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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Auch der Paragraph 15 des Zolltarifgesetzes beschränkt sich ja nicht ganz aus¬
schließlich auf die eigentlichen Lohnarbeiter, denn zu den Versicherten der In-
validenversicherungsanstalten gehören - abgesehen von den freiwillig Ver¬
sicherten und den dnrch Bnndesratsbeschluß versicherungspflichtig gemachten
sogenannten selbständigen Gewerbetreibenden oder Heimarbeitern -- zunächst auch
alle häuslichen Dienstboten, Die aber sind bis auf einen verhältnismüßig
kleinen Nest weiblichen Geschlechts und unverheiratet und kommen deshalb
wohl für die Witwen- und Waiscnvcrsorgnng nicht in Betracht. Dann aber
sind auch Privatbeamte. Lehrer und Erzieher, Handlungsgehilfen und Handlnngs-
lehrlinge, deren Jahresarbeitsverdienst an Lohn und Gehalt zweitausend Mark
nicht übersteigt, versicherungspflichtig, Reichs-, Staats- und Gemeindebenmte.
auch Lehrer und Erzieher an öffentlichen Schulen sind von der Versichernngs-
Pslicht ausgenommen, sofern ihnen eine Anwartschaft ans Ruhegehalt im
Mindestbetrage der Invalidenrente nach den Sätzen der höchsten Lohnklasse
-- 116 Mark im Jahre -- gewährleistet ist. Damit sind aber weder alle
"Angestellten" in Handel und Industrie noch vollends alle Beamten im offene
lichen Dienst -- um diese beiden wichtigsten hier in Betracht kommenden
Verufsklafsen herauszugreifen -- erfaßt, denen die Unmöglichkeit, für ihre
Hintcrbliebnen auch nur annähernd hinreichende Lebensbedingungen zu sichern,
viel schwerer auf dem Herzen liegen muß als der Masse der Durchschnitts¬
lohnarbeiter.

Daß die Klasse der Angestellten in Handel und Industrie im Laufe der
letzten Jahrzehnte zu einem sehr wichtigen Teile des sogenannten Mittelstandes,
und namentlich des gebildeten Mittelstandes in den Städten geworden ist,
darüber sind wohl alle einig. Ob sie nach dem Jnvalidcuvcrsicherungsgesetz
versicherungspflichtig sind oder nicht, ist dabei unwesentlich. Unser Handel
und unser Großgewerbe können einen zahlreichen, gebildeten eignen Beamten
stand nicht mehr entbehren, und die weitere Entwicklung unsrer Volkswirtschaft,
die wir wünschen müssen oder doch nicht abwenden können, wird dieses Be¬
dürfnis wahrscheinlich noch verschärfen. Die hohen Löhne, die manche solche
Angestellte erhalten, und die häufig genug Staatsbeamte der höchsten Gehalts¬
klassen bestimmen, in den Privatdienst überzutreten, weil sie so für ihre Fa¬
milien noch ein kleines Vermögen zu erwerben hoffen, dürfen uns darüber
nicht täuschen, daß sich die Masse der gebildeten Angestellten -- schon ihrer
großen und stark zunehmenden Anzahl wegen -- mit Löhnen und Gehalten
begnügen muß, die weder den Zweck haben noch die Möglichkett gewähren,
Vermögen anzusammeln, sondern wie die Gehalte im öffentlichen Drenst nur
dazu bestimmt sind und ausreichen, die Kosten der Lebenshaltung eines
Maunes von entsprechendem Bildungsstande mit seiner Familie zu decken und
w besten Falle einen Notgroschen für Zeiten vorübergehender Erwerblostgkeit
und sonstigen Notstands zurückzulegen. Auch die Lebensversicherung kann der
verhältnismäßig hohen Prämien wegen nur für einen Notgroschen sorgen; ein
wirkliches Vermögen, von dessen Zinsen die Hinterbliebnen leben könnten,
vermag der Angestellte in Handel und Industrie auf diesem Wege ebensowenig
sicher zu stellen wie der öffentliche Beamte.

Einen Vermögensnachweis von angehenden Handlungsgehilfen oder Tech-


Auch der Paragraph 15 des Zolltarifgesetzes beschränkt sich ja nicht ganz aus¬
schließlich auf die eigentlichen Lohnarbeiter, denn zu den Versicherten der In-
validenversicherungsanstalten gehören - abgesehen von den freiwillig Ver¬
sicherten und den dnrch Bnndesratsbeschluß versicherungspflichtig gemachten
sogenannten selbständigen Gewerbetreibenden oder Heimarbeitern — zunächst auch
alle häuslichen Dienstboten, Die aber sind bis auf einen verhältnismüßig
kleinen Nest weiblichen Geschlechts und unverheiratet und kommen deshalb
wohl für die Witwen- und Waiscnvcrsorgnng nicht in Betracht. Dann aber
sind auch Privatbeamte. Lehrer und Erzieher, Handlungsgehilfen und Handlnngs-
lehrlinge, deren Jahresarbeitsverdienst an Lohn und Gehalt zweitausend Mark
nicht übersteigt, versicherungspflichtig, Reichs-, Staats- und Gemeindebenmte.
auch Lehrer und Erzieher an öffentlichen Schulen sind von der Versichernngs-
Pslicht ausgenommen, sofern ihnen eine Anwartschaft ans Ruhegehalt im
Mindestbetrage der Invalidenrente nach den Sätzen der höchsten Lohnklasse
— 116 Mark im Jahre — gewährleistet ist. Damit sind aber weder alle
„Angestellten" in Handel und Industrie noch vollends alle Beamten im offene
lichen Dienst — um diese beiden wichtigsten hier in Betracht kommenden
Verufsklafsen herauszugreifen — erfaßt, denen die Unmöglichkeit, für ihre
Hintcrbliebnen auch nur annähernd hinreichende Lebensbedingungen zu sichern,
viel schwerer auf dem Herzen liegen muß als der Masse der Durchschnitts¬
lohnarbeiter.

Daß die Klasse der Angestellten in Handel und Industrie im Laufe der
letzten Jahrzehnte zu einem sehr wichtigen Teile des sogenannten Mittelstandes,
und namentlich des gebildeten Mittelstandes in den Städten geworden ist,
darüber sind wohl alle einig. Ob sie nach dem Jnvalidcuvcrsicherungsgesetz
versicherungspflichtig sind oder nicht, ist dabei unwesentlich. Unser Handel
und unser Großgewerbe können einen zahlreichen, gebildeten eignen Beamten
stand nicht mehr entbehren, und die weitere Entwicklung unsrer Volkswirtschaft,
die wir wünschen müssen oder doch nicht abwenden können, wird dieses Be¬
dürfnis wahrscheinlich noch verschärfen. Die hohen Löhne, die manche solche
Angestellte erhalten, und die häufig genug Staatsbeamte der höchsten Gehalts¬
klassen bestimmen, in den Privatdienst überzutreten, weil sie so für ihre Fa¬
milien noch ein kleines Vermögen zu erwerben hoffen, dürfen uns darüber
nicht täuschen, daß sich die Masse der gebildeten Angestellten — schon ihrer
großen und stark zunehmenden Anzahl wegen — mit Löhnen und Gehalten
begnügen muß, die weder den Zweck haben noch die Möglichkett gewähren,
Vermögen anzusammeln, sondern wie die Gehalte im öffentlichen Drenst nur
dazu bestimmt sind und ausreichen, die Kosten der Lebenshaltung eines
Maunes von entsprechendem Bildungsstande mit seiner Familie zu decken und
w besten Falle einen Notgroschen für Zeiten vorübergehender Erwerblostgkeit
und sonstigen Notstands zurückzulegen. Auch die Lebensversicherung kann der
verhältnismäßig hohen Prämien wegen nur für einen Notgroschen sorgen; ein
wirkliches Vermögen, von dessen Zinsen die Hinterbliebnen leben könnten,
vermag der Angestellte in Handel und Industrie auf diesem Wege ebensowenig
sicher zu stellen wie der öffentliche Beamte.

Einen Vermögensnachweis von angehenden Handlungsgehilfen oder Tech-


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[0193] Auch der Paragraph 15 des Zolltarifgesetzes beschränkt sich ja nicht ganz aus¬ schließlich auf die eigentlichen Lohnarbeiter, denn zu den Versicherten der In- validenversicherungsanstalten gehören - abgesehen von den freiwillig Ver¬ sicherten und den dnrch Bnndesratsbeschluß versicherungspflichtig gemachten sogenannten selbständigen Gewerbetreibenden oder Heimarbeitern — zunächst auch alle häuslichen Dienstboten, Die aber sind bis auf einen verhältnismüßig kleinen Nest weiblichen Geschlechts und unverheiratet und kommen deshalb wohl für die Witwen- und Waiscnvcrsorgnng nicht in Betracht. Dann aber sind auch Privatbeamte. Lehrer und Erzieher, Handlungsgehilfen und Handlnngs- lehrlinge, deren Jahresarbeitsverdienst an Lohn und Gehalt zweitausend Mark nicht übersteigt, versicherungspflichtig, Reichs-, Staats- und Gemeindebenmte. auch Lehrer und Erzieher an öffentlichen Schulen sind von der Versichernngs- Pslicht ausgenommen, sofern ihnen eine Anwartschaft ans Ruhegehalt im Mindestbetrage der Invalidenrente nach den Sätzen der höchsten Lohnklasse — 116 Mark im Jahre — gewährleistet ist. Damit sind aber weder alle „Angestellten" in Handel und Industrie noch vollends alle Beamten im offene lichen Dienst — um diese beiden wichtigsten hier in Betracht kommenden Verufsklafsen herauszugreifen — erfaßt, denen die Unmöglichkeit, für ihre Hintcrbliebnen auch nur annähernd hinreichende Lebensbedingungen zu sichern, viel schwerer auf dem Herzen liegen muß als der Masse der Durchschnitts¬ lohnarbeiter. Daß die Klasse der Angestellten in Handel und Industrie im Laufe der letzten Jahrzehnte zu einem sehr wichtigen Teile des sogenannten Mittelstandes, und namentlich des gebildeten Mittelstandes in den Städten geworden ist, darüber sind wohl alle einig. Ob sie nach dem Jnvalidcuvcrsicherungsgesetz versicherungspflichtig sind oder nicht, ist dabei unwesentlich. Unser Handel und unser Großgewerbe können einen zahlreichen, gebildeten eignen Beamten stand nicht mehr entbehren, und die weitere Entwicklung unsrer Volkswirtschaft, die wir wünschen müssen oder doch nicht abwenden können, wird dieses Be¬ dürfnis wahrscheinlich noch verschärfen. Die hohen Löhne, die manche solche Angestellte erhalten, und die häufig genug Staatsbeamte der höchsten Gehalts¬ klassen bestimmen, in den Privatdienst überzutreten, weil sie so für ihre Fa¬ milien noch ein kleines Vermögen zu erwerben hoffen, dürfen uns darüber nicht täuschen, daß sich die Masse der gebildeten Angestellten — schon ihrer großen und stark zunehmenden Anzahl wegen — mit Löhnen und Gehalten begnügen muß, die weder den Zweck haben noch die Möglichkett gewähren, Vermögen anzusammeln, sondern wie die Gehalte im öffentlichen Drenst nur dazu bestimmt sind und ausreichen, die Kosten der Lebenshaltung eines Maunes von entsprechendem Bildungsstande mit seiner Familie zu decken und w besten Falle einen Notgroschen für Zeiten vorübergehender Erwerblostgkeit und sonstigen Notstands zurückzulegen. Auch die Lebensversicherung kann der verhältnismäßig hohen Prämien wegen nur für einen Notgroschen sorgen; ein wirkliches Vermögen, von dessen Zinsen die Hinterbliebnen leben könnten, vermag der Angestellte in Handel und Industrie auf diesem Wege ebensowenig sicher zu stellen wie der öffentliche Beamte. Einen Vermögensnachweis von angehenden Handlungsgehilfen oder Tech-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/193>, abgerufen am 24.11.2024.