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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Erinnerungen, aus dem polnischen Insurrektionskriege

seine Drohung wirklich vollstrecken zu lassen, rechnete ihnen die ausgestandne Todes¬
angst für die Strafe selbst ein und schenkte ihnen großmütig die Freiheit, nachdem
er sie hatte geloben lassen, daß sie fortan brave und rechtschaffne Menschen, treue
und gehorsame Unterthanen werden und sich nie wieder ans den polnischen Nevolutions-
schwiudel einlassen wollten.

Der Feldzug war zu Ende, der Kriegszustand in der Provinz dauerte fort.
Täglich wurden größere oder kleinere Patrouillen ausgesandt, das Land nach
allen Richtungen zu durchstreifen, die Bevölkerung zu entwaffne", die verstreuten
Banden zu überfallen. Bei einer solchen Veranlassung hatte ich das Glück,
einen der Führer des aufgelösten Jnsurrektioushceres, auf den schon längere Zeit
vergeblich gefahndet worden war, in Haft zu nehmen. Erst vor kurzem sorglos
in.f sein Landgut heimgekehrt, hatte er sich, als er Haus und Garten Plötzlich von
Husaren meiner Patrouille umstellt sah, dadurch zu retten versucht, daß er einen
langen Bauerukittel über feinen Schnürrock zog und sich im Garten mit dein Spaten
in der Hand zu thun machte, aber die Weiße Leibwäsche und die gespornten Reit¬
stiefel verrieten ihn trok der Verkleidung. Während ans dem Hof der Wagen für
den Gefangnen angespannt wurde, stürzten plötzlich zwei Damen, eine ältere und
eine jüngere, ans dem 5w.se und beschworen mich unter Thräuenausbruchen und
Beteurnug seiner Unschuld, die eine in polnischer, die andre in französischer Sprache,
den Gefangnen, der ihr Gatte, ihr Vater sei, freizugeben. Ich setzte ihren stürmischen
Bitten ein kühles Rio ivMwio entgegen; aber ich mußte meine ganze Kraft zu¬
sammennehmen, um diesen Thränen und Bitten gegenüber standhaft zu bleiben und
mich der von der jungen schönen Polin mir drohenden Umarmung zu entziehn.

Unser Major führte ein eigentümliches Justizverfahren ein, das ihn der Weit¬
läufigkeit enthob, die Gefangnen nach der Festung Posen abzuliefern, von wo sie
nach kurzem Aufenthalt in den Kasematten doch wieder freigelassen wurden. Er
l'eß nämlich den eingebrachten Gefangnen, nachdem er eine körperliche Züchtigung
ihnen hatte vollstrecken lassen, mit einer Auflösung von Höllenstein, die für lange
Zeit durch kein Waschen zu entfernen war, ein Ohrläppchen schwarz brennen. Wurde
einer der so gezeichneten bei einer Bande wieder ergriffen, so ließ der Major die
körperliche Züchtigung in verschärfter Weise wiederholen und demnächst auch den
andern Ohrzipfel schwarz brennen. Wer mit zwei schwarzen Ohrzipfeln gefangen
wurde, entging dem Arme des Gesetzes nicht mehr und wurde ohne Erbarmen
"ach Posen 'abgeliefert und in die Festungskasematten gesperrt, schon wegen seiner
Dummheit, sagte der Major, sich dreimal fangen zu lassen. Obschon er mit diesem
Verfahren die Grenzen seiner militärischen Befugnisse überschritt und sogar die
Entrüstung der damals in Berlin lagerten preußischen Nationalversammlung erregte,
hatte er sich doch durch sein eigenmächtiges Auftreten und Handeln in weitem Um¬
kreise seines Standquartiers zu Plescheu unter polnischen und deutschen Einwohnern
in solches Ansehen gesetzt, daß sich diese mit allen Klagen unter Umgehung der Ge¬
richte und Behörden nnr noch an ihn wandten und sogar in Faniilieuaugelegenheiten,
bei Heiratsverträgeu, Scheiduugsklageu oder häuslichen Zwisten seinen "Schiedsspruch
anriefen und ohne Widerrede anerkannten. Als der Major v. G. die Stadt verließ,
wo er nach der polnischen Insurrektion mehrere Monate laug als preußischer Pascha
gewaltet hatte, widmeten ihm die deutschen sowie die polnischen Einwohner des
Stadt- und des Landkreises von Pleschen einen Nachruf, worin sie ihm für die
Gerechtigkeit dankten, die er unter ihnen jederzeit geübt habe. Major v. G. nahm
bald darauf seineu Abschied und trat in die Schleswig - holsteinische Armee, in der
er sich als Generalmajor und Führer der Avantgarde (1"50) rühmlich auszeichnete.
Diese Art von Originalen ist in der letzten Zeit in der preußischen Armee ausge-
storben; sie hatten bei aller äußern Rauheit und Derbheit doch ihre achtungswerten
Seiten, denn wenn sie sich mit ihrer rücksichtslosen Energie auch öfters in den
-Ritteln vergriffen, so verfehlten sie doch selten den Zweck.




Erinnerungen, aus dem polnischen Insurrektionskriege

seine Drohung wirklich vollstrecken zu lassen, rechnete ihnen die ausgestandne Todes¬
angst für die Strafe selbst ein und schenkte ihnen großmütig die Freiheit, nachdem
er sie hatte geloben lassen, daß sie fortan brave und rechtschaffne Menschen, treue
und gehorsame Unterthanen werden und sich nie wieder ans den polnischen Nevolutions-
schwiudel einlassen wollten.

Der Feldzug war zu Ende, der Kriegszustand in der Provinz dauerte fort.
Täglich wurden größere oder kleinere Patrouillen ausgesandt, das Land nach
allen Richtungen zu durchstreifen, die Bevölkerung zu entwaffne», die verstreuten
Banden zu überfallen. Bei einer solchen Veranlassung hatte ich das Glück,
einen der Führer des aufgelösten Jnsurrektioushceres, auf den schon längere Zeit
vergeblich gefahndet worden war, in Haft zu nehmen. Erst vor kurzem sorglos
in.f sein Landgut heimgekehrt, hatte er sich, als er Haus und Garten Plötzlich von
Husaren meiner Patrouille umstellt sah, dadurch zu retten versucht, daß er einen
langen Bauerukittel über feinen Schnürrock zog und sich im Garten mit dein Spaten
in der Hand zu thun machte, aber die Weiße Leibwäsche und die gespornten Reit¬
stiefel verrieten ihn trok der Verkleidung. Während ans dem Hof der Wagen für
den Gefangnen angespannt wurde, stürzten plötzlich zwei Damen, eine ältere und
eine jüngere, ans dem 5w.se und beschworen mich unter Thräuenausbruchen und
Beteurnug seiner Unschuld, die eine in polnischer, die andre in französischer Sprache,
den Gefangnen, der ihr Gatte, ihr Vater sei, freizugeben. Ich setzte ihren stürmischen
Bitten ein kühles Rio ivMwio entgegen; aber ich mußte meine ganze Kraft zu¬
sammennehmen, um diesen Thränen und Bitten gegenüber standhaft zu bleiben und
mich der von der jungen schönen Polin mir drohenden Umarmung zu entziehn.

Unser Major führte ein eigentümliches Justizverfahren ein, das ihn der Weit¬
läufigkeit enthob, die Gefangnen nach der Festung Posen abzuliefern, von wo sie
nach kurzem Aufenthalt in den Kasematten doch wieder freigelassen wurden. Er
l'eß nämlich den eingebrachten Gefangnen, nachdem er eine körperliche Züchtigung
ihnen hatte vollstrecken lassen, mit einer Auflösung von Höllenstein, die für lange
Zeit durch kein Waschen zu entfernen war, ein Ohrläppchen schwarz brennen. Wurde
einer der so gezeichneten bei einer Bande wieder ergriffen, so ließ der Major die
körperliche Züchtigung in verschärfter Weise wiederholen und demnächst auch den
andern Ohrzipfel schwarz brennen. Wer mit zwei schwarzen Ohrzipfeln gefangen
wurde, entging dem Arme des Gesetzes nicht mehr und wurde ohne Erbarmen
«ach Posen 'abgeliefert und in die Festungskasematten gesperrt, schon wegen seiner
Dummheit, sagte der Major, sich dreimal fangen zu lassen. Obschon er mit diesem
Verfahren die Grenzen seiner militärischen Befugnisse überschritt und sogar die
Entrüstung der damals in Berlin lagerten preußischen Nationalversammlung erregte,
hatte er sich doch durch sein eigenmächtiges Auftreten und Handeln in weitem Um¬
kreise seines Standquartiers zu Plescheu unter polnischen und deutschen Einwohnern
in solches Ansehen gesetzt, daß sich diese mit allen Klagen unter Umgehung der Ge¬
richte und Behörden nnr noch an ihn wandten und sogar in Faniilieuaugelegenheiten,
bei Heiratsverträgeu, Scheiduugsklageu oder häuslichen Zwisten seinen «Schiedsspruch
anriefen und ohne Widerrede anerkannten. Als der Major v. G. die Stadt verließ,
wo er nach der polnischen Insurrektion mehrere Monate laug als preußischer Pascha
gewaltet hatte, widmeten ihm die deutschen sowie die polnischen Einwohner des
Stadt- und des Landkreises von Pleschen einen Nachruf, worin sie ihm für die
Gerechtigkeit dankten, die er unter ihnen jederzeit geübt habe. Major v. G. nahm
bald darauf seineu Abschied und trat in die Schleswig - holsteinische Armee, in der
er sich als Generalmajor und Führer der Avantgarde (1»50) rühmlich auszeichnete.
Diese Art von Originalen ist in der letzten Zeit in der preußischen Armee ausge-
storben; sie hatten bei aller äußern Rauheit und Derbheit doch ihre achtungswerten
Seiten, denn wenn sie sich mit ihrer rücksichtslosen Energie auch öfters in den
-Ritteln vergriffen, so verfehlten sie doch selten den Zweck.




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[0683] Erinnerungen, aus dem polnischen Insurrektionskriege seine Drohung wirklich vollstrecken zu lassen, rechnete ihnen die ausgestandne Todes¬ angst für die Strafe selbst ein und schenkte ihnen großmütig die Freiheit, nachdem er sie hatte geloben lassen, daß sie fortan brave und rechtschaffne Menschen, treue und gehorsame Unterthanen werden und sich nie wieder ans den polnischen Nevolutions- schwiudel einlassen wollten. Der Feldzug war zu Ende, der Kriegszustand in der Provinz dauerte fort. Täglich wurden größere oder kleinere Patrouillen ausgesandt, das Land nach allen Richtungen zu durchstreifen, die Bevölkerung zu entwaffne», die verstreuten Banden zu überfallen. Bei einer solchen Veranlassung hatte ich das Glück, einen der Führer des aufgelösten Jnsurrektioushceres, auf den schon längere Zeit vergeblich gefahndet worden war, in Haft zu nehmen. Erst vor kurzem sorglos in.f sein Landgut heimgekehrt, hatte er sich, als er Haus und Garten Plötzlich von Husaren meiner Patrouille umstellt sah, dadurch zu retten versucht, daß er einen langen Bauerukittel über feinen Schnürrock zog und sich im Garten mit dein Spaten in der Hand zu thun machte, aber die Weiße Leibwäsche und die gespornten Reit¬ stiefel verrieten ihn trok der Verkleidung. Während ans dem Hof der Wagen für den Gefangnen angespannt wurde, stürzten plötzlich zwei Damen, eine ältere und eine jüngere, ans dem 5w.se und beschworen mich unter Thräuenausbruchen und Beteurnug seiner Unschuld, die eine in polnischer, die andre in französischer Sprache, den Gefangnen, der ihr Gatte, ihr Vater sei, freizugeben. Ich setzte ihren stürmischen Bitten ein kühles Rio ivMwio entgegen; aber ich mußte meine ganze Kraft zu¬ sammennehmen, um diesen Thränen und Bitten gegenüber standhaft zu bleiben und mich der von der jungen schönen Polin mir drohenden Umarmung zu entziehn. Unser Major führte ein eigentümliches Justizverfahren ein, das ihn der Weit¬ läufigkeit enthob, die Gefangnen nach der Festung Posen abzuliefern, von wo sie nach kurzem Aufenthalt in den Kasematten doch wieder freigelassen wurden. Er l'eß nämlich den eingebrachten Gefangnen, nachdem er eine körperliche Züchtigung ihnen hatte vollstrecken lassen, mit einer Auflösung von Höllenstein, die für lange Zeit durch kein Waschen zu entfernen war, ein Ohrläppchen schwarz brennen. Wurde einer der so gezeichneten bei einer Bande wieder ergriffen, so ließ der Major die körperliche Züchtigung in verschärfter Weise wiederholen und demnächst auch den andern Ohrzipfel schwarz brennen. Wer mit zwei schwarzen Ohrzipfeln gefangen wurde, entging dem Arme des Gesetzes nicht mehr und wurde ohne Erbarmen «ach Posen 'abgeliefert und in die Festungskasematten gesperrt, schon wegen seiner Dummheit, sagte der Major, sich dreimal fangen zu lassen. Obschon er mit diesem Verfahren die Grenzen seiner militärischen Befugnisse überschritt und sogar die Entrüstung der damals in Berlin lagerten preußischen Nationalversammlung erregte, hatte er sich doch durch sein eigenmächtiges Auftreten und Handeln in weitem Um¬ kreise seines Standquartiers zu Plescheu unter polnischen und deutschen Einwohnern in solches Ansehen gesetzt, daß sich diese mit allen Klagen unter Umgehung der Ge¬ richte und Behörden nnr noch an ihn wandten und sogar in Faniilieuaugelegenheiten, bei Heiratsverträgeu, Scheiduugsklageu oder häuslichen Zwisten seinen «Schiedsspruch anriefen und ohne Widerrede anerkannten. Als der Major v. G. die Stadt verließ, wo er nach der polnischen Insurrektion mehrere Monate laug als preußischer Pascha gewaltet hatte, widmeten ihm die deutschen sowie die polnischen Einwohner des Stadt- und des Landkreises von Pleschen einen Nachruf, worin sie ihm für die Gerechtigkeit dankten, die er unter ihnen jederzeit geübt habe. Major v. G. nahm bald darauf seineu Abschied und trat in die Schleswig - holsteinische Armee, in der er sich als Generalmajor und Führer der Avantgarde (1»50) rühmlich auszeichnete. Diese Art von Originalen ist in der letzten Zeit in der preußischen Armee ausge- storben; sie hatten bei aller äußern Rauheit und Derbheit doch ihre achtungswerten Seiten, denn wenn sie sich mit ihrer rücksichtslosen Energie auch öfters in den -Ritteln vergriffen, so verfehlten sie doch selten den Zweck.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/683>, abgerufen am 01.09.2024.