Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.Eine Inselreihe durch das griechische Meer während der Wächter sorgfältig unter jedem Stein nachsah, ob etwa der Schlüssel Ein eiskalter Wind, wie ich ihn der Insel Delos überhaupt nie zugetraut Wir verließen unsern unerfreulichen Aufenthalt, sobald der Regen nur ein Eine Inselreihe durch das griechische Meer während der Wächter sorgfältig unter jedem Stein nachsah, ob etwa der Schlüssel Ein eiskalter Wind, wie ich ihn der Insel Delos überhaupt nie zugetraut Wir verließen unsern unerfreulichen Aufenthalt, sobald der Regen nur ein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239664"/> <fw type="header" place="top"> Eine Inselreihe durch das griechische Meer</fw><lb/> <p xml:id="ID_473" prev="#ID_472"> während der Wächter sorgfältig unter jedem Stein nachsah, ob etwa der Schlüssel<lb/> darunter läge.</p><lb/> <p xml:id="ID_474"> Ein eiskalter Wind, wie ich ihn der Insel Delos überhaupt nie zugetraut<lb/> hätte, fegte über das kahle Gefilde und wachte uns erschauern, während der<lb/> Regen in unheimlicher Fülle auf uns niederschlug. Zum Glück dauerte es nicht<lb/> lange, bis auch der andre Wächter, den Schafpelz über Kopf und Nacken ge¬<lb/> zogen und den Schlüssel in der Hand, herbeigeeilt kam. Er hatte die Boote<lb/> herangeholt und vorher den Schlüssel abzugeben vergessen. Nun konnten wir<lb/> wenigstens unter Dach und Fach kommen, indem der größere Teil der Gesell¬<lb/> schaft in dem Wächterhäuschen selbst, der kleinere in einem der starkduftenden<lb/> Steinhäuschen Platz fand, die des Nachts den Schafen zum Ausenthalt dienen.<lb/> Gegen die Behausung dieses Hirten muß das Anwesen des alten Sau-<lb/> Hirten Eumäus der reine Palast gewesen sein. Eng, schmutzig und fensterlos<lb/> glich sie mehr einer Höhle als einer menschlichen Wohnstüttc. In der einen<lb/> Ecke war aus Steinen eine primitive Feuerstelle errichtet. Als einzige Sitz-<lb/> und zugleich Liegegelegenheit diente das sogenannte Bett, bestehend aus einigen<lb/> Brettern, die mit schmutzigen Schaffellen bedeckt waren. Der Phylax, höflich<lb/> wie er war, machte die Honneurs seiner Höhle, indem er die ihm die vor¬<lb/> nehmste scheinende Dame — es war Dörpfelds Gattin — aufforderte, auf<lb/> seinem Staatssofa Platz zu nehmen. Die Frau Professor spürte jedoch<lb/> begreiflicherweise nicht die mindeste Lust, mit den zweifelhaften und nicht<lb/> gerade goldnen Vließen in nähere Berührung zu kommen, und lehnte die Ein¬<lb/> ladung ab. Das nahm nun wieder der Wächter übel und bemerkte nachdrücklich,<lb/> daß es in seinem Hause kein Ungeziefer gebe. Um ihn zu begütigen, opferte<lb/> sich dann die Je^rlg, Dörpfeld und mit ihr eine andre unsrer Damen. Beide<lb/> setzten sich mit Heroismus in die Wolle, während wir Herren von unserm<lb/> schönen Privilegium, stehn zu dürfen, mit Freuden Gebrauch machten.</p><lb/> <p xml:id="ID_475" next="#ID_476"> Wir verließen unsern unerfreulichen Aufenthalt, sobald der Regen nur ein<lb/> wenig nachgelassen hatte. Inzwischen war bemerkt worden, daß einer von<lb/> unsrer Gesellschaft fehlte. Er hatte die Expedition nach der Toteninsel mit¬<lb/> gemacht und war nun nirgends zu finden. Von den Teilnehmern dieser Fahrt<lb/> erinnerte sich keiner, ihn auch bei der Rückfahrt im Boote gesehen zu haben.<lb/> So mußten wir uns, nachdem wir auf dem Trümmerfelde vergeblich nach ihm<lb/> gesucht und gerufen hatten, dazu entschließen, das eine Boot nochmals nach<lb/> Nheneia hinüberzusenden, um dort «ach dem Verlornen Sohn zu forschen. Da<lb/> fand man ihn denn auch in der Tat. Er hatte sich, leichtsinnig wie die Jngend<lb/> ist, an eine versteckte Stelle des Strandes gelegt, war eingeschlafen und so<lb/> zurückgelassen worden. Der Regen hatte ihn geweckt, und er war dann wie<lb/> ein Verzweifelter am Strande umhergeirrt und hatte die Stimme, die suchende,<lb/> weithin geschickt, ohne daß ein Nachen vom rettenden Strande gestoßen wäre.<lb/> Da er nun uicht Lust hatte, auf Rheneia eine Robinsonade aufzuführen,<lb/> so wäre ihm schließlich nichts andres übrig geblieben, als sich auf der Quaran¬<lb/> tänestation zu melden und bei den Verdächtigen internieren zu lassen, womit<lb/> er selber verdächtig geworden wäre. Er hätte dann wahrscheinlich tagelang in<lb/> der gelblichen Baracke sitzen und dann nach dem Piräus zurückkehren müssen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0108]
Eine Inselreihe durch das griechische Meer
während der Wächter sorgfältig unter jedem Stein nachsah, ob etwa der Schlüssel
darunter läge.
Ein eiskalter Wind, wie ich ihn der Insel Delos überhaupt nie zugetraut
hätte, fegte über das kahle Gefilde und wachte uns erschauern, während der
Regen in unheimlicher Fülle auf uns niederschlug. Zum Glück dauerte es nicht
lange, bis auch der andre Wächter, den Schafpelz über Kopf und Nacken ge¬
zogen und den Schlüssel in der Hand, herbeigeeilt kam. Er hatte die Boote
herangeholt und vorher den Schlüssel abzugeben vergessen. Nun konnten wir
wenigstens unter Dach und Fach kommen, indem der größere Teil der Gesell¬
schaft in dem Wächterhäuschen selbst, der kleinere in einem der starkduftenden
Steinhäuschen Platz fand, die des Nachts den Schafen zum Ausenthalt dienen.
Gegen die Behausung dieses Hirten muß das Anwesen des alten Sau-
Hirten Eumäus der reine Palast gewesen sein. Eng, schmutzig und fensterlos
glich sie mehr einer Höhle als einer menschlichen Wohnstüttc. In der einen
Ecke war aus Steinen eine primitive Feuerstelle errichtet. Als einzige Sitz-
und zugleich Liegegelegenheit diente das sogenannte Bett, bestehend aus einigen
Brettern, die mit schmutzigen Schaffellen bedeckt waren. Der Phylax, höflich
wie er war, machte die Honneurs seiner Höhle, indem er die ihm die vor¬
nehmste scheinende Dame — es war Dörpfelds Gattin — aufforderte, auf
seinem Staatssofa Platz zu nehmen. Die Frau Professor spürte jedoch
begreiflicherweise nicht die mindeste Lust, mit den zweifelhaften und nicht
gerade goldnen Vließen in nähere Berührung zu kommen, und lehnte die Ein¬
ladung ab. Das nahm nun wieder der Wächter übel und bemerkte nachdrücklich,
daß es in seinem Hause kein Ungeziefer gebe. Um ihn zu begütigen, opferte
sich dann die Je^rlg, Dörpfeld und mit ihr eine andre unsrer Damen. Beide
setzten sich mit Heroismus in die Wolle, während wir Herren von unserm
schönen Privilegium, stehn zu dürfen, mit Freuden Gebrauch machten.
Wir verließen unsern unerfreulichen Aufenthalt, sobald der Regen nur ein
wenig nachgelassen hatte. Inzwischen war bemerkt worden, daß einer von
unsrer Gesellschaft fehlte. Er hatte die Expedition nach der Toteninsel mit¬
gemacht und war nun nirgends zu finden. Von den Teilnehmern dieser Fahrt
erinnerte sich keiner, ihn auch bei der Rückfahrt im Boote gesehen zu haben.
So mußten wir uns, nachdem wir auf dem Trümmerfelde vergeblich nach ihm
gesucht und gerufen hatten, dazu entschließen, das eine Boot nochmals nach
Nheneia hinüberzusenden, um dort «ach dem Verlornen Sohn zu forschen. Da
fand man ihn denn auch in der Tat. Er hatte sich, leichtsinnig wie die Jngend
ist, an eine versteckte Stelle des Strandes gelegt, war eingeschlafen und so
zurückgelassen worden. Der Regen hatte ihn geweckt, und er war dann wie
ein Verzweifelter am Strande umhergeirrt und hatte die Stimme, die suchende,
weithin geschickt, ohne daß ein Nachen vom rettenden Strande gestoßen wäre.
Da er nun uicht Lust hatte, auf Rheneia eine Robinsonade aufzuführen,
so wäre ihm schließlich nichts andres übrig geblieben, als sich auf der Quaran¬
tänestation zu melden und bei den Verdächtigen internieren zu lassen, womit
er selber verdächtig geworden wäre. Er hätte dann wahrscheinlich tagelang in
der gelblichen Baracke sitzen und dann nach dem Piräus zurückkehren müssen.
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