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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Konstantinipel die Bedeutung zurückgibt, die es ehemals als strategischer
Punkt hatte.

Der schon erwähnte belgische Ingenieur General Brialmont war vom
Sultan in die Türkei berufen worden, ihm seine Ideen über diese Frage und
über untre, die mit der Verteidigung des Landes zusammenhänge,!, ausein-
anderzusetzen. Verschiedne nach der Abreise dieses Generals erfolgte Mit¬
teilungen an die Tagesblätter beweisen, daß seine Berichte nicht ganz geheim
geblieben sind. Diese Mitteilungen lehren uns, daß er vorgeschlagen hatte, um
Stcnubnl und um Pera ein verschanztes Lager anzulegen, das aus achtzehn
Forts und kleinen Schanzen bestehn soll, und auf dein asiatischen Ufer, um
Skutari, ein verschanztes Lager ans fünfzehn Forts und kleinen Schanzen.
Das europäische Lager würde seine linke Seite auf das Marmarameer zwischen
San Stefano und'den See Tschckmedje. seinen Mittelpunkt auf Jebeje-Koi,
seine rechte Seite ans den Bosporus, westlich über Rumili-Kaval hinaus,
stützen. Seine Ausdehnung würde etwa 65 Kilometer betragen. Das asiatische
Lager würde seine linke Seite auf den Bosporus bei Anadoli-Kaval, sein
Zentrum auf Baschli-Tepe, und seine rechte Seite auf das Marmarameer,
östlich über das Dorf Bostcmdji hinaus, stützen. Seine Ausdehnung betrüge
etwa 48 Kilometer. Unabhängig von diesen Werken hätte man um Konstanti-
nopel und Skutari einen Sicherheitsgürtel zu schaffen, dessen hauptsächlichste
Schanzen -- in gemischter Befestigung -- in Friedenszeiten aufgeworfen
würden. Die übrigen Schanzen, die Batterien und die gedeckten Laufgräben
würden nur im Augenblicke der Mobilisierung entstehn.

Wenn man bedenkt, daß die große Ausdehnung dieses doppelten ver¬
schanzten Lagers, das ein Brückenkopf am Bosporus ist, die Einschließung zu
Lande äußerst schwierig machen, und daß diese Einschließung die Verteidiger
nicht hindern würde, Hilfe, Lebensmittel und Munition durch die Häfen des
Mittelmeers und des Marmarmneers zu erhalten, so wird man von der voll¬
ständigen Unmöglichkeit überzeugt sein, Konstantinopel durch Aushungerung zu
bezwingen. Was einen Angriff betrifft, der schrittweise geschähe, so böte der
sehr wenig Aussichten ans Erfolg; man muß die ungeheure Schwierigkeit in
Betracht ziehn, das nötige Belngerungsmaterial vor diese Stadt zu bringen,
und ferner die Leichtigkeit berücksichtigen, mit der die Besatzung auf dem See¬
wege erneuert oder verstärkt werden könnte, man muß endlich an die ganz be¬
sondre Zähigkeit denken, die die Türken in der Verteidigung der Verschanzungen
zeigen würden.

Die Vorschläge des Generals Brialmont wegen der Meerengen sind
weniger genau bekannt geworden. Man weiß jedoch, daß der General das Gut¬
achten abgegeben hat, die Verteidigungsmittel in dem Teile jeder Meerenge zu
konzentrieren, der sich am besten für die Anwendung dieser Mittel eignet. Was
den Bosporus betrifft, so liegt dieser Teil im Süden der 950 Meter breiten
Verengung zwischen Rumili-Kaval und Anadoli-Kaval, und bei den Dardanellen
ist es der Teil, der nördlich und südlich von der 1250 Meter breiten Ver¬
engung zwischen Klub Bar und Chenal liegt.

Weiter, so sagt man, hat der belgische General die folgenden Maßnahmen


Grenzboten I 1903 41

Konstantinipel die Bedeutung zurückgibt, die es ehemals als strategischer
Punkt hatte.

Der schon erwähnte belgische Ingenieur General Brialmont war vom
Sultan in die Türkei berufen worden, ihm seine Ideen über diese Frage und
über untre, die mit der Verteidigung des Landes zusammenhänge,!, ausein-
anderzusetzen. Verschiedne nach der Abreise dieses Generals erfolgte Mit¬
teilungen an die Tagesblätter beweisen, daß seine Berichte nicht ganz geheim
geblieben sind. Diese Mitteilungen lehren uns, daß er vorgeschlagen hatte, um
Stcnubnl und um Pera ein verschanztes Lager anzulegen, das aus achtzehn
Forts und kleinen Schanzen bestehn soll, und auf dein asiatischen Ufer, um
Skutari, ein verschanztes Lager ans fünfzehn Forts und kleinen Schanzen.
Das europäische Lager würde seine linke Seite auf das Marmarameer zwischen
San Stefano und'den See Tschckmedje. seinen Mittelpunkt auf Jebeje-Koi,
seine rechte Seite ans den Bosporus, westlich über Rumili-Kaval hinaus,
stützen. Seine Ausdehnung würde etwa 65 Kilometer betragen. Das asiatische
Lager würde seine linke Seite auf den Bosporus bei Anadoli-Kaval, sein
Zentrum auf Baschli-Tepe, und seine rechte Seite auf das Marmarameer,
östlich über das Dorf Bostcmdji hinaus, stützen. Seine Ausdehnung betrüge
etwa 48 Kilometer. Unabhängig von diesen Werken hätte man um Konstanti-
nopel und Skutari einen Sicherheitsgürtel zu schaffen, dessen hauptsächlichste
Schanzen — in gemischter Befestigung — in Friedenszeiten aufgeworfen
würden. Die übrigen Schanzen, die Batterien und die gedeckten Laufgräben
würden nur im Augenblicke der Mobilisierung entstehn.

Wenn man bedenkt, daß die große Ausdehnung dieses doppelten ver¬
schanzten Lagers, das ein Brückenkopf am Bosporus ist, die Einschließung zu
Lande äußerst schwierig machen, und daß diese Einschließung die Verteidiger
nicht hindern würde, Hilfe, Lebensmittel und Munition durch die Häfen des
Mittelmeers und des Marmarmneers zu erhalten, so wird man von der voll¬
ständigen Unmöglichkeit überzeugt sein, Konstantinopel durch Aushungerung zu
bezwingen. Was einen Angriff betrifft, der schrittweise geschähe, so böte der
sehr wenig Aussichten ans Erfolg; man muß die ungeheure Schwierigkeit in
Betracht ziehn, das nötige Belngerungsmaterial vor diese Stadt zu bringen,
und ferner die Leichtigkeit berücksichtigen, mit der die Besatzung auf dem See¬
wege erneuert oder verstärkt werden könnte, man muß endlich an die ganz be¬
sondre Zähigkeit denken, die die Türken in der Verteidigung der Verschanzungen
zeigen würden.

Die Vorschläge des Generals Brialmont wegen der Meerengen sind
weniger genau bekannt geworden. Man weiß jedoch, daß der General das Gut¬
achten abgegeben hat, die Verteidigungsmittel in dem Teile jeder Meerenge zu
konzentrieren, der sich am besten für die Anwendung dieser Mittel eignet. Was
den Bosporus betrifft, so liegt dieser Teil im Süden der 950 Meter breiten
Verengung zwischen Rumili-Kaval und Anadoli-Kaval, und bei den Dardanellen
ist es der Teil, der nördlich und südlich von der 1250 Meter breiten Ver¬
engung zwischen Klub Bar und Chenal liegt.

Weiter, so sagt man, hat der belgische General die folgenden Maßnahmen


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[0325] Konstantinipel die Bedeutung zurückgibt, die es ehemals als strategischer Punkt hatte. Der schon erwähnte belgische Ingenieur General Brialmont war vom Sultan in die Türkei berufen worden, ihm seine Ideen über diese Frage und über untre, die mit der Verteidigung des Landes zusammenhänge,!, ausein- anderzusetzen. Verschiedne nach der Abreise dieses Generals erfolgte Mit¬ teilungen an die Tagesblätter beweisen, daß seine Berichte nicht ganz geheim geblieben sind. Diese Mitteilungen lehren uns, daß er vorgeschlagen hatte, um Stcnubnl und um Pera ein verschanztes Lager anzulegen, das aus achtzehn Forts und kleinen Schanzen bestehn soll, und auf dein asiatischen Ufer, um Skutari, ein verschanztes Lager ans fünfzehn Forts und kleinen Schanzen. Das europäische Lager würde seine linke Seite auf das Marmarameer zwischen San Stefano und'den See Tschckmedje. seinen Mittelpunkt auf Jebeje-Koi, seine rechte Seite ans den Bosporus, westlich über Rumili-Kaval hinaus, stützen. Seine Ausdehnung würde etwa 65 Kilometer betragen. Das asiatische Lager würde seine linke Seite auf den Bosporus bei Anadoli-Kaval, sein Zentrum auf Baschli-Tepe, und seine rechte Seite auf das Marmarameer, östlich über das Dorf Bostcmdji hinaus, stützen. Seine Ausdehnung betrüge etwa 48 Kilometer. Unabhängig von diesen Werken hätte man um Konstanti- nopel und Skutari einen Sicherheitsgürtel zu schaffen, dessen hauptsächlichste Schanzen — in gemischter Befestigung — in Friedenszeiten aufgeworfen würden. Die übrigen Schanzen, die Batterien und die gedeckten Laufgräben würden nur im Augenblicke der Mobilisierung entstehn. Wenn man bedenkt, daß die große Ausdehnung dieses doppelten ver¬ schanzten Lagers, das ein Brückenkopf am Bosporus ist, die Einschließung zu Lande äußerst schwierig machen, und daß diese Einschließung die Verteidiger nicht hindern würde, Hilfe, Lebensmittel und Munition durch die Häfen des Mittelmeers und des Marmarmneers zu erhalten, so wird man von der voll¬ ständigen Unmöglichkeit überzeugt sein, Konstantinopel durch Aushungerung zu bezwingen. Was einen Angriff betrifft, der schrittweise geschähe, so böte der sehr wenig Aussichten ans Erfolg; man muß die ungeheure Schwierigkeit in Betracht ziehn, das nötige Belngerungsmaterial vor diese Stadt zu bringen, und ferner die Leichtigkeit berücksichtigen, mit der die Besatzung auf dem See¬ wege erneuert oder verstärkt werden könnte, man muß endlich an die ganz be¬ sondre Zähigkeit denken, die die Türken in der Verteidigung der Verschanzungen zeigen würden. Die Vorschläge des Generals Brialmont wegen der Meerengen sind weniger genau bekannt geworden. Man weiß jedoch, daß der General das Gut¬ achten abgegeben hat, die Verteidigungsmittel in dem Teile jeder Meerenge zu konzentrieren, der sich am besten für die Anwendung dieser Mittel eignet. Was den Bosporus betrifft, so liegt dieser Teil im Süden der 950 Meter breiten Verengung zwischen Rumili-Kaval und Anadoli-Kaval, und bei den Dardanellen ist es der Teil, der nördlich und südlich von der 1250 Meter breiten Ver¬ engung zwischen Klub Bar und Chenal liegt. Weiter, so sagt man, hat der belgische General die folgenden Maßnahmen Grenzboten I 1903 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/325>, abgerufen am 24.11.2024.