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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

bestimmt. In gewissen Fällen ist sogar seine Zustimmung einzuholen. Der Bundes¬
präsident wird auf vier Jahre gewählt, bei seiner Behinderung vertritt ihn der
Präsident des Regierungsrath. Die Wahl erfolgt nach dem Artikel 63 durch das
ganze Volk; hat kein Kandidat die absolute Mehrheit, dann nimmt der Kongreß
die Stichwahl vor. Ist der Kongreß nicht beschlußfähig, denn nimmt das Ober¬
bundesgericht seine Stelle ein. Die äußern Vnndesangclegeuheiten steh" unter dem
Buudesprä'sideuten, ebenso das Heer. Im Einverständnis mit dem Regiernugsrate
darf er Streitigkeiten der Einzelstaaten im Notfalle mit Waffengewalt schlichten.

Die sieben Minister Venezuelas werden von dem Präsidenten ernannt und
entlassen; gewöhnlich -- uicht etwa wie in parlamentarisch regierten Staaten:
immer -- werde" sie der Kammermehrheit entnommen. Die Negierungsakte des
Bnndespräsidente" bedürfen der Gegenzeichnung eines Ministers, damit sie giltig
und verbindend werden. Der Bnudespräsideut ist nicht unverletzlich: er kann,
ebenso wie die höchsten Bundesbeamten, vor dem Oberbundesgericht abgeurteilt
werden. Dieses Gericht ist auch für Kompetenzkonflikte und Streitigkeiten öffentlich-
rechtlicher Art zwischen Bund und Einzelstnaten zuständig. Neben dem Oberbuudes-
gericht besteht mit besondrer .Kompetenz ein Kassationshof. Am wichtigsten -- na¬
mentlich in Anbetracht der so häufig wiederkehrenden Umsturzbestrebuuge" --
erscheinen die Bestimmungen der Artikel 152 ff. über die Verfassungsänderung.
Grundsätzlich kann die gegenwärtige Verfassung nur unter folgenden Modalitäten
geändert werden: Die Initiative geht von den Einzelstaaten aus; der Kongreß muß
in ordentlicher Sitzung die Abänderung beschließen; eine Dreiviertelmehrheit der
gesetzgebenden Körperschaften sämtlicher Einzelstaaten muß sich in ordentlicher Tagung
dafür erklärt haben. Damit ist der Antrag auf Verfassungsänderung zwar an¬
genommen: in Kraft tritt er jedoch erst dann, wenn für sämtliche Organe, die bei
dem Antrag und seiner Erledigung thätig waren, Neuwahlen ausgeschrieben und
durchgeführt worden siud.

Dieser kurze Überblick über eine der ausführlichsten Bundesverfassungen dürfte
gezeigt haben, daß es dem Lande nicht an guten Gesetzen fehlt, die ihm Frieden
und Ordnung vorschreiben. Aber es fehlt an einem ruhigen Bürgerstande, der
Achtung vor den Ansichten und der Existenz seines Nächste" hat, es fehlt an ver¬
ständnisvoller Unterordnung der Einzelstaaten unter das Ganze, es fehlt schließlich
an einer besonnenen und friedfertigen Zentralgewalt, die bei den anerkannt schwie¬
rigen Verhältnissen ohne Blutvergießen und ohne Völkerrechtsbruch den Weg einer
ehrlichen, ruhigen Vermittlung zu finden weiß. Nur eine lauge, uuuntcrbrochne
Kultivierung der breiten Massen des Volks wird Venezuela den Frieden, den aus¬
ländischen Interessen Sicherheit und Schutz gebe" können.


Paul Posen er
Ein Gnostiker.

In Steffensen (Grenzboten 1890 IV, 535 und 1895 1!, 199)
und Rochvll haben wir zwei Geschichtsphilosophcn gnostisch-manichäischer Richtung
kennen gelernt. Auch der Rostocker Theologieprofessor Michael Baumgarten, den
erlittene Verfolgung weit über den Kreis der Fachgenussen hinnus bekannt gemacht
hat, glaubte an den persönlichen Teufel und gründete seine Theologie ans diesen
Glauben. In den "Nachtgesichtern Sncharjas" schreibt er: "Das unbefangne
Menschheitsbewußtseiu weiß ebenso bestimmt von einer böse" Wie von einer guten
Macht, der das menschliche Leben und Sein unterstellt ist, und wir finden nnter
allen Völkern diesen Dualismus nicht etwa eigens behauptet und gelehrt, sondern
als unantastbare Voraussetzung aller Weltanschauung und Lebenserfahrung. Dieses
schlichte und einfache Volksbewußtsein will die Aufklärung zu berichtigen suchen."
Der klügelnde Verstand mühe sich jedoch vergebens ab, in die durch diesen Dua¬
lismus gespaltene Welt Einheit zu bringen. Diese Stelle zitiert Johannes Pesta-
lozzi, der von Baumgarten stark beeinflußt zu sein scheint, in seiner Schrift: Ver¬
tiefte Gottes-, Welt- und Selbsterkenntnis, das große Vedürfuis der
Christenheit und der Kirche unsrer Tage (Stuttgart, Max Kielmann, 1902). Pestnlozzt


Maßgebliches und Unmaßgebliches

bestimmt. In gewissen Fällen ist sogar seine Zustimmung einzuholen. Der Bundes¬
präsident wird auf vier Jahre gewählt, bei seiner Behinderung vertritt ihn der
Präsident des Regierungsrath. Die Wahl erfolgt nach dem Artikel 63 durch das
ganze Volk; hat kein Kandidat die absolute Mehrheit, dann nimmt der Kongreß
die Stichwahl vor. Ist der Kongreß nicht beschlußfähig, denn nimmt das Ober¬
bundesgericht seine Stelle ein. Die äußern Vnndesangclegeuheiten steh» unter dem
Buudesprä'sideuten, ebenso das Heer. Im Einverständnis mit dem Regiernugsrate
darf er Streitigkeiten der Einzelstaaten im Notfalle mit Waffengewalt schlichten.

Die sieben Minister Venezuelas werden von dem Präsidenten ernannt und
entlassen; gewöhnlich — uicht etwa wie in parlamentarisch regierten Staaten:
immer — werde» sie der Kammermehrheit entnommen. Die Negierungsakte des
Bnndespräsidente» bedürfen der Gegenzeichnung eines Ministers, damit sie giltig
und verbindend werden. Der Bnudespräsideut ist nicht unverletzlich: er kann,
ebenso wie die höchsten Bundesbeamten, vor dem Oberbundesgericht abgeurteilt
werden. Dieses Gericht ist auch für Kompetenzkonflikte und Streitigkeiten öffentlich-
rechtlicher Art zwischen Bund und Einzelstnaten zuständig. Neben dem Oberbuudes-
gericht besteht mit besondrer .Kompetenz ein Kassationshof. Am wichtigsten — na¬
mentlich in Anbetracht der so häufig wiederkehrenden Umsturzbestrebuuge» —
erscheinen die Bestimmungen der Artikel 152 ff. über die Verfassungsänderung.
Grundsätzlich kann die gegenwärtige Verfassung nur unter folgenden Modalitäten
geändert werden: Die Initiative geht von den Einzelstaaten aus; der Kongreß muß
in ordentlicher Sitzung die Abänderung beschließen; eine Dreiviertelmehrheit der
gesetzgebenden Körperschaften sämtlicher Einzelstaaten muß sich in ordentlicher Tagung
dafür erklärt haben. Damit ist der Antrag auf Verfassungsänderung zwar an¬
genommen: in Kraft tritt er jedoch erst dann, wenn für sämtliche Organe, die bei
dem Antrag und seiner Erledigung thätig waren, Neuwahlen ausgeschrieben und
durchgeführt worden siud.

Dieser kurze Überblick über eine der ausführlichsten Bundesverfassungen dürfte
gezeigt haben, daß es dem Lande nicht an guten Gesetzen fehlt, die ihm Frieden
und Ordnung vorschreiben. Aber es fehlt an einem ruhigen Bürgerstande, der
Achtung vor den Ansichten und der Existenz seines Nächste» hat, es fehlt an ver¬
ständnisvoller Unterordnung der Einzelstaaten unter das Ganze, es fehlt schließlich
an einer besonnenen und friedfertigen Zentralgewalt, die bei den anerkannt schwie¬
rigen Verhältnissen ohne Blutvergießen und ohne Völkerrechtsbruch den Weg einer
ehrlichen, ruhigen Vermittlung zu finden weiß. Nur eine lauge, uuuntcrbrochne
Kultivierung der breiten Massen des Volks wird Venezuela den Frieden, den aus¬
ländischen Interessen Sicherheit und Schutz gebe» können.


Paul Posen er
Ein Gnostiker.

In Steffensen (Grenzboten 1890 IV, 535 und 1895 1!, 199)
und Rochvll haben wir zwei Geschichtsphilosophcn gnostisch-manichäischer Richtung
kennen gelernt. Auch der Rostocker Theologieprofessor Michael Baumgarten, den
erlittene Verfolgung weit über den Kreis der Fachgenussen hinnus bekannt gemacht
hat, glaubte an den persönlichen Teufel und gründete seine Theologie ans diesen
Glauben. In den „Nachtgesichtern Sncharjas" schreibt er: „Das unbefangne
Menschheitsbewußtseiu weiß ebenso bestimmt von einer böse» Wie von einer guten
Macht, der das menschliche Leben und Sein unterstellt ist, und wir finden nnter
allen Völkern diesen Dualismus nicht etwa eigens behauptet und gelehrt, sondern
als unantastbare Voraussetzung aller Weltanschauung und Lebenserfahrung. Dieses
schlichte und einfache Volksbewußtsein will die Aufklärung zu berichtigen suchen."
Der klügelnde Verstand mühe sich jedoch vergebens ab, in die durch diesen Dua¬
lismus gespaltene Welt Einheit zu bringen. Diese Stelle zitiert Johannes Pesta-
lozzi, der von Baumgarten stark beeinflußt zu sein scheint, in seiner Schrift: Ver¬
tiefte Gottes-, Welt- und Selbsterkenntnis, das große Vedürfuis der
Christenheit und der Kirche unsrer Tage (Stuttgart, Max Kielmann, 1902). Pestnlozzt


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[0754] Maßgebliches und Unmaßgebliches bestimmt. In gewissen Fällen ist sogar seine Zustimmung einzuholen. Der Bundes¬ präsident wird auf vier Jahre gewählt, bei seiner Behinderung vertritt ihn der Präsident des Regierungsrath. Die Wahl erfolgt nach dem Artikel 63 durch das ganze Volk; hat kein Kandidat die absolute Mehrheit, dann nimmt der Kongreß die Stichwahl vor. Ist der Kongreß nicht beschlußfähig, denn nimmt das Ober¬ bundesgericht seine Stelle ein. Die äußern Vnndesangclegeuheiten steh» unter dem Buudesprä'sideuten, ebenso das Heer. Im Einverständnis mit dem Regiernugsrate darf er Streitigkeiten der Einzelstaaten im Notfalle mit Waffengewalt schlichten. Die sieben Minister Venezuelas werden von dem Präsidenten ernannt und entlassen; gewöhnlich — uicht etwa wie in parlamentarisch regierten Staaten: immer — werde» sie der Kammermehrheit entnommen. Die Negierungsakte des Bnndespräsidente» bedürfen der Gegenzeichnung eines Ministers, damit sie giltig und verbindend werden. Der Bnudespräsideut ist nicht unverletzlich: er kann, ebenso wie die höchsten Bundesbeamten, vor dem Oberbundesgericht abgeurteilt werden. Dieses Gericht ist auch für Kompetenzkonflikte und Streitigkeiten öffentlich- rechtlicher Art zwischen Bund und Einzelstnaten zuständig. Neben dem Oberbuudes- gericht besteht mit besondrer .Kompetenz ein Kassationshof. Am wichtigsten — na¬ mentlich in Anbetracht der so häufig wiederkehrenden Umsturzbestrebuuge» — erscheinen die Bestimmungen der Artikel 152 ff. über die Verfassungsänderung. Grundsätzlich kann die gegenwärtige Verfassung nur unter folgenden Modalitäten geändert werden: Die Initiative geht von den Einzelstaaten aus; der Kongreß muß in ordentlicher Sitzung die Abänderung beschließen; eine Dreiviertelmehrheit der gesetzgebenden Körperschaften sämtlicher Einzelstaaten muß sich in ordentlicher Tagung dafür erklärt haben. Damit ist der Antrag auf Verfassungsänderung zwar an¬ genommen: in Kraft tritt er jedoch erst dann, wenn für sämtliche Organe, die bei dem Antrag und seiner Erledigung thätig waren, Neuwahlen ausgeschrieben und durchgeführt worden siud. Dieser kurze Überblick über eine der ausführlichsten Bundesverfassungen dürfte gezeigt haben, daß es dem Lande nicht an guten Gesetzen fehlt, die ihm Frieden und Ordnung vorschreiben. Aber es fehlt an einem ruhigen Bürgerstande, der Achtung vor den Ansichten und der Existenz seines Nächste» hat, es fehlt an ver¬ ständnisvoller Unterordnung der Einzelstaaten unter das Ganze, es fehlt schließlich an einer besonnenen und friedfertigen Zentralgewalt, die bei den anerkannt schwie¬ rigen Verhältnissen ohne Blutvergießen und ohne Völkerrechtsbruch den Weg einer ehrlichen, ruhigen Vermittlung zu finden weiß. Nur eine lauge, uuuntcrbrochne Kultivierung der breiten Massen des Volks wird Venezuela den Frieden, den aus¬ ländischen Interessen Sicherheit und Schutz gebe» können. Paul Posen er Ein Gnostiker. In Steffensen (Grenzboten 1890 IV, 535 und 1895 1!, 199) und Rochvll haben wir zwei Geschichtsphilosophcn gnostisch-manichäischer Richtung kennen gelernt. Auch der Rostocker Theologieprofessor Michael Baumgarten, den erlittene Verfolgung weit über den Kreis der Fachgenussen hinnus bekannt gemacht hat, glaubte an den persönlichen Teufel und gründete seine Theologie ans diesen Glauben. In den „Nachtgesichtern Sncharjas" schreibt er: „Das unbefangne Menschheitsbewußtseiu weiß ebenso bestimmt von einer böse» Wie von einer guten Macht, der das menschliche Leben und Sein unterstellt ist, und wir finden nnter allen Völkern diesen Dualismus nicht etwa eigens behauptet und gelehrt, sondern als unantastbare Voraussetzung aller Weltanschauung und Lebenserfahrung. Dieses schlichte und einfache Volksbewußtsein will die Aufklärung zu berichtigen suchen." Der klügelnde Verstand mühe sich jedoch vergebens ab, in die durch diesen Dua¬ lismus gespaltene Welt Einheit zu bringen. Diese Stelle zitiert Johannes Pesta- lozzi, der von Baumgarten stark beeinflußt zu sein scheint, in seiner Schrift: Ver¬ tiefte Gottes-, Welt- und Selbsterkenntnis, das große Vedürfuis der Christenheit und der Kirche unsrer Tage (Stuttgart, Max Kielmann, 1902). Pestnlozzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/754>, abgerufen am 01.09.2024.