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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der Braut von Messina

ihm über den Ausfall der Vorlesung zu berichte", meldet Schiller am S.Fe¬
bruar, daß seine Vorlesung, von der er wenig erwartet habe, durch eine recht
schöne Teilnahme belohnt worden sei. "Die Furcht und der Schrecken er¬
wiesen sich in ihrer ganzen Kraft, und auch die sanftere Rührung gab sich
durch schöne Äußerungen kund -- der Chor erfreute allgemein durch seine
naiven Motive und begeisterte durch seinen lyrischen Schwung, sodaß ich, bei
gehöriger Anordnung, mir auch auf deu Brettern eine bedeutende Wirkung von
dein Chöre versprechen kann."

Die Vorlesung in diesem Kreise, zu dem auch der Regisseur Becker ge
hörte -- denn Schiller war es wichtig, zu wissen, "wie sich die neue Er-
scheinung in seinem Theaterkopfe vorstellte" --, wahrscheinlich aber auch eine
.^Konferenz" mit Goethe, um die ihn Schiller für den 6. Februar mittags bat,
mögen noch eine weitere Änderung in der Anlage des Dramas herbeigeführt
haben- die Auflösung des Chors in verschiedne Personen. Am 6. Februar
schreibt Schiller an Körner, daß er Hoffnung habe, das Drama "mitsamt dem
^höre auf die Bühne bringen zu können," es sei nichts weiter nötig, als den
Chor in fünf vo^r sechs Individuen aufzulösen, womit er eben beschäftigt sei.
Beendet ist diese Arbeit schon am 8. Februar, wo er an Goethe schreibt, daß
sich der Chor "in einen Cajetan, Berengar, Manfred, Bvhemund, Roger und
Hippolyt, sowie die zwei Boten in einen Lanzelot und Olivier verwandelt
habe, sodaß das Stück jetzt von Personen wimmle." Die Einführung der
Namen ist aber nur in den für die Theater bestimmten Handschriften (für
Berlin, Hamburg und Dresden) durchgeführt; der erste Druck von 1803 hat
sie nicht, statt der Namen steht: "Einer aus dem Chor," "ein Zweiter," "ein
Dritter," oder einfach "Erster," "Zweiter," "Dritter."

Da Schiller auf Kritiken und Mißdeutungen seines Dramas bei der An¬
lehnung an die Antike und besonder? bei dem Gebrauch des Chors gefaßt sein
mußte, entschloß er sich, vor das Drama eine "Vorerinnerung" zu stellen, in
der er "ein Wort über den tragischen Chor" sagen wollte. Die Sache machte
ihm, wie er an Goethe schrieb, Not: "das ganze Theater mitsamt dem ganzen
Zeitalter" drückte auf ihn ein. Aber die Arbeit interessierte ihn, und er wollte
suchen, etwas Ordentliches zu sagen. Er hoffte damit der Sache, die den
beiden Dichtern gemeinsam wichtig war, zu dienen, der Idealität der Bühne.
Am 7. Juni war diese Vorerinnerung fertig. Zum Schluß sei noch bemerkt,
daß Schiller (und auch Goethe) sich mit der Absicht trug, "die lyrischen Jnter¬
mezzos des Chors, deren fünf oder sechs sind, nach Gesangsweisen rezitiercn
z" lassen und mit einem Instrument zu begleiten." Er schrieb deshalb an
Zelter unter dem 28. Februar nach Berlin, um das "Plänchen" seinem sach¬
verständigen Gutachten zu unterbreiten. "Vielleicht aber interessieren Sie sich
doch für diese Arbeit, und Sie überraschen uns einmal mit einer musikalische"
Ausführung derselben." -- Ich finde nicht, daß Schiller jemals darauf zurück¬
gekommen wäre.

(Schluß folgt)




Zur Geschichte der Braut von Messina

ihm über den Ausfall der Vorlesung zu berichte», meldet Schiller am S.Fe¬
bruar, daß seine Vorlesung, von der er wenig erwartet habe, durch eine recht
schöne Teilnahme belohnt worden sei. „Die Furcht und der Schrecken er¬
wiesen sich in ihrer ganzen Kraft, und auch die sanftere Rührung gab sich
durch schöne Äußerungen kund — der Chor erfreute allgemein durch seine
naiven Motive und begeisterte durch seinen lyrischen Schwung, sodaß ich, bei
gehöriger Anordnung, mir auch auf deu Brettern eine bedeutende Wirkung von
dein Chöre versprechen kann."

Die Vorlesung in diesem Kreise, zu dem auch der Regisseur Becker ge
hörte — denn Schiller war es wichtig, zu wissen, „wie sich die neue Er-
scheinung in seinem Theaterkopfe vorstellte" —, wahrscheinlich aber auch eine
.^Konferenz" mit Goethe, um die ihn Schiller für den 6. Februar mittags bat,
mögen noch eine weitere Änderung in der Anlage des Dramas herbeigeführt
haben- die Auflösung des Chors in verschiedne Personen. Am 6. Februar
schreibt Schiller an Körner, daß er Hoffnung habe, das Drama „mitsamt dem
^höre auf die Bühne bringen zu können," es sei nichts weiter nötig, als den
Chor in fünf vo^r sechs Individuen aufzulösen, womit er eben beschäftigt sei.
Beendet ist diese Arbeit schon am 8. Februar, wo er an Goethe schreibt, daß
sich der Chor „in einen Cajetan, Berengar, Manfred, Bvhemund, Roger und
Hippolyt, sowie die zwei Boten in einen Lanzelot und Olivier verwandelt
habe, sodaß das Stück jetzt von Personen wimmle." Die Einführung der
Namen ist aber nur in den für die Theater bestimmten Handschriften (für
Berlin, Hamburg und Dresden) durchgeführt; der erste Druck von 1803 hat
sie nicht, statt der Namen steht: „Einer aus dem Chor," „ein Zweiter," „ein
Dritter," oder einfach „Erster," „Zweiter," „Dritter."

Da Schiller auf Kritiken und Mißdeutungen seines Dramas bei der An¬
lehnung an die Antike und besonder? bei dem Gebrauch des Chors gefaßt sein
mußte, entschloß er sich, vor das Drama eine „Vorerinnerung" zu stellen, in
der er „ein Wort über den tragischen Chor" sagen wollte. Die Sache machte
ihm, wie er an Goethe schrieb, Not: „das ganze Theater mitsamt dem ganzen
Zeitalter" drückte auf ihn ein. Aber die Arbeit interessierte ihn, und er wollte
suchen, etwas Ordentliches zu sagen. Er hoffte damit der Sache, die den
beiden Dichtern gemeinsam wichtig war, zu dienen, der Idealität der Bühne.
Am 7. Juni war diese Vorerinnerung fertig. Zum Schluß sei noch bemerkt,
daß Schiller (und auch Goethe) sich mit der Absicht trug, „die lyrischen Jnter¬
mezzos des Chors, deren fünf oder sechs sind, nach Gesangsweisen rezitiercn
z» lassen und mit einem Instrument zu begleiten." Er schrieb deshalb an
Zelter unter dem 28. Februar nach Berlin, um das „Plänchen" seinem sach¬
verständigen Gutachten zu unterbreiten. „Vielleicht aber interessieren Sie sich
doch für diese Arbeit, und Sie überraschen uns einmal mit einer musikalische»
Ausführung derselben." — Ich finde nicht, daß Schiller jemals darauf zurück¬
gekommen wäre.

(Schluß folgt)




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[0229] Zur Geschichte der Braut von Messina ihm über den Ausfall der Vorlesung zu berichte», meldet Schiller am S.Fe¬ bruar, daß seine Vorlesung, von der er wenig erwartet habe, durch eine recht schöne Teilnahme belohnt worden sei. „Die Furcht und der Schrecken er¬ wiesen sich in ihrer ganzen Kraft, und auch die sanftere Rührung gab sich durch schöne Äußerungen kund — der Chor erfreute allgemein durch seine naiven Motive und begeisterte durch seinen lyrischen Schwung, sodaß ich, bei gehöriger Anordnung, mir auch auf deu Brettern eine bedeutende Wirkung von dein Chöre versprechen kann." Die Vorlesung in diesem Kreise, zu dem auch der Regisseur Becker ge hörte — denn Schiller war es wichtig, zu wissen, „wie sich die neue Er- scheinung in seinem Theaterkopfe vorstellte" —, wahrscheinlich aber auch eine .^Konferenz" mit Goethe, um die ihn Schiller für den 6. Februar mittags bat, mögen noch eine weitere Änderung in der Anlage des Dramas herbeigeführt haben- die Auflösung des Chors in verschiedne Personen. Am 6. Februar schreibt Schiller an Körner, daß er Hoffnung habe, das Drama „mitsamt dem ^höre auf die Bühne bringen zu können," es sei nichts weiter nötig, als den Chor in fünf vo^r sechs Individuen aufzulösen, womit er eben beschäftigt sei. Beendet ist diese Arbeit schon am 8. Februar, wo er an Goethe schreibt, daß sich der Chor „in einen Cajetan, Berengar, Manfred, Bvhemund, Roger und Hippolyt, sowie die zwei Boten in einen Lanzelot und Olivier verwandelt habe, sodaß das Stück jetzt von Personen wimmle." Die Einführung der Namen ist aber nur in den für die Theater bestimmten Handschriften (für Berlin, Hamburg und Dresden) durchgeführt; der erste Druck von 1803 hat sie nicht, statt der Namen steht: „Einer aus dem Chor," „ein Zweiter," „ein Dritter," oder einfach „Erster," „Zweiter," „Dritter." Da Schiller auf Kritiken und Mißdeutungen seines Dramas bei der An¬ lehnung an die Antike und besonder? bei dem Gebrauch des Chors gefaßt sein mußte, entschloß er sich, vor das Drama eine „Vorerinnerung" zu stellen, in der er „ein Wort über den tragischen Chor" sagen wollte. Die Sache machte ihm, wie er an Goethe schrieb, Not: „das ganze Theater mitsamt dem ganzen Zeitalter" drückte auf ihn ein. Aber die Arbeit interessierte ihn, und er wollte suchen, etwas Ordentliches zu sagen. Er hoffte damit der Sache, die den beiden Dichtern gemeinsam wichtig war, zu dienen, der Idealität der Bühne. Am 7. Juni war diese Vorerinnerung fertig. Zum Schluß sei noch bemerkt, daß Schiller (und auch Goethe) sich mit der Absicht trug, „die lyrischen Jnter¬ mezzos des Chors, deren fünf oder sechs sind, nach Gesangsweisen rezitiercn z» lassen und mit einem Instrument zu begleiten." Er schrieb deshalb an Zelter unter dem 28. Februar nach Berlin, um das „Plänchen" seinem sach¬ verständigen Gutachten zu unterbreiten. „Vielleicht aber interessieren Sie sich doch für diese Arbeit, und Sie überraschen uns einmal mit einer musikalische» Ausführung derselben." — Ich finde nicht, daß Schiller jemals darauf zurück¬ gekommen wäre. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/229>, abgerufen am 27.11.2024.