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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Von einer Weltreise

von den Matrosen herab bis zum Schiffsjungen mit dem Tauende geprügelt
und hinten von den Schiffsoffizieren, obwohl sie teures Geld für die Über¬
fahrt bezahlen mußten, Sie lagen so eng an Deck, daß sie immer über die
ihrem Aufenthalt gezognen Grenzen überquollen. Eine einfache Leine sperrte
sie ein und wurde natürlich oft genug von der eingeengten Menschenmasse nicht
respektiert. Das gab immer neue Gelegenheiten zu Handgreiflichkeiten. Wollte
man durch sie hindurch gehn, so schob man die liegenden mit dem Stiefel
beiseite, und nachts trat man darauf; ich erinnere mich noch des wunderbaren
Gefühls, auf schlafende Menschenleiber getreten zu sein, aber man scheute sich
davor weniger, als unter sie zu fallen. Für alle Mißachtungen hatten sie nur
Verwünschungen. Sie konnten jeden Augenblick das Schiff in die Hand be¬
kommen, indem sie vorn und hinten die Weißen einsperrten und mitschiffs die
sechs bis acht Mann überwältigten. Es ist das auch schon einmal vor¬
gekommen vor einigen Jahren. Nachdem die Europäer zum Teil getötet, zum
Teil eingesperrt waren, kamen seerüubernde Chinesen ans einigen Dutzend
Segelschiffen nach Verabredung läugsseit und plünderten mit den chinesischen
Passagieren das Schiff, das sie schließlich sich selbst überließen. Das Schiff
erreichte mit dem Reste der Besatzung den Hafen. Es gab eine lange Unter¬
suchung. Einige Chinesen wurden geköpft. Aber in solchen Fällen erlaubt
man sich immer zu zweifeln, ob es auch die richtigen waren. Danach hat man
auf einigen Reisen für Waffen gesorgt. Aber zu meiner Zeit wurde das schon
wieder außer acht gelassen. Wir bekamen dann einen drei Tage währenden
Taifun. Damit die dreihundert Chinesen nicht über Bord gespült würden,
mußten sie in die Kohlenbunker und haben dort drei schreckliche Tage ver¬
bracht unter dem furchtbaren Tosen des Sturmes, das einem das Wort im
Munde überdröhute, in stockfinstrer Nacht, ohne Essen und Trinken, im Dunkeln
alle Katastrophen der Seekrankheit erlebend, mit Frauen und Kindern, auf
einem unebnen und hin und her rollenden Boden, sie selbst in der Dunkelheit
bestündig über- und durcheinander geschüttelt.

Am Tage nach dem Sturm, als die See noch unruhig, aber die Lage
doch nicht mehr gefährlich war, wurde an der Luke, die in die Kohlenbunker
führte, eine Bohle gelüftet. Eine Galerie von Köpfen garnierte beständig
diese Öffnung, um frische Luft zu schöpfen. Über der Luke stand ein Matrose
mit einem Knüppel, um den, der heransklcttern wollte, auf die Nase zu schlagen.
Schließlich durften sie alle wieder ans Tageslicht, schwarz wie die Neger von
den Kohlen gefärbt, froh, daß sie ihr Leben noch hatten. Einer allerdings
kam sterbend heraus.

In den ostafrikanischen Häfen kommen indische Kaufleute an Bord und
breiten an Deck ihre Waren aus. Während der Tage im Hafen ist der Kapitän
meist an Land, und der erste Offizier Herr im Schiff. Er kann von den
Händlern von Bord jagen, wen er will. Darum müssen diese ihn bei guter
Laune halten, ihm Vorzugspreise, zuweilen auch Geschenke geben. Manchmal
hat auch der Offizier etwas zu verkaufen. So sah ich unsern ersten Offizier
einmal einen wertvollen Bambusstuhl verhandeln, den ihm ein Passagier
hinterlassen. Das gab folgende Szene: Der Inder bietet, der Seemann ver-


Von einer Weltreise

von den Matrosen herab bis zum Schiffsjungen mit dem Tauende geprügelt
und hinten von den Schiffsoffizieren, obwohl sie teures Geld für die Über¬
fahrt bezahlen mußten, Sie lagen so eng an Deck, daß sie immer über die
ihrem Aufenthalt gezognen Grenzen überquollen. Eine einfache Leine sperrte
sie ein und wurde natürlich oft genug von der eingeengten Menschenmasse nicht
respektiert. Das gab immer neue Gelegenheiten zu Handgreiflichkeiten. Wollte
man durch sie hindurch gehn, so schob man die liegenden mit dem Stiefel
beiseite, und nachts trat man darauf; ich erinnere mich noch des wunderbaren
Gefühls, auf schlafende Menschenleiber getreten zu sein, aber man scheute sich
davor weniger, als unter sie zu fallen. Für alle Mißachtungen hatten sie nur
Verwünschungen. Sie konnten jeden Augenblick das Schiff in die Hand be¬
kommen, indem sie vorn und hinten die Weißen einsperrten und mitschiffs die
sechs bis acht Mann überwältigten. Es ist das auch schon einmal vor¬
gekommen vor einigen Jahren. Nachdem die Europäer zum Teil getötet, zum
Teil eingesperrt waren, kamen seerüubernde Chinesen ans einigen Dutzend
Segelschiffen nach Verabredung läugsseit und plünderten mit den chinesischen
Passagieren das Schiff, das sie schließlich sich selbst überließen. Das Schiff
erreichte mit dem Reste der Besatzung den Hafen. Es gab eine lange Unter¬
suchung. Einige Chinesen wurden geköpft. Aber in solchen Fällen erlaubt
man sich immer zu zweifeln, ob es auch die richtigen waren. Danach hat man
auf einigen Reisen für Waffen gesorgt. Aber zu meiner Zeit wurde das schon
wieder außer acht gelassen. Wir bekamen dann einen drei Tage währenden
Taifun. Damit die dreihundert Chinesen nicht über Bord gespült würden,
mußten sie in die Kohlenbunker und haben dort drei schreckliche Tage ver¬
bracht unter dem furchtbaren Tosen des Sturmes, das einem das Wort im
Munde überdröhute, in stockfinstrer Nacht, ohne Essen und Trinken, im Dunkeln
alle Katastrophen der Seekrankheit erlebend, mit Frauen und Kindern, auf
einem unebnen und hin und her rollenden Boden, sie selbst in der Dunkelheit
bestündig über- und durcheinander geschüttelt.

Am Tage nach dem Sturm, als die See noch unruhig, aber die Lage
doch nicht mehr gefährlich war, wurde an der Luke, die in die Kohlenbunker
führte, eine Bohle gelüftet. Eine Galerie von Köpfen garnierte beständig
diese Öffnung, um frische Luft zu schöpfen. Über der Luke stand ein Matrose
mit einem Knüppel, um den, der heransklcttern wollte, auf die Nase zu schlagen.
Schließlich durften sie alle wieder ans Tageslicht, schwarz wie die Neger von
den Kohlen gefärbt, froh, daß sie ihr Leben noch hatten. Einer allerdings
kam sterbend heraus.

In den ostafrikanischen Häfen kommen indische Kaufleute an Bord und
breiten an Deck ihre Waren aus. Während der Tage im Hafen ist der Kapitän
meist an Land, und der erste Offizier Herr im Schiff. Er kann von den
Händlern von Bord jagen, wen er will. Darum müssen diese ihn bei guter
Laune halten, ihm Vorzugspreise, zuweilen auch Geschenke geben. Manchmal
hat auch der Offizier etwas zu verkaufen. So sah ich unsern ersten Offizier
einmal einen wertvollen Bambusstuhl verhandeln, den ihm ein Passagier
hinterlassen. Das gab folgende Szene: Der Inder bietet, der Seemann ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/97>, abgerufen am 01.09.2024.