Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.Am Fuße des Hvadschins Gebäudekomplexe hindurchgeführt sind und ihr Ziel, die Burg, erst much vielfach uuter- Es bedarf beim Ausblick auf dieses mittelalterliche, uns trotz vielfältiger mili¬ In der schulfreien Zeit spielen hier vielleicht, nur mit deu beide" notwendigsten . Ja, die Geister der Vorzeit halten hier Wache, und es haben sich ihnen, auch Grenzboten IV 1902 ki9
Am Fuße des Hvadschins Gebäudekomplexe hindurchgeführt sind und ihr Ziel, die Burg, erst much vielfach uuter- Es bedarf beim Ausblick auf dieses mittelalterliche, uns trotz vielfältiger mili¬ In der schulfreien Zeit spielen hier vielleicht, nur mit deu beide» notwendigsten . Ja, die Geister der Vorzeit halten hier Wache, und es haben sich ihnen, auch Grenzboten IV 1902 ki9
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0555" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239343"/> <fw type="header" place="top"> Am Fuße des Hvadschins</fw><lb/> <p xml:id="ID_2592" prev="#ID_2591"> Gebäudekomplexe hindurchgeführt sind und ihr Ziel, die Burg, erst much vielfach uuter-<lb/> vrochnem, immer erneutem Anlauf erreichen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2593"> Es bedarf beim Ausblick auf dieses mittelalterliche, uns trotz vielfältiger mili¬<lb/> tärischer und politischer Katastrophen, von denen die Hauptstadt Böhmens im Laufe<lb/> der Jahrhunderte heimgesucht worden ist, erstaunlich gut erhaltene Bild keines be¬<lb/> sondern Vorsatzes, wenn man sich an den uralten Zeugen mittelalterlicher Wehr¬<lb/> haft, ständischer Macht und städtischen Gemeinsinns in geschichtlichen Anschauungs¬<lb/> unterricht vertiefen soll. Ereignisse und Meuschen — Universitntsgrnndung, utra-<lb/> Pustische Streitigkeiten, blutige Aufstände, rohe Verwüstungen, Stndentcnauszng,<lb/> Defenestrationen, feindlicher Sturm und kräftige Abwehr, das kurze pfälzische Regi¬<lb/> ment mit dem darauf folgenden laugen und blutigen Strafakt — Karl IV. und die<lb/> andern Luxemburger, Tycho de Brahe, Johannes Hus, Hieronymus, der Winterkönig,<lb/> der Friedländer, der preußische Friedrich, alle finden sich ein und ziehn an<lb/> unserm geistigen Auge vorüber. Aber während unten die Hauptverkehrsadern<lb/> der Volk- und fabrikreichen Stadt voll Getümmels und Lebeus sind, herrscht hier<lb/> °deu Einsamkeit und Stille. Ringsherum nichts als weltfernes Abgeschiedenseiu,<lb/> nichts als lautlose Ausgestorbenheit. Es ist einem zu Mute, als getmue sich das<lb/> Mutige junge Lebe» nicht hierher, als wären die menschenleeren Wälle, Plätze und<lb/> Straßen nur von deu Geistern der Vorzeit besucht, die das bunte Treiben der<lb/> ^pigvnen mit eisigem Schweigen vom einstigen Schauplatze ihrer wilden Thaten<lb/> fernzuhalten bemüht seien.</p><lb/> <p xml:id="ID_2594"> In der schulfreien Zeit spielen hier vielleicht, nur mit deu beide» notwendigsten<lb/> Bestandteilen europäischer Kleidung angethan, einige quecksilbrige Jungen „An¬<lb/> Magens" gegen die alten, dicken, verwitterten Mauern, die so vielen Stürmen<lb/> und Fährnissen siegreich getrotzt haben; oder es kehren eine Stunde nach Mittag<lb/> ^u paar Vaterlandsverteidiger, die blaue Lagermütze auf den Pfiff gesetzt, mit dem<lb/> ^euagegeschirr von der Wache zurück und begeben sich plaudernd, im gemächlichsten<lb/> ^uinmelschritt durch die mittelalterliche Thorfahrt nach der nahen an die Georgen-<lb/> apelle angebauten Winkelkaserne; oder es läutet gar eins am Eingange des alten<lb/> Dauses, worin, wenn man dem halb unlesbar gewordnen Schilde glauben dürfte,<lb/> nicht Gespenster, sondern. Korbflechter ihr Wesen treiben, und die in ihrer feier¬<lb/> ten Verödung gestörte Grabesstille macht sich ein schadenfrohes Vergnügen daraus,<lb/> harmlose Gebimmel der alten abgelebten Glocke zu erschreckendem Sturmläuten<lb/> "ufzubauscheu. Aber es gelingt ihr doch nicht, die etwas weiter hin von früh<lb/> ^ abend ans den Stufen betende gelähmte Bettlerin aus ihren halblaut ge¬<lb/> murmelten Psalmodien herauszuschrecken. Bei Wind und Wetter, in Regen und<lb/> Sonnenschein sitzt sie da, um die ihr gebührende milde Gabe des Vorübergehenden<lb/> ^uzuheiiuseu und fleht dafür mit höchstem Eifer des Himmels Segen ans den darin-<lb/> )elzigen Samariter herab. Auch die beiden gelangweilten Jnfanteristen haben, ob-<lb/> M sie selbstverständlicherweise nicht über fromme Wünsche und ein der alten Fran<lb/> sugewvrfnes Lox s vola in-Mu! (Gott mit Euch, Mutter) hinausgegangen sind, eben<lb/> "Iren Anteil am Manna der nie rastenden Fürbitte gehabt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2595"> . Ja, die Geister der Vorzeit halten hier Wache, und es haben sich ihnen, auch<lb/> heutigentags noch in Böhmen übermächtig, die tote Hand der Kirche und der<lb/> Ah allen begehrenswerter Punkten eingenistete, da ein Schloß, da einen Wildpark,<lb/> "fischreiche Teiche, ringsherum aber ausgebreitete Wälder und Felder umfassende<lb/> ^^uudienbesitz des hohen Adels als stumme Wächter zugesellt. Wie die übrige»<lb/> ^ofte Pnigs sj,^d auch die des Hradschins deu größte« Teil des Jahres über<lb/> wewvhut, weil ihre Eigentümer, der Schloßherr der kaiserlichen Burg an der<lb/> bis^c "".d^hwo frischeres Stadt- und Landleben genießen. Nur der Fürsterz-<lb/> und'Indos und die üblichen Stiftsdamen, die in der schllüsteu Aussicht über die Stadt<lb/> no un Andenken an die Kaiserin Maria Theresia für die Aussichtslosigkeit ihrer<lb/> "^^plane und für den eignen kinderlosen Herd Trost zu finden bemüht sind,<lb/> '-residieren" einigermaßen.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1902 ki9</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0555]
Am Fuße des Hvadschins
Gebäudekomplexe hindurchgeführt sind und ihr Ziel, die Burg, erst much vielfach uuter-
vrochnem, immer erneutem Anlauf erreichen.
Es bedarf beim Ausblick auf dieses mittelalterliche, uns trotz vielfältiger mili¬
tärischer und politischer Katastrophen, von denen die Hauptstadt Böhmens im Laufe
der Jahrhunderte heimgesucht worden ist, erstaunlich gut erhaltene Bild keines be¬
sondern Vorsatzes, wenn man sich an den uralten Zeugen mittelalterlicher Wehr¬
haft, ständischer Macht und städtischen Gemeinsinns in geschichtlichen Anschauungs¬
unterricht vertiefen soll. Ereignisse und Meuschen — Universitntsgrnndung, utra-
Pustische Streitigkeiten, blutige Aufstände, rohe Verwüstungen, Stndentcnauszng,
Defenestrationen, feindlicher Sturm und kräftige Abwehr, das kurze pfälzische Regi¬
ment mit dem darauf folgenden laugen und blutigen Strafakt — Karl IV. und die
andern Luxemburger, Tycho de Brahe, Johannes Hus, Hieronymus, der Winterkönig,
der Friedländer, der preußische Friedrich, alle finden sich ein und ziehn an
unserm geistigen Auge vorüber. Aber während unten die Hauptverkehrsadern
der Volk- und fabrikreichen Stadt voll Getümmels und Lebeus sind, herrscht hier
°deu Einsamkeit und Stille. Ringsherum nichts als weltfernes Abgeschiedenseiu,
nichts als lautlose Ausgestorbenheit. Es ist einem zu Mute, als getmue sich das
Mutige junge Lebe» nicht hierher, als wären die menschenleeren Wälle, Plätze und
Straßen nur von deu Geistern der Vorzeit besucht, die das bunte Treiben der
^pigvnen mit eisigem Schweigen vom einstigen Schauplatze ihrer wilden Thaten
fernzuhalten bemüht seien.
In der schulfreien Zeit spielen hier vielleicht, nur mit deu beide» notwendigsten
Bestandteilen europäischer Kleidung angethan, einige quecksilbrige Jungen „An¬
Magens" gegen die alten, dicken, verwitterten Mauern, die so vielen Stürmen
und Fährnissen siegreich getrotzt haben; oder es kehren eine Stunde nach Mittag
^u paar Vaterlandsverteidiger, die blaue Lagermütze auf den Pfiff gesetzt, mit dem
^euagegeschirr von der Wache zurück und begeben sich plaudernd, im gemächlichsten
^uinmelschritt durch die mittelalterliche Thorfahrt nach der nahen an die Georgen-
apelle angebauten Winkelkaserne; oder es läutet gar eins am Eingange des alten
Dauses, worin, wenn man dem halb unlesbar gewordnen Schilde glauben dürfte,
nicht Gespenster, sondern. Korbflechter ihr Wesen treiben, und die in ihrer feier¬
ten Verödung gestörte Grabesstille macht sich ein schadenfrohes Vergnügen daraus,
harmlose Gebimmel der alten abgelebten Glocke zu erschreckendem Sturmläuten
"ufzubauscheu. Aber es gelingt ihr doch nicht, die etwas weiter hin von früh
^ abend ans den Stufen betende gelähmte Bettlerin aus ihren halblaut ge¬
murmelten Psalmodien herauszuschrecken. Bei Wind und Wetter, in Regen und
Sonnenschein sitzt sie da, um die ihr gebührende milde Gabe des Vorübergehenden
^uzuheiiuseu und fleht dafür mit höchstem Eifer des Himmels Segen ans den darin-
)elzigen Samariter herab. Auch die beiden gelangweilten Jnfanteristen haben, ob-
M sie selbstverständlicherweise nicht über fromme Wünsche und ein der alten Fran
sugewvrfnes Lox s vola in-Mu! (Gott mit Euch, Mutter) hinausgegangen sind, eben
"Iren Anteil am Manna der nie rastenden Fürbitte gehabt.
. Ja, die Geister der Vorzeit halten hier Wache, und es haben sich ihnen, auch
heutigentags noch in Böhmen übermächtig, die tote Hand der Kirche und der
Ah allen begehrenswerter Punkten eingenistete, da ein Schloß, da einen Wildpark,
"fischreiche Teiche, ringsherum aber ausgebreitete Wälder und Felder umfassende
^^uudienbesitz des hohen Adels als stumme Wächter zugesellt. Wie die übrige»
^ofte Pnigs sj,^d auch die des Hradschins deu größte« Teil des Jahres über
wewvhut, weil ihre Eigentümer, der Schloßherr der kaiserlichen Burg an der
bis^c "".d^hwo frischeres Stadt- und Landleben genießen. Nur der Fürsterz-
und'Indos und die üblichen Stiftsdamen, die in der schllüsteu Aussicht über die Stadt
no un Andenken an die Kaiserin Maria Theresia für die Aussichtslosigkeit ihrer
"^^plane und für den eignen kinderlosen Herd Trost zu finden bemüht sind,
'-residieren" einigermaßen.
Grenzboten IV 1902 ki9
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