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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

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eignen Darstellungen zu erbleichen, und so berechtigt die Sympathie für die
schwächere Partei und ihre Führer gewesen war, als ein Volk von Helden er¬
scheinen danach die Buren keineswegs mehr; ja manche Stimmen erinnern schon
an die Polenbegeistcrung vou 1831, die wir jetzt als die Verirrung eines
politisch ganz ungeschälter Volks belächeln. Aber haben wir jetzt etwa eine
bessere Schulung bewiesen? Nun, der unglückselige Krieg ist zu Ende, und
eine ruhigere Stimmung beginnt sich endlich einzustellen; diese Möglichkeit, das
"Volk" gegen die Politik seines Kaisers zu verhetzen, ist nnn abgeschnitten,
und man wird wohl endlich anfangen, sie als eine berechtigte und wohlüber¬
legte zu begreifen.

Wie Deutschland in China mit England gegangen ist, so haben sich jetzt
beide Mächte verbündet, ihre Forderungen in Venezuela, wenn es sein muß
mit Gewalt durchzusetzen. Daß die Partie so für uns sehr viel günstiger
steht, als wenn wir die Sache allein, ohne Flottenstützpunkt in Amerika aus-
fechten müßten, das muß selbst der kurzsichtigste Englaudhnsser zugeben. Die
Politik des .Kaisers gegenüber der nordamerikanischen Union beginnt ihre Früchte
zu tragen, denn sie legt der deutsch-englischen Exekution gegen den dreisten
südafrikanischen Gernegroß nicht nur kein Hindernis in den Weg, sondern
hat auch die Staatsangehörigen der beiden Mächte unter ihren Schutz ge¬
nommen. Wieder einmal tritt es jedem deutlich vor Augen, daß der Ausbau
unsrer Schlachtflotte und die Vermehrung der Anslandschiffe zu den dringendsten
Erfordernissen unsrer Politik gehört, und ohne diese Expansionspolitik, die sich
nicht mir in unsern aufblühenden Kolonien, sondern auch noch weit mehr in
der Ausbreitung unsers Handels und in der Anlage deutschen Kapitals in
zahllosen Unternehmungen auf fremdem Boden äußert, kann Deutschland nicht
mehr bestehn, seitdem es überwiegend zu einem nicht zum geringsten Teile für
die Ausfuhr arbeitenden, also vom Auslande wirtschaftlich abhängigen Jndnstrie-
staate geworden ist. Aber auch noch aus einem andern Grunde erweist sie sich
als unvermeidlich. Was unsre Getreidepreise drückt nud die "Not der Land¬
wirtschaft" begründet, soweit diese uicht durch Verschuldung, unverständige Lebens¬
führung und allzugroße Ansprüche der Grundeigentümer herbeigeführt wird,
das ist doch schließlich die Konkurrenz solcher Länder -- Rußlands, Ungarns,
Nordamerikas --, die billigere und dabei bessere Qualitäten produzieren, als
es der deutsche Boden, der keineswegs zu den besonders gesegneten gehört, mit
seinen teuern Arbeitskräften vermag. Gegen diesen Druck kann kein Zolltarif
Mlf die Dauer helfen, und er wird sich noch steigern, wenn anch die uralten,
nur verwüsteten Kulturländer, die dereinst die Bagdadbahn durchzieh" soll, ihre
Gctreidemasseu über Europa ausschickten werde". Schon ertönen deshalb War-
nungsrufe vor der Förderung dieses großen Unternehmens, das keineswegs in
deutschem Interesse liege; nur vergessen diese klugen Leute, daß die Frage gar
nicht mehr so steht, ob die Bahn gebant werden soll, sondern nur noch so,
"b sie von Deutschen oder von Fremden gebaut werden soll. Bemächtigen wir
uns wirtschaftlich dieser Gebiete, dann fließen uns wenigstens die Vorteile des
Unternehmertuius zu; wollten wir das Fremden überlassen, so würden Nur die
Konkurrenz dieser Länder mit unsrer heimischen Landwirtschaft zwar keineswegs


Zum neuen Jahr

eignen Darstellungen zu erbleichen, und so berechtigt die Sympathie für die
schwächere Partei und ihre Führer gewesen war, als ein Volk von Helden er¬
scheinen danach die Buren keineswegs mehr; ja manche Stimmen erinnern schon
an die Polenbegeistcrung vou 1831, die wir jetzt als die Verirrung eines
politisch ganz ungeschälter Volks belächeln. Aber haben wir jetzt etwa eine
bessere Schulung bewiesen? Nun, der unglückselige Krieg ist zu Ende, und
eine ruhigere Stimmung beginnt sich endlich einzustellen; diese Möglichkeit, das
„Volk" gegen die Politik seines Kaisers zu verhetzen, ist nnn abgeschnitten,
und man wird wohl endlich anfangen, sie als eine berechtigte und wohlüber¬
legte zu begreifen.

Wie Deutschland in China mit England gegangen ist, so haben sich jetzt
beide Mächte verbündet, ihre Forderungen in Venezuela, wenn es sein muß
mit Gewalt durchzusetzen. Daß die Partie so für uns sehr viel günstiger
steht, als wenn wir die Sache allein, ohne Flottenstützpunkt in Amerika aus-
fechten müßten, das muß selbst der kurzsichtigste Englaudhnsser zugeben. Die
Politik des .Kaisers gegenüber der nordamerikanischen Union beginnt ihre Früchte
zu tragen, denn sie legt der deutsch-englischen Exekution gegen den dreisten
südafrikanischen Gernegroß nicht nur kein Hindernis in den Weg, sondern
hat auch die Staatsangehörigen der beiden Mächte unter ihren Schutz ge¬
nommen. Wieder einmal tritt es jedem deutlich vor Augen, daß der Ausbau
unsrer Schlachtflotte und die Vermehrung der Anslandschiffe zu den dringendsten
Erfordernissen unsrer Politik gehört, und ohne diese Expansionspolitik, die sich
nicht mir in unsern aufblühenden Kolonien, sondern auch noch weit mehr in
der Ausbreitung unsers Handels und in der Anlage deutschen Kapitals in
zahllosen Unternehmungen auf fremdem Boden äußert, kann Deutschland nicht
mehr bestehn, seitdem es überwiegend zu einem nicht zum geringsten Teile für
die Ausfuhr arbeitenden, also vom Auslande wirtschaftlich abhängigen Jndnstrie-
staate geworden ist. Aber auch noch aus einem andern Grunde erweist sie sich
als unvermeidlich. Was unsre Getreidepreise drückt nud die „Not der Land¬
wirtschaft" begründet, soweit diese uicht durch Verschuldung, unverständige Lebens¬
führung und allzugroße Ansprüche der Grundeigentümer herbeigeführt wird,
das ist doch schließlich die Konkurrenz solcher Länder — Rußlands, Ungarns,
Nordamerikas —, die billigere und dabei bessere Qualitäten produzieren, als
es der deutsche Boden, der keineswegs zu den besonders gesegneten gehört, mit
seinen teuern Arbeitskräften vermag. Gegen diesen Druck kann kein Zolltarif
Mlf die Dauer helfen, und er wird sich noch steigern, wenn anch die uralten,
nur verwüsteten Kulturländer, die dereinst die Bagdadbahn durchzieh» soll, ihre
Gctreidemasseu über Europa ausschickten werde». Schon ertönen deshalb War-
nungsrufe vor der Förderung dieses großen Unternehmens, das keineswegs in
deutschem Interesse liege; nur vergessen diese klugen Leute, daß die Frage gar
nicht mehr so steht, ob die Bahn gebant werden soll, sondern nur noch so,
"b sie von Deutschen oder von Fremden gebaut werden soll. Bemächtigen wir
uns wirtschaftlich dieser Gebiete, dann fließen uns wenigstens die Vorteile des
Unternehmertuius zu; wollten wir das Fremden überlassen, so würden Nur die
Konkurrenz dieser Länder mit unsrer heimischen Landwirtschaft zwar keineswegs


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/13>, abgerufen am 24.11.2024.