Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Die innere Lage Daß das eine wesentliche Erhöhung der Brotgetreidezöllc im Vergleich mit Wesentlich ist noch der Verzicht der Neichstagsmehrheit auf den zu Z 12 des Die innere Lage Daß das eine wesentliche Erhöhung der Brotgetreidezöllc im Vergleich mit Wesentlich ist noch der Verzicht der Neichstagsmehrheit auf den zu Z 12 des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239576"/> <fw type="header" place="top"> Die innere Lage</fw><lb/> <p xml:id="ID_39" prev="#ID_38"> Daß das eine wesentliche Erhöhung der Brotgetreidezöllc im Vergleich mit<lb/> dem bestehenden Nertragstarif bedeutet, ist in den Grenzboten gegen die extrem<lb/> agrarischen Forderungen oft genug betont worden, und daß von „Brotwucher"<lb/> bei dem weitgehenden Notstände der deutschen Landwirtschaft trotzdem nicht<lb/> geredet werden kann, sollte vom sozialdemokratischen Stnudpuukt ans von<lb/> Leuten, die nicht lügen wollen, am wenigsten geleugnet werden. Für Gerste<lb/> hatte der Entwurf einen Mindestzoll von 3 Mark vorgesehen gegenüber dem<lb/> Satz des bestehenden Generaltarifs von 2,25 Mark und des bestehenden Ver-<lb/> tragstarifs von 2 Mark. Im verabschiedeten Gesetz ist der Mindestzoll für<lb/> Futtcrgerste weggefallen, dagegen für die Braugerste ein solcher von 4 Mark<lb/> festgelegt worden. Nichts ist verkehrter und verlogner, als aus dieser Ab¬<lb/> änderung des Gersteuzolls der Negierung den Vorwurf des „Unfalls" zu machen.<lb/> Es möge hier genügen, darauf hinzuweisen, daß gerade Professor I, Conrad<lb/> in Halle, der als „Autiagrarier" verschrieen und gepriesen wird, die Unter-<lb/> scheidung der beiden Gersteuarten und den höhern Schutzzoll für Braugerste<lb/> im volkswirtschaftlichen Interesse warm befürwortet hat, Brotwucher wird man<lb/> den Braugerstenzoll nicht nennen, eine höhere Besteuerung deS Biers als Bier-<lb/> Wucher kaum verdammen können. Die technische Schwierigkeit der Unterscheidung<lb/> der Brau- und der Fnttcrgerste zu bemängeln, haben die übcrprotektiouistischen<lb/> Sozialdemokraten am wenigsten das Recht. Das ProtektionSshstem ist ja ein<lb/> „System" von lauter solchen Schivierigkeiten. Die starke Erhöhung des Haferzolls<lb/> ist eine Sache, die die Agrarier uuter sich abmachen müssen. Tatsächlich schreien<lb/> die Bauern am »leisten danach. Mögen sie ihre Erfahrungen um eignen Leibe<lb/> machen. Die Hauptsache ist: von einem „llmfall" der verbündeten Regierungen<lb/> bei den Mindestzöllen des 8 1 zu reden ist einfach gelogen.</p><lb/> <p xml:id="ID_40" next="#ID_41"> Wesentlich ist noch der Verzicht der Neichstagsmehrheit auf den zu Z 12 des<lb/> Entwurfs gefaßten 5Lonnnissionsbeschlnß, wonach der Tarif spätestens am I.Januar<lb/> 1905 in Kraft treten sollte. Es bleibt hier dabei, daß dieser Zeitpunkt, gesetzlich<lb/> ganz unlimitiert, durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrath<lb/> festgesetzt werden wird. Daß die Regierung in daS Verbot von Gemeinde¬<lb/> abgaben auf Getreide, Hülsenfrüchte, Mehl, Backwaren, Vieh, Fleisch u, dergl.<lb/> vom 1. April 1910 ab, lind in die gesetzliche Festlegung der Mehrertrüge ans<lb/> den wichtigsten Nahrnngsmittelzöllen zur Erleichterung der Durchführung einer<lb/> Witwen- und Waisenversorgung hat einwilligen müssen, kann man als unzweck¬<lb/> mäßig bemängeln, aber ein „llmfall" vor den Agrariern ist auch das auf keinen<lb/> Fall, und eine Verschlechterung des Tarifs als Basis für neue Handelsverträge<lb/> doch vollends nicht. Von großer Bedeutung zu Gunsten der Handelsvertrags¬<lb/> politik dagegen ist der Verzicht des Reichstags auf die von seiner Kommission<lb/> verlangte Festlegung von Mindestzöllen für Vieh, Fleisch u. dergl. Die An¬<lb/> nahme niedrigerer Zölle im Generaltarif — also Maximalzölle — für Spaten,<lb/> Heu- und Düngergabeln, Sensen, Sicheln und andre landwirtschaftliche Be¬<lb/> dürfnisse aus der Produktion der Eisenindustrie wird von der Linken schwerlich<lb/> ernstlich angefochten werden. Wenn aber für eine Reihe zum Teil sehr wich¬<lb/> tiger Nahrungsmittel, namentlich landivirtschaftlicher Produkte, so auch für Vieh<lb/> und Fleisch, und für einzelne industrielle Hilfsstoffe, z. B. Quebrachoholz,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0020]
Die innere Lage
Daß das eine wesentliche Erhöhung der Brotgetreidezöllc im Vergleich mit
dem bestehenden Nertragstarif bedeutet, ist in den Grenzboten gegen die extrem
agrarischen Forderungen oft genug betont worden, und daß von „Brotwucher"
bei dem weitgehenden Notstände der deutschen Landwirtschaft trotzdem nicht
geredet werden kann, sollte vom sozialdemokratischen Stnudpuukt ans von
Leuten, die nicht lügen wollen, am wenigsten geleugnet werden. Für Gerste
hatte der Entwurf einen Mindestzoll von 3 Mark vorgesehen gegenüber dem
Satz des bestehenden Generaltarifs von 2,25 Mark und des bestehenden Ver-
tragstarifs von 2 Mark. Im verabschiedeten Gesetz ist der Mindestzoll für
Futtcrgerste weggefallen, dagegen für die Braugerste ein solcher von 4 Mark
festgelegt worden. Nichts ist verkehrter und verlogner, als aus dieser Ab¬
änderung des Gersteuzolls der Negierung den Vorwurf des „Unfalls" zu machen.
Es möge hier genügen, darauf hinzuweisen, daß gerade Professor I, Conrad
in Halle, der als „Autiagrarier" verschrieen und gepriesen wird, die Unter-
scheidung der beiden Gersteuarten und den höhern Schutzzoll für Braugerste
im volkswirtschaftlichen Interesse warm befürwortet hat, Brotwucher wird man
den Braugerstenzoll nicht nennen, eine höhere Besteuerung deS Biers als Bier-
Wucher kaum verdammen können. Die technische Schwierigkeit der Unterscheidung
der Brau- und der Fnttcrgerste zu bemängeln, haben die übcrprotektiouistischen
Sozialdemokraten am wenigsten das Recht. Das ProtektionSshstem ist ja ein
„System" von lauter solchen Schivierigkeiten. Die starke Erhöhung des Haferzolls
ist eine Sache, die die Agrarier uuter sich abmachen müssen. Tatsächlich schreien
die Bauern am »leisten danach. Mögen sie ihre Erfahrungen um eignen Leibe
machen. Die Hauptsache ist: von einem „llmfall" der verbündeten Regierungen
bei den Mindestzöllen des 8 1 zu reden ist einfach gelogen.
Wesentlich ist noch der Verzicht der Neichstagsmehrheit auf den zu Z 12 des
Entwurfs gefaßten 5Lonnnissionsbeschlnß, wonach der Tarif spätestens am I.Januar
1905 in Kraft treten sollte. Es bleibt hier dabei, daß dieser Zeitpunkt, gesetzlich
ganz unlimitiert, durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrath
festgesetzt werden wird. Daß die Regierung in daS Verbot von Gemeinde¬
abgaben auf Getreide, Hülsenfrüchte, Mehl, Backwaren, Vieh, Fleisch u, dergl.
vom 1. April 1910 ab, lind in die gesetzliche Festlegung der Mehrertrüge ans
den wichtigsten Nahrnngsmittelzöllen zur Erleichterung der Durchführung einer
Witwen- und Waisenversorgung hat einwilligen müssen, kann man als unzweck¬
mäßig bemängeln, aber ein „llmfall" vor den Agrariern ist auch das auf keinen
Fall, und eine Verschlechterung des Tarifs als Basis für neue Handelsverträge
doch vollends nicht. Von großer Bedeutung zu Gunsten der Handelsvertrags¬
politik dagegen ist der Verzicht des Reichstags auf die von seiner Kommission
verlangte Festlegung von Mindestzöllen für Vieh, Fleisch u. dergl. Die An¬
nahme niedrigerer Zölle im Generaltarif — also Maximalzölle — für Spaten,
Heu- und Düngergabeln, Sensen, Sicheln und andre landwirtschaftliche Be¬
dürfnisse aus der Produktion der Eisenindustrie wird von der Linken schwerlich
ernstlich angefochten werden. Wenn aber für eine Reihe zum Teil sehr wich¬
tiger Nahrungsmittel, namentlich landivirtschaftlicher Produkte, so auch für Vieh
und Fleisch, und für einzelne industrielle Hilfsstoffe, z. B. Quebrachoholz,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |