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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Die preußisch-italienische Allianz von Z866
(Schluß)

in 4. Ma teilte der Kaiser dem Gesandten Nigra mit, daß Osterreich
zur Abtretung Venetiens an den Kaiser bereit sei, der es dann gro߬
mütig wie seinerzeit die Lombardei an Italien überlassen werde.
Dasselbe Angebot brachte Prinz Napoleon am folgenden Tage nach
Florenz. Italien sollte also, Venetiens sicher, von dein Bündnis
mit Preußen abgezogen werden und in dem bevorstehenden Kriege seine Neutralität
erklären. Bekanntlich hat Italien die Versuchung abgewiesen, es ist dem Ver¬
trage, durch den es für drei Monate gebunden war, treu geblieben, und seine
Staatsmänner waren und sind heute noch auf diese Vertragstreue uicht wenig
stolz. Der König war empört über die Zumutung eines offnen Vertragsbruchs,
und auch Lamarmoras Rechtschaffenheit bäumte sich dagegen auf. Der Buchstabe
des Vertrags durfte nicht verletzt werden. Aber es war doch, nach dein Geständnis
Jacinis, ein wrribil rooinsuto für die italienischen Minister, ehe sie sich in der
Nacht vom 5. zum 6. Mai zu einer ablehnenden Antwort entschlossen. In der
Form, wie das Angebot gemacht war, konnte es nicht angenommen werden. Aber
ohne Eindruck hat es nicht bleiben können. Die Lage war nicht mehr dieselbe,
und diese veränderte Situation ist dann wirklich auch nach jenem Ministerrat hin
und her erwogen worden. Es war immerhin eine starke Verlockung, ohne das
Wagnis eines Krieges in den Besitz Venetiens zu gelangen. Man konnte
vielleicht durch diplomatische Ausflüchte und Verhandlungen die Entscheidung
noch hinausziehn, bis die dreimonatige Frist verstrichen war. Von Lamarmora
weiß man ja, daß er im Grnnde seines Herzens den friedlichen Erwerb
Venetiens vorgezogen hätte. Um der Ehre des Landes willen schien es vor
allem darauf anzukommen, daß Venetien nicht als kaiserliches Geschenk an
Italien kam, sondern diesem unmittelbar abgetreten wurde.

Entscheidend war am Ende, was der Kaiser dazu sagte; die kriegerische Politik
fortzusetzen, wenn der Kaiser seine Gunst entzog, das schien doch ein bedenkliches
Wagnis, und das war insbesondre die Meinung Govones. Dieser hatte sofort
die Weisung erhalten, nach Paris zu reisen und sich mit Nigra oder mit dem
Kaiser selbst zu besprechen, und er legte hier am 8. Mai Nigra eine Denk¬
schrift vor, die, ohne die Annahme des österreichischen Vorschlags zu empfehlen,
doch die Gründe für und wider eingehend erörterte und Satze enthielt, wie
diese: "Wenn wir in ein Arrangement mit Österreich einwilligten, würden
wir nur tun, was unter Umständen ohne Zweifel Preußen ente. Wollten
wir uns von Preußen trennen, so könnten wir es mit denselben Subtilitäten
tun, deren sich Preußen nach seinen eignen Erklärungen gegen uns bedienen
würde, wenn es ihm paßte. . , . Wenn Frankreich nicht mit uns ist, so könnte
die Negierung des Königs nicht wohl die Verantwortung dafür übernehmen,




Die preußisch-italienische Allianz von Z866
(Schluß)

in 4. Ma teilte der Kaiser dem Gesandten Nigra mit, daß Osterreich
zur Abtretung Venetiens an den Kaiser bereit sei, der es dann gro߬
mütig wie seinerzeit die Lombardei an Italien überlassen werde.
Dasselbe Angebot brachte Prinz Napoleon am folgenden Tage nach
Florenz. Italien sollte also, Venetiens sicher, von dein Bündnis
mit Preußen abgezogen werden und in dem bevorstehenden Kriege seine Neutralität
erklären. Bekanntlich hat Italien die Versuchung abgewiesen, es ist dem Ver¬
trage, durch den es für drei Monate gebunden war, treu geblieben, und seine
Staatsmänner waren und sind heute noch auf diese Vertragstreue uicht wenig
stolz. Der König war empört über die Zumutung eines offnen Vertragsbruchs,
und auch Lamarmoras Rechtschaffenheit bäumte sich dagegen auf. Der Buchstabe
des Vertrags durfte nicht verletzt werden. Aber es war doch, nach dein Geständnis
Jacinis, ein wrribil rooinsuto für die italienischen Minister, ehe sie sich in der
Nacht vom 5. zum 6. Mai zu einer ablehnenden Antwort entschlossen. In der
Form, wie das Angebot gemacht war, konnte es nicht angenommen werden. Aber
ohne Eindruck hat es nicht bleiben können. Die Lage war nicht mehr dieselbe,
und diese veränderte Situation ist dann wirklich auch nach jenem Ministerrat hin
und her erwogen worden. Es war immerhin eine starke Verlockung, ohne das
Wagnis eines Krieges in den Besitz Venetiens zu gelangen. Man konnte
vielleicht durch diplomatische Ausflüchte und Verhandlungen die Entscheidung
noch hinausziehn, bis die dreimonatige Frist verstrichen war. Von Lamarmora
weiß man ja, daß er im Grnnde seines Herzens den friedlichen Erwerb
Venetiens vorgezogen hätte. Um der Ehre des Landes willen schien es vor
allem darauf anzukommen, daß Venetien nicht als kaiserliches Geschenk an
Italien kam, sondern diesem unmittelbar abgetreten wurde.

Entscheidend war am Ende, was der Kaiser dazu sagte; die kriegerische Politik
fortzusetzen, wenn der Kaiser seine Gunst entzog, das schien doch ein bedenkliches
Wagnis, und das war insbesondre die Meinung Govones. Dieser hatte sofort
die Weisung erhalten, nach Paris zu reisen und sich mit Nigra oder mit dem
Kaiser selbst zu besprechen, und er legte hier am 8. Mai Nigra eine Denk¬
schrift vor, die, ohne die Annahme des österreichischen Vorschlags zu empfehlen,
doch die Gründe für und wider eingehend erörterte und Satze enthielt, wie
diese: „Wenn wir in ein Arrangement mit Österreich einwilligten, würden
wir nur tun, was unter Umständen ohne Zweifel Preußen ente. Wollten
wir uns von Preußen trennen, so könnten wir es mit denselben Subtilitäten
tun, deren sich Preußen nach seinen eignen Erklärungen gegen uns bedienen
würde, wenn es ihm paßte. . , . Wenn Frankreich nicht mit uns ist, so könnte
die Negierung des Königs nicht wohl die Verantwortung dafür übernehmen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/135>, abgerufen am 27.11.2024.