Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ausbildung der Höhen: verwaltungsbeamten in Preußen und andres

entgegengesetzten Kundgebungen aus den Wühlerkreisen -- es ist übrigens dieses-
mcll andern Parteien nicht besser gegangen -- erinnern an die Äußerung
Wismarers zu einem englischen Diplomaten: "Wenn die Deutschen das Geld
dazu hätten', hielte sich jeder seinen König." So sieht auch jeder Wähler in
dem Abgeordneten seinen Beauftragten, den er durch die elektrische Klingel zu
dirigieren berechtigt ist. Es ist das ein auffülliger Mangel an Staatssinn,
ein Mangel des Blicks für das politisch Mögliche, ein Mangel, dessen Vor¬
handensein in solchem Umfange dreißig Jahre nach der Aufrichtung des Reichs
in Erstaunen setzen muß. Die staatssiunige Gentry. Englands stürkste Stütze,
ist bei uns leider noch nicht in der Zunahme begriffen, eher im Rückgange,
und dein entspricht auch die Zusammensetzung des Reichstags. "Immer strebe
zum Ganzen" hat Schiller seineu Deutsche,: schou vor mehr als hundert Jahren
vergeblich zugerufen, "und kannst du selber kein Ganzes werden -- als dienendes
Glied schließ an ein Ganzes dich an!" Ja. wenn das Dienen, das freiwillige
Dienen, den so stark individuell angelegten Deutschen nur nicht so schwer fiele!
Der Nntionalfchler, an dem einst das alte Reich zu Grunde ging, haftet uns
auch heute noch mit voller Stürke an. Man halte doch Umschau: die Par¬
teien, die die meiste Disziplin haben, haben auch die meisten Erfolge. Die
nnwiderlegliche Sprache der Zahlen predigt der nationalliberalen Partei laut
und eindringlich genng die Lehre, vom Feinde zu lernen. Würde sie zu denen
gehören, die nichts lernen und nichts vergessen, dann würde sie bald Nieder
"8* national noch liberal, vielleicht überhaupt nicht mehr sein.




Die Ausbildung der höhern Verwaltungsbeamten
in Preußen und andres
Ein Mahnruf an alle, die es angeht
(Schluß)
3

er Gesetzentwurf sieht weiter einschneidende Änderungen in den
Einzelheiten der Ausbildung der Ncgierungsrcfercndare vor. Er
geht nach der Begründung dabei von der Erwügung aus, daß
der Vorbereitungsdienst, so wie er jetzt geordnet sei, namentlich
wegen der ungenügenden Dauer der Beschüftiguug bei den
vkalbehörden, also an den Stellen, wo sich die Verwaltung in unmittel¬
barer Berührung mit Land und Leuten vollziehe, dem angehenden Ver-
^wngsbeamten zu wenig Gelegenheit biete, aus eigner Anschauung die
^erhültnisse und die Wirkung der Gesetze und der Verwaltungseinrichtungen
^unen zu lernen, und ihn zu wenig in die Lage bringe, sich die Fähigkeit,
^e Bedürfnisse von Land und Volk zu erfassen, sowie die Gewandtheit im
verkehr mit dem Publikum und den Takt anzueignen, ohne die eine gedeih-
iche Verwaltungstätigkeit uicht denkbar sei. Zu diesem Zweck will man die5!


Grenzboten I 1903 34
Die Ausbildung der Höhen: verwaltungsbeamten in Preußen und andres

entgegengesetzten Kundgebungen aus den Wühlerkreisen — es ist übrigens dieses-
mcll andern Parteien nicht besser gegangen — erinnern an die Äußerung
Wismarers zu einem englischen Diplomaten: „Wenn die Deutschen das Geld
dazu hätten', hielte sich jeder seinen König." So sieht auch jeder Wähler in
dem Abgeordneten seinen Beauftragten, den er durch die elektrische Klingel zu
dirigieren berechtigt ist. Es ist das ein auffülliger Mangel an Staatssinn,
ein Mangel des Blicks für das politisch Mögliche, ein Mangel, dessen Vor¬
handensein in solchem Umfange dreißig Jahre nach der Aufrichtung des Reichs
in Erstaunen setzen muß. Die staatssiunige Gentry. Englands stürkste Stütze,
ist bei uns leider noch nicht in der Zunahme begriffen, eher im Rückgange,
und dein entspricht auch die Zusammensetzung des Reichstags. „Immer strebe
zum Ganzen" hat Schiller seineu Deutsche,: schou vor mehr als hundert Jahren
vergeblich zugerufen, „und kannst du selber kein Ganzes werden — als dienendes
Glied schließ an ein Ganzes dich an!" Ja. wenn das Dienen, das freiwillige
Dienen, den so stark individuell angelegten Deutschen nur nicht so schwer fiele!
Der Nntionalfchler, an dem einst das alte Reich zu Grunde ging, haftet uns
auch heute noch mit voller Stürke an. Man halte doch Umschau: die Par¬
teien, die die meiste Disziplin haben, haben auch die meisten Erfolge. Die
nnwiderlegliche Sprache der Zahlen predigt der nationalliberalen Partei laut
und eindringlich genng die Lehre, vom Feinde zu lernen. Würde sie zu denen
gehören, die nichts lernen und nichts vergessen, dann würde sie bald Nieder
»8* national noch liberal, vielleicht überhaupt nicht mehr sein.




Die Ausbildung der höhern Verwaltungsbeamten
in Preußen und andres
Ein Mahnruf an alle, die es angeht
(Schluß)
3

er Gesetzentwurf sieht weiter einschneidende Änderungen in den
Einzelheiten der Ausbildung der Ncgierungsrcfercndare vor. Er
geht nach der Begründung dabei von der Erwügung aus, daß
der Vorbereitungsdienst, so wie er jetzt geordnet sei, namentlich
wegen der ungenügenden Dauer der Beschüftiguug bei den
vkalbehörden, also an den Stellen, wo sich die Verwaltung in unmittel¬
barer Berührung mit Land und Leuten vollziehe, dem angehenden Ver-
^wngsbeamten zu wenig Gelegenheit biete, aus eigner Anschauung die
^erhültnisse und die Wirkung der Gesetze und der Verwaltungseinrichtungen
^unen zu lernen, und ihn zu wenig in die Lage bringe, sich die Fähigkeit,
^e Bedürfnisse von Land und Volk zu erfassen, sowie die Gewandtheit im
verkehr mit dem Publikum und den Takt anzueignen, ohne die eine gedeih-
iche Verwaltungstätigkeit uicht denkbar sei. Zu diesem Zweck will man die5!


Grenzboten I 1903 34
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0269" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239825"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Ausbildung der Höhen: verwaltungsbeamten in Preußen und andres</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1315" prev="#ID_1314"> entgegengesetzten Kundgebungen aus den Wühlerkreisen &#x2014; es ist übrigens dieses-<lb/>
mcll andern Parteien nicht besser gegangen &#x2014; erinnern an die Äußerung<lb/>
Wismarers zu einem englischen Diplomaten: &#x201E;Wenn die Deutschen das Geld<lb/>
dazu hätten', hielte sich jeder seinen König." So sieht auch jeder Wähler in<lb/>
dem Abgeordneten seinen Beauftragten, den er durch die elektrische Klingel zu<lb/>
dirigieren berechtigt ist. Es ist das ein auffülliger Mangel an Staatssinn,<lb/>
ein Mangel des Blicks für das politisch Mögliche, ein Mangel, dessen Vor¬<lb/>
handensein in solchem Umfange dreißig Jahre nach der Aufrichtung des Reichs<lb/>
in Erstaunen setzen muß. Die staatssiunige Gentry. Englands stürkste Stütze,<lb/>
ist bei uns leider noch nicht in der Zunahme begriffen, eher im Rückgange,<lb/>
und dein entspricht auch die Zusammensetzung des Reichstags. &#x201E;Immer strebe<lb/>
zum Ganzen" hat Schiller seineu Deutsche,: schou vor mehr als hundert Jahren<lb/>
vergeblich zugerufen, &#x201E;und kannst du selber kein Ganzes werden &#x2014; als dienendes<lb/>
Glied schließ an ein Ganzes dich an!" Ja. wenn das Dienen, das freiwillige<lb/>
Dienen, den so stark individuell angelegten Deutschen nur nicht so schwer fiele!<lb/>
Der Nntionalfchler, an dem einst das alte Reich zu Grunde ging, haftet uns<lb/>
auch heute noch mit voller Stürke an. Man halte doch Umschau: die Par¬<lb/>
teien, die die meiste Disziplin haben, haben auch die meisten Erfolge. Die<lb/>
nnwiderlegliche Sprache der Zahlen predigt der nationalliberalen Partei laut<lb/>
und eindringlich genng die Lehre, vom Feinde zu lernen. Würde sie zu denen<lb/>
gehören, die nichts lernen und nichts vergessen, dann würde sie bald Nieder<lb/><note type="byline"> »8*</note> national noch liberal, vielleicht überhaupt nicht mehr sein. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Ausbildung der höhern Verwaltungsbeamten<lb/>
in Preußen und andres<lb/>
Ein Mahnruf an alle, die es angeht<lb/>
(Schluß)</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 3</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1316" next="#ID_1317"> er Gesetzentwurf sieht weiter einschneidende Änderungen in den<lb/>
Einzelheiten der Ausbildung der Ncgierungsrcfercndare vor. Er<lb/>
geht nach der Begründung dabei von der Erwügung aus, daß<lb/>
der Vorbereitungsdienst, so wie er jetzt geordnet sei, namentlich<lb/>
wegen der ungenügenden Dauer der Beschüftiguug bei den<lb/>
vkalbehörden, also an den Stellen, wo sich die Verwaltung in unmittel¬<lb/>
barer Berührung mit Land und Leuten vollziehe, dem angehenden Ver-<lb/>
^wngsbeamten zu wenig Gelegenheit biete, aus eigner Anschauung die<lb/>
^erhültnisse und die Wirkung der Gesetze und der Verwaltungseinrichtungen<lb/>
^unen zu lernen, und ihn zu wenig in die Lage bringe, sich die Fähigkeit,<lb/>
^e Bedürfnisse von Land und Volk zu erfassen, sowie die Gewandtheit im<lb/>
verkehr mit dem Publikum und den Takt anzueignen, ohne die eine gedeih-<lb/>
iche Verwaltungstätigkeit uicht denkbar sei. Zu diesem Zweck will man die5!</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1903 34</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0269] Die Ausbildung der Höhen: verwaltungsbeamten in Preußen und andres entgegengesetzten Kundgebungen aus den Wühlerkreisen — es ist übrigens dieses- mcll andern Parteien nicht besser gegangen — erinnern an die Äußerung Wismarers zu einem englischen Diplomaten: „Wenn die Deutschen das Geld dazu hätten', hielte sich jeder seinen König." So sieht auch jeder Wähler in dem Abgeordneten seinen Beauftragten, den er durch die elektrische Klingel zu dirigieren berechtigt ist. Es ist das ein auffülliger Mangel an Staatssinn, ein Mangel des Blicks für das politisch Mögliche, ein Mangel, dessen Vor¬ handensein in solchem Umfange dreißig Jahre nach der Aufrichtung des Reichs in Erstaunen setzen muß. Die staatssiunige Gentry. Englands stürkste Stütze, ist bei uns leider noch nicht in der Zunahme begriffen, eher im Rückgange, und dein entspricht auch die Zusammensetzung des Reichstags. „Immer strebe zum Ganzen" hat Schiller seineu Deutsche,: schou vor mehr als hundert Jahren vergeblich zugerufen, „und kannst du selber kein Ganzes werden — als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an!" Ja. wenn das Dienen, das freiwillige Dienen, den so stark individuell angelegten Deutschen nur nicht so schwer fiele! Der Nntionalfchler, an dem einst das alte Reich zu Grunde ging, haftet uns auch heute noch mit voller Stürke an. Man halte doch Umschau: die Par¬ teien, die die meiste Disziplin haben, haben auch die meisten Erfolge. Die nnwiderlegliche Sprache der Zahlen predigt der nationalliberalen Partei laut und eindringlich genng die Lehre, vom Feinde zu lernen. Würde sie zu denen gehören, die nichts lernen und nichts vergessen, dann würde sie bald Nieder »8* national noch liberal, vielleicht überhaupt nicht mehr sein. Die Ausbildung der höhern Verwaltungsbeamten in Preußen und andres Ein Mahnruf an alle, die es angeht (Schluß) 3 er Gesetzentwurf sieht weiter einschneidende Änderungen in den Einzelheiten der Ausbildung der Ncgierungsrcfercndare vor. Er geht nach der Begründung dabei von der Erwügung aus, daß der Vorbereitungsdienst, so wie er jetzt geordnet sei, namentlich wegen der ungenügenden Dauer der Beschüftiguug bei den vkalbehörden, also an den Stellen, wo sich die Verwaltung in unmittel¬ barer Berührung mit Land und Leuten vollziehe, dem angehenden Ver- ^wngsbeamten zu wenig Gelegenheit biete, aus eigner Anschauung die ^erhültnisse und die Wirkung der Gesetze und der Verwaltungseinrichtungen ^unen zu lernen, und ihn zu wenig in die Lage bringe, sich die Fähigkeit, ^e Bedürfnisse von Land und Volk zu erfassen, sowie die Gewandtheit im verkehr mit dem Publikum und den Takt anzueignen, ohne die eine gedeih- iche Verwaltungstätigkeit uicht denkbar sei. Zu diesem Zweck will man die5! Grenzboten I 1903 34

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/269
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/269>, abgerufen am 24.11.2024.