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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Die brandenburgische Provinzialsynode

haben, nun einfach "im Vibclglauben und im Bekenntnis der Kirche" -- wie
es vou der Majorität der Synode gemeint ist: unter dessen wortgetreuer,
orthodoxer Auslegung -- zu befestigen? Werden diese Bemühungen nicht
weit eher dahin führen, in den Herzen der angehenden Geistlichen Zwiespalt
zu erregen und ihnen schwere Gewissensskrupel zu erwecken als sie geschickt zu
machen, in Freudigkeit in die Amtsansübung zu treten?

Zudem: was heißt "Bibelgläubigkeit," und was heißt "Befestigung im
Bekenntnis der Kirche"?

Daß in den biblischen Erzählungen Wahrheit mit Dichtung und Legende
gemischt ist, daß sich auch in dein apostolischen Glaubensbekenntnis Ausdrücke
finden, die bei dem heutigen Staude der allgemeinen Bildung nur im bild¬
lichen oder im übertragnen Sinn verstanden werden können --- hingewiesen
sei nur auf das "sitzend zur rechten Hand Gottes" und auf die "Auferstehung
des Fleisches" --, das wird wohl auch von orthodoxer Seite kaum bestritten
werden.

Eine Buchstnbengläubigkeit also gegenüber der Bibel und dem Bekenntnis
kann auch auf den Seminaren nicht gelehrt und beim Eintritt in die praktische
Amtsthätigkeit nicht gefordert werden. Nur um ein Mehr oder Weniger des
Abweicheus vom Buchstabenglauben kann es sich auf der Universität wie bei
der Zulassung zum Amtsantritt handeln.

Unüberbrückbar erscheint danach die Kluft nicht. Ungangbar aber erscheint
der von der Proviuzialshnode empfohln" Weg, einen Gegensatz des Unterrichts¬
ziels von Universitäts- und Seminarbildung zu schaffen und solchermaßen in
der Semiuarbilbung eine Brücke über die Kluft zu schlagen.

Giebt es noch einen andern Weg?

Will man ihn finden, fo ist es zunächst nötig, fest im Auge zu behalten,
daß es sich nicht um eine Kluft zwischen "Wissenschaft" und "Kirche" und
ebensowenig um eine Kluft zwischen "Wissenschaft" und "Glauben" handelt,
sondern allein um einen Unterschied zwischen den?, was weit verbreiteten Rich¬
tungen der heutigen theologischen Wissenschaft, und dem, was der überwiegenden
Mehrheit der Inhaber der für die Zulassung der Geistlichen zum Amt in Be¬
tracht kommenden kirchenregimentlichen Ämter als Inhalt der christlichen
Glauben sich re erscheint.

Eine Änderung ihrer Lehre von den Vertretern der Wissenschaft zU
fordern ist unmöglich, denn sie können und dürfen nicht gegen ihre Über¬
zeugung lehren. Eine Änderung der Anforderungen aber, die vom Kirchen¬
regiment an den Glaubensstand der angehenden und der amtierenden Geist¬
lichen gestellt werden, ist möglich. Hier wird nicht verlangt, daß die Herren
vom Kirchenregiment ihre Überzeugung wandeln; es wird in keiner Weise das
Ansinnen an sie gestellt, den streng orthodoxen Standpunkt, sofern sie auf
ihm stehn, zu verlassen. Nur Duldung solcher Anschauungen, wie sie auf den
Universitäten als Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung von streng religiös
denkenden Theologen vertreten werden, auch bei den in das Pfarramt ein¬
tretenden angehenden Geistlichen ist es, was verlangt werden darf. Denn du?
Übung dieser Toleranz ist der einzige Weg, zahlreichen jungen Theologen die
Gewissensskrupel zu ersparen, die bei Zulassung zum Pfarramt ihnen heute


Die brandenburgische Provinzialsynode

haben, nun einfach „im Vibclglauben und im Bekenntnis der Kirche" — wie
es vou der Majorität der Synode gemeint ist: unter dessen wortgetreuer,
orthodoxer Auslegung — zu befestigen? Werden diese Bemühungen nicht
weit eher dahin führen, in den Herzen der angehenden Geistlichen Zwiespalt
zu erregen und ihnen schwere Gewissensskrupel zu erwecken als sie geschickt zu
machen, in Freudigkeit in die Amtsansübung zu treten?

Zudem: was heißt „Bibelgläubigkeit," und was heißt „Befestigung im
Bekenntnis der Kirche"?

Daß in den biblischen Erzählungen Wahrheit mit Dichtung und Legende
gemischt ist, daß sich auch in dein apostolischen Glaubensbekenntnis Ausdrücke
finden, die bei dem heutigen Staude der allgemeinen Bildung nur im bild¬
lichen oder im übertragnen Sinn verstanden werden können —- hingewiesen
sei nur auf das „sitzend zur rechten Hand Gottes" und auf die „Auferstehung
des Fleisches" —, das wird wohl auch von orthodoxer Seite kaum bestritten
werden.

Eine Buchstnbengläubigkeit also gegenüber der Bibel und dem Bekenntnis
kann auch auf den Seminaren nicht gelehrt und beim Eintritt in die praktische
Amtsthätigkeit nicht gefordert werden. Nur um ein Mehr oder Weniger des
Abweicheus vom Buchstabenglauben kann es sich auf der Universität wie bei
der Zulassung zum Amtsantritt handeln.

Unüberbrückbar erscheint danach die Kluft nicht. Ungangbar aber erscheint
der von der Proviuzialshnode empfohln« Weg, einen Gegensatz des Unterrichts¬
ziels von Universitäts- und Seminarbildung zu schaffen und solchermaßen in
der Semiuarbilbung eine Brücke über die Kluft zu schlagen.

Giebt es noch einen andern Weg?

Will man ihn finden, fo ist es zunächst nötig, fest im Auge zu behalten,
daß es sich nicht um eine Kluft zwischen „Wissenschaft" und „Kirche" und
ebensowenig um eine Kluft zwischen „Wissenschaft" und „Glauben" handelt,
sondern allein um einen Unterschied zwischen den?, was weit verbreiteten Rich¬
tungen der heutigen theologischen Wissenschaft, und dem, was der überwiegenden
Mehrheit der Inhaber der für die Zulassung der Geistlichen zum Amt in Be¬
tracht kommenden kirchenregimentlichen Ämter als Inhalt der christlichen
Glauben sich re erscheint.

Eine Änderung ihrer Lehre von den Vertretern der Wissenschaft zU
fordern ist unmöglich, denn sie können und dürfen nicht gegen ihre Über¬
zeugung lehren. Eine Änderung der Anforderungen aber, die vom Kirchen¬
regiment an den Glaubensstand der angehenden und der amtierenden Geist¬
lichen gestellt werden, ist möglich. Hier wird nicht verlangt, daß die Herren
vom Kirchenregiment ihre Überzeugung wandeln; es wird in keiner Weise das
Ansinnen an sie gestellt, den streng orthodoxen Standpunkt, sofern sie auf
ihm stehn, zu verlassen. Nur Duldung solcher Anschauungen, wie sie auf den
Universitäten als Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung von streng religiös
denkenden Theologen vertreten werden, auch bei den in das Pfarramt ein¬
tretenden angehenden Geistlichen ist es, was verlangt werden darf. Denn du?
Übung dieser Toleranz ist der einzige Weg, zahlreichen jungen Theologen die
Gewissensskrupel zu ersparen, die bei Zulassung zum Pfarramt ihnen heute


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/666>, abgerufen am 01.09.2024.