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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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Scheiks Christus und der Bischof von Rottenburg

verständigen Menschen --, daß die Kirche in ihr Kinderkleid kriechen und die
Formen des Urchristentums wieder herstellen soll (diese Forderung wäre schon
deswegen unerfüllbar, weil wir die Einrichtungen und die Lebensweise der
Christen des apostolischen Zeitalters nur aus dürftigen Andentungen kennen),
aber daß die in der Zeit entstandnen und darum auch dem Gesetze zeitlichen
Vergehns unterworfnen spätern Lebenserscheinungen der Kirche nicht zum Wesen
des Christentums gehören, und daß gerade das Wesen von den eifernden
Kirchenmünnern gering geschätzt wird, sagt er deutlich genug, z, B, Seite 25:
"Jesus legt das ganze Heil in die Erkenntnis des allein wahren und allein
guten Gottes. Er spricht den glaubenseifrigen Wächtern des geoffenbarten
Gottesglaubens geradezu die Gotteserkenutnis ab. Welche weite Kluft trennt
ihn also von jenen, die im Glauben an den einzigen Gott und Schöpfer das
Religionsbekenntnis des Jndifferentismus bespötteln und deu Schwerpunkt des
Christentums in Lehren verlegen, die selber nicht Gotteserkenntnis sind!"

So ist denn Scheiks Buch eine höchst erfreuliche Erscheinung; ein Stein
in der Grundlage, deren Bau vor mehr als hundert Jahren von edeln
Männern begonnen worden ist, und auf der zwar nicht die Vereinigung, wohl
aber eine Verständigung der Konfessionen dereinst vollzogen werden kann, wie
sie im letzten Hefte der vorjährigen Grenzboten ("Eine konfessionelle Friedens¬
liga") empfohlen worden ist. Scheiks Buch ist ein Band der von Kampers,
Merkte und spähn herausgegebnen "Weltgeschichte in Charakterbildern." Wir
begrüßen auch dieses ganze Unternehmen als einen erfreulichen Beweis für
den Eifer, mit dem die deutschen Katholiken ihre wissenschaftliche Inferiorität
zu überwinden bestrebt sind, und gehn auf die Bedenken, die dagegen erhoben
werden können, nicht ein, z. V. ob aus einer bloßen Biographiensammlung
eine wirkliche Weltgeschichte herauskommen könne, ob dazu nicht wenigstens
eine sehr große Menge solcher dünnen Bünde notwendig sein würden, ob der
Titel noch paßt, wenn der Nahmen der Biographie überschritten wird und
in einem Bande "Das deutsche Volk und die Weltwirtschaft" behandelt wird,
ein Thema zudem, das mehr der Gegenwart und der Zukunft als der ge¬
schichtlichen Vergangenheit angehört, und ob nicht in einem Werke, das sich
mehr im biographischen als im geographischen und in: kulturgeschichtlichen
Gebiete bewegt, der überreiche Vilderschmuck ein ungehöriges Zugeständnis an
den Zeitgeschmack genannt werden muß. Im Christus scheint uns die Illustration:
eine gute Auswahl vou Christusbildern, sehr angebracht. Wenn die welt¬
geschichtliche Bedeutung des Christentums dargestellt werden soll, so muß auch
eine Vorstellung davon gegeben werden, wie es auf Phantasie und Gemüt
eingewirkt hat, und wie diese Wirkung bei deu verschiednen Völkern und zu
verschiednen Zeiten in Kunstwerken offenbar geworden ist.




Scheiks Christus und der Bischof von Rottenburg

verständigen Menschen —, daß die Kirche in ihr Kinderkleid kriechen und die
Formen des Urchristentums wieder herstellen soll (diese Forderung wäre schon
deswegen unerfüllbar, weil wir die Einrichtungen und die Lebensweise der
Christen des apostolischen Zeitalters nur aus dürftigen Andentungen kennen),
aber daß die in der Zeit entstandnen und darum auch dem Gesetze zeitlichen
Vergehns unterworfnen spätern Lebenserscheinungen der Kirche nicht zum Wesen
des Christentums gehören, und daß gerade das Wesen von den eifernden
Kirchenmünnern gering geschätzt wird, sagt er deutlich genug, z, B, Seite 25:
„Jesus legt das ganze Heil in die Erkenntnis des allein wahren und allein
guten Gottes. Er spricht den glaubenseifrigen Wächtern des geoffenbarten
Gottesglaubens geradezu die Gotteserkenutnis ab. Welche weite Kluft trennt
ihn also von jenen, die im Glauben an den einzigen Gott und Schöpfer das
Religionsbekenntnis des Jndifferentismus bespötteln und deu Schwerpunkt des
Christentums in Lehren verlegen, die selber nicht Gotteserkenntnis sind!"

So ist denn Scheiks Buch eine höchst erfreuliche Erscheinung; ein Stein
in der Grundlage, deren Bau vor mehr als hundert Jahren von edeln
Männern begonnen worden ist, und auf der zwar nicht die Vereinigung, wohl
aber eine Verständigung der Konfessionen dereinst vollzogen werden kann, wie
sie im letzten Hefte der vorjährigen Grenzboten („Eine konfessionelle Friedens¬
liga") empfohlen worden ist. Scheiks Buch ist ein Band der von Kampers,
Merkte und spähn herausgegebnen „Weltgeschichte in Charakterbildern." Wir
begrüßen auch dieses ganze Unternehmen als einen erfreulichen Beweis für
den Eifer, mit dem die deutschen Katholiken ihre wissenschaftliche Inferiorität
zu überwinden bestrebt sind, und gehn auf die Bedenken, die dagegen erhoben
werden können, nicht ein, z. V. ob aus einer bloßen Biographiensammlung
eine wirkliche Weltgeschichte herauskommen könne, ob dazu nicht wenigstens
eine sehr große Menge solcher dünnen Bünde notwendig sein würden, ob der
Titel noch paßt, wenn der Nahmen der Biographie überschritten wird und
in einem Bande „Das deutsche Volk und die Weltwirtschaft" behandelt wird,
ein Thema zudem, das mehr der Gegenwart und der Zukunft als der ge¬
schichtlichen Vergangenheit angehört, und ob nicht in einem Werke, das sich
mehr im biographischen als im geographischen und in: kulturgeschichtlichen
Gebiete bewegt, der überreiche Vilderschmuck ein ungehöriges Zugeständnis an
den Zeitgeschmack genannt werden muß. Im Christus scheint uns die Illustration:
eine gute Auswahl vou Christusbildern, sehr angebracht. Wenn die welt¬
geschichtliche Bedeutung des Christentums dargestellt werden soll, so muß auch
eine Vorstellung davon gegeben werden, wie es auf Phantasie und Gemüt
eingewirkt hat, und wie diese Wirkung bei deu verschiednen Völkern und zu
verschiednen Zeiten in Kunstwerken offenbar geworden ist.




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[0134] Scheiks Christus und der Bischof von Rottenburg verständigen Menschen —, daß die Kirche in ihr Kinderkleid kriechen und die Formen des Urchristentums wieder herstellen soll (diese Forderung wäre schon deswegen unerfüllbar, weil wir die Einrichtungen und die Lebensweise der Christen des apostolischen Zeitalters nur aus dürftigen Andentungen kennen), aber daß die in der Zeit entstandnen und darum auch dem Gesetze zeitlichen Vergehns unterworfnen spätern Lebenserscheinungen der Kirche nicht zum Wesen des Christentums gehören, und daß gerade das Wesen von den eifernden Kirchenmünnern gering geschätzt wird, sagt er deutlich genug, z, B, Seite 25: „Jesus legt das ganze Heil in die Erkenntnis des allein wahren und allein guten Gottes. Er spricht den glaubenseifrigen Wächtern des geoffenbarten Gottesglaubens geradezu die Gotteserkenutnis ab. Welche weite Kluft trennt ihn also von jenen, die im Glauben an den einzigen Gott und Schöpfer das Religionsbekenntnis des Jndifferentismus bespötteln und deu Schwerpunkt des Christentums in Lehren verlegen, die selber nicht Gotteserkenntnis sind!" So ist denn Scheiks Buch eine höchst erfreuliche Erscheinung; ein Stein in der Grundlage, deren Bau vor mehr als hundert Jahren von edeln Männern begonnen worden ist, und auf der zwar nicht die Vereinigung, wohl aber eine Verständigung der Konfessionen dereinst vollzogen werden kann, wie sie im letzten Hefte der vorjährigen Grenzboten („Eine konfessionelle Friedens¬ liga") empfohlen worden ist. Scheiks Buch ist ein Band der von Kampers, Merkte und spähn herausgegebnen „Weltgeschichte in Charakterbildern." Wir begrüßen auch dieses ganze Unternehmen als einen erfreulichen Beweis für den Eifer, mit dem die deutschen Katholiken ihre wissenschaftliche Inferiorität zu überwinden bestrebt sind, und gehn auf die Bedenken, die dagegen erhoben werden können, nicht ein, z. V. ob aus einer bloßen Biographiensammlung eine wirkliche Weltgeschichte herauskommen könne, ob dazu nicht wenigstens eine sehr große Menge solcher dünnen Bünde notwendig sein würden, ob der Titel noch paßt, wenn der Nahmen der Biographie überschritten wird und in einem Bande „Das deutsche Volk und die Weltwirtschaft" behandelt wird, ein Thema zudem, das mehr der Gegenwart und der Zukunft als der ge¬ schichtlichen Vergangenheit angehört, und ob nicht in einem Werke, das sich mehr im biographischen als im geographischen und in: kulturgeschichtlichen Gebiete bewegt, der überreiche Vilderschmuck ein ungehöriges Zugeständnis an den Zeitgeschmack genannt werden muß. Im Christus scheint uns die Illustration: eine gute Auswahl vou Christusbildern, sehr angebracht. Wenn die welt¬ geschichtliche Bedeutung des Christentums dargestellt werden soll, so muß auch eine Vorstellung davon gegeben werden, wie es auf Phantasie und Gemüt eingewirkt hat, und wie diese Wirkung bei deu verschiednen Völkern und zu verschiednen Zeiten in Kunstwerken offenbar geworden ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/134>, abgerufen am 24.11.2024.