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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die Ausbildung der höhern verwaltungsbeamten in Preußen und andres

Gesinde-, Wege-, Wasserstrcitigkeit erlebt, bei der polizeilichen Vernehmung
von Bettlern, Landstreichern oder gar Verbrechern mitgewirkt, manchesmal
nach einem Jagdessen oder in einer Sitzung eines landwirtschaftlichen Vereins
eine Erörterung über das Klebegesetz, über Getreidezölle, über die Aufhebung
der Zuckerprämien mit angehört haben. Und wer von ihnen dann nicht geradezu
auf den Augenblick brennt, wo er, zunächst auf der Universität, Gelegenheit hat,
sich die Kenntnisse anzueignen, die ihn befähigen, alle diese Dinge im Zu¬
sammenhang zu verstehn und selbständig zu beurteilen, der ist eben ein geistiger
Troddel, dem überhaupt nicht zu helfen ist. Wenn dann außerdem die Vor¬
lesungen und Übungen auf der Universität verstündig und praktisch eingerichtet
würden, dann, glaube ich, würde kein Universitätslehrer Grund haben, über
mangelhaften Fleiß eines Anwärters für die höhere Verwaltungslaufbahn zu
klagen.*) Ich glaube vielmehr, wie ich schon früher angedeutet habe, daß für
so vorbereitete Studenten eine Verlängerung der Studienzeit über sechs Semester
hinaus nicht nötig wäre, wenn man nicht den Prüfungsstoff vermehren will,
wozu kein ausreichender Grund vorliegt.

Für den praktischen Vorbereitungsdienst der Regierungsreferendare würde
eine landwirtschaftliche Tätigkeit in der von mir vorgeschlagnen Weise den
Vorteil haben, daß er ruhig so bleiben könnte, wie er jetzt ist. Der junge
Referendar hätte den wichtigsten Zweig unsrer Volkswirtschaft im Überblick
kennen gelernt, er hätte ein ganzes Jahr mitten im Leben gestanden, und zwar
an einer Stelle, wo sich in der Tat die Verwaltung mit dem Leben berührt,
und er hätte ihr Wirken nicht durch die Brille eines Subjekts, sondern durch
die Brille eines Objekts dieser Verwaltung gesehen, er hätte endlich während
der Beschäftigung beim Amtsgericht schon gelernt, mit Leuten aller Stände zu
verhandeln -- kurz, es ist nur noch nötig, ihm Gelegenheit zu geben, das
Besondre der Verwaltung kennen zu lernen. Dazu reichen zwei Jahre voll¬
kommen aus. Auch die Technik der Verwaltung, wenn ich so sagen darf, z. B.
die Kunst des VerHandelns, des Verkehrs mit dem Publikum usw. kaun sich
ein junger Mann mit durchschnittlicher Begabung und der üblichen gesellschaft¬
lichen Bildung und Gewandtheit in dieser Zeit aneignen. Ebenso genügt die
Zeit von zwei Jahren dazu, einem jungen Manne mit guter Vorbildung das
encyklopädische theoretische Wissen zu vermitteln, dessen er noch für die letzte Prü¬
fung und seine spätere Tätigkeit als selbständiger Dezernent bedarf. Man darf
eben nicht vergessen, daß mit dem Bestehn der großen Staatsprüfung die
Ausbildung uicht abgeschlossen sein kann, vielmehr beginnt mit ihr erst die viel
wichtigere Ausbildung in der selbständigen Tätigkeit. Auch die jetzt übliche Ein¬
teilung der Vorbereitungszeit halte ich für ganz zweckmüßig und nicht ver¬
besserungsbedürftig. Namentlich möchte ich entschieden davor warnen, den Ne-
gieruugsrcfereudar zuerst dem Landrat zu überweisen, anstatt einer Negieruugs-
nbteilung. Der Landrat ist heute so überlastet, daß er in der Regel nußer



Nebenbei! Würde nicht auch die Justizverwaltung aus ähnlichen Erwägungen gut tun,
ihren Ersatz nach der Schule erst etwa ein Semester bei kleinern Amtsgerichten als Gerichts-
schreiber zu beschäftigen? Man könnte dann auch später die Referendare mit dieser Tätigkeit
verschonen.
Die Ausbildung der höhern verwaltungsbeamten in Preußen und andres

Gesinde-, Wege-, Wasserstrcitigkeit erlebt, bei der polizeilichen Vernehmung
von Bettlern, Landstreichern oder gar Verbrechern mitgewirkt, manchesmal
nach einem Jagdessen oder in einer Sitzung eines landwirtschaftlichen Vereins
eine Erörterung über das Klebegesetz, über Getreidezölle, über die Aufhebung
der Zuckerprämien mit angehört haben. Und wer von ihnen dann nicht geradezu
auf den Augenblick brennt, wo er, zunächst auf der Universität, Gelegenheit hat,
sich die Kenntnisse anzueignen, die ihn befähigen, alle diese Dinge im Zu¬
sammenhang zu verstehn und selbständig zu beurteilen, der ist eben ein geistiger
Troddel, dem überhaupt nicht zu helfen ist. Wenn dann außerdem die Vor¬
lesungen und Übungen auf der Universität verstündig und praktisch eingerichtet
würden, dann, glaube ich, würde kein Universitätslehrer Grund haben, über
mangelhaften Fleiß eines Anwärters für die höhere Verwaltungslaufbahn zu
klagen.*) Ich glaube vielmehr, wie ich schon früher angedeutet habe, daß für
so vorbereitete Studenten eine Verlängerung der Studienzeit über sechs Semester
hinaus nicht nötig wäre, wenn man nicht den Prüfungsstoff vermehren will,
wozu kein ausreichender Grund vorliegt.

Für den praktischen Vorbereitungsdienst der Regierungsreferendare würde
eine landwirtschaftliche Tätigkeit in der von mir vorgeschlagnen Weise den
Vorteil haben, daß er ruhig so bleiben könnte, wie er jetzt ist. Der junge
Referendar hätte den wichtigsten Zweig unsrer Volkswirtschaft im Überblick
kennen gelernt, er hätte ein ganzes Jahr mitten im Leben gestanden, und zwar
an einer Stelle, wo sich in der Tat die Verwaltung mit dem Leben berührt,
und er hätte ihr Wirken nicht durch die Brille eines Subjekts, sondern durch
die Brille eines Objekts dieser Verwaltung gesehen, er hätte endlich während
der Beschäftigung beim Amtsgericht schon gelernt, mit Leuten aller Stände zu
verhandeln — kurz, es ist nur noch nötig, ihm Gelegenheit zu geben, das
Besondre der Verwaltung kennen zu lernen. Dazu reichen zwei Jahre voll¬
kommen aus. Auch die Technik der Verwaltung, wenn ich so sagen darf, z. B.
die Kunst des VerHandelns, des Verkehrs mit dem Publikum usw. kaun sich
ein junger Mann mit durchschnittlicher Begabung und der üblichen gesellschaft¬
lichen Bildung und Gewandtheit in dieser Zeit aneignen. Ebenso genügt die
Zeit von zwei Jahren dazu, einem jungen Manne mit guter Vorbildung das
encyklopädische theoretische Wissen zu vermitteln, dessen er noch für die letzte Prü¬
fung und seine spätere Tätigkeit als selbständiger Dezernent bedarf. Man darf
eben nicht vergessen, daß mit dem Bestehn der großen Staatsprüfung die
Ausbildung uicht abgeschlossen sein kann, vielmehr beginnt mit ihr erst die viel
wichtigere Ausbildung in der selbständigen Tätigkeit. Auch die jetzt übliche Ein¬
teilung der Vorbereitungszeit halte ich für ganz zweckmüßig und nicht ver¬
besserungsbedürftig. Namentlich möchte ich entschieden davor warnen, den Ne-
gieruugsrcfereudar zuerst dem Landrat zu überweisen, anstatt einer Negieruugs-
nbteilung. Der Landrat ist heute so überlastet, daß er in der Regel nußer



Nebenbei! Würde nicht auch die Justizverwaltung aus ähnlichen Erwägungen gut tun,
ihren Ersatz nach der Schule erst etwa ein Semester bei kleinern Amtsgerichten als Gerichts-
schreiber zu beschäftigen? Man könnte dann auch später die Referendare mit dieser Tätigkeit
verschonen.
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[0272] Die Ausbildung der höhern verwaltungsbeamten in Preußen und andres Gesinde-, Wege-, Wasserstrcitigkeit erlebt, bei der polizeilichen Vernehmung von Bettlern, Landstreichern oder gar Verbrechern mitgewirkt, manchesmal nach einem Jagdessen oder in einer Sitzung eines landwirtschaftlichen Vereins eine Erörterung über das Klebegesetz, über Getreidezölle, über die Aufhebung der Zuckerprämien mit angehört haben. Und wer von ihnen dann nicht geradezu auf den Augenblick brennt, wo er, zunächst auf der Universität, Gelegenheit hat, sich die Kenntnisse anzueignen, die ihn befähigen, alle diese Dinge im Zu¬ sammenhang zu verstehn und selbständig zu beurteilen, der ist eben ein geistiger Troddel, dem überhaupt nicht zu helfen ist. Wenn dann außerdem die Vor¬ lesungen und Übungen auf der Universität verstündig und praktisch eingerichtet würden, dann, glaube ich, würde kein Universitätslehrer Grund haben, über mangelhaften Fleiß eines Anwärters für die höhere Verwaltungslaufbahn zu klagen.*) Ich glaube vielmehr, wie ich schon früher angedeutet habe, daß für so vorbereitete Studenten eine Verlängerung der Studienzeit über sechs Semester hinaus nicht nötig wäre, wenn man nicht den Prüfungsstoff vermehren will, wozu kein ausreichender Grund vorliegt. Für den praktischen Vorbereitungsdienst der Regierungsreferendare würde eine landwirtschaftliche Tätigkeit in der von mir vorgeschlagnen Weise den Vorteil haben, daß er ruhig so bleiben könnte, wie er jetzt ist. Der junge Referendar hätte den wichtigsten Zweig unsrer Volkswirtschaft im Überblick kennen gelernt, er hätte ein ganzes Jahr mitten im Leben gestanden, und zwar an einer Stelle, wo sich in der Tat die Verwaltung mit dem Leben berührt, und er hätte ihr Wirken nicht durch die Brille eines Subjekts, sondern durch die Brille eines Objekts dieser Verwaltung gesehen, er hätte endlich während der Beschäftigung beim Amtsgericht schon gelernt, mit Leuten aller Stände zu verhandeln — kurz, es ist nur noch nötig, ihm Gelegenheit zu geben, das Besondre der Verwaltung kennen zu lernen. Dazu reichen zwei Jahre voll¬ kommen aus. Auch die Technik der Verwaltung, wenn ich so sagen darf, z. B. die Kunst des VerHandelns, des Verkehrs mit dem Publikum usw. kaun sich ein junger Mann mit durchschnittlicher Begabung und der üblichen gesellschaft¬ lichen Bildung und Gewandtheit in dieser Zeit aneignen. Ebenso genügt die Zeit von zwei Jahren dazu, einem jungen Manne mit guter Vorbildung das encyklopädische theoretische Wissen zu vermitteln, dessen er noch für die letzte Prü¬ fung und seine spätere Tätigkeit als selbständiger Dezernent bedarf. Man darf eben nicht vergessen, daß mit dem Bestehn der großen Staatsprüfung die Ausbildung uicht abgeschlossen sein kann, vielmehr beginnt mit ihr erst die viel wichtigere Ausbildung in der selbständigen Tätigkeit. Auch die jetzt übliche Ein¬ teilung der Vorbereitungszeit halte ich für ganz zweckmüßig und nicht ver¬ besserungsbedürftig. Namentlich möchte ich entschieden davor warnen, den Ne- gieruugsrcfereudar zuerst dem Landrat zu überweisen, anstatt einer Negieruugs- nbteilung. Der Landrat ist heute so überlastet, daß er in der Regel nußer Nebenbei! Würde nicht auch die Justizverwaltung aus ähnlichen Erwägungen gut tun, ihren Ersatz nach der Schule erst etwa ein Semester bei kleinern Amtsgerichten als Gerichts- schreiber zu beschäftigen? Man könnte dann auch später die Referendare mit dieser Tätigkeit verschonen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/272>, abgerufen am 27.11.2024.