Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.durch ihr talmivornehmes Wohlwollen. Der Dienst wird geschädigt, statt ge¬ Es mag dahingestellt bleiben, ob die Ansicht richtig ist, daß die süd¬ Eine gewisse Art vou Sozialpolitik zu machen ist ja freilich auch das durch ihr talmivornehmes Wohlwollen. Der Dienst wird geschädigt, statt ge¬ Es mag dahingestellt bleiben, ob die Ansicht richtig ist, daß die süd¬ Eine gewisse Art vou Sozialpolitik zu machen ist ja freilich auch das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0709" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239497"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_3330" prev="#ID_3329"> durch ihr talmivornehmes Wohlwollen. Der Dienst wird geschädigt, statt ge¬<lb/> fördert. Die äußerliche Unterwürfigkeit bei innerlicher Abneigung macht es,<lb/> daß der beste Teil der Leistungsfähigkeit unter den Tisch fällt, und erzeugt<lb/> mu unfruchtbares, bureaukratisches oxus ovsrg.wir. Die zu diesem Verhalten<lb/> erzogneu oder in ihm erhaltenen untern Beamten selbst sind sicher nichts<lb/> weniger als sympathisch. Man gewinnt vielfach den Eindruck, daß sie die<lb/> Behandlung erfahren, die sie verdienen. Es will einem manchmal fast so<lb/> scheinen, als ob die Deutschen westlich von der Elbe nicht so ganz Unrecht<lb/> hätten, wenn sie die unechte Vornehmheit wie die falsche Unterwürfigkeit im<lb/> Osten auf die Versetzung mit slawischen Blute zurückführen, obwohl das gerade<lb/> gegenüber der Zunahme des Kastengeistes und des Klassendünkels in der Gegen¬<lb/> wart ganz unhaltbar ist. Auch im östlichen Preuße» zeigen sehr zahlreiche,<lb/> erfreuliche Ausnahmen noch heute, daß es auch anders sein kann, und daß es<lb/> da, wo es schlecht ist, uicht schlecht bleiben darf. Es giebt schlechterdings<lb/> keine Entschttldigung dafür, daß wir uicht nur in sozialpolitischer Beziehung<lb/> mit unserm Beamtentum aufnngeu, dem Süden gegenüber ins Hintertreffen<lb/> zu geraten.</p><lb/> <p xml:id="ID_3331"> Es mag dahingestellt bleiben, ob die Ansicht richtig ist, daß die süd¬<lb/> deutsche Sozialdemokratie ungefährlicher sei als die preußische. Das aber steht<lb/> fest, daß es der Sozinldemvkratie in Süddentschland bisher bei weitem nicht<lb/> in dem Grade und Umfange gelungen ist, die Arbeiter in eine unversöhnliche,<lb/> sie ganz beherrschende Verbitterung hinein zu hetzen, wie in den preußischen<lb/> Städten und Industriezentren. Fast ebenso fest steht es, daß dazu das Fehlen<lb/> des widerwärtigen Kastengeistes, des unnötigen Verschärfens der gesellschaft¬<lb/> lichen Klassengegensätze, der wachsenden sozialen Überhebung in Süddentschland<lb/> sehr viel beiträgt. Die sozialen Reformen gelingen dort weit leichter, müssen<lb/> weit leichter gelingen, weil den Behörden und den Beamten die soziale Arbeit<lb/> frei und natürlich vou der Hemd geht, während sie in deu preußischen Ost-<lb/> Provinzen zum großen Teil Behörden und Beamten zugemutet werden muß,<lb/> die bis über die Ohren im Kastengeist und in ganz unsozialen Anschauungen und<lb/> Gewohnheiten drin stecken. Wenn nun unsre akademisch gebildeten Beamten<lb/> und ihr Nachwuchs auf den Universitäten immer mehr, wie Paulsen sagt, in<lb/> übermäßige Hochschätzung des Reichtums und des Prunks, in Wertlegen ans<lb/> äußere Erscheinung und konventionelle Formen, in Nachobenschen und Korrekt¬<lb/> heitsfanatismus, in jene Talmivornehmheit hineingeraten sollten, die mit pöbel¬<lb/> haftem Hochmut gegen geringe Leute und schmiegsamer Unterwürfigkeit gegen<lb/> Macht und Reichtum zusammengeht, wie sollen wir da die nötigen Sozial¬<lb/> reformen in Stadt und Land durchführen, wie der Sozialdemokratie Termin<lb/> abgewinnen und sie an weitern Eroberungen hindern?</p><lb/> <p xml:id="ID_3332" next="#ID_3333"> Eine gewisse Art vou Sozialpolitik zu machen ist ja freilich auch das<lb/> blutigste Strebertum imstande. Leute, die persönlich ganz und gar jenen von<lb/> Paulsen genannten „realpolitischen" Grundsätzen huldigen und nachleben, sehen<lb/> wir vielfach als eifrige theoretische, legislative und büreaukratische Sozial-<lb/> Pvlititer an der Spitze. Daß sie selbst für sich deu schärfsten Kastengeist und<lb/> Standcshochmut bethätigen, bar sind jedes Wohlwollens und jeder Nächsten-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0709]
durch ihr talmivornehmes Wohlwollen. Der Dienst wird geschädigt, statt ge¬
fördert. Die äußerliche Unterwürfigkeit bei innerlicher Abneigung macht es,
daß der beste Teil der Leistungsfähigkeit unter den Tisch fällt, und erzeugt
mu unfruchtbares, bureaukratisches oxus ovsrg.wir. Die zu diesem Verhalten
erzogneu oder in ihm erhaltenen untern Beamten selbst sind sicher nichts
weniger als sympathisch. Man gewinnt vielfach den Eindruck, daß sie die
Behandlung erfahren, die sie verdienen. Es will einem manchmal fast so
scheinen, als ob die Deutschen westlich von der Elbe nicht so ganz Unrecht
hätten, wenn sie die unechte Vornehmheit wie die falsche Unterwürfigkeit im
Osten auf die Versetzung mit slawischen Blute zurückführen, obwohl das gerade
gegenüber der Zunahme des Kastengeistes und des Klassendünkels in der Gegen¬
wart ganz unhaltbar ist. Auch im östlichen Preuße» zeigen sehr zahlreiche,
erfreuliche Ausnahmen noch heute, daß es auch anders sein kann, und daß es
da, wo es schlecht ist, uicht schlecht bleiben darf. Es giebt schlechterdings
keine Entschttldigung dafür, daß wir uicht nur in sozialpolitischer Beziehung
mit unserm Beamtentum aufnngeu, dem Süden gegenüber ins Hintertreffen
zu geraten.
Es mag dahingestellt bleiben, ob die Ansicht richtig ist, daß die süd¬
deutsche Sozialdemokratie ungefährlicher sei als die preußische. Das aber steht
fest, daß es der Sozinldemvkratie in Süddentschland bisher bei weitem nicht
in dem Grade und Umfange gelungen ist, die Arbeiter in eine unversöhnliche,
sie ganz beherrschende Verbitterung hinein zu hetzen, wie in den preußischen
Städten und Industriezentren. Fast ebenso fest steht es, daß dazu das Fehlen
des widerwärtigen Kastengeistes, des unnötigen Verschärfens der gesellschaft¬
lichen Klassengegensätze, der wachsenden sozialen Überhebung in Süddentschland
sehr viel beiträgt. Die sozialen Reformen gelingen dort weit leichter, müssen
weit leichter gelingen, weil den Behörden und den Beamten die soziale Arbeit
frei und natürlich vou der Hemd geht, während sie in deu preußischen Ost-
Provinzen zum großen Teil Behörden und Beamten zugemutet werden muß,
die bis über die Ohren im Kastengeist und in ganz unsozialen Anschauungen und
Gewohnheiten drin stecken. Wenn nun unsre akademisch gebildeten Beamten
und ihr Nachwuchs auf den Universitäten immer mehr, wie Paulsen sagt, in
übermäßige Hochschätzung des Reichtums und des Prunks, in Wertlegen ans
äußere Erscheinung und konventionelle Formen, in Nachobenschen und Korrekt¬
heitsfanatismus, in jene Talmivornehmheit hineingeraten sollten, die mit pöbel¬
haftem Hochmut gegen geringe Leute und schmiegsamer Unterwürfigkeit gegen
Macht und Reichtum zusammengeht, wie sollen wir da die nötigen Sozial¬
reformen in Stadt und Land durchführen, wie der Sozialdemokratie Termin
abgewinnen und sie an weitern Eroberungen hindern?
Eine gewisse Art vou Sozialpolitik zu machen ist ja freilich auch das
blutigste Strebertum imstande. Leute, die persönlich ganz und gar jenen von
Paulsen genannten „realpolitischen" Grundsätzen huldigen und nachleben, sehen
wir vielfach als eifrige theoretische, legislative und büreaukratische Sozial-
Pvlititer an der Spitze. Daß sie selbst für sich deu schärfsten Kastengeist und
Standcshochmut bethätigen, bar sind jedes Wohlwollens und jeder Nächsten-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |