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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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könnten oder der Zeitpunkt für das Inkrafttreten des neuen Tarifs vom
Kaiser bestimmt werden würde. Das wolle man beim Lesen der nachstehenden
Gedanken über die innere Lage beim Jahreswechsel von vornherein berück¬
sichtigen.

Der Kampf um den Zolltarif, der unser politisches Leben jahrelang und
vornehmlich im letzten Jahre in hohem Grade erregt und verbittert hat, ist
durch die verfassungsmäßige Verabschiedung deS Gesetzes durch Reichstag und
Buudesrat noch im alten Jahre zu Ende gebracht worden. Das ist unstreitig
ein Ergebnis von außerordentlicher und bei unbefangner Beurteilung auch von
höchst erfreulicher Bedeutung. Mochte man auch vom prinzipiellen und theo¬
retischen Standpunkt aus schon an dem Negiernngsentwnrf des neuen Tarifs
manche Änderung für wünschenswert halten, mochte man erst recht manche
Änderung, die die Kommission vorgenommen hatte, und die durch die "Ver-
ständigung" Gesetz geworden ist, als verfehlt betrachten, so war doch die
rechtzeitige Herstellung der von den verbündeten Regierungen für unentbehrlich
erkannten neuen gesetzlichen Basis für die Vereinbarung neuer Haudelsvertrüge
ein so auf der Hand liegendes, dringendes Bedürfnis, daß wir schon vor
Jahresfrist trotz aller prinzipiellen und theoretischen Bedenken die schleunige
Einigung der Mehrheit ans der Regierungsvorlage empfehlen mußten und uns
auch jetzt -- nach der monatelangen unnötigen Verzögerung dieser Einigung --
des ungewöhnlich beschleunigte" Znstandebringens des Gesetzes im berechtigten
Interesse der praktischen Politik aufrichtig erfreuen können. Immer haben
wir die Ansicht vertreten, daß man bei der Neuordnung unsrer handelspolitischen
Beziehungen zum Auslande in: Reichstag den verbündeten Regierungen und
der zur Vereinbarung von Handelsverträgen berufnen Stelle ein größeres
Maß von Vertrauen entgegen bringen, in weiteren Umfange freie Hand lassen
müsse, als man bis in die jüngste Zeit rechts ebenso wie links gewillt war.
Die Natur internationaler Verhandlungen macht das doch nun einmal unab¬
weisbar nötig. Vollends hier, wo es sich um die Vereinbarung eines neuen Netzes
internationaler Handelsverträge über Europa hinaus handelt, bei denen nicht nur
der Ausgleich zwischeu den Interessen Deutschlands und des Auslands in Be¬
tracht kommt, souderu sich auch die vielgestaltigen handelspolitischen Beziehungen
der außerdeutschen Vertragsstaaten untereinander überall geltend machen. Ganz
abgesehen von den rein politischen Rücksichten, die -- man mag theoretisch
sich uoch so sehr bemühen, Politik und Handelspolitik auseinander zu halten --
praktisch doch vielfach vou großem Einfluß sein müssen. Kaum von einer
unsrer Parteien wird es bestritten, daß die Handelsverträge des Deutschen
Reichs in gewissem Grade bestimmend sein können für die Gestaltung der Ge¬
samtheit der neuen Handelsverträge der Welt überhaupt. Gerade deshalb sollte
man doch einsehen, daß unsrer Diplomatie in der Verabredung neuer Handelsver¬
träge eine ganz außerordentlich große, heikle, verantwortungsvolle Aufgabe ge¬
stellt ist, deren gedeihliche Lösung dnrch nichts so sehr gefährdet würde, als
dnrch parlamentarische Vinknlierungen und Indiskretionen. Jeder verständige
Parlamentarier, der überhaupt die Fortführung einer den Bedürfnissen des
Deutschen Reichs entsprechenden Handelsvertragspolitik wollte, mußte es als


Grenzboten I 1903 2

könnten oder der Zeitpunkt für das Inkrafttreten des neuen Tarifs vom
Kaiser bestimmt werden würde. Das wolle man beim Lesen der nachstehenden
Gedanken über die innere Lage beim Jahreswechsel von vornherein berück¬
sichtigen.

Der Kampf um den Zolltarif, der unser politisches Leben jahrelang und
vornehmlich im letzten Jahre in hohem Grade erregt und verbittert hat, ist
durch die verfassungsmäßige Verabschiedung deS Gesetzes durch Reichstag und
Buudesrat noch im alten Jahre zu Ende gebracht worden. Das ist unstreitig
ein Ergebnis von außerordentlicher und bei unbefangner Beurteilung auch von
höchst erfreulicher Bedeutung. Mochte man auch vom prinzipiellen und theo¬
retischen Standpunkt aus schon an dem Negiernngsentwnrf des neuen Tarifs
manche Änderung für wünschenswert halten, mochte man erst recht manche
Änderung, die die Kommission vorgenommen hatte, und die durch die „Ver-
ständigung" Gesetz geworden ist, als verfehlt betrachten, so war doch die
rechtzeitige Herstellung der von den verbündeten Regierungen für unentbehrlich
erkannten neuen gesetzlichen Basis für die Vereinbarung neuer Haudelsvertrüge
ein so auf der Hand liegendes, dringendes Bedürfnis, daß wir schon vor
Jahresfrist trotz aller prinzipiellen und theoretischen Bedenken die schleunige
Einigung der Mehrheit ans der Regierungsvorlage empfehlen mußten und uns
auch jetzt — nach der monatelangen unnötigen Verzögerung dieser Einigung —
des ungewöhnlich beschleunigte» Znstandebringens des Gesetzes im berechtigten
Interesse der praktischen Politik aufrichtig erfreuen können. Immer haben
wir die Ansicht vertreten, daß man bei der Neuordnung unsrer handelspolitischen
Beziehungen zum Auslande in: Reichstag den verbündeten Regierungen und
der zur Vereinbarung von Handelsverträgen berufnen Stelle ein größeres
Maß von Vertrauen entgegen bringen, in weiteren Umfange freie Hand lassen
müsse, als man bis in die jüngste Zeit rechts ebenso wie links gewillt war.
Die Natur internationaler Verhandlungen macht das doch nun einmal unab¬
weisbar nötig. Vollends hier, wo es sich um die Vereinbarung eines neuen Netzes
internationaler Handelsverträge über Europa hinaus handelt, bei denen nicht nur
der Ausgleich zwischeu den Interessen Deutschlands und des Auslands in Be¬
tracht kommt, souderu sich auch die vielgestaltigen handelspolitischen Beziehungen
der außerdeutschen Vertragsstaaten untereinander überall geltend machen. Ganz
abgesehen von den rein politischen Rücksichten, die — man mag theoretisch
sich uoch so sehr bemühen, Politik und Handelspolitik auseinander zu halten —
praktisch doch vielfach vou großem Einfluß sein müssen. Kaum von einer
unsrer Parteien wird es bestritten, daß die Handelsverträge des Deutschen
Reichs in gewissem Grade bestimmend sein können für die Gestaltung der Ge¬
samtheit der neuen Handelsverträge der Welt überhaupt. Gerade deshalb sollte
man doch einsehen, daß unsrer Diplomatie in der Verabredung neuer Handelsver¬
träge eine ganz außerordentlich große, heikle, verantwortungsvolle Aufgabe ge¬
stellt ist, deren gedeihliche Lösung dnrch nichts so sehr gefährdet würde, als
dnrch parlamentarische Vinknlierungen und Indiskretionen. Jeder verständige
Parlamentarier, der überhaupt die Fortführung einer den Bedürfnissen des
Deutschen Reichs entsprechenden Handelsvertragspolitik wollte, mußte es als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/17>, abgerufen am 27.11.2024.