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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die orientalische Frage und die Verteidigung Aonstantinopels

stantinopel beläuft sich Nees nur 17000 Mann, von denen für aktive Opera¬
tionen nnr 8000 bis 9000 verfügbar wärein Daraus folgt, daß, wenn die
russische Flotte die Durchfahrt durch die Meerengen erzwänge und sich der
Batterien bemächtigte, die sie schützen, jede Verbindung mit Kleinasien abge¬
schnitten würde, und das; die europäischen Truppen zu ihrer Verstärkung nur
die Reservisten zur Verfügung Hütten, die von den in diesem Teile des Reichs
allein zum Heeresdienst verpflichteten Moslems gestellt werden.

Diese Truppe" würden nicht ausreichen, die Grenzen zu bewachen, die
Festungen und die befestigten Linien zu besetzen und Konstantinopel gegen
ein Armeekorps zu verteidigen, das zwischen Kilio und dem See von Derkos
landen würde. Es ist also vou der allerhöchsten Bedeutuug. daß der Bos-
Pvrus und die Dardanellen in den Stand gesetzt werden, jede Panzerflotte
zurückzuschlagen, die es versuchen sollte, die Durchfahrt durch diese Eugen zu
erzwingen.

Durch den letzten russisch-türkischen Krieg und den Vertrag von Berlin
haben sich die politische und die territoriale Lage des ottomanischen Reiches
mehr als seine militärische verändert. Die Türkei war nach der Umwandlung
Rumäniens in einen unabhängigen Staat im Besitz der zwei starken Schutz-
Wälle geblieben, die sie gegen die Angriffe Rußlands verteidigen, nämlich der
Donau und des Bnlknu. Diese Schutzwälle fielen freilich nach 1878 in die
Hand Bulgariens, aber dem Sultan verblieb über das Land ein Recht
der Oberhoheit, das die militärischen Interessen seines Reiches sicherte. Nußland
begriff, daß dieses Recht ihm verhängnisvoll werden könnte, wenn die bulgarische
Armee, die der Fürst Alexander von Bulgarien eiligst organisierte, jemals
Partei für den Sultan ergriffe. Darum machte es sich die Opfer, die ihm
die Befreiung Bulgariens gekostet hatte, zu nutze und suchte es in seinen
Machtkreis zu ziehn und eine Art von Vasallenstaat daraus zu machen. Zu
diesem Zwecke griff es zu Mitteln, die der bulgarischen Nation mißfielen und
dazu führten, daß nach dem Aufstande in Philippopel im Jahre 1885 zwischen
de>n Prinzen Ballenberg und dem Kaiser Alexander dem Dritten ein voll¬
ständiger Bruch eintrat.'

Als Serbien erfuhr, daß die russischen Offiziere, die in dein bulgarischen
Heere die höchsten Stellen bekleideten, auf Befehl des Kaisers zurückgerufen
wurde", hielt es den Angenblick für günstig, seinem Nachbar den Krieg zu
erkläre" und ihm die Gebietsteile zu entreißen, auf die es Ansprüche erhob.
Serbiens demütigende Niederlage bewies klar den kräftigen nationalen Geist
Bulgariens und die glänzenden Eigenschaften seines jungen Heeres. Auch die
Manöver der bulgarischen Armee, die im Herbst 1902 bei der Schipka-Gedenk-
feier in großem Umfange stattfanden, haben den Beweis geliefert, daß es in
militärischer Hinsicht keinen Stillstand in Bulgarien gegeben hat, sondern daß
man fleißig an der Weiterentwicklung des Heeres gearbeitet hat. Aus diesen
Gründe" wird die kleine bnlgarische Armee mit Recht für den Fall eines Krieges
auf dem Balkan als begehrenswerter Bundesgenosse angesehen. In dieser
Hinsicht ist das Fürstentum in derselben Lage wie Rnmänie", natürlich mit
dem Unterschied, daß es gegen seine Pflichten verstoßen würde, wenn es


Die orientalische Frage und die Verteidigung Aonstantinopels

stantinopel beläuft sich Nees nur 17000 Mann, von denen für aktive Opera¬
tionen nnr 8000 bis 9000 verfügbar wärein Daraus folgt, daß, wenn die
russische Flotte die Durchfahrt durch die Meerengen erzwänge und sich der
Batterien bemächtigte, die sie schützen, jede Verbindung mit Kleinasien abge¬
schnitten würde, und das; die europäischen Truppen zu ihrer Verstärkung nur
die Reservisten zur Verfügung Hütten, die von den in diesem Teile des Reichs
allein zum Heeresdienst verpflichteten Moslems gestellt werden.

Diese Truppe» würden nicht ausreichen, die Grenzen zu bewachen, die
Festungen und die befestigten Linien zu besetzen und Konstantinopel gegen
ein Armeekorps zu verteidigen, das zwischen Kilio und dem See von Derkos
landen würde. Es ist also vou der allerhöchsten Bedeutuug. daß der Bos-
Pvrus und die Dardanellen in den Stand gesetzt werden, jede Panzerflotte
zurückzuschlagen, die es versuchen sollte, die Durchfahrt durch diese Eugen zu
erzwingen.

Durch den letzten russisch-türkischen Krieg und den Vertrag von Berlin
haben sich die politische und die territoriale Lage des ottomanischen Reiches
mehr als seine militärische verändert. Die Türkei war nach der Umwandlung
Rumäniens in einen unabhängigen Staat im Besitz der zwei starken Schutz-
Wälle geblieben, die sie gegen die Angriffe Rußlands verteidigen, nämlich der
Donau und des Bnlknu. Diese Schutzwälle fielen freilich nach 1878 in die
Hand Bulgariens, aber dem Sultan verblieb über das Land ein Recht
der Oberhoheit, das die militärischen Interessen seines Reiches sicherte. Nußland
begriff, daß dieses Recht ihm verhängnisvoll werden könnte, wenn die bulgarische
Armee, die der Fürst Alexander von Bulgarien eiligst organisierte, jemals
Partei für den Sultan ergriffe. Darum machte es sich die Opfer, die ihm
die Befreiung Bulgariens gekostet hatte, zu nutze und suchte es in seinen
Machtkreis zu ziehn und eine Art von Vasallenstaat daraus zu machen. Zu
diesem Zwecke griff es zu Mitteln, die der bulgarischen Nation mißfielen und
dazu führten, daß nach dem Aufstande in Philippopel im Jahre 1885 zwischen
de>n Prinzen Ballenberg und dem Kaiser Alexander dem Dritten ein voll¬
ständiger Bruch eintrat.'

Als Serbien erfuhr, daß die russischen Offiziere, die in dein bulgarischen
Heere die höchsten Stellen bekleideten, auf Befehl des Kaisers zurückgerufen
wurde», hielt es den Angenblick für günstig, seinem Nachbar den Krieg zu
erkläre» und ihm die Gebietsteile zu entreißen, auf die es Ansprüche erhob.
Serbiens demütigende Niederlage bewies klar den kräftigen nationalen Geist
Bulgariens und die glänzenden Eigenschaften seines jungen Heeres. Auch die
Manöver der bulgarischen Armee, die im Herbst 1902 bei der Schipka-Gedenk-
feier in großem Umfange stattfanden, haben den Beweis geliefert, daß es in
militärischer Hinsicht keinen Stillstand in Bulgarien gegeben hat, sondern daß
man fleißig an der Weiterentwicklung des Heeres gearbeitet hat. Aus diesen
Gründe» wird die kleine bnlgarische Armee mit Recht für den Fall eines Krieges
auf dem Balkan als begehrenswerter Bundesgenosse angesehen. In dieser
Hinsicht ist das Fürstentum in derselben Lage wie Rnmänie», natürlich mit
dem Unterschied, daß es gegen seine Pflichten verstoßen würde, wenn es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/321>, abgerufen am 28.11.2024.