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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Feuer!

die sich endlos auszudehnen scheint, da die Berge des Apennins im Abend-
lichte verschwinden, ist alles auf Erinnerung gestimmt. Die Ebne scheint sich
zu bevölkern, die Gestalten der Weltgeschichte tauchen auf, die Hafenstadt, das
alte Ravenna ersteht wieder. Doch es ist nur ein Rcflexbild historischer Er¬
innerung. In Wirklichkeit liegt nur eine einsame Ebne vor uns, die Gefilde
der Schlacht von Ravenna, wo am 12. Ma 1512 die Truppen Frankreichs
unter dem heldenmütigen Gaston de Foix gegen die Spanier und die Truppen des
Papstes Julius des Zweiten an dein Ufer des Roncoflnsses einen in der Folge
ergebnislosen Sieg errungen haben. Welcher Gegensatz, auf dem Felde, wo
einst um die Geschicke der Welt gerungen wurde, ein Kampf um die Geschicke
des durch seine Dynasten und seine Staatenbildung zerrissenen Italiens der
Renaissancezeit, aus der sich die große Gestalt des Papstes ans dem Novere-
geschlecht, Julius der Zweite, abhebt, dessen Antlitz Rafael in seinem Gemälde
im Palazzo Pitti verewigt hat.

Wenn man Ravenna betritt oder verläßt, so sendet den ersten und den letzten
Gruß ans den Garten herüber Theodorichs Grabmal. Es ist die bleibende
Erinnerung an die alte Nabenstadt. Man denkt sich unwillkürlich die Helden¬
gestalt Dietrichs von Bern, nicht so zierlich, wie sie in der Innsbrucker Hof¬
kirche am Grabmal Maximilians gebildet ist, aber doch vielleicht mit einem
schwermütigen Zug in dein Antlitze, der die Trauer des Herrschers zum Aus¬
druck bringt, daß es seinem Volke nicht gelingen sollte, in Italien die Heimat
zu finden.


Rarl Meyer


Feuer!
Erinnerung aus dem russischen polizeileben
Alexander Andreas von(Fortsetzung)
4

alter Regen mit Schneeflocken vermischt empfing mich auf der Straße.
Der Wind blies eisig. Ich schauderte. Dabei war ich höchst unzufrieden
mit mir. Gleich am ersten Diensttage hatte ich mich verleiten lassen,
saumselig zu sein. Was sollte ich Jemeljau Afanasjewitsch sagen, falls
er Rechenschaft über den Tag von mir forderte? Ärgerlich wickelte
-ich mich in den Mantel und'eilte zum Flusse, um am Ufer die Ver-
kuiidigimgsstrnße zu erreichen und mich im Stadtteilhause zu zeigen. Kaum war
und um die Ecke gebogen, als ich den Aufseher vor mir sah.

^ Ah. Sie sind es! sagte er, als ich die Hand an die Mütze legte Es ist
schändliches Wetter, Alexander Andrejewitsch, und Sie sind, wie ich erfahren habe, gar
nicht zu Hause gewesen, haben vielleicht noch nicht zu Mittag gegessen. FaMn isle
die Sache nicht gar zu hitzig an. Der Mensch kann mich zuviel tun. Sie wollten
jetzt wohl in das Stadtteilhaus?

Ja, Jemeljau Afanasjewitsch, preßte ich verlegen heraus.

Lassen Sie es für heute genug sein. In der vorigen S^ehe habe ich dee
Posten revidiert. Heute habe,/Sie es getan, und zwar, wie ich von Jegorow


Feuer!

die sich endlos auszudehnen scheint, da die Berge des Apennins im Abend-
lichte verschwinden, ist alles auf Erinnerung gestimmt. Die Ebne scheint sich
zu bevölkern, die Gestalten der Weltgeschichte tauchen auf, die Hafenstadt, das
alte Ravenna ersteht wieder. Doch es ist nur ein Rcflexbild historischer Er¬
innerung. In Wirklichkeit liegt nur eine einsame Ebne vor uns, die Gefilde
der Schlacht von Ravenna, wo am 12. Ma 1512 die Truppen Frankreichs
unter dem heldenmütigen Gaston de Foix gegen die Spanier und die Truppen des
Papstes Julius des Zweiten an dein Ufer des Roncoflnsses einen in der Folge
ergebnislosen Sieg errungen haben. Welcher Gegensatz, auf dem Felde, wo
einst um die Geschicke der Welt gerungen wurde, ein Kampf um die Geschicke
des durch seine Dynasten und seine Staatenbildung zerrissenen Italiens der
Renaissancezeit, aus der sich die große Gestalt des Papstes ans dem Novere-
geschlecht, Julius der Zweite, abhebt, dessen Antlitz Rafael in seinem Gemälde
im Palazzo Pitti verewigt hat.

Wenn man Ravenna betritt oder verläßt, so sendet den ersten und den letzten
Gruß ans den Garten herüber Theodorichs Grabmal. Es ist die bleibende
Erinnerung an die alte Nabenstadt. Man denkt sich unwillkürlich die Helden¬
gestalt Dietrichs von Bern, nicht so zierlich, wie sie in der Innsbrucker Hof¬
kirche am Grabmal Maximilians gebildet ist, aber doch vielleicht mit einem
schwermütigen Zug in dein Antlitze, der die Trauer des Herrschers zum Aus¬
druck bringt, daß es seinem Volke nicht gelingen sollte, in Italien die Heimat
zu finden.


Rarl Meyer


Feuer!
Erinnerung aus dem russischen polizeileben
Alexander Andreas von(Fortsetzung)
4

alter Regen mit Schneeflocken vermischt empfing mich auf der Straße.
Der Wind blies eisig. Ich schauderte. Dabei war ich höchst unzufrieden
mit mir. Gleich am ersten Diensttage hatte ich mich verleiten lassen,
saumselig zu sein. Was sollte ich Jemeljau Afanasjewitsch sagen, falls
er Rechenschaft über den Tag von mir forderte? Ärgerlich wickelte
-ich mich in den Mantel und'eilte zum Flusse, um am Ufer die Ver-
kuiidigimgsstrnße zu erreichen und mich im Stadtteilhause zu zeigen. Kaum war
und um die Ecke gebogen, als ich den Aufseher vor mir sah.

^ Ah. Sie sind es! sagte er, als ich die Hand an die Mütze legte Es ist
schändliches Wetter, Alexander Andrejewitsch, und Sie sind, wie ich erfahren habe, gar
nicht zu Hause gewesen, haben vielleicht noch nicht zu Mittag gegessen. FaMn isle
die Sache nicht gar zu hitzig an. Der Mensch kann mich zuviel tun. Sie wollten
jetzt wohl in das Stadtteilhaus?

Ja, Jemeljau Afanasjewitsch, preßte ich verlegen heraus.

Lassen Sie es für heute genug sein. In der vorigen S^ehe habe ich dee
Posten revidiert. Heute habe,/Sie es getan, und zwar, wie ich von Jegorow


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[0235] Feuer! die sich endlos auszudehnen scheint, da die Berge des Apennins im Abend- lichte verschwinden, ist alles auf Erinnerung gestimmt. Die Ebne scheint sich zu bevölkern, die Gestalten der Weltgeschichte tauchen auf, die Hafenstadt, das alte Ravenna ersteht wieder. Doch es ist nur ein Rcflexbild historischer Er¬ innerung. In Wirklichkeit liegt nur eine einsame Ebne vor uns, die Gefilde der Schlacht von Ravenna, wo am 12. Ma 1512 die Truppen Frankreichs unter dem heldenmütigen Gaston de Foix gegen die Spanier und die Truppen des Papstes Julius des Zweiten an dein Ufer des Roncoflnsses einen in der Folge ergebnislosen Sieg errungen haben. Welcher Gegensatz, auf dem Felde, wo einst um die Geschicke der Welt gerungen wurde, ein Kampf um die Geschicke des durch seine Dynasten und seine Staatenbildung zerrissenen Italiens der Renaissancezeit, aus der sich die große Gestalt des Papstes ans dem Novere- geschlecht, Julius der Zweite, abhebt, dessen Antlitz Rafael in seinem Gemälde im Palazzo Pitti verewigt hat. Wenn man Ravenna betritt oder verläßt, so sendet den ersten und den letzten Gruß ans den Garten herüber Theodorichs Grabmal. Es ist die bleibende Erinnerung an die alte Nabenstadt. Man denkt sich unwillkürlich die Helden¬ gestalt Dietrichs von Bern, nicht so zierlich, wie sie in der Innsbrucker Hof¬ kirche am Grabmal Maximilians gebildet ist, aber doch vielleicht mit einem schwermütigen Zug in dein Antlitze, der die Trauer des Herrschers zum Aus¬ druck bringt, daß es seinem Volke nicht gelingen sollte, in Italien die Heimat zu finden. Rarl Meyer Feuer! Erinnerung aus dem russischen polizeileben Alexander Andreas von(Fortsetzung) 4 alter Regen mit Schneeflocken vermischt empfing mich auf der Straße. Der Wind blies eisig. Ich schauderte. Dabei war ich höchst unzufrieden mit mir. Gleich am ersten Diensttage hatte ich mich verleiten lassen, saumselig zu sein. Was sollte ich Jemeljau Afanasjewitsch sagen, falls er Rechenschaft über den Tag von mir forderte? Ärgerlich wickelte -ich mich in den Mantel und'eilte zum Flusse, um am Ufer die Ver- kuiidigimgsstrnße zu erreichen und mich im Stadtteilhause zu zeigen. Kaum war und um die Ecke gebogen, als ich den Aufseher vor mir sah. ^ Ah. Sie sind es! sagte er, als ich die Hand an die Mütze legte Es ist schändliches Wetter, Alexander Andrejewitsch, und Sie sind, wie ich erfahren habe, gar nicht zu Hause gewesen, haben vielleicht noch nicht zu Mittag gegessen. FaMn isle die Sache nicht gar zu hitzig an. Der Mensch kann mich zuviel tun. Sie wollten jetzt wohl in das Stadtteilhaus? Ja, Jemeljau Afanasjewitsch, preßte ich verlegen heraus. Lassen Sie es für heute genug sein. In der vorigen S^ehe habe ich dee Posten revidiert. Heute habe,/Sie es getan, und zwar, wie ich von Jegorow

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/235>, abgerufen am 24.11.2024.