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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Verhandlungen angeknüpft, um sie zum Eintritt in dus Abgeordnetenhaus zu
bewegen zu dem ausgesprochnen Zweck, das deutsche Ministerium stürzen zu
helfen. In den ersten Novembertageu des Jahres 1878 trat das Leibblatt
des Dr. Herbst mit diesem Vorschlag an die Öffentlichkeit, den die Deutschen
zwar mit starrem Staunen totschwiegen, aber Herrn Dr. Herbst duldeten sie
doch weiter als anerkannten Führer.

Es war nötig, diesen Teil der Entwicklung der innern österreichischen
Politik ausführlicher zu besprechen, weil die Mitteilungen darüber sonst nicht
immer objektiv laute", während die Vorgänge durchaus geeignet sind, zum
Verständnis der Zeitläufte im darauffolgenden Vierteljahrhundert beizutragen.
Die damaligen Deutschösterreicher sind ebenso wie die preußische Fortschrittspartei
in ihrem liberal-radikalen Kampf gegen Reaktion, Junkertum sowie Militär
und für die Parlameutsherrschaft unterlege", aber sie scheiterten nicht an der
unbeugsamen Festigkeit eines monarchischen Ministeriums, sondern das ihrer
Nationalität angehörige Ministerium wurde einfach mit ihnen unmöglich.
Preußen konnte freilich ganz ruhig den innern Konflikt aushalten, das Deutsche
Reich verträgt noch heute einen Eugen Richter mit seinen Anhängern und den
ihm gesinnungsverwandten Politikern, denn die Nachteile davon kommen nur
in geringem Maße den wenigen nichtdeutschen Staatsangehörigen zu gute. In
Osterreich liegt aber die Sache ganz anders, dort wächst jedes Teilchen von
Macht, das die Deutschen dnrch eine fehlerhafte politische Haltung einbüßen,
notwendigerweise den Slawen und in dualistischen Angelegenheiten den Ma¬
gyaren zu, dort gilt es für die Deutschen, Macht zu gewinnen, aber nicht durch
eine politische oder parlamentarische Niederlage nach der andern an Ansehen
und innerer Kraft zu verlieren. Dann hilft kein Jammern, kein Anklagen
der Regierung und kein Anrufen der Stammesbrüder mehr. Mit dem Verlust
der Parlamentsmehrheit ist auch die Einigkeit, die damals, wenn auch auf
verfehlter politischer Grundlage, vorhanden war, verloren gegangen, und die
Erkenntnis, daß damals schwere Fehler begangen worden waren, hat zu
immer weitern Spaltungen geführt, die Thatsache, daß die Führer schlecht ge¬
führt haben, hat Beschimpfungen der besten Männer und der kleinen Partei¬
gruppen untereinander zur Folge gehabt, wie dies in keiner andern Nation
in Österreich der Fall gewesen ist. Aber trotz alledem hat man den Kardinal¬
fehler, der Ende der siebziger Jahre begangen wurde, noch immer nicht ein¬
gesehen; gerade die lautesten Parteien kennen auch heute nichts andres, als
den Kampf nach allen Fronten zugleich zu führen, die Opposition in jedem
Falle scheint ihnen die einzig mögliche Form der politischen Thätigkeit. Sie
führen immer das Wort deutsch im Munde, sind aber doch nichts andres als
liberalradikal.

Das Ministerium Taaffe war eine Notwendigkeit. Es mußte den Deutsch¬
liberalen gezeigt werden, daß es ohne sie und ohne ihre konstitutionellen Grund-
sätze ging, und Taaffe war der rechte Mann, ihnen die Nichtigkeit des Parla¬
mentarismus darzuthun. Das Schwungrad einer großen Staatsmnschine geht
nun freilich noch lange weiter, wenn auch die einzelnen Teile nicht mehr richtig
arbeiten, und der Strom der treibenden Kraft nachzulassen beginnt, sogar ein


Deutsch - Gsterreich

Verhandlungen angeknüpft, um sie zum Eintritt in dus Abgeordnetenhaus zu
bewegen zu dem ausgesprochnen Zweck, das deutsche Ministerium stürzen zu
helfen. In den ersten Novembertageu des Jahres 1878 trat das Leibblatt
des Dr. Herbst mit diesem Vorschlag an die Öffentlichkeit, den die Deutschen
zwar mit starrem Staunen totschwiegen, aber Herrn Dr. Herbst duldeten sie
doch weiter als anerkannten Führer.

Es war nötig, diesen Teil der Entwicklung der innern österreichischen
Politik ausführlicher zu besprechen, weil die Mitteilungen darüber sonst nicht
immer objektiv laute», während die Vorgänge durchaus geeignet sind, zum
Verständnis der Zeitläufte im darauffolgenden Vierteljahrhundert beizutragen.
Die damaligen Deutschösterreicher sind ebenso wie die preußische Fortschrittspartei
in ihrem liberal-radikalen Kampf gegen Reaktion, Junkertum sowie Militär
und für die Parlameutsherrschaft unterlege», aber sie scheiterten nicht an der
unbeugsamen Festigkeit eines monarchischen Ministeriums, sondern das ihrer
Nationalität angehörige Ministerium wurde einfach mit ihnen unmöglich.
Preußen konnte freilich ganz ruhig den innern Konflikt aushalten, das Deutsche
Reich verträgt noch heute einen Eugen Richter mit seinen Anhängern und den
ihm gesinnungsverwandten Politikern, denn die Nachteile davon kommen nur
in geringem Maße den wenigen nichtdeutschen Staatsangehörigen zu gute. In
Osterreich liegt aber die Sache ganz anders, dort wächst jedes Teilchen von
Macht, das die Deutschen dnrch eine fehlerhafte politische Haltung einbüßen,
notwendigerweise den Slawen und in dualistischen Angelegenheiten den Ma¬
gyaren zu, dort gilt es für die Deutschen, Macht zu gewinnen, aber nicht durch
eine politische oder parlamentarische Niederlage nach der andern an Ansehen
und innerer Kraft zu verlieren. Dann hilft kein Jammern, kein Anklagen
der Regierung und kein Anrufen der Stammesbrüder mehr. Mit dem Verlust
der Parlamentsmehrheit ist auch die Einigkeit, die damals, wenn auch auf
verfehlter politischer Grundlage, vorhanden war, verloren gegangen, und die
Erkenntnis, daß damals schwere Fehler begangen worden waren, hat zu
immer weitern Spaltungen geführt, die Thatsache, daß die Führer schlecht ge¬
führt haben, hat Beschimpfungen der besten Männer und der kleinen Partei¬
gruppen untereinander zur Folge gehabt, wie dies in keiner andern Nation
in Österreich der Fall gewesen ist. Aber trotz alledem hat man den Kardinal¬
fehler, der Ende der siebziger Jahre begangen wurde, noch immer nicht ein¬
gesehen; gerade die lautesten Parteien kennen auch heute nichts andres, als
den Kampf nach allen Fronten zugleich zu führen, die Opposition in jedem
Falle scheint ihnen die einzig mögliche Form der politischen Thätigkeit. Sie
führen immer das Wort deutsch im Munde, sind aber doch nichts andres als
liberalradikal.

Das Ministerium Taaffe war eine Notwendigkeit. Es mußte den Deutsch¬
liberalen gezeigt werden, daß es ohne sie und ohne ihre konstitutionellen Grund-
sätze ging, und Taaffe war der rechte Mann, ihnen die Nichtigkeit des Parla¬
mentarismus darzuthun. Das Schwungrad einer großen Staatsmnschine geht
nun freilich noch lange weiter, wenn auch die einzelnen Teile nicht mehr richtig
arbeiten, und der Strom der treibenden Kraft nachzulassen beginnt, sogar ein


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[0592] Deutsch - Gsterreich Verhandlungen angeknüpft, um sie zum Eintritt in dus Abgeordnetenhaus zu bewegen zu dem ausgesprochnen Zweck, das deutsche Ministerium stürzen zu helfen. In den ersten Novembertageu des Jahres 1878 trat das Leibblatt des Dr. Herbst mit diesem Vorschlag an die Öffentlichkeit, den die Deutschen zwar mit starrem Staunen totschwiegen, aber Herrn Dr. Herbst duldeten sie doch weiter als anerkannten Führer. Es war nötig, diesen Teil der Entwicklung der innern österreichischen Politik ausführlicher zu besprechen, weil die Mitteilungen darüber sonst nicht immer objektiv laute», während die Vorgänge durchaus geeignet sind, zum Verständnis der Zeitläufte im darauffolgenden Vierteljahrhundert beizutragen. Die damaligen Deutschösterreicher sind ebenso wie die preußische Fortschrittspartei in ihrem liberal-radikalen Kampf gegen Reaktion, Junkertum sowie Militär und für die Parlameutsherrschaft unterlege», aber sie scheiterten nicht an der unbeugsamen Festigkeit eines monarchischen Ministeriums, sondern das ihrer Nationalität angehörige Ministerium wurde einfach mit ihnen unmöglich. Preußen konnte freilich ganz ruhig den innern Konflikt aushalten, das Deutsche Reich verträgt noch heute einen Eugen Richter mit seinen Anhängern und den ihm gesinnungsverwandten Politikern, denn die Nachteile davon kommen nur in geringem Maße den wenigen nichtdeutschen Staatsangehörigen zu gute. In Osterreich liegt aber die Sache ganz anders, dort wächst jedes Teilchen von Macht, das die Deutschen dnrch eine fehlerhafte politische Haltung einbüßen, notwendigerweise den Slawen und in dualistischen Angelegenheiten den Ma¬ gyaren zu, dort gilt es für die Deutschen, Macht zu gewinnen, aber nicht durch eine politische oder parlamentarische Niederlage nach der andern an Ansehen und innerer Kraft zu verlieren. Dann hilft kein Jammern, kein Anklagen der Regierung und kein Anrufen der Stammesbrüder mehr. Mit dem Verlust der Parlamentsmehrheit ist auch die Einigkeit, die damals, wenn auch auf verfehlter politischer Grundlage, vorhanden war, verloren gegangen, und die Erkenntnis, daß damals schwere Fehler begangen worden waren, hat zu immer weitern Spaltungen geführt, die Thatsache, daß die Führer schlecht ge¬ führt haben, hat Beschimpfungen der besten Männer und der kleinen Partei¬ gruppen untereinander zur Folge gehabt, wie dies in keiner andern Nation in Österreich der Fall gewesen ist. Aber trotz alledem hat man den Kardinal¬ fehler, der Ende der siebziger Jahre begangen wurde, noch immer nicht ein¬ gesehen; gerade die lautesten Parteien kennen auch heute nichts andres, als den Kampf nach allen Fronten zugleich zu führen, die Opposition in jedem Falle scheint ihnen die einzig mögliche Form der politischen Thätigkeit. Sie führen immer das Wort deutsch im Munde, sind aber doch nichts andres als liberalradikal. Das Ministerium Taaffe war eine Notwendigkeit. Es mußte den Deutsch¬ liberalen gezeigt werden, daß es ohne sie und ohne ihre konstitutionellen Grund- sätze ging, und Taaffe war der rechte Mann, ihnen die Nichtigkeit des Parla¬ mentarismus darzuthun. Das Schwungrad einer großen Staatsmnschine geht nun freilich noch lange weiter, wenn auch die einzelnen Teile nicht mehr richtig arbeiten, und der Strom der treibenden Kraft nachzulassen beginnt, sogar ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/592>, abgerufen am 01.09.2024.