vließes stillschweigend
unverstanden wurde, zeitlebens behalten, ihre Erben aber nur die Titel der
Länder führen sollten, die sie wirklich besäßen, war damit die Streitfrage über
die Zugehörigkeit des Goldner Vließes noch nicht aus der Welt geschafft.

Als Maria Theresia nach ihres Vaters Tode ihrem Gemahl Franz dem
Ersten die Großmeisterwürde übertragen hatte, ließ Philipp der Fünfte 1741
in den Wahlkonventen zu Wien und zu Frankfurt a, M. auch hiergegen
Widerspruch einlegen und verlangte, daß die Krone Österreich auf das Groß-
meistertum keinen Anspruch mache und vielmehr anerkenne, daß es der Krone
Spanien zustehe. Es kam jedoch weder bei dieser Gelegenheit noch bei den
Friedenstraktntcn zu Aachen (1748) zu irgend einer Entscheidung über diesen
strittigen Punkt.

Da beide Teile auf ihren Ansprüchen behnrrten, wurde vielmehr ein Aus¬
weg gefunden, über den sich in der Hauptsache nur das Haus Habsburg be¬
klagen kann, während die ordenshungrige Welt dadurch mit einer doppelten
Serie von Vließrittern beschenkt worden ist. Da nämlich neben dem Kaiser
von Österreich auch der König von Spanien die Würde eines Großmeisters
vom Goldner Vließ in Anspruch nimmt, und da beide Souveräne den nnter
ihrer Leitung stehenden Orden durch Neuernenmingcn ergänzen, so gibt es bis
auf den heutigen Tag zwei Goldne Vließe, ein österreichisches und ein spanisches,
und es würde ihrer sogar drei geben, wenn sich der in Schönbrunn zur Welt
gekommene Gedanke Napoleons des Ersten, einen Orden der Irois loiscms
et'Or zu stiften, verwirklicht, und dadurch auch die französische Krone Anteil
an den Ernennungen erlangt hätte.

Das österreichische Vließ für das vornehmere zu halten würde schon um
deswillen schwer angehn, weil das spanische aus der Zahl der europäischen
Potentaten jederzeit ebenso hochstehende und mächtige Persönlichkeiten um¬
faßt hat als dieses. Es ist zwischen den beiden vielmehr nur der Unterschied,
daß, wie dem Kaiser von Österreich historisch das bessere Recht zur Seite zu
stehn scheint, so auch die Art und Weise, wie man seither in Wien das Über¬
kommene behandelt hat, die konservativere ist. So wird das österreichische
Vließ den Eingangsworten der Statuten gemäß („damit der wahre Glaube,
die Kirche verteidigt, beschützt und aufrecht gehalten werde") fast ausnahmlos
nur an Katholiken, das spanische auch an Andersgläubige, ja sogar bisweilen,
wenn auch selten an Mohammedaner verliehen; die mit der Feier des Ordens¬
festes und -der geistlichen Bedeutung des Ordens zusammenhängenden kirchlichen
Zeremonien haben sich in Wien länger als in Madrid erhalten, und ebenso
ist es auch mit der für feierliche Gelegenheiten vorgeschriebnen Ordenskleidung
des Großmeisters und der Ritter gewesen.

Diese Verschiedenheiten setzen jn die Welt uicht in Flammen, und mich
das Vorhandensein der einander gegenüberstehenden Ansprüche der beiden fürst¬
lichen Hünser hat nur ein historisches, man möchte fast sagen antiquarisches
Interesse. Aber eigen bleibt es immerhin, wie sich in gewissen höhern Sphären,
die vom Zugwind der öffentlichen Meinung wenig berührt sind, die wunder¬
lichsten Bestimmungen erhalten, die jeder Denkende als Anachronismen an-


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[0034] Das Goldne Vlies; geblich der des Großmeisters vom Orden des Goldner Vließes stillschweigend unverstanden wurde, zeitlebens behalten, ihre Erben aber nur die Titel der Länder führen sollten, die sie wirklich besäßen, war damit die Streitfrage über die Zugehörigkeit des Goldner Vließes noch nicht aus der Welt geschafft. Als Maria Theresia nach ihres Vaters Tode ihrem Gemahl Franz dem Ersten die Großmeisterwürde übertragen hatte, ließ Philipp der Fünfte 1741 in den Wahlkonventen zu Wien und zu Frankfurt a, M. auch hiergegen Widerspruch einlegen und verlangte, daß die Krone Österreich auf das Groß- meistertum keinen Anspruch mache und vielmehr anerkenne, daß es der Krone Spanien zustehe. Es kam jedoch weder bei dieser Gelegenheit noch bei den Friedenstraktntcn zu Aachen (1748) zu irgend einer Entscheidung über diesen strittigen Punkt. Da beide Teile auf ihren Ansprüchen behnrrten, wurde vielmehr ein Aus¬ weg gefunden, über den sich in der Hauptsache nur das Haus Habsburg be¬ klagen kann, während die ordenshungrige Welt dadurch mit einer doppelten Serie von Vließrittern beschenkt worden ist. Da nämlich neben dem Kaiser von Österreich auch der König von Spanien die Würde eines Großmeisters vom Goldner Vließ in Anspruch nimmt, und da beide Souveräne den nnter ihrer Leitung stehenden Orden durch Neuernenmingcn ergänzen, so gibt es bis auf den heutigen Tag zwei Goldne Vließe, ein österreichisches und ein spanisches, und es würde ihrer sogar drei geben, wenn sich der in Schönbrunn zur Welt gekommene Gedanke Napoleons des Ersten, einen Orden der Irois loiscms et'Or zu stiften, verwirklicht, und dadurch auch die französische Krone Anteil an den Ernennungen erlangt hätte. Das österreichische Vließ für das vornehmere zu halten würde schon um deswillen schwer angehn, weil das spanische aus der Zahl der europäischen Potentaten jederzeit ebenso hochstehende und mächtige Persönlichkeiten um¬ faßt hat als dieses. Es ist zwischen den beiden vielmehr nur der Unterschied, daß, wie dem Kaiser von Österreich historisch das bessere Recht zur Seite zu stehn scheint, so auch die Art und Weise, wie man seither in Wien das Über¬ kommene behandelt hat, die konservativere ist. So wird das österreichische Vließ den Eingangsworten der Statuten gemäß („damit der wahre Glaube, die Kirche verteidigt, beschützt und aufrecht gehalten werde") fast ausnahmlos nur an Katholiken, das spanische auch an Andersgläubige, ja sogar bisweilen, wenn auch selten an Mohammedaner verliehen; die mit der Feier des Ordens¬ festes und -der geistlichen Bedeutung des Ordens zusammenhängenden kirchlichen Zeremonien haben sich in Wien länger als in Madrid erhalten, und ebenso ist es auch mit der für feierliche Gelegenheiten vorgeschriebnen Ordenskleidung des Großmeisters und der Ritter gewesen. Diese Verschiedenheiten setzen jn die Welt uicht in Flammen, und mich das Vorhandensein der einander gegenüberstehenden Ansprüche der beiden fürst¬ lichen Hünser hat nur ein historisches, man möchte fast sagen antiquarisches Interesse. Aber eigen bleibt es immerhin, wie sich in gewissen höhern Sphären, die vom Zugwind der öffentlichen Meinung wenig berührt sind, die wunder¬ lichsten Bestimmungen erhalten, die jeder Denkende als Anachronismen an-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/34>, abgerufen am 01.09.2024.