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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Marokko

und ihrer Nachbarschaft, während das Tasilelt solche Möglichkeiten nicht zu
bieten scheint.

In den Städten werden die Hauptmärkte abgehalten, wo der Landmnuu
seine Erzeugnisse verkauft, und wo er einhandelt, was er an Gegenständen
der einheimischen und der europäischen Industrie verbraucht. Die heimische
Industrie stellt her Wollenzeug. Lederwaren, darunter sehr schöne Pantoffel,
Gürtel und Taschen, ferner Teppiche, darunter die vorzüglichen von Rabat,
sodann Seidengewebe, eine Spezialität von Fes. Messing- und Eisengegen-
stnnde der verschiedensten Art. Die Wollenweberei wird außerhalb der Städte
auch von den Landfrauen betrieben. Im Sus gibt es eine primitive Eisen-
und Messingindustrie, die einheimisches Material verarbeitet. Das Vor¬
handensein von Eisen- und Kupfererzen in abbauwürdigen Mengen wird von
vielen für sicher gehalten, sowohl nördlich wie auch südlich vom Atlas.

Wenn man ein Land beschreibt, so soll man auch von der Kunst und der
Wissenschaft reden. Ich bin gezwungen, mich hier kurz zu fassen, denn leider
ist nicht viel davon zu sagen. Die Kunst besteht nur als Kunsthandwerk und
äußert sich in der Teppichwirkerei. Gürtlerei, Täschnerei und Holzschnitzerei.
Diese liefern sehr niedliche Gegenstände. Die Bankunst ist technisch ganz gut
entwickelt, aber künstlerisch wenig bedeutend, nur in der Stuckarbeit wird hervor¬
ragendes geleistet. Die heutige maurische Kunst ist nur ein Abglanz der alten
Herrlichkeit, die man noch auf der Alhambra und in Cordova bewundern kann.
Die Wissenschaft beschränkt sich auf das Koranstudium, weil ja der Koran zu¬
gleich Sittengesetz und bürgerliches Gesetz ist. Die Geschichte wird wenig ge¬
pflegt, von einem medizinischen Studium ist kaum die Rede. Der Hauptsitz
dieser Wissenschaften ist Fes.

Noch auf eineir wichtigen Punkt in dem Leben Marokkos will ich ein¬
gehn, auf die Steuern. Diese zerfallen in direkte und indirekte; die direkten
Steuern werden willkürlich ausgeschrieben und sind der Hauptanlaß zum Streit,
ihr Erträgnis ist jedoch viel geringer als das der indirekten. Diese zerfallen
in Einfuhr- und in Ausfuhrzölle einerseits und in Markt- und in Torabgaben
anderseits. Die ersten werden von Regierungsbeamten erhoben, die andern
meistens an Private verpachtet, ohne daß jedoch die Pächter das Recht be¬
kämen, die Sätze nach eignem Ermessen festzustellen.


2

Mit der Außenwelt steht Marokko nur zur See in Verbindung, die Hafen¬
städte sind für den Europäer die einzigen Tore des Landes. Sie heißen von
Osten der Reihe nach: Melitta (spanisch). Tetuan (arab. rstaun), Ceuta
(spanisch). Tanger (arab. rana", Larache (arab. ^r-iison), Rabat mit Sta.
Casabianca (arab. M Äg.r se Miä-z.. d.i. das weiße Haus). Asimur. Mazagan
(arab. M ?Ma, d. i. die Neue), Saffi (arab. M ^sü), Mogador (arab.
SuesiÄ, d. i. das Bild), Agadir (geschlossen). Tetuan ist vorzugsweise Araber¬
stadt, die Araber haben hier die Führung und sollen sich durch gute Bildung
auszeichnen. Tanger ist die älteste Stadt des Landes, denn es stammt schon
aus den Tagen Roms; es ist der Haupthafen für den Verkehr mit Europa und


Grenzboten I 1903 26
Marokko

und ihrer Nachbarschaft, während das Tasilelt solche Möglichkeiten nicht zu
bieten scheint.

In den Städten werden die Hauptmärkte abgehalten, wo der Landmnuu
seine Erzeugnisse verkauft, und wo er einhandelt, was er an Gegenständen
der einheimischen und der europäischen Industrie verbraucht. Die heimische
Industrie stellt her Wollenzeug. Lederwaren, darunter sehr schöne Pantoffel,
Gürtel und Taschen, ferner Teppiche, darunter die vorzüglichen von Rabat,
sodann Seidengewebe, eine Spezialität von Fes. Messing- und Eisengegen-
stnnde der verschiedensten Art. Die Wollenweberei wird außerhalb der Städte
auch von den Landfrauen betrieben. Im Sus gibt es eine primitive Eisen-
und Messingindustrie, die einheimisches Material verarbeitet. Das Vor¬
handensein von Eisen- und Kupfererzen in abbauwürdigen Mengen wird von
vielen für sicher gehalten, sowohl nördlich wie auch südlich vom Atlas.

Wenn man ein Land beschreibt, so soll man auch von der Kunst und der
Wissenschaft reden. Ich bin gezwungen, mich hier kurz zu fassen, denn leider
ist nicht viel davon zu sagen. Die Kunst besteht nur als Kunsthandwerk und
äußert sich in der Teppichwirkerei. Gürtlerei, Täschnerei und Holzschnitzerei.
Diese liefern sehr niedliche Gegenstände. Die Bankunst ist technisch ganz gut
entwickelt, aber künstlerisch wenig bedeutend, nur in der Stuckarbeit wird hervor¬
ragendes geleistet. Die heutige maurische Kunst ist nur ein Abglanz der alten
Herrlichkeit, die man noch auf der Alhambra und in Cordova bewundern kann.
Die Wissenschaft beschränkt sich auf das Koranstudium, weil ja der Koran zu¬
gleich Sittengesetz und bürgerliches Gesetz ist. Die Geschichte wird wenig ge¬
pflegt, von einem medizinischen Studium ist kaum die Rede. Der Hauptsitz
dieser Wissenschaften ist Fes.

Noch auf eineir wichtigen Punkt in dem Leben Marokkos will ich ein¬
gehn, auf die Steuern. Diese zerfallen in direkte und indirekte; die direkten
Steuern werden willkürlich ausgeschrieben und sind der Hauptanlaß zum Streit,
ihr Erträgnis ist jedoch viel geringer als das der indirekten. Diese zerfallen
in Einfuhr- und in Ausfuhrzölle einerseits und in Markt- und in Torabgaben
anderseits. Die ersten werden von Regierungsbeamten erhoben, die andern
meistens an Private verpachtet, ohne daß jedoch die Pächter das Recht be¬
kämen, die Sätze nach eignem Ermessen festzustellen.


2

Mit der Außenwelt steht Marokko nur zur See in Verbindung, die Hafen¬
städte sind für den Europäer die einzigen Tore des Landes. Sie heißen von
Osten der Reihe nach: Melitta (spanisch). Tetuan (arab. rstaun), Ceuta
(spanisch). Tanger (arab. rana», Larache (arab. ^r-iison), Rabat mit Sta.
Casabianca (arab. M Äg.r se Miä-z.. d.i. das weiße Haus). Asimur. Mazagan
(arab. M ?Ma, d. i. die Neue), Saffi (arab. M ^sü), Mogador (arab.
SuesiÄ, d. i. das Bild), Agadir (geschlossen). Tetuan ist vorzugsweise Araber¬
stadt, die Araber haben hier die Führung und sollen sich durch gute Bildung
auszeichnen. Tanger ist die älteste Stadt des Landes, denn es stammt schon
aus den Tagen Roms; es ist der Haupthafen für den Verkehr mit Europa und


Grenzboten I 1903 26
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[0205] Marokko und ihrer Nachbarschaft, während das Tasilelt solche Möglichkeiten nicht zu bieten scheint. In den Städten werden die Hauptmärkte abgehalten, wo der Landmnuu seine Erzeugnisse verkauft, und wo er einhandelt, was er an Gegenständen der einheimischen und der europäischen Industrie verbraucht. Die heimische Industrie stellt her Wollenzeug. Lederwaren, darunter sehr schöne Pantoffel, Gürtel und Taschen, ferner Teppiche, darunter die vorzüglichen von Rabat, sodann Seidengewebe, eine Spezialität von Fes. Messing- und Eisengegen- stnnde der verschiedensten Art. Die Wollenweberei wird außerhalb der Städte auch von den Landfrauen betrieben. Im Sus gibt es eine primitive Eisen- und Messingindustrie, die einheimisches Material verarbeitet. Das Vor¬ handensein von Eisen- und Kupfererzen in abbauwürdigen Mengen wird von vielen für sicher gehalten, sowohl nördlich wie auch südlich vom Atlas. Wenn man ein Land beschreibt, so soll man auch von der Kunst und der Wissenschaft reden. Ich bin gezwungen, mich hier kurz zu fassen, denn leider ist nicht viel davon zu sagen. Die Kunst besteht nur als Kunsthandwerk und äußert sich in der Teppichwirkerei. Gürtlerei, Täschnerei und Holzschnitzerei. Diese liefern sehr niedliche Gegenstände. Die Bankunst ist technisch ganz gut entwickelt, aber künstlerisch wenig bedeutend, nur in der Stuckarbeit wird hervor¬ ragendes geleistet. Die heutige maurische Kunst ist nur ein Abglanz der alten Herrlichkeit, die man noch auf der Alhambra und in Cordova bewundern kann. Die Wissenschaft beschränkt sich auf das Koranstudium, weil ja der Koran zu¬ gleich Sittengesetz und bürgerliches Gesetz ist. Die Geschichte wird wenig ge¬ pflegt, von einem medizinischen Studium ist kaum die Rede. Der Hauptsitz dieser Wissenschaften ist Fes. Noch auf eineir wichtigen Punkt in dem Leben Marokkos will ich ein¬ gehn, auf die Steuern. Diese zerfallen in direkte und indirekte; die direkten Steuern werden willkürlich ausgeschrieben und sind der Hauptanlaß zum Streit, ihr Erträgnis ist jedoch viel geringer als das der indirekten. Diese zerfallen in Einfuhr- und in Ausfuhrzölle einerseits und in Markt- und in Torabgaben anderseits. Die ersten werden von Regierungsbeamten erhoben, die andern meistens an Private verpachtet, ohne daß jedoch die Pächter das Recht be¬ kämen, die Sätze nach eignem Ermessen festzustellen. 2 Mit der Außenwelt steht Marokko nur zur See in Verbindung, die Hafen¬ städte sind für den Europäer die einzigen Tore des Landes. Sie heißen von Osten der Reihe nach: Melitta (spanisch). Tetuan (arab. rstaun), Ceuta (spanisch). Tanger (arab. rana», Larache (arab. ^r-iison), Rabat mit Sta. Casabianca (arab. M Äg.r se Miä-z.. d.i. das weiße Haus). Asimur. Mazagan (arab. M ?Ma, d. i. die Neue), Saffi (arab. M ^sü), Mogador (arab. SuesiÄ, d. i. das Bild), Agadir (geschlossen). Tetuan ist vorzugsweise Araber¬ stadt, die Araber haben hier die Führung und sollen sich durch gute Bildung auszeichnen. Tanger ist die älteste Stadt des Landes, denn es stammt schon aus den Tagen Roms; es ist der Haupthafen für den Verkehr mit Europa und Grenzboten I 1903 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/205>, abgerufen am 27.11.2024.