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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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denn in dieser Klasse steht er im zwölften oder dreizehnten Lebensjahre. Wer
aber seinen Jungen ans die latciulose Realschule schickt, der hat von An¬
fang an ein Studium nicht im Auge und muß die Folge" tragen, wenn
er sich dann hinterdrein anders besinnt, was thatsächlich höchst selten vor¬
kommt. Dazu wird die Ausdehnung der Berechtigung zum Universitätsstudium
die Notwendigkeit eines Übergangs von der einen Gattung der neunjährigen
höhern Schulen zur andern immer weiter verringern, also auch den Vorteil
des "Frankfurter Systems," dem doch der schwere Nachteil gegenübersteht, daß
von ihm aus jeder Übergang auf ein Normalgymnasium so gut wie abge¬
schnitten ist.

So ist der Vorteil selbst gering, und er wird sehr teuer, er wird aus
Kosten der alten Hauptfächer, der beiden klassischen Sprachen, und durch eine
Verstärkung des Französischen erkauft, für die es keine innern Gründe giebt.
Denn die Behauptung der Reformer, das Latein sei nnn eine völlig tote
Sprache, zu deren praktischem Gebrauch in Rede und Schrift ja auch das
Gymnasium gar uicht mehr anleiten wolle, müsse also zu diesem Zweck durch
eine moderne Sprache ersetzt werden, ist nicht stichhaltig. Wenn das Latein die
internationale Sprache der Wissenschaft nicht mehr in dem alten Umfange ist,
so hat es doch nicht ganz aufgehört, es zu sein. Man denke z. B. an das
große Vorxus insoiipticmuiu lickirmruiu Mvmmsens und andre Werke ähnlicher
Art, die für ein internationales Gelehrtenpublikum bestimmt sind und sich
deshalb des Lateinischen ebenso bedienen, wie das noch oft genug gelegentlich
internationale Gelehrtenversammluugen thun. Ferner ist das Lateinische be¬
kanntlich noch heute die amtliche Geschäftssprache der römischen Kirche, der
ausgedehntesten Organisation der Welt, ist also in diesem weiten Kreise seit
der Begründung des Christentums niemals gestorben, sondern hat auch nach
der Auflösung des weströmischen Reichs ununterbrochen weitergelebt. Deshalb
konnte der Fürstbischof Kopp von Breslau bei Gelegenheit der Schulkonferenz
im Dezember 1890 erklären: wenn der preußische Staat in seinen Gymnasien
das Latein noch weiter schwache, so werde seine Kirche in andrer Weise selbst
für seine Pflege sorgen müssen. Das hätte dann wohl eine keineswegs wünschens¬
werte starke Ausdehnung der Priestersennncirien zur Folge gehabt.

Für die Erhebung des Französischen als einer lebenden Hauptsprache zur
Grundlage des fremdsprachigen Unterrichts aber spricht positiv gar nichts. Es
ist durchaus kein deutsches Nationalinteresse, die im Rückgang begriffne Welt¬
geltung des Französischen, die nur wenig über zwei Jahrhunderte alt und im
diplomatischen Verkehr seit Bismarck bedeutend eingeschränkt worden ist, wieder
zu fördern, kein deutsches Vildungsinteresse, den Zugang zur französischen Lit¬
teratur zu erleichtern, die sich in ihrer witzigen, geistreichen, pointierter, durch¬
aus reflektierten Art am wenigsten für die Jugend eignet, kein deutsches Ner-
kehrsinteresse. das Französische in die erste Reihe zu rücken, denn in dieser
Ve-ziehung und durch seine Litteratur steht das Englische weit voran. Auch
fällt das Französische mit seiner reichentwickelten Formenlehre dem Knaben
kaum leichter als das Lateinische, wie die Zensuren gerade in der Quartn,
seiner gymnasialen Anfangsklasse, Jahr für Jahr beweisen, obwohl da schon


denn in dieser Klasse steht er im zwölften oder dreizehnten Lebensjahre. Wer
aber seinen Jungen ans die latciulose Realschule schickt, der hat von An¬
fang an ein Studium nicht im Auge und muß die Folge» tragen, wenn
er sich dann hinterdrein anders besinnt, was thatsächlich höchst selten vor¬
kommt. Dazu wird die Ausdehnung der Berechtigung zum Universitätsstudium
die Notwendigkeit eines Übergangs von der einen Gattung der neunjährigen
höhern Schulen zur andern immer weiter verringern, also auch den Vorteil
des „Frankfurter Systems," dem doch der schwere Nachteil gegenübersteht, daß
von ihm aus jeder Übergang auf ein Normalgymnasium so gut wie abge¬
schnitten ist.

So ist der Vorteil selbst gering, und er wird sehr teuer, er wird aus
Kosten der alten Hauptfächer, der beiden klassischen Sprachen, und durch eine
Verstärkung des Französischen erkauft, für die es keine innern Gründe giebt.
Denn die Behauptung der Reformer, das Latein sei nnn eine völlig tote
Sprache, zu deren praktischem Gebrauch in Rede und Schrift ja auch das
Gymnasium gar uicht mehr anleiten wolle, müsse also zu diesem Zweck durch
eine moderne Sprache ersetzt werden, ist nicht stichhaltig. Wenn das Latein die
internationale Sprache der Wissenschaft nicht mehr in dem alten Umfange ist,
so hat es doch nicht ganz aufgehört, es zu sein. Man denke z. B. an das
große Vorxus insoiipticmuiu lickirmruiu Mvmmsens und andre Werke ähnlicher
Art, die für ein internationales Gelehrtenpublikum bestimmt sind und sich
deshalb des Lateinischen ebenso bedienen, wie das noch oft genug gelegentlich
internationale Gelehrtenversammluugen thun. Ferner ist das Lateinische be¬
kanntlich noch heute die amtliche Geschäftssprache der römischen Kirche, der
ausgedehntesten Organisation der Welt, ist also in diesem weiten Kreise seit
der Begründung des Christentums niemals gestorben, sondern hat auch nach
der Auflösung des weströmischen Reichs ununterbrochen weitergelebt. Deshalb
konnte der Fürstbischof Kopp von Breslau bei Gelegenheit der Schulkonferenz
im Dezember 1890 erklären: wenn der preußische Staat in seinen Gymnasien
das Latein noch weiter schwache, so werde seine Kirche in andrer Weise selbst
für seine Pflege sorgen müssen. Das hätte dann wohl eine keineswegs wünschens¬
werte starke Ausdehnung der Priestersennncirien zur Folge gehabt.

Für die Erhebung des Französischen als einer lebenden Hauptsprache zur
Grundlage des fremdsprachigen Unterrichts aber spricht positiv gar nichts. Es
ist durchaus kein deutsches Nationalinteresse, die im Rückgang begriffne Welt¬
geltung des Französischen, die nur wenig über zwei Jahrhunderte alt und im
diplomatischen Verkehr seit Bismarck bedeutend eingeschränkt worden ist, wieder
zu fördern, kein deutsches Vildungsinteresse, den Zugang zur französischen Lit¬
teratur zu erleichtern, die sich in ihrer witzigen, geistreichen, pointierter, durch¬
aus reflektierten Art am wenigsten für die Jugend eignet, kein deutsches Ner-
kehrsinteresse. das Französische in die erste Reihe zu rücken, denn in dieser
Ve-ziehung und durch seine Litteratur steht das Englische weit voran. Auch
fällt das Französische mit seiner reichentwickelten Formenlehre dem Knaben
kaum leichter als das Lateinische, wie die Zensuren gerade in der Quartn,
seiner gymnasialen Anfangsklasse, Jahr für Jahr beweisen, obwohl da schon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/575>, abgerufen am 01.09.2024.