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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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sähen ein treuer, gehorsamer Sohn der Kirche und unsers heiligen Vaters sein!
Sie entziehn sich ja willkürlich seinem Einfluß und seiner Jurisdiktion; die Kirche
wird Ihnen zu einer Fremden, mit der Sie nichts mehr zu thun haben.

Meinen der hochwürdige Prälat damit, daß ich das Ansehen und den Ein¬
fluß der Kirche als einer vom Staate anerkannten geistigen Gewalt in Frage
stelle? Das thue ich keineswegs. Ich unterwerfe mich durchaus den Gesetzen
des Staats, und was er in Bezug auf die Heilighaltung kirchlicher Gebräuche ver¬
fügt, halte ich mich in jeder Beziehung zu befolgen für verpflichtet.

Aber die Kirche steht doch weit über dem Staat, und was sie von Ihnen
federt, ist deshalb ein viel zwingenderes Gebot, als was der in seinen Zielen und
Formen veränderliche Staat von Ihnen verlangen kann.

Nun ja, Hochwürden, ich weiß, daß das der Standpunkt ist, auf dem Rom
steht, und ich bekämpfe ihn nicht, insoweit Ihre Ansichten davon beeinflußt werden.
Nur insoweit mich die Sache angeht, habe ich meine eigne Meinung.

Und wozu führt Sie das, Graf? Daß Sie für sich von den Sakramenten
und Gnadenmitteln nichts erwarten, und daß Sie, wo es sich um Forderung kirchlicher
Zwecke und um die Verteidigung unsrer priesterlichen Vorrechte handelt, mehr als
lau sind? Glauben Sie, daß der Kirche mit solchen Anschnunngen gedient sein kann,
und daß sie die Toleranz soweit treiben darf, einen solchen Standpunkt nicht mit
allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln anzugreifen?

Aber wie können Hochwürden erwarten, daß ich mich veranlaßt finden könnte,
etwas zu fördern, was mir entweder nebensächlich oder gar gemeingefährlich erscheint?

Und welche von der Kirche getroffne Einrichtung, welcher von ihr aufgestellte
Grundsatz würde denn zu denen gehören, die Sie für nebensächlich oder gar für
gemeingefährlich halten? Denken Sie dabei an das Cölibat, ein die Klostergelübde,
an die Dogmen der Jnfallibilitdt und der unbefleckten Empfängnis, der die Mutter
unsers Heilands entsprossen ist? Sie müssen doch selbst fühlen, Graf, daß solche
Ansichten nichts andres sind als die reinste Ketzerei, und daß die Kirche dergleichen
in ihrem Schoße nicht dulden kann, wenn nicht das ganze im Laufe der Jahrhun¬
derte mit Gottes Hilfe aufgerichtete gewaltige Gebände zum Einsturz kommen soll.

Ob die Kirche dergleichen dulden kann, weiß ich nicht. Wie sie gegenwärtig
organisiert ist, und da sie nun einmal auf ihren weltlichen Einfluß, auf ihre welt¬
liche Stellung so großes Gewicht legt, so wird sie wohl solchen Widerstand nie
dulden "vollen und ihn vielleicht auch nie dulden dürfen. Auf rein geistigem Gebiet
bin ich kein Widersacher der Kirche. Im Gegenteil. Wie könnte ich das Recht, der
eignen Meinung zu folgen, das ich für mich in Anspruch nehme, da beeinträchtigen
Wollen, wo es sich um die unbedingte Glaubens- und Lehrfreiheit einer so gewaltigen
Gemeinschaft handelt, wie es die katholische Kirche ist? Nur in rein weltlichen Dingen
kann ich mich bisweilen für das Vorgehn und die Ziele der Kirche nicht erwärmen.

Mein Herr Graf, Sie sind im Irrtum. Die Bestrebungen der Kirche sind
"iemals weltlich, wenn auch die Mittel, deren sie sich zur Erreichung ihrer Zwecke
bedient, notgedrungen weltlich sind. Die Zwecke der Kirche werden schon allein
durch den Umstand, daß die Kirche sie zu den ihren macht, geistliche, und damit
fällt für das Individuum, für Sie wie für mich das Recht weg, darüber zu richten
oder ihnen gar Widerstand zu leisten. Graf, Sie sind ein Idealist, und zwar ein
der Kirche gefährlicher. Der Grundgedanke, von dem man auszugehn hat, daß die
Kirche eine' gewaltige, von Gott selbst gegründete und aufgebaute Institution ist,
für deren Bestand man keinen Stein als gleichgiltig oder nebensächlich betrachten
darf, ist Ihnen keine unumstößliche Wahrheit, kein Dogma. Darum sind Sie der
Kirche entfremdet, stehn außer ihr.

Was kann der Kirche an der Meinung eines Einzelnen gelegen scm-

Auch hier irren Sie im allgemeinen und im besondern. D,e Kirche muß den
Unglauben und die Gleichgiltigkeit bekämpfen, wo immer sie ihr entgegentreten, und
bei einem Manne, der wie Sie, Graf, wenn sich heute zwei Augen zuthun, für die


Am Fuße des l^radschins

sähen ein treuer, gehorsamer Sohn der Kirche und unsers heiligen Vaters sein!
Sie entziehn sich ja willkürlich seinem Einfluß und seiner Jurisdiktion; die Kirche
wird Ihnen zu einer Fremden, mit der Sie nichts mehr zu thun haben.

Meinen der hochwürdige Prälat damit, daß ich das Ansehen und den Ein¬
fluß der Kirche als einer vom Staate anerkannten geistigen Gewalt in Frage
stelle? Das thue ich keineswegs. Ich unterwerfe mich durchaus den Gesetzen
des Staats, und was er in Bezug auf die Heilighaltung kirchlicher Gebräuche ver¬
fügt, halte ich mich in jeder Beziehung zu befolgen für verpflichtet.

Aber die Kirche steht doch weit über dem Staat, und was sie von Ihnen
federt, ist deshalb ein viel zwingenderes Gebot, als was der in seinen Zielen und
Formen veränderliche Staat von Ihnen verlangen kann.

Nun ja, Hochwürden, ich weiß, daß das der Standpunkt ist, auf dem Rom
steht, und ich bekämpfe ihn nicht, insoweit Ihre Ansichten davon beeinflußt werden.
Nur insoweit mich die Sache angeht, habe ich meine eigne Meinung.

Und wozu führt Sie das, Graf? Daß Sie für sich von den Sakramenten
und Gnadenmitteln nichts erwarten, und daß Sie, wo es sich um Forderung kirchlicher
Zwecke und um die Verteidigung unsrer priesterlichen Vorrechte handelt, mehr als
lau sind? Glauben Sie, daß der Kirche mit solchen Anschnunngen gedient sein kann,
und daß sie die Toleranz soweit treiben darf, einen solchen Standpunkt nicht mit
allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln anzugreifen?

Aber wie können Hochwürden erwarten, daß ich mich veranlaßt finden könnte,
etwas zu fördern, was mir entweder nebensächlich oder gar gemeingefährlich erscheint?

Und welche von der Kirche getroffne Einrichtung, welcher von ihr aufgestellte
Grundsatz würde denn zu denen gehören, die Sie für nebensächlich oder gar für
gemeingefährlich halten? Denken Sie dabei an das Cölibat, ein die Klostergelübde,
an die Dogmen der Jnfallibilitdt und der unbefleckten Empfängnis, der die Mutter
unsers Heilands entsprossen ist? Sie müssen doch selbst fühlen, Graf, daß solche
Ansichten nichts andres sind als die reinste Ketzerei, und daß die Kirche dergleichen
in ihrem Schoße nicht dulden kann, wenn nicht das ganze im Laufe der Jahrhun¬
derte mit Gottes Hilfe aufgerichtete gewaltige Gebände zum Einsturz kommen soll.

Ob die Kirche dergleichen dulden kann, weiß ich nicht. Wie sie gegenwärtig
organisiert ist, und da sie nun einmal auf ihren weltlichen Einfluß, auf ihre welt¬
liche Stellung so großes Gewicht legt, so wird sie wohl solchen Widerstand nie
dulden »vollen und ihn vielleicht auch nie dulden dürfen. Auf rein geistigem Gebiet
bin ich kein Widersacher der Kirche. Im Gegenteil. Wie könnte ich das Recht, der
eignen Meinung zu folgen, das ich für mich in Anspruch nehme, da beeinträchtigen
Wollen, wo es sich um die unbedingte Glaubens- und Lehrfreiheit einer so gewaltigen
Gemeinschaft handelt, wie es die katholische Kirche ist? Nur in rein weltlichen Dingen
kann ich mich bisweilen für das Vorgehn und die Ziele der Kirche nicht erwärmen.

Mein Herr Graf, Sie sind im Irrtum. Die Bestrebungen der Kirche sind
»iemals weltlich, wenn auch die Mittel, deren sie sich zur Erreichung ihrer Zwecke
bedient, notgedrungen weltlich sind. Die Zwecke der Kirche werden schon allein
durch den Umstand, daß die Kirche sie zu den ihren macht, geistliche, und damit
fällt für das Individuum, für Sie wie für mich das Recht weg, darüber zu richten
oder ihnen gar Widerstand zu leisten. Graf, Sie sind ein Idealist, und zwar ein
der Kirche gefährlicher. Der Grundgedanke, von dem man auszugehn hat, daß die
Kirche eine' gewaltige, von Gott selbst gegründete und aufgebaute Institution ist,
für deren Bestand man keinen Stein als gleichgiltig oder nebensächlich betrachten
darf, ist Ihnen keine unumstößliche Wahrheit, kein Dogma. Darum sind Sie der
Kirche entfremdet, stehn außer ihr.

Was kann der Kirche an der Meinung eines Einzelnen gelegen scm-

Auch hier irren Sie im allgemeinen und im besondern. D,e Kirche muß den
Unglauben und die Gleichgiltigkeit bekämpfen, wo immer sie ihr entgegentreten, und
bei einem Manne, der wie Sie, Graf, wenn sich heute zwei Augen zuthun, für die


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[0557] Am Fuße des l^radschins sähen ein treuer, gehorsamer Sohn der Kirche und unsers heiligen Vaters sein! Sie entziehn sich ja willkürlich seinem Einfluß und seiner Jurisdiktion; die Kirche wird Ihnen zu einer Fremden, mit der Sie nichts mehr zu thun haben. Meinen der hochwürdige Prälat damit, daß ich das Ansehen und den Ein¬ fluß der Kirche als einer vom Staate anerkannten geistigen Gewalt in Frage stelle? Das thue ich keineswegs. Ich unterwerfe mich durchaus den Gesetzen des Staats, und was er in Bezug auf die Heilighaltung kirchlicher Gebräuche ver¬ fügt, halte ich mich in jeder Beziehung zu befolgen für verpflichtet. Aber die Kirche steht doch weit über dem Staat, und was sie von Ihnen federt, ist deshalb ein viel zwingenderes Gebot, als was der in seinen Zielen und Formen veränderliche Staat von Ihnen verlangen kann. Nun ja, Hochwürden, ich weiß, daß das der Standpunkt ist, auf dem Rom steht, und ich bekämpfe ihn nicht, insoweit Ihre Ansichten davon beeinflußt werden. Nur insoweit mich die Sache angeht, habe ich meine eigne Meinung. Und wozu führt Sie das, Graf? Daß Sie für sich von den Sakramenten und Gnadenmitteln nichts erwarten, und daß Sie, wo es sich um Forderung kirchlicher Zwecke und um die Verteidigung unsrer priesterlichen Vorrechte handelt, mehr als lau sind? Glauben Sie, daß der Kirche mit solchen Anschnunngen gedient sein kann, und daß sie die Toleranz soweit treiben darf, einen solchen Standpunkt nicht mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln anzugreifen? Aber wie können Hochwürden erwarten, daß ich mich veranlaßt finden könnte, etwas zu fördern, was mir entweder nebensächlich oder gar gemeingefährlich erscheint? Und welche von der Kirche getroffne Einrichtung, welcher von ihr aufgestellte Grundsatz würde denn zu denen gehören, die Sie für nebensächlich oder gar für gemeingefährlich halten? Denken Sie dabei an das Cölibat, ein die Klostergelübde, an die Dogmen der Jnfallibilitdt und der unbefleckten Empfängnis, der die Mutter unsers Heilands entsprossen ist? Sie müssen doch selbst fühlen, Graf, daß solche Ansichten nichts andres sind als die reinste Ketzerei, und daß die Kirche dergleichen in ihrem Schoße nicht dulden kann, wenn nicht das ganze im Laufe der Jahrhun¬ derte mit Gottes Hilfe aufgerichtete gewaltige Gebände zum Einsturz kommen soll. Ob die Kirche dergleichen dulden kann, weiß ich nicht. Wie sie gegenwärtig organisiert ist, und da sie nun einmal auf ihren weltlichen Einfluß, auf ihre welt¬ liche Stellung so großes Gewicht legt, so wird sie wohl solchen Widerstand nie dulden »vollen und ihn vielleicht auch nie dulden dürfen. Auf rein geistigem Gebiet bin ich kein Widersacher der Kirche. Im Gegenteil. Wie könnte ich das Recht, der eignen Meinung zu folgen, das ich für mich in Anspruch nehme, da beeinträchtigen Wollen, wo es sich um die unbedingte Glaubens- und Lehrfreiheit einer so gewaltigen Gemeinschaft handelt, wie es die katholische Kirche ist? Nur in rein weltlichen Dingen kann ich mich bisweilen für das Vorgehn und die Ziele der Kirche nicht erwärmen. Mein Herr Graf, Sie sind im Irrtum. Die Bestrebungen der Kirche sind »iemals weltlich, wenn auch die Mittel, deren sie sich zur Erreichung ihrer Zwecke bedient, notgedrungen weltlich sind. Die Zwecke der Kirche werden schon allein durch den Umstand, daß die Kirche sie zu den ihren macht, geistliche, und damit fällt für das Individuum, für Sie wie für mich das Recht weg, darüber zu richten oder ihnen gar Widerstand zu leisten. Graf, Sie sind ein Idealist, und zwar ein der Kirche gefährlicher. Der Grundgedanke, von dem man auszugehn hat, daß die Kirche eine' gewaltige, von Gott selbst gegründete und aufgebaute Institution ist, für deren Bestand man keinen Stein als gleichgiltig oder nebensächlich betrachten darf, ist Ihnen keine unumstößliche Wahrheit, kein Dogma. Darum sind Sie der Kirche entfremdet, stehn außer ihr. Was kann der Kirche an der Meinung eines Einzelnen gelegen scm- Auch hier irren Sie im allgemeinen und im besondern. D,e Kirche muß den Unglauben und die Gleichgiltigkeit bekämpfen, wo immer sie ihr entgegentreten, und bei einem Manne, der wie Sie, Graf, wenn sich heute zwei Augen zuthun, für die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/557>, abgerufen am 01.09.2024.