Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Leibniz

eine Lösung, die das besiegte Frankreich schonte, und sie wünschten noch Ver¬
handlungen mit dem Papst, um dem Unternehmen den Charakter eines gewalt¬
samen Überfalls zu nehmen. Doch als die Entscheidung fiel, war Govones
Gesundheit schon schwer erschüttert, ebenso durch die fieberhafte Tätigkeit in
seinem Departement während der letzten Wochen wie durch die ungerechten
Anklagen, deren Ziel er am 3. August gewesen war. Am 7. September legte
er sein Amt nieder. Umnachteten Geistes ist er, 46 Jahre alt, am 25. Januar
1872 auf seinem Stammsitz Alba in Piemont gestorben.

Govones Name bleibt vor allem mit der preußisch-italienischen Allianz
von 1866 verknüpft. Daß er der Mittelsmann war, ist sein historisches Ver¬
dienst. Die wahre Bedeutung dieser Allianz aber hat er so wenig wie sein
Lehrmeister Lmnarmora erkannt. Auch er dachte nicht daran, daß sich sein
Vaterland durch diese Verbindung vom französischen Gängelbande frei machen
konnte und, frei machen sollte. Auch er war in einer Politik befangen, die
zugleich die Vorteile der französischen und der preußischen Allianz genießen
wollte. Persönlich hatte er Eigenschaften, die ihn sympathisch machten. Die
preußischen Staatsmänner redeten von ihm mit Achtung. Bismarck selbst
unterschied den "anständigen" Govone bestimmt von Lmnarmora, über den er
sich einmal in wegwerfendster Weise nusspmch. (Busch 3, 337.) Govone, der
mißtrauische Diplomat, war zugleich ein ehrlicher, freimütiger und klarsehender
Soldat. Die Kriegführung Lamarmoras fand an ihm, so eng er mit diesem
verbunden war, einen scharfen und sich rückhaltlos aussprechenden Tadler.
Daß diese Kriegführung der Ehre der Nation nicht entsprach, dafür hatte er
ein lebhaftes Verständnis. Ihre Folgen sind für Preußen ohne Nachteil ge¬
blieben, aber sie fielen schwer auf Italien zurück, das noch jahrelang vom
Gezänke seiner Generale, ihrer Ankläger und Verteidiger widerhallte. Noch bis
zum Jahre 1870 schwankte das Land zwischen dem alten und dem neuen Verbün¬
deten. Erst nachdem das Kaiserreich zusammengebrochen war, abermals durch
deutsche Siege, wich das Gefühl der Abhängigkeit von Frankreich, das bis dahin
wie ein hypnotischer Bann auf Italien gelastet hatte. Bismarck hatte Recht be¬
halten, der vorausschauend das Bündnis mit Italien ein Ereignis von historischer
Bedeutung nannte, das über den gegenwärtigen Augenblick hinausgreifend eine
w. L. neue fruchtbare Zeit in dem Leben beider Völker einleiten werde.




Leibniz
2. Aletaphysik und Geisteswissenschaften

le exakte Wissenschaft hat es nur mit der Welt der Erscheinungen
zu tun. Aber daß man eine solche abgrenzen könne, ist schon
ein metaphysischer Gedanke. Die Erscheinung ist kein leerer oder
täuschender Schein, sondern eine Wirklichkeit, die sich dadurch als
Wirklichkeit erweist, daß die einzelnen Erscheinungen untereinander
mit den "ewigen Wahrheiten," den Forderungen der Logik übereinstimmen,
daß sich das Eintreffen jeder spätern aus den vorhergehenden berechnen


Leibniz

eine Lösung, die das besiegte Frankreich schonte, und sie wünschten noch Ver¬
handlungen mit dem Papst, um dem Unternehmen den Charakter eines gewalt¬
samen Überfalls zu nehmen. Doch als die Entscheidung fiel, war Govones
Gesundheit schon schwer erschüttert, ebenso durch die fieberhafte Tätigkeit in
seinem Departement während der letzten Wochen wie durch die ungerechten
Anklagen, deren Ziel er am 3. August gewesen war. Am 7. September legte
er sein Amt nieder. Umnachteten Geistes ist er, 46 Jahre alt, am 25. Januar
1872 auf seinem Stammsitz Alba in Piemont gestorben.

Govones Name bleibt vor allem mit der preußisch-italienischen Allianz
von 1866 verknüpft. Daß er der Mittelsmann war, ist sein historisches Ver¬
dienst. Die wahre Bedeutung dieser Allianz aber hat er so wenig wie sein
Lehrmeister Lmnarmora erkannt. Auch er dachte nicht daran, daß sich sein
Vaterland durch diese Verbindung vom französischen Gängelbande frei machen
konnte und, frei machen sollte. Auch er war in einer Politik befangen, die
zugleich die Vorteile der französischen und der preußischen Allianz genießen
wollte. Persönlich hatte er Eigenschaften, die ihn sympathisch machten. Die
preußischen Staatsmänner redeten von ihm mit Achtung. Bismarck selbst
unterschied den „anständigen" Govone bestimmt von Lmnarmora, über den er
sich einmal in wegwerfendster Weise nusspmch. (Busch 3, 337.) Govone, der
mißtrauische Diplomat, war zugleich ein ehrlicher, freimütiger und klarsehender
Soldat. Die Kriegführung Lamarmoras fand an ihm, so eng er mit diesem
verbunden war, einen scharfen und sich rückhaltlos aussprechenden Tadler.
Daß diese Kriegführung der Ehre der Nation nicht entsprach, dafür hatte er
ein lebhaftes Verständnis. Ihre Folgen sind für Preußen ohne Nachteil ge¬
blieben, aber sie fielen schwer auf Italien zurück, das noch jahrelang vom
Gezänke seiner Generale, ihrer Ankläger und Verteidiger widerhallte. Noch bis
zum Jahre 1870 schwankte das Land zwischen dem alten und dem neuen Verbün¬
deten. Erst nachdem das Kaiserreich zusammengebrochen war, abermals durch
deutsche Siege, wich das Gefühl der Abhängigkeit von Frankreich, das bis dahin
wie ein hypnotischer Bann auf Italien gelastet hatte. Bismarck hatte Recht be¬
halten, der vorausschauend das Bündnis mit Italien ein Ereignis von historischer
Bedeutung nannte, das über den gegenwärtigen Augenblick hinausgreifend eine
w. L. neue fruchtbare Zeit in dem Leben beider Völker einleiten werde.




Leibniz
2. Aletaphysik und Geisteswissenschaften

le exakte Wissenschaft hat es nur mit der Welt der Erscheinungen
zu tun. Aber daß man eine solche abgrenzen könne, ist schon
ein metaphysischer Gedanke. Die Erscheinung ist kein leerer oder
täuschender Schein, sondern eine Wirklichkeit, die sich dadurch als
Wirklichkeit erweist, daß die einzelnen Erscheinungen untereinander
mit den „ewigen Wahrheiten," den Forderungen der Logik übereinstimmen,
daß sich das Eintreffen jeder spätern aus den vorhergehenden berechnen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0145" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239701"/>
          <fw type="header" place="top"> Leibniz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_716" prev="#ID_715"> eine Lösung, die das besiegte Frankreich schonte, und sie wünschten noch Ver¬<lb/>
handlungen mit dem Papst, um dem Unternehmen den Charakter eines gewalt¬<lb/>
samen Überfalls zu nehmen. Doch als die Entscheidung fiel, war Govones<lb/>
Gesundheit schon schwer erschüttert, ebenso durch die fieberhafte Tätigkeit in<lb/>
seinem Departement während der letzten Wochen wie durch die ungerechten<lb/>
Anklagen, deren Ziel er am 3. August gewesen war. Am 7. September legte<lb/>
er sein Amt nieder. Umnachteten Geistes ist er, 46 Jahre alt, am 25. Januar<lb/>
1872 auf seinem Stammsitz Alba in Piemont gestorben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_717"> Govones Name bleibt vor allem mit der preußisch-italienischen Allianz<lb/>
von 1866 verknüpft. Daß er der Mittelsmann war, ist sein historisches Ver¬<lb/>
dienst. Die wahre Bedeutung dieser Allianz aber hat er so wenig wie sein<lb/>
Lehrmeister Lmnarmora erkannt. Auch er dachte nicht daran, daß sich sein<lb/>
Vaterland durch diese Verbindung vom französischen Gängelbande frei machen<lb/>
konnte und, frei machen sollte. Auch er war in einer Politik befangen, die<lb/>
zugleich die Vorteile der französischen und der preußischen Allianz genießen<lb/>
wollte. Persönlich hatte er Eigenschaften, die ihn sympathisch machten. Die<lb/>
preußischen Staatsmänner redeten von ihm mit Achtung. Bismarck selbst<lb/>
unterschied den &#x201E;anständigen" Govone bestimmt von Lmnarmora, über den er<lb/>
sich einmal in wegwerfendster Weise nusspmch. (Busch 3, 337.) Govone, der<lb/>
mißtrauische Diplomat, war zugleich ein ehrlicher, freimütiger und klarsehender<lb/>
Soldat. Die Kriegführung Lamarmoras fand an ihm, so eng er mit diesem<lb/>
verbunden war, einen scharfen und sich rückhaltlos aussprechenden Tadler.<lb/>
Daß diese Kriegführung der Ehre der Nation nicht entsprach, dafür hatte er<lb/>
ein lebhaftes Verständnis. Ihre Folgen sind für Preußen ohne Nachteil ge¬<lb/>
blieben, aber sie fielen schwer auf Italien zurück, das noch jahrelang vom<lb/>
Gezänke seiner Generale, ihrer Ankläger und Verteidiger widerhallte. Noch bis<lb/>
zum Jahre 1870 schwankte das Land zwischen dem alten und dem neuen Verbün¬<lb/>
deten. Erst nachdem das Kaiserreich zusammengebrochen war, abermals durch<lb/>
deutsche Siege, wich das Gefühl der Abhängigkeit von Frankreich, das bis dahin<lb/>
wie ein hypnotischer Bann auf Italien gelastet hatte. Bismarck hatte Recht be¬<lb/>
halten, der vorausschauend das Bündnis mit Italien ein Ereignis von historischer<lb/>
Bedeutung nannte, das über den gegenwärtigen Augenblick hinausgreifend eine<lb/><note type="byline"> w. L.</note> neue fruchtbare Zeit in dem Leben beider Völker einleiten werde.  </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Leibniz<lb/>
2. Aletaphysik und Geisteswissenschaften</head><lb/>
          <p xml:id="ID_718" next="#ID_719"> le exakte Wissenschaft hat es nur mit der Welt der Erscheinungen<lb/>
zu tun. Aber daß man eine solche abgrenzen könne, ist schon<lb/>
ein metaphysischer Gedanke. Die Erscheinung ist kein leerer oder<lb/>
täuschender Schein, sondern eine Wirklichkeit, die sich dadurch als<lb/>
Wirklichkeit erweist, daß die einzelnen Erscheinungen untereinander<lb/>
mit den &#x201E;ewigen Wahrheiten," den Forderungen der Logik übereinstimmen,<lb/>
daß sich das Eintreffen jeder spätern aus den vorhergehenden berechnen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0145] Leibniz eine Lösung, die das besiegte Frankreich schonte, und sie wünschten noch Ver¬ handlungen mit dem Papst, um dem Unternehmen den Charakter eines gewalt¬ samen Überfalls zu nehmen. Doch als die Entscheidung fiel, war Govones Gesundheit schon schwer erschüttert, ebenso durch die fieberhafte Tätigkeit in seinem Departement während der letzten Wochen wie durch die ungerechten Anklagen, deren Ziel er am 3. August gewesen war. Am 7. September legte er sein Amt nieder. Umnachteten Geistes ist er, 46 Jahre alt, am 25. Januar 1872 auf seinem Stammsitz Alba in Piemont gestorben. Govones Name bleibt vor allem mit der preußisch-italienischen Allianz von 1866 verknüpft. Daß er der Mittelsmann war, ist sein historisches Ver¬ dienst. Die wahre Bedeutung dieser Allianz aber hat er so wenig wie sein Lehrmeister Lmnarmora erkannt. Auch er dachte nicht daran, daß sich sein Vaterland durch diese Verbindung vom französischen Gängelbande frei machen konnte und, frei machen sollte. Auch er war in einer Politik befangen, die zugleich die Vorteile der französischen und der preußischen Allianz genießen wollte. Persönlich hatte er Eigenschaften, die ihn sympathisch machten. Die preußischen Staatsmänner redeten von ihm mit Achtung. Bismarck selbst unterschied den „anständigen" Govone bestimmt von Lmnarmora, über den er sich einmal in wegwerfendster Weise nusspmch. (Busch 3, 337.) Govone, der mißtrauische Diplomat, war zugleich ein ehrlicher, freimütiger und klarsehender Soldat. Die Kriegführung Lamarmoras fand an ihm, so eng er mit diesem verbunden war, einen scharfen und sich rückhaltlos aussprechenden Tadler. Daß diese Kriegführung der Ehre der Nation nicht entsprach, dafür hatte er ein lebhaftes Verständnis. Ihre Folgen sind für Preußen ohne Nachteil ge¬ blieben, aber sie fielen schwer auf Italien zurück, das noch jahrelang vom Gezänke seiner Generale, ihrer Ankläger und Verteidiger widerhallte. Noch bis zum Jahre 1870 schwankte das Land zwischen dem alten und dem neuen Verbün¬ deten. Erst nachdem das Kaiserreich zusammengebrochen war, abermals durch deutsche Siege, wich das Gefühl der Abhängigkeit von Frankreich, das bis dahin wie ein hypnotischer Bann auf Italien gelastet hatte. Bismarck hatte Recht be¬ halten, der vorausschauend das Bündnis mit Italien ein Ereignis von historischer Bedeutung nannte, das über den gegenwärtigen Augenblick hinausgreifend eine w. L. neue fruchtbare Zeit in dem Leben beider Völker einleiten werde. Leibniz 2. Aletaphysik und Geisteswissenschaften le exakte Wissenschaft hat es nur mit der Welt der Erscheinungen zu tun. Aber daß man eine solche abgrenzen könne, ist schon ein metaphysischer Gedanke. Die Erscheinung ist kein leerer oder täuschender Schein, sondern eine Wirklichkeit, die sich dadurch als Wirklichkeit erweist, daß die einzelnen Erscheinungen untereinander mit den „ewigen Wahrheiten," den Forderungen der Logik übereinstimmen, daß sich das Eintreffen jeder spätern aus den vorhergehenden berechnen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/145
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/145>, abgerufen am 24.11.2024.