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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus dem polnischen Insnrrektiouskriege

von dieser her und uns den Häusern zu beiden Seiten der Straße mit einem
heftigen Feuer empfangen und löste sich nach und uach größtenteils im Straßen-
und Häusergefecht auf. Die folgende geschlossene Kompagnie, bei der ich stand,
nahm bet dem Einbiegen in die Hauptstraße, etwa hundert Schritt vor der Barri¬
kade, dos Gewehr zur Attacke rechts und ging im Sturmschritt uuter dem Rufe: "Es
lebe der Prinz von Preußen, Hurra!" ") auf die Barrikade los. Die Kosseniere streckten
uns, zum äußersten Widerstande entschlossen, ihre langen Sensen mit den kurzen
scharfen Widerhnkeu zum Einhaken und Fortziehen der lebenden Leute über die
Barrikade entgegen, wahrend die Flammen schon zu ihren Häuptern emporloderten,
aber schon blitzten auch die Bajonette und Gewehrläufe der uns vorangegangnen
Kompagnie aus den Fenstern nud Dachluken der seitwärts liegenden Häuser und
machten eine längere Verteidigung der Barrikade unmöglich. Die Übersteigung
des steilen Walles unter dem fortdauernden heftigen Feuer der Polen bot dennoch
manche Schwierigkeiten und Gefahren. Sie wurde hauptsächlich an einer schmalen
Stelle nnsgeführt. die vorher als Durchlaß gedient hatte und erst im letzten Augen¬
blick durch'Karren, Balken und Gerümpel aller Art geschlossen worden war.

Dem von dem 7. Regiment mit der Erstürmung der Hauptbarrikade gegebnen
Impulse folgte" auch die andern an deu Eingängen der Stadt kämpfenden Truppen.
Von allen Seiten drangen jetzt die stürmenden Kompagnien in der innern Stadt
bis auf den Marktplatz vor. Hier bot sich ihnen ein grausiges Bild. Auf dem
Marktplatze knieten die von allen Seiten eingeschlossenen Polen zu mehreren Hun¬
derten, die Sensen und Flinten vor sich niedergelegt zum Zeichen ihrer Unter¬
werfung, und reckten gnadeflehcnd ihre Hände zum Himmel empor, die meisten in
ihren langen Kitteln, die Haare wild über die Stirn herab hängend, in Antlitz
und Kleidern noch Spuren des mitgemachten Kampfes; andre in Schnurröcken,
die Konföderiertenmütze in den Händen zusammenpressend, die Blicke trotzig auf
den Boden geheftet.

Schon war es für Freund und Feind Zeit, die Stadt zu verlassen, die sich
allmählich in ein wogendes Feuermeer verwandelte. Auf einem Platz angesichts
der brennenden Stadt wurden die Gefangnen gesammelt. Besondres Aufsehen er¬
regte ein mitgefanguer Priester, der in seiner Amtskleidung mit Wort und That
an dem Straßenkampf teilgenommen hatte. Unser Bataillonskommandeur. Major
d- G., wußte schon vorher von der Anwesenheit dieses Mannes auf oder hinter
den Barrikaden von Xions und hatte vor unserm Ausmarsch zum Gefecht einen
Chnmpagnerthaler -- so nannte er die Doppelmünze -- als Belohnung für den
ausgesetzt, der ihm diesen Priester als Gefangnen bringen würde. Als dieser nach
der Beendung des Gefechts dem noch zu Pferde sitzenden, grimmig dreinschauenden
Major wirklich vorgeführt wurde in seinem theatralischen Auszug, den Schleppsäbel
am breiten Gurte über dein Ornate tragend und das Krenz mit dem Rosenkranz in
der Hand, konnte v. G. sich nicht enthalten, ihm. dem "reißenden Wolf in der
Pnesterkntte." eine auf seine Art mit Kraftnnsdrücken gespickte Strafpredigt zu
halten, die dieser mit gesenktem und entblößtem Haupt über sich ergehn lassen
mußte. Den Säbel ließ v. G. ihm abnehmen und legte ihn selbst an, um "die
Waffe, die jener in Unehren geführt, wieder zu Ehren zu bringen." Als dann
die Gefangnen aufbrechen sollten, um nach Posen transportiert zu werden, wandte
sich der gedemütigte Priester an den Major mit der Bitte, daß man ihm die Ver¬
günstigung gewähren möge, fahren zu dürfen, was aber v. G. mit einer Variante
des bekannten Sprichworts: "Mitgefangen -- mitgegangen!" kurzweg abschlug.
Dann, sagte der geistliche Herr, sehe er sich zu einem Geständnis genötigt, und
er fügte mit gedämpfter Stimme nur für deu Major eine Mitteilung hinzu, die
ans diesen den Eindruck des Unerwartetem zu machen schien; denn er fuhr plötzlich
mit verändertem Ton heraus: "I das wäre! Wenn das wahr ist, dann sind Sie
ja trotz alledem in Ihrer Art ein Ehrenmann, mein Herr!" -- Er ließ einen Arzt



Der Prinz von Preußen, unser nachmaliner deutscher Kaiser Wilhelm I.. war der all-
o erehrte Chef des hier in Rede stehenden Infanterieregiments Ur. 7.
Grenzboten IV 100L 84
Erinnerungen aus dem polnischen Insnrrektiouskriege

von dieser her und uns den Häusern zu beiden Seiten der Straße mit einem
heftigen Feuer empfangen und löste sich nach und uach größtenteils im Straßen-
und Häusergefecht auf. Die folgende geschlossene Kompagnie, bei der ich stand,
nahm bet dem Einbiegen in die Hauptstraße, etwa hundert Schritt vor der Barri¬
kade, dos Gewehr zur Attacke rechts und ging im Sturmschritt uuter dem Rufe: „Es
lebe der Prinz von Preußen, Hurra!" ") auf die Barrikade los. Die Kosseniere streckten
uns, zum äußersten Widerstande entschlossen, ihre langen Sensen mit den kurzen
scharfen Widerhnkeu zum Einhaken und Fortziehen der lebenden Leute über die
Barrikade entgegen, wahrend die Flammen schon zu ihren Häuptern emporloderten,
aber schon blitzten auch die Bajonette und Gewehrläufe der uns vorangegangnen
Kompagnie aus den Fenstern nud Dachluken der seitwärts liegenden Häuser und
machten eine längere Verteidigung der Barrikade unmöglich. Die Übersteigung
des steilen Walles unter dem fortdauernden heftigen Feuer der Polen bot dennoch
manche Schwierigkeiten und Gefahren. Sie wurde hauptsächlich an einer schmalen
Stelle nnsgeführt. die vorher als Durchlaß gedient hatte und erst im letzten Augen¬
blick durch'Karren, Balken und Gerümpel aller Art geschlossen worden war.

Dem von dem 7. Regiment mit der Erstürmung der Hauptbarrikade gegebnen
Impulse folgte« auch die andern an deu Eingängen der Stadt kämpfenden Truppen.
Von allen Seiten drangen jetzt die stürmenden Kompagnien in der innern Stadt
bis auf den Marktplatz vor. Hier bot sich ihnen ein grausiges Bild. Auf dem
Marktplatze knieten die von allen Seiten eingeschlossenen Polen zu mehreren Hun¬
derten, die Sensen und Flinten vor sich niedergelegt zum Zeichen ihrer Unter¬
werfung, und reckten gnadeflehcnd ihre Hände zum Himmel empor, die meisten in
ihren langen Kitteln, die Haare wild über die Stirn herab hängend, in Antlitz
und Kleidern noch Spuren des mitgemachten Kampfes; andre in Schnurröcken,
die Konföderiertenmütze in den Händen zusammenpressend, die Blicke trotzig auf
den Boden geheftet.

Schon war es für Freund und Feind Zeit, die Stadt zu verlassen, die sich
allmählich in ein wogendes Feuermeer verwandelte. Auf einem Platz angesichts
der brennenden Stadt wurden die Gefangnen gesammelt. Besondres Aufsehen er¬
regte ein mitgefanguer Priester, der in seiner Amtskleidung mit Wort und That
an dem Straßenkampf teilgenommen hatte. Unser Bataillonskommandeur. Major
d- G., wußte schon vorher von der Anwesenheit dieses Mannes auf oder hinter
den Barrikaden von Xions und hatte vor unserm Ausmarsch zum Gefecht einen
Chnmpagnerthaler — so nannte er die Doppelmünze — als Belohnung für den
ausgesetzt, der ihm diesen Priester als Gefangnen bringen würde. Als dieser nach
der Beendung des Gefechts dem noch zu Pferde sitzenden, grimmig dreinschauenden
Major wirklich vorgeführt wurde in seinem theatralischen Auszug, den Schleppsäbel
am breiten Gurte über dein Ornate tragend und das Krenz mit dem Rosenkranz in
der Hand, konnte v. G. sich nicht enthalten, ihm. dem „reißenden Wolf in der
Pnesterkntte." eine auf seine Art mit Kraftnnsdrücken gespickte Strafpredigt zu
halten, die dieser mit gesenktem und entblößtem Haupt über sich ergehn lassen
mußte. Den Säbel ließ v. G. ihm abnehmen und legte ihn selbst an, um „die
Waffe, die jener in Unehren geführt, wieder zu Ehren zu bringen." Als dann
die Gefangnen aufbrechen sollten, um nach Posen transportiert zu werden, wandte
sich der gedemütigte Priester an den Major mit der Bitte, daß man ihm die Ver¬
günstigung gewähren möge, fahren zu dürfen, was aber v. G. mit einer Variante
des bekannten Sprichworts: „Mitgefangen — mitgegangen!" kurzweg abschlug.
Dann, sagte der geistliche Herr, sehe er sich zu einem Geständnis genötigt, und
er fügte mit gedämpfter Stimme nur für deu Major eine Mitteilung hinzu, die
ans diesen den Eindruck des Unerwartetem zu machen schien; denn er fuhr plötzlich
mit verändertem Ton heraus: „I das wäre! Wenn das wahr ist, dann sind Sie
ja trotz alledem in Ihrer Art ein Ehrenmann, mein Herr!" — Er ließ einen Arzt



Der Prinz von Preußen, unser nachmaliner deutscher Kaiser Wilhelm I.. war der all-
o erehrte Chef des hier in Rede stehenden Infanterieregiments Ur. 7.
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[0679] Erinnerungen aus dem polnischen Insnrrektiouskriege von dieser her und uns den Häusern zu beiden Seiten der Straße mit einem heftigen Feuer empfangen und löste sich nach und uach größtenteils im Straßen- und Häusergefecht auf. Die folgende geschlossene Kompagnie, bei der ich stand, nahm bet dem Einbiegen in die Hauptstraße, etwa hundert Schritt vor der Barri¬ kade, dos Gewehr zur Attacke rechts und ging im Sturmschritt uuter dem Rufe: „Es lebe der Prinz von Preußen, Hurra!" ") auf die Barrikade los. Die Kosseniere streckten uns, zum äußersten Widerstande entschlossen, ihre langen Sensen mit den kurzen scharfen Widerhnkeu zum Einhaken und Fortziehen der lebenden Leute über die Barrikade entgegen, wahrend die Flammen schon zu ihren Häuptern emporloderten, aber schon blitzten auch die Bajonette und Gewehrläufe der uns vorangegangnen Kompagnie aus den Fenstern nud Dachluken der seitwärts liegenden Häuser und machten eine längere Verteidigung der Barrikade unmöglich. Die Übersteigung des steilen Walles unter dem fortdauernden heftigen Feuer der Polen bot dennoch manche Schwierigkeiten und Gefahren. Sie wurde hauptsächlich an einer schmalen Stelle nnsgeführt. die vorher als Durchlaß gedient hatte und erst im letzten Augen¬ blick durch'Karren, Balken und Gerümpel aller Art geschlossen worden war. Dem von dem 7. Regiment mit der Erstürmung der Hauptbarrikade gegebnen Impulse folgte« auch die andern an deu Eingängen der Stadt kämpfenden Truppen. Von allen Seiten drangen jetzt die stürmenden Kompagnien in der innern Stadt bis auf den Marktplatz vor. Hier bot sich ihnen ein grausiges Bild. Auf dem Marktplatze knieten die von allen Seiten eingeschlossenen Polen zu mehreren Hun¬ derten, die Sensen und Flinten vor sich niedergelegt zum Zeichen ihrer Unter¬ werfung, und reckten gnadeflehcnd ihre Hände zum Himmel empor, die meisten in ihren langen Kitteln, die Haare wild über die Stirn herab hängend, in Antlitz und Kleidern noch Spuren des mitgemachten Kampfes; andre in Schnurröcken, die Konföderiertenmütze in den Händen zusammenpressend, die Blicke trotzig auf den Boden geheftet. Schon war es für Freund und Feind Zeit, die Stadt zu verlassen, die sich allmählich in ein wogendes Feuermeer verwandelte. Auf einem Platz angesichts der brennenden Stadt wurden die Gefangnen gesammelt. Besondres Aufsehen er¬ regte ein mitgefanguer Priester, der in seiner Amtskleidung mit Wort und That an dem Straßenkampf teilgenommen hatte. Unser Bataillonskommandeur. Major d- G., wußte schon vorher von der Anwesenheit dieses Mannes auf oder hinter den Barrikaden von Xions und hatte vor unserm Ausmarsch zum Gefecht einen Chnmpagnerthaler — so nannte er die Doppelmünze — als Belohnung für den ausgesetzt, der ihm diesen Priester als Gefangnen bringen würde. Als dieser nach der Beendung des Gefechts dem noch zu Pferde sitzenden, grimmig dreinschauenden Major wirklich vorgeführt wurde in seinem theatralischen Auszug, den Schleppsäbel am breiten Gurte über dein Ornate tragend und das Krenz mit dem Rosenkranz in der Hand, konnte v. G. sich nicht enthalten, ihm. dem „reißenden Wolf in der Pnesterkntte." eine auf seine Art mit Kraftnnsdrücken gespickte Strafpredigt zu halten, die dieser mit gesenktem und entblößtem Haupt über sich ergehn lassen mußte. Den Säbel ließ v. G. ihm abnehmen und legte ihn selbst an, um „die Waffe, die jener in Unehren geführt, wieder zu Ehren zu bringen." Als dann die Gefangnen aufbrechen sollten, um nach Posen transportiert zu werden, wandte sich der gedemütigte Priester an den Major mit der Bitte, daß man ihm die Ver¬ günstigung gewähren möge, fahren zu dürfen, was aber v. G. mit einer Variante des bekannten Sprichworts: „Mitgefangen — mitgegangen!" kurzweg abschlug. Dann, sagte der geistliche Herr, sehe er sich zu einem Geständnis genötigt, und er fügte mit gedämpfter Stimme nur für deu Major eine Mitteilung hinzu, die ans diesen den Eindruck des Unerwartetem zu machen schien; denn er fuhr plötzlich mit verändertem Ton heraus: „I das wäre! Wenn das wahr ist, dann sind Sie ja trotz alledem in Ihrer Art ein Ehrenmann, mein Herr!" — Er ließ einen Arzt Der Prinz von Preußen, unser nachmaliner deutscher Kaiser Wilhelm I.. war der all- o erehrte Chef des hier in Rede stehenden Infanterieregiments Ur. 7. Grenzboten IV 100L 84

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/679>, abgerufen am 01.09.2024.