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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der Braut von Messina

Jenenser Studenten jubelnd einstimmten. Über diese "verwünschte Akklamation"
war Goethe außer sich, er ordnete eine polizeiliche Untersuchung zur Ermittlung
der Schuldigen an und ließ dem Dr. Schütz einen Verweis erteilen. Ich
kann nicht unterlassen, hier der Empfindung Raum zu geben, daß sich Goethe
in diesem Falle nicht auf der vollen Höhe zeigte. Mag immerhin eine gewisse
Entrüstung aus der Rücksicht auf den Hof zu versteh" sein, die Polizei brauchte
er gegen den edeln Enthusiasmus nicht aufzubieten. Sollte jedoch, wie ich
bei Peters (Die deutschen Klassiker, erläutert und gewürdigt für höhere Lehr¬
anstalten sowie zum Selbststudium von Kueueu, Evers und einigen Mitarbeitern)
lese, der Herzog, "dem diese Verletzung der Hofsitte umsomehr mißfiel, als er
die neue Dichtung Schillers scharf verurteilte," die Veranlassung gewesen sein,
so trifft eben ihn der Vorwurf, auch umsomehr, als er sich von seiner sehr
subjektiven Abneigung leiten ließ. Nach der Aufführung, am 20. März, schrieb
Schiller an Gemahl, der damals gerade amtierender Regisseur war, einen Brief,
worin er sich für die vortreffliche Vorführung seiner Tragödie "achtungsvollst"
bedankt.

Am 11. Juni und am 3. Juli wurde das Drama von den Weimarer Schau¬
spielern in Lauchstädt gegeben. Schiller wohnte der Vorstellung am 3. Juli
bei und schickte am 4. an seine Frau und am 6. an Goethe einen Bericht
darüber. Diese Vorstellung war in mancher Hinsicht merkwürdig gewesen.
Während ihr, schreibt der Dichter, sei ein Gewitter mit viel Regen "eingefallen."
Ganze Viertelstunden habe mau keine zusammenhängende Rede der Schauspieler
verstehn können trotz ihrer Anstrengungen. "Lustig und fürchterlich zugleich
war der Effekt, wenn bei den gewaltsamen Verwünschungen des Himmels,
welche die Jsabella im letzten Akte ausspricht, der Donner einfiel, und gerade
bei den Worten des Chors:


Wenn die Wolken getürmt den Himmel schwärzen,
Wenn dumpftoscnd der Donner hallt,
Da, da fühlen sich alle Herzen
In des furchtbaren Schicksals Gewalt,

fiel der wirkliche Donner mit fürchterlichem Knallen ein, sodaß Graff sx tsniporo
eine Geste dabei machte, die das ganze Publikum ergriff." Bei dieser Vor¬
stellung waren die Studenten von Halle, Jena und Leipzig zugegen. Sie
brachten nach einem der Vorstellung angeschlossenen Kommerse dem Dichter
noch eine Serenade und am andern Morgen ein Ständchen.

Die Aufführung in Berlin bahnte Schiller durch Übersendung des Manu¬
skripts an Jffland an (am 24. Februar). Er erklärte in seinem Begleitbriefe
die Darstellung des Dramas nicht für schwer, da die Reden des Chors nicht
mit Musik begleitet würden. Das Wesentliche sei ein etwas feierlicher und
pathetischer Vortrag der lyrischen Stellen, eine belebte Aktion auch bei denen,
welche nicht selbst reden, und eine möglichst symmetrische Disposition der Figuren.
Die Rolle der Mutter wünschte er in den Händen der Madame Meyer zu sehen,
die er zwar nicht kenne, aber allgemein und um solcher Eigenschaften willen
rühmen höre, wie er sie bei dieser Rolle voraussetze. Wenn Jffland selbst
eine Hauptperson in dem Ritterchore übernehmen wolle, würde er (Jffland)


Zur Geschichte der Braut von Messina

Jenenser Studenten jubelnd einstimmten. Über diese „verwünschte Akklamation"
war Goethe außer sich, er ordnete eine polizeiliche Untersuchung zur Ermittlung
der Schuldigen an und ließ dem Dr. Schütz einen Verweis erteilen. Ich
kann nicht unterlassen, hier der Empfindung Raum zu geben, daß sich Goethe
in diesem Falle nicht auf der vollen Höhe zeigte. Mag immerhin eine gewisse
Entrüstung aus der Rücksicht auf den Hof zu versteh» sein, die Polizei brauchte
er gegen den edeln Enthusiasmus nicht aufzubieten. Sollte jedoch, wie ich
bei Peters (Die deutschen Klassiker, erläutert und gewürdigt für höhere Lehr¬
anstalten sowie zum Selbststudium von Kueueu, Evers und einigen Mitarbeitern)
lese, der Herzog, „dem diese Verletzung der Hofsitte umsomehr mißfiel, als er
die neue Dichtung Schillers scharf verurteilte," die Veranlassung gewesen sein,
so trifft eben ihn der Vorwurf, auch umsomehr, als er sich von seiner sehr
subjektiven Abneigung leiten ließ. Nach der Aufführung, am 20. März, schrieb
Schiller an Gemahl, der damals gerade amtierender Regisseur war, einen Brief,
worin er sich für die vortreffliche Vorführung seiner Tragödie „achtungsvollst"
bedankt.

Am 11. Juni und am 3. Juli wurde das Drama von den Weimarer Schau¬
spielern in Lauchstädt gegeben. Schiller wohnte der Vorstellung am 3. Juli
bei und schickte am 4. an seine Frau und am 6. an Goethe einen Bericht
darüber. Diese Vorstellung war in mancher Hinsicht merkwürdig gewesen.
Während ihr, schreibt der Dichter, sei ein Gewitter mit viel Regen „eingefallen."
Ganze Viertelstunden habe mau keine zusammenhängende Rede der Schauspieler
verstehn können trotz ihrer Anstrengungen. „Lustig und fürchterlich zugleich
war der Effekt, wenn bei den gewaltsamen Verwünschungen des Himmels,
welche die Jsabella im letzten Akte ausspricht, der Donner einfiel, und gerade
bei den Worten des Chors:


Wenn die Wolken getürmt den Himmel schwärzen,
Wenn dumpftoscnd der Donner hallt,
Da, da fühlen sich alle Herzen
In des furchtbaren Schicksals Gewalt,

fiel der wirkliche Donner mit fürchterlichem Knallen ein, sodaß Graff sx tsniporo
eine Geste dabei machte, die das ganze Publikum ergriff." Bei dieser Vor¬
stellung waren die Studenten von Halle, Jena und Leipzig zugegen. Sie
brachten nach einem der Vorstellung angeschlossenen Kommerse dem Dichter
noch eine Serenade und am andern Morgen ein Ständchen.

Die Aufführung in Berlin bahnte Schiller durch Übersendung des Manu¬
skripts an Jffland an (am 24. Februar). Er erklärte in seinem Begleitbriefe
die Darstellung des Dramas nicht für schwer, da die Reden des Chors nicht
mit Musik begleitet würden. Das Wesentliche sei ein etwas feierlicher und
pathetischer Vortrag der lyrischen Stellen, eine belebte Aktion auch bei denen,
welche nicht selbst reden, und eine möglichst symmetrische Disposition der Figuren.
Die Rolle der Mutter wünschte er in den Händen der Madame Meyer zu sehen,
die er zwar nicht kenne, aber allgemein und um solcher Eigenschaften willen
rühmen höre, wie er sie bei dieser Rolle voraussetze. Wenn Jffland selbst
eine Hauptperson in dem Ritterchore übernehmen wolle, würde er (Jffland)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/282>, abgerufen am 24.11.2024.