Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ein flüchtiger Blick in die Jahresberichte der höhern Lehranstalten zeigt auch
einem oberflächlichen Leser -- von einem Oberlehrer ganz zu schweigen --, daß
vielerorts bei den Schülerfahrten alles beim alten geblieben ist, noch ehe die Be¬
hörde infolge der Beunruhigung wegen persönlicher Haftbarkeit erklärte, sie würde
gegebnenfalls sofort den Kompetenzkonflikt erheben.

Ich für meine Person nun habe niemals, von zwei Fällen vielleicht abgesehen,
solche Eltern kennen gelernt, die ohne grobe Fahrlässigkeit des Lehrers etwa auf den
Gedanken gekommen wären^ gegen ihn eine Klage auf Schadenersatz anzustrengen.
Deshalb habe ich auch ohne jedes Bedenken die bisher üblichen Turnfahrten, bei
denen die eine oder die andre obere Klasse bis ans die Schneekoppe hinauf "turnt,"
beibehalten; ja ich habe selbst mit einer Anzahl von Primanern größere Reisen
unternommen, wobei uns der Turnlehrer, einmal außerdem auf den Wandrungen
ein Oberlehrer, begleitete. Soweit ich zu urteilen vermag, unterscheiden sich diese
Reisen in der Zeit, der Auswahl der Teilnehmer und der Beschaffung der Mittel
wesentlich von den anderswo üblichen.") Es scheint also wohl gerechtfertigt, daß
hier einige Mitteilungen gemacht und Vorschläge geäußert werden. Vielleicht kann
man dadurch der öfter erörterten Sache eine neue Seite abgewinnen.

Solche größern planmäßigen Schülerfahrten hat im Sinne der bekannten
Forderungen Rousseaus zuerst Basedow in Dessau unternommen, durch Scilzmanu,
Karl Stop und Guts-Muths sind sie weiter ausgebildet worden, und Heinrich Stop
hat sogar ein mehr als dreihundert (I) Seiten langes Werk über die "Pädagogik der
Schulreise" 1898 veröffentlicht, das ich bisher aus Mangel an Zeit nicht gelesen
habe. Über den Zweck und die Bedeutung solcher Reisen als Mittel der Jugend¬
erziehung im allgemeinen begnüge ich mich auf die Abhandlung Beyers in den
Grenzboten, Jahrgang 1894 Ur. 32, zu verweisen. Auch diese Veranstaltungen
dürfen weder überschätzt noch unterschätzt werden. Von "schönen Banden zwischen
Schule und Haus" rede ich uicht weiter, hebe aber nachdrücklich hervor, daß man
bei jeder Reise, sie sei kürzer oder länger, seine Schüler anders kennen lernt als
im Klassenzimmer, und daß dadurch das Verhältnis zwischen Lehrenden und Ler¬
nenden nur segensreich beeinflußt wird. Außerdem bewog mich meine Auffassung
von der nationalen Aufgabe jeder Bildungsanstalt, mit Primanern nach dem Harze
und nach Thüringen zu fahren. Wir haben bei der Jugend zunächst die Ver¬
trautheit mit der Heimat auf jede Weise zu befördern; denn nur das, was man
kennt, kann man lieben. Im spätern Leben hat sich dann die Bekanntschaft mit
dem Vaterlande weiter auszubilden zur Bekanntschaft mit der Fremde, die namentlich
zum Vergleichen wichtig ist. Auf den Wandrungen suche ich in demselben Maße
die Freude an der Natur wie an der Kunst bei den Jünglingen zu erwecken, und
ich glaube, daß durch eine sieben- bis achttägige Reise z. B. über Dresden und
Leipzig nach Weimar und der Wartburg, von da über Friedrichroda und Oberhof
nach Ilmenau und Schwarzburg, dann ins Saaltal und auf die Rudelsbnrg --
daß durch eine solche Schülerfahrt bei einigermaßen empfänglichen Gemütern doch viel¬
leicht auch der jetzt so allgemein beklagten Verarmung an idealen Gütern etwas
vorgebeugt werden kann. Die ans der Natur und der Kunst geschöpfte Anregung
verläuft wohl nur bei recht wenigen wie ein Steppenfluß im Sande. Nicht gering
anzuschlagen ist die Tatsache, daß das Anschauungs- und das Beobachtungsver-



*) Fachgenossen finden nähere Angaben darüber in einer Marienburger Programmabhand¬
lung von Kanker (1900, Ur. 34). Auch die Jahrbücher für Volks- und Jugendspiele enthalten
gute Ausführungen darüber, namentlich der zehnte Band (1901) S. 1S9 ff., ferner die Zeit¬
schrift "Körper und Geist," die im Juli 1902 eine besondre Wandernummer herausgegeben
hat. -- In den Zeitungen machte Dr. Wiese, em Berliner Schriftsteller, bekannt, an 'einer
fünftägigen Ferienreise nach Hamburg und Kiel, die neben Erfrischung und Erholung reiche
Belehrung biete, könnten Schüler höherer Lehranstalten für 60 (statt 65) Mark teilnehmen. Es
wäre interessant, von berufner Seite zu erfahren, ob und mit welchen, Erfolge dieses Anerbieten
von Schülern angenommen worden ist.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ein flüchtiger Blick in die Jahresberichte der höhern Lehranstalten zeigt auch
einem oberflächlichen Leser — von einem Oberlehrer ganz zu schweigen —, daß
vielerorts bei den Schülerfahrten alles beim alten geblieben ist, noch ehe die Be¬
hörde infolge der Beunruhigung wegen persönlicher Haftbarkeit erklärte, sie würde
gegebnenfalls sofort den Kompetenzkonflikt erheben.

Ich für meine Person nun habe niemals, von zwei Fällen vielleicht abgesehen,
solche Eltern kennen gelernt, die ohne grobe Fahrlässigkeit des Lehrers etwa auf den
Gedanken gekommen wären^ gegen ihn eine Klage auf Schadenersatz anzustrengen.
Deshalb habe ich auch ohne jedes Bedenken die bisher üblichen Turnfahrten, bei
denen die eine oder die andre obere Klasse bis ans die Schneekoppe hinauf „turnt,"
beibehalten; ja ich habe selbst mit einer Anzahl von Primanern größere Reisen
unternommen, wobei uns der Turnlehrer, einmal außerdem auf den Wandrungen
ein Oberlehrer, begleitete. Soweit ich zu urteilen vermag, unterscheiden sich diese
Reisen in der Zeit, der Auswahl der Teilnehmer und der Beschaffung der Mittel
wesentlich von den anderswo üblichen.") Es scheint also wohl gerechtfertigt, daß
hier einige Mitteilungen gemacht und Vorschläge geäußert werden. Vielleicht kann
man dadurch der öfter erörterten Sache eine neue Seite abgewinnen.

Solche größern planmäßigen Schülerfahrten hat im Sinne der bekannten
Forderungen Rousseaus zuerst Basedow in Dessau unternommen, durch Scilzmanu,
Karl Stop und Guts-Muths sind sie weiter ausgebildet worden, und Heinrich Stop
hat sogar ein mehr als dreihundert (I) Seiten langes Werk über die „Pädagogik der
Schulreise" 1898 veröffentlicht, das ich bisher aus Mangel an Zeit nicht gelesen
habe. Über den Zweck und die Bedeutung solcher Reisen als Mittel der Jugend¬
erziehung im allgemeinen begnüge ich mich auf die Abhandlung Beyers in den
Grenzboten, Jahrgang 1894 Ur. 32, zu verweisen. Auch diese Veranstaltungen
dürfen weder überschätzt noch unterschätzt werden. Von „schönen Banden zwischen
Schule und Haus" rede ich uicht weiter, hebe aber nachdrücklich hervor, daß man
bei jeder Reise, sie sei kürzer oder länger, seine Schüler anders kennen lernt als
im Klassenzimmer, und daß dadurch das Verhältnis zwischen Lehrenden und Ler¬
nenden nur segensreich beeinflußt wird. Außerdem bewog mich meine Auffassung
von der nationalen Aufgabe jeder Bildungsanstalt, mit Primanern nach dem Harze
und nach Thüringen zu fahren. Wir haben bei der Jugend zunächst die Ver¬
trautheit mit der Heimat auf jede Weise zu befördern; denn nur das, was man
kennt, kann man lieben. Im spätern Leben hat sich dann die Bekanntschaft mit
dem Vaterlande weiter auszubilden zur Bekanntschaft mit der Fremde, die namentlich
zum Vergleichen wichtig ist. Auf den Wandrungen suche ich in demselben Maße
die Freude an der Natur wie an der Kunst bei den Jünglingen zu erwecken, und
ich glaube, daß durch eine sieben- bis achttägige Reise z. B. über Dresden und
Leipzig nach Weimar und der Wartburg, von da über Friedrichroda und Oberhof
nach Ilmenau und Schwarzburg, dann ins Saaltal und auf die Rudelsbnrg —
daß durch eine solche Schülerfahrt bei einigermaßen empfänglichen Gemütern doch viel¬
leicht auch der jetzt so allgemein beklagten Verarmung an idealen Gütern etwas
vorgebeugt werden kann. Die ans der Natur und der Kunst geschöpfte Anregung
verläuft wohl nur bei recht wenigen wie ein Steppenfluß im Sande. Nicht gering
anzuschlagen ist die Tatsache, daß das Anschauungs- und das Beobachtungsver-



*) Fachgenossen finden nähere Angaben darüber in einer Marienburger Programmabhand¬
lung von Kanker (1900, Ur. 34). Auch die Jahrbücher für Volks- und Jugendspiele enthalten
gute Ausführungen darüber, namentlich der zehnte Band (1901) S. 1S9 ff., ferner die Zeit¬
schrift „Körper und Geist," die im Juli 1902 eine besondre Wandernummer herausgegeben
hat. — In den Zeitungen machte Dr. Wiese, em Berliner Schriftsteller, bekannt, an 'einer
fünftägigen Ferienreise nach Hamburg und Kiel, die neben Erfrischung und Erholung reiche
Belehrung biete, könnten Schüler höherer Lehranstalten für 60 (statt 65) Mark teilnehmen. Es
wäre interessant, von berufner Seite zu erfahren, ob und mit welchen, Erfolge dieses Anerbieten
von Schülern angenommen worden ist.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0184" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239740"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_958" prev="#ID_957"> Ein flüchtiger Blick in die Jahresberichte der höhern Lehranstalten zeigt auch<lb/>
einem oberflächlichen Leser &#x2014; von einem Oberlehrer ganz zu schweigen &#x2014;, daß<lb/>
vielerorts bei den Schülerfahrten alles beim alten geblieben ist, noch ehe die Be¬<lb/>
hörde infolge der Beunruhigung wegen persönlicher Haftbarkeit erklärte, sie würde<lb/>
gegebnenfalls sofort den Kompetenzkonflikt erheben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_959"> Ich für meine Person nun habe niemals, von zwei Fällen vielleicht abgesehen,<lb/>
solche Eltern kennen gelernt, die ohne grobe Fahrlässigkeit des Lehrers etwa auf den<lb/>
Gedanken gekommen wären^ gegen ihn eine Klage auf Schadenersatz anzustrengen.<lb/>
Deshalb habe ich auch ohne jedes Bedenken die bisher üblichen Turnfahrten, bei<lb/>
denen die eine oder die andre obere Klasse bis ans die Schneekoppe hinauf &#x201E;turnt,"<lb/>
beibehalten; ja ich habe selbst mit einer Anzahl von Primanern größere Reisen<lb/>
unternommen, wobei uns der Turnlehrer, einmal außerdem auf den Wandrungen<lb/>
ein Oberlehrer, begleitete. Soweit ich zu urteilen vermag, unterscheiden sich diese<lb/>
Reisen in der Zeit, der Auswahl der Teilnehmer und der Beschaffung der Mittel<lb/>
wesentlich von den anderswo üblichen.") Es scheint also wohl gerechtfertigt, daß<lb/>
hier einige Mitteilungen gemacht und Vorschläge geäußert werden. Vielleicht kann<lb/>
man dadurch der öfter erörterten Sache eine neue Seite abgewinnen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_960" next="#ID_961"> Solche größern planmäßigen Schülerfahrten hat im Sinne der bekannten<lb/>
Forderungen Rousseaus zuerst Basedow in Dessau unternommen, durch Scilzmanu,<lb/>
Karl Stop und Guts-Muths sind sie weiter ausgebildet worden, und Heinrich Stop<lb/>
hat sogar ein mehr als dreihundert (I) Seiten langes Werk über die &#x201E;Pädagogik der<lb/>
Schulreise" 1898 veröffentlicht, das ich bisher aus Mangel an Zeit nicht gelesen<lb/>
habe. Über den Zweck und die Bedeutung solcher Reisen als Mittel der Jugend¬<lb/>
erziehung im allgemeinen begnüge ich mich auf die Abhandlung Beyers in den<lb/>
Grenzboten, Jahrgang 1894 Ur. 32, zu verweisen. Auch diese Veranstaltungen<lb/>
dürfen weder überschätzt noch unterschätzt werden. Von &#x201E;schönen Banden zwischen<lb/>
Schule und Haus" rede ich uicht weiter, hebe aber nachdrücklich hervor, daß man<lb/>
bei jeder Reise, sie sei kürzer oder länger, seine Schüler anders kennen lernt als<lb/>
im Klassenzimmer, und daß dadurch das Verhältnis zwischen Lehrenden und Ler¬<lb/>
nenden nur segensreich beeinflußt wird. Außerdem bewog mich meine Auffassung<lb/>
von der nationalen Aufgabe jeder Bildungsanstalt, mit Primanern nach dem Harze<lb/>
und nach Thüringen zu fahren. Wir haben bei der Jugend zunächst die Ver¬<lb/>
trautheit mit der Heimat auf jede Weise zu befördern; denn nur das, was man<lb/>
kennt, kann man lieben. Im spätern Leben hat sich dann die Bekanntschaft mit<lb/>
dem Vaterlande weiter auszubilden zur Bekanntschaft mit der Fremde, die namentlich<lb/>
zum Vergleichen wichtig ist. Auf den Wandrungen suche ich in demselben Maße<lb/>
die Freude an der Natur wie an der Kunst bei den Jünglingen zu erwecken, und<lb/>
ich glaube, daß durch eine sieben- bis achttägige Reise z. B. über Dresden und<lb/>
Leipzig nach Weimar und der Wartburg, von da über Friedrichroda und Oberhof<lb/>
nach Ilmenau und Schwarzburg, dann ins Saaltal und auf die Rudelsbnrg &#x2014;<lb/>
daß durch eine solche Schülerfahrt bei einigermaßen empfänglichen Gemütern doch viel¬<lb/>
leicht auch der jetzt so allgemein beklagten Verarmung an idealen Gütern etwas<lb/>
vorgebeugt werden kann. Die ans der Natur und der Kunst geschöpfte Anregung<lb/>
verläuft wohl nur bei recht wenigen wie ein Steppenfluß im Sande. Nicht gering<lb/>
anzuschlagen ist die Tatsache, daß das Anschauungs- und das Beobachtungsver-</p><lb/>
            <note xml:id="FID_7" place="foot"> *) Fachgenossen finden nähere Angaben darüber in einer Marienburger Programmabhand¬<lb/>
lung von Kanker (1900, Ur. 34). Auch die Jahrbücher für Volks- und Jugendspiele enthalten<lb/>
gute Ausführungen darüber, namentlich der zehnte Band (1901) S. 1S9 ff., ferner die Zeit¬<lb/>
schrift &#x201E;Körper und Geist," die im Juli 1902 eine besondre Wandernummer herausgegeben<lb/>
hat. &#x2014; In den Zeitungen machte Dr. Wiese, em Berliner Schriftsteller, bekannt, an 'einer<lb/>
fünftägigen Ferienreise nach Hamburg und Kiel, die neben Erfrischung und Erholung reiche<lb/>
Belehrung biete, könnten Schüler höherer Lehranstalten für 60 (statt 65) Mark teilnehmen. Es<lb/>
wäre interessant, von berufner Seite zu erfahren, ob und mit welchen, Erfolge dieses Anerbieten<lb/>
von Schülern angenommen worden ist.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0184] Maßgebliches und Unmaßgebliches Ein flüchtiger Blick in die Jahresberichte der höhern Lehranstalten zeigt auch einem oberflächlichen Leser — von einem Oberlehrer ganz zu schweigen —, daß vielerorts bei den Schülerfahrten alles beim alten geblieben ist, noch ehe die Be¬ hörde infolge der Beunruhigung wegen persönlicher Haftbarkeit erklärte, sie würde gegebnenfalls sofort den Kompetenzkonflikt erheben. Ich für meine Person nun habe niemals, von zwei Fällen vielleicht abgesehen, solche Eltern kennen gelernt, die ohne grobe Fahrlässigkeit des Lehrers etwa auf den Gedanken gekommen wären^ gegen ihn eine Klage auf Schadenersatz anzustrengen. Deshalb habe ich auch ohne jedes Bedenken die bisher üblichen Turnfahrten, bei denen die eine oder die andre obere Klasse bis ans die Schneekoppe hinauf „turnt," beibehalten; ja ich habe selbst mit einer Anzahl von Primanern größere Reisen unternommen, wobei uns der Turnlehrer, einmal außerdem auf den Wandrungen ein Oberlehrer, begleitete. Soweit ich zu urteilen vermag, unterscheiden sich diese Reisen in der Zeit, der Auswahl der Teilnehmer und der Beschaffung der Mittel wesentlich von den anderswo üblichen.") Es scheint also wohl gerechtfertigt, daß hier einige Mitteilungen gemacht und Vorschläge geäußert werden. Vielleicht kann man dadurch der öfter erörterten Sache eine neue Seite abgewinnen. Solche größern planmäßigen Schülerfahrten hat im Sinne der bekannten Forderungen Rousseaus zuerst Basedow in Dessau unternommen, durch Scilzmanu, Karl Stop und Guts-Muths sind sie weiter ausgebildet worden, und Heinrich Stop hat sogar ein mehr als dreihundert (I) Seiten langes Werk über die „Pädagogik der Schulreise" 1898 veröffentlicht, das ich bisher aus Mangel an Zeit nicht gelesen habe. Über den Zweck und die Bedeutung solcher Reisen als Mittel der Jugend¬ erziehung im allgemeinen begnüge ich mich auf die Abhandlung Beyers in den Grenzboten, Jahrgang 1894 Ur. 32, zu verweisen. Auch diese Veranstaltungen dürfen weder überschätzt noch unterschätzt werden. Von „schönen Banden zwischen Schule und Haus" rede ich uicht weiter, hebe aber nachdrücklich hervor, daß man bei jeder Reise, sie sei kürzer oder länger, seine Schüler anders kennen lernt als im Klassenzimmer, und daß dadurch das Verhältnis zwischen Lehrenden und Ler¬ nenden nur segensreich beeinflußt wird. Außerdem bewog mich meine Auffassung von der nationalen Aufgabe jeder Bildungsanstalt, mit Primanern nach dem Harze und nach Thüringen zu fahren. Wir haben bei der Jugend zunächst die Ver¬ trautheit mit der Heimat auf jede Weise zu befördern; denn nur das, was man kennt, kann man lieben. Im spätern Leben hat sich dann die Bekanntschaft mit dem Vaterlande weiter auszubilden zur Bekanntschaft mit der Fremde, die namentlich zum Vergleichen wichtig ist. Auf den Wandrungen suche ich in demselben Maße die Freude an der Natur wie an der Kunst bei den Jünglingen zu erwecken, und ich glaube, daß durch eine sieben- bis achttägige Reise z. B. über Dresden und Leipzig nach Weimar und der Wartburg, von da über Friedrichroda und Oberhof nach Ilmenau und Schwarzburg, dann ins Saaltal und auf die Rudelsbnrg — daß durch eine solche Schülerfahrt bei einigermaßen empfänglichen Gemütern doch viel¬ leicht auch der jetzt so allgemein beklagten Verarmung an idealen Gütern etwas vorgebeugt werden kann. Die ans der Natur und der Kunst geschöpfte Anregung verläuft wohl nur bei recht wenigen wie ein Steppenfluß im Sande. Nicht gering anzuschlagen ist die Tatsache, daß das Anschauungs- und das Beobachtungsver- *) Fachgenossen finden nähere Angaben darüber in einer Marienburger Programmabhand¬ lung von Kanker (1900, Ur. 34). Auch die Jahrbücher für Volks- und Jugendspiele enthalten gute Ausführungen darüber, namentlich der zehnte Band (1901) S. 1S9 ff., ferner die Zeit¬ schrift „Körper und Geist," die im Juli 1902 eine besondre Wandernummer herausgegeben hat. — In den Zeitungen machte Dr. Wiese, em Berliner Schriftsteller, bekannt, an 'einer fünftägigen Ferienreise nach Hamburg und Kiel, die neben Erfrischung und Erholung reiche Belehrung biete, könnten Schüler höherer Lehranstalten für 60 (statt 65) Mark teilnehmen. Es wäre interessant, von berufner Seite zu erfahren, ob und mit welchen, Erfolge dieses Anerbieten von Schülern angenommen worden ist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/184
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/184>, abgerufen am 24.11.2024.