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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

genommen hat. Den farbigen Tafeln sind des Verfassers eigne Aquarellaufnahmen
zu Grunde gelegt, drei enthalten gestickte Kleidungsstücke, fünf Einzelporträts von
Bäuerinnen und eines Bauern, naturgetreu mit den Namen der Dargestellten und
dabei von wundervoller bildmäßiger Wirkung, sodasz jedes dieser Blätter eingerahmt
einen reizenden Zimmerschmuck abgeben würde. Bekanntlich sind die ländlichen
Trachten die Überbleibsel städtischer Moden einer bestimmten, oft weit zurück¬
liegenden Zeit, die es zu finden gilt, wenn man die Tracht versteh" will, mit Hilfe
alter Trachtenbilder und Gemälde, deren Vorräte Insel mit strenger Sorgfalt durch¬
forscht hat. Frauen Pflegen die Tracht länger zu bewahren als Männer, nicht als
ob sie konservativer innren, denn die Stadtdamen sind ja gerade die Trägerinnen
des Modewechsels und die gefügigen Instrumente der tonangebenden Fabrikation,
sondern weil dem weiblichen Geschlecht seine äußere Erscheinung wichtiger ist, und
weil die Bauernfrau ihre Tracht als etwas Wertvolles so lieb gewonnen hat, daß
sie nicht leicht etwas Schöneres dafür finden zu können meint. Während also die
langen Kirchenröcke und die breitkrempigen Hüte -- zunächst in dem hier von
Insel behandelten Gebiet -- nicht mehr bei den Burschen, sondern nur noch bei
den alten Männern zu finden sind, kleiden sich Frauen und Mädchen durcheinander
wohl noch wenigstens mit einzelnen Hanptkleidnngsstücken ihrer alten Tracht, Röcken,
Mietern und Kopfbedeckungen (die am längsten dauern!), wogegen sie kleinere An¬
hängsel, wie bunte Brustlätze oder Mäntelchen, nur noch in ihren Truhen aufbe¬
wahren. Manche Bestandteile sind auch aus dem allgemeinen Gebrauch verschwunden
und werden nur bei bestimmten Gelegenheiten getragen, namentlich bei Leichen¬
begängnissen, sodaß ein dörflicher Begräbniszug bisweilen noch heute ein ziemlich
einheitliches Trachtenbild aus längst verschwundner Zeit darstellen kann, eine kon¬
servierende Wirkung, die dem Bauernkleide überhaupt und auch schon früher für die
Geschichte der Tracht eine besondre Bedeutung giebt.

Die Figurentafeln dieser Lieferung beziehn sich auf einen kleinen Landstrich
an der obern Lahn zwischen Laasphe und Biedenkopf, den Breidenbacher Grund
mit wenig Dörfern, die zwei Gruppen bilden, das ehemalige Obergericht oder
"Gründchen" und das Untergericht, von den Bauern "Grund" genannt. Wir be¬
trachten die nach unserm Geschmack hübscheste Tafel. Elisabeth Dittmann ans Stein-
perf (zum einstigen Obergericht gehörend) steht in ihrem Zimmer vor einem Tisch
mit einer Blumenvase. In dem kleinen Wandspiegel spiegelt sich ein Fenster, durch
das man in die Landschaft steht; das Fensterkreuz erscheint noch einmal im hellen
Reflex auf dem Fußboden. Elisabeth trägt einen kurzen, wollnen Faltenrock von
dunkler Farbe, den "Büffel" mit breiter, weißer Schürze und weißem, langärmligem
Hemd. Unter der Verschnürnng des vorn offnen schwarzen Mieders sieht man den
bunten Brustlatz. Aber nun ihre Kopfbedeckung, das Jnteressanteste von allem!
Eine schwarze Mühe mit seitwärts lang herabhängenden seidnen Vindcbändern; der
vordre Rand läuft in halbkreisförmigem Bogen über den Haarwurzeln her, oben
aber hat sie die Gestalt einer für den Hinterkopf ausgeschnittner kegelförmigen
Röhre. Sie findet sich auf zahlreichen flandrischen Gemälden, niemals auf deutschem
Sehr hübsch hat Justi in Elisabeth Dietmarus Zimmer neben den kleinen Spiegel
ein ältniederländisches Bildchen gehängt, das Porträt der Frau Bürgermeister
Moreel von Hans Memling (nach dem Original im Brüsseler Museum), die die¬
selbe Mütze trägt. Wird der Kegelspitz verlängert, so entsteht daraus der burgun¬
dische "Herrin." Einen solchen trägt z. B. auf der Anbetung der Hirten in den
Uffizien die Gattin des Stifters Tommaso Portinnri, der das berühmte Bild für
das von seinem Ahn in Florenz gestiftete Spital S. Maria nuova in Brügge
hatte malen lassen. In der Turiner Galerie hängt ein Breitbild der Sieben Freuden
Maria, in der Münchner Pinakothek eine ähnlich komponierte Passion Christi, beide
von Memling; auf jenem Bilde trögt die knieende Stifterin den spitzen Herrin,
auf diesem die weniger hohe Mütze der Elisabeth Dittmann. Wie und wann ist
nun diese brabantische Mütze, die in den Niederlanden schon gegen Ende des fünf-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

genommen hat. Den farbigen Tafeln sind des Verfassers eigne Aquarellaufnahmen
zu Grunde gelegt, drei enthalten gestickte Kleidungsstücke, fünf Einzelporträts von
Bäuerinnen und eines Bauern, naturgetreu mit den Namen der Dargestellten und
dabei von wundervoller bildmäßiger Wirkung, sodasz jedes dieser Blätter eingerahmt
einen reizenden Zimmerschmuck abgeben würde. Bekanntlich sind die ländlichen
Trachten die Überbleibsel städtischer Moden einer bestimmten, oft weit zurück¬
liegenden Zeit, die es zu finden gilt, wenn man die Tracht versteh» will, mit Hilfe
alter Trachtenbilder und Gemälde, deren Vorräte Insel mit strenger Sorgfalt durch¬
forscht hat. Frauen Pflegen die Tracht länger zu bewahren als Männer, nicht als
ob sie konservativer innren, denn die Stadtdamen sind ja gerade die Trägerinnen
des Modewechsels und die gefügigen Instrumente der tonangebenden Fabrikation,
sondern weil dem weiblichen Geschlecht seine äußere Erscheinung wichtiger ist, und
weil die Bauernfrau ihre Tracht als etwas Wertvolles so lieb gewonnen hat, daß
sie nicht leicht etwas Schöneres dafür finden zu können meint. Während also die
langen Kirchenröcke und die breitkrempigen Hüte — zunächst in dem hier von
Insel behandelten Gebiet — nicht mehr bei den Burschen, sondern nur noch bei
den alten Männern zu finden sind, kleiden sich Frauen und Mädchen durcheinander
wohl noch wenigstens mit einzelnen Hanptkleidnngsstücken ihrer alten Tracht, Röcken,
Mietern und Kopfbedeckungen (die am längsten dauern!), wogegen sie kleinere An¬
hängsel, wie bunte Brustlätze oder Mäntelchen, nur noch in ihren Truhen aufbe¬
wahren. Manche Bestandteile sind auch aus dem allgemeinen Gebrauch verschwunden
und werden nur bei bestimmten Gelegenheiten getragen, namentlich bei Leichen¬
begängnissen, sodaß ein dörflicher Begräbniszug bisweilen noch heute ein ziemlich
einheitliches Trachtenbild aus längst verschwundner Zeit darstellen kann, eine kon¬
servierende Wirkung, die dem Bauernkleide überhaupt und auch schon früher für die
Geschichte der Tracht eine besondre Bedeutung giebt.

Die Figurentafeln dieser Lieferung beziehn sich auf einen kleinen Landstrich
an der obern Lahn zwischen Laasphe und Biedenkopf, den Breidenbacher Grund
mit wenig Dörfern, die zwei Gruppen bilden, das ehemalige Obergericht oder
„Gründchen" und das Untergericht, von den Bauern „Grund" genannt. Wir be¬
trachten die nach unserm Geschmack hübscheste Tafel. Elisabeth Dittmann ans Stein-
perf (zum einstigen Obergericht gehörend) steht in ihrem Zimmer vor einem Tisch
mit einer Blumenvase. In dem kleinen Wandspiegel spiegelt sich ein Fenster, durch
das man in die Landschaft steht; das Fensterkreuz erscheint noch einmal im hellen
Reflex auf dem Fußboden. Elisabeth trägt einen kurzen, wollnen Faltenrock von
dunkler Farbe, den „Büffel" mit breiter, weißer Schürze und weißem, langärmligem
Hemd. Unter der Verschnürnng des vorn offnen schwarzen Mieders sieht man den
bunten Brustlatz. Aber nun ihre Kopfbedeckung, das Jnteressanteste von allem!
Eine schwarze Mühe mit seitwärts lang herabhängenden seidnen Vindcbändern; der
vordre Rand läuft in halbkreisförmigem Bogen über den Haarwurzeln her, oben
aber hat sie die Gestalt einer für den Hinterkopf ausgeschnittner kegelförmigen
Röhre. Sie findet sich auf zahlreichen flandrischen Gemälden, niemals auf deutschem
Sehr hübsch hat Justi in Elisabeth Dietmarus Zimmer neben den kleinen Spiegel
ein ältniederländisches Bildchen gehängt, das Porträt der Frau Bürgermeister
Moreel von Hans Memling (nach dem Original im Brüsseler Museum), die die¬
selbe Mütze trägt. Wird der Kegelspitz verlängert, so entsteht daraus der burgun¬
dische „Herrin." Einen solchen trägt z. B. auf der Anbetung der Hirten in den
Uffizien die Gattin des Stifters Tommaso Portinnri, der das berühmte Bild für
das von seinem Ahn in Florenz gestiftete Spital S. Maria nuova in Brügge
hatte malen lassen. In der Turiner Galerie hängt ein Breitbild der Sieben Freuden
Maria, in der Münchner Pinakothek eine ähnlich komponierte Passion Christi, beide
von Memling; auf jenem Bilde trögt die knieende Stifterin den spitzen Herrin,
auf diesem die weniger hohe Mütze der Elisabeth Dittmann. Wie und wann ist
nun diese brabantische Mütze, die in den Niederlanden schon gegen Ende des fünf-


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[0512] Maßgebliches und Unmaßgebliches genommen hat. Den farbigen Tafeln sind des Verfassers eigne Aquarellaufnahmen zu Grunde gelegt, drei enthalten gestickte Kleidungsstücke, fünf Einzelporträts von Bäuerinnen und eines Bauern, naturgetreu mit den Namen der Dargestellten und dabei von wundervoller bildmäßiger Wirkung, sodasz jedes dieser Blätter eingerahmt einen reizenden Zimmerschmuck abgeben würde. Bekanntlich sind die ländlichen Trachten die Überbleibsel städtischer Moden einer bestimmten, oft weit zurück¬ liegenden Zeit, die es zu finden gilt, wenn man die Tracht versteh» will, mit Hilfe alter Trachtenbilder und Gemälde, deren Vorräte Insel mit strenger Sorgfalt durch¬ forscht hat. Frauen Pflegen die Tracht länger zu bewahren als Männer, nicht als ob sie konservativer innren, denn die Stadtdamen sind ja gerade die Trägerinnen des Modewechsels und die gefügigen Instrumente der tonangebenden Fabrikation, sondern weil dem weiblichen Geschlecht seine äußere Erscheinung wichtiger ist, und weil die Bauernfrau ihre Tracht als etwas Wertvolles so lieb gewonnen hat, daß sie nicht leicht etwas Schöneres dafür finden zu können meint. Während also die langen Kirchenröcke und die breitkrempigen Hüte — zunächst in dem hier von Insel behandelten Gebiet — nicht mehr bei den Burschen, sondern nur noch bei den alten Männern zu finden sind, kleiden sich Frauen und Mädchen durcheinander wohl noch wenigstens mit einzelnen Hanptkleidnngsstücken ihrer alten Tracht, Röcken, Mietern und Kopfbedeckungen (die am längsten dauern!), wogegen sie kleinere An¬ hängsel, wie bunte Brustlätze oder Mäntelchen, nur noch in ihren Truhen aufbe¬ wahren. Manche Bestandteile sind auch aus dem allgemeinen Gebrauch verschwunden und werden nur bei bestimmten Gelegenheiten getragen, namentlich bei Leichen¬ begängnissen, sodaß ein dörflicher Begräbniszug bisweilen noch heute ein ziemlich einheitliches Trachtenbild aus längst verschwundner Zeit darstellen kann, eine kon¬ servierende Wirkung, die dem Bauernkleide überhaupt und auch schon früher für die Geschichte der Tracht eine besondre Bedeutung giebt. Die Figurentafeln dieser Lieferung beziehn sich auf einen kleinen Landstrich an der obern Lahn zwischen Laasphe und Biedenkopf, den Breidenbacher Grund mit wenig Dörfern, die zwei Gruppen bilden, das ehemalige Obergericht oder „Gründchen" und das Untergericht, von den Bauern „Grund" genannt. Wir be¬ trachten die nach unserm Geschmack hübscheste Tafel. Elisabeth Dittmann ans Stein- perf (zum einstigen Obergericht gehörend) steht in ihrem Zimmer vor einem Tisch mit einer Blumenvase. In dem kleinen Wandspiegel spiegelt sich ein Fenster, durch das man in die Landschaft steht; das Fensterkreuz erscheint noch einmal im hellen Reflex auf dem Fußboden. Elisabeth trägt einen kurzen, wollnen Faltenrock von dunkler Farbe, den „Büffel" mit breiter, weißer Schürze und weißem, langärmligem Hemd. Unter der Verschnürnng des vorn offnen schwarzen Mieders sieht man den bunten Brustlatz. Aber nun ihre Kopfbedeckung, das Jnteressanteste von allem! Eine schwarze Mühe mit seitwärts lang herabhängenden seidnen Vindcbändern; der vordre Rand läuft in halbkreisförmigem Bogen über den Haarwurzeln her, oben aber hat sie die Gestalt einer für den Hinterkopf ausgeschnittner kegelförmigen Röhre. Sie findet sich auf zahlreichen flandrischen Gemälden, niemals auf deutschem Sehr hübsch hat Justi in Elisabeth Dietmarus Zimmer neben den kleinen Spiegel ein ältniederländisches Bildchen gehängt, das Porträt der Frau Bürgermeister Moreel von Hans Memling (nach dem Original im Brüsseler Museum), die die¬ selbe Mütze trägt. Wird der Kegelspitz verlängert, so entsteht daraus der burgun¬ dische „Herrin." Einen solchen trägt z. B. auf der Anbetung der Hirten in den Uffizien die Gattin des Stifters Tommaso Portinnri, der das berühmte Bild für das von seinem Ahn in Florenz gestiftete Spital S. Maria nuova in Brügge hatte malen lassen. In der Turiner Galerie hängt ein Breitbild der Sieben Freuden Maria, in der Münchner Pinakothek eine ähnlich komponierte Passion Christi, beide von Memling; auf jenem Bilde trögt die knieende Stifterin den spitzen Herrin, auf diesem die weniger hohe Mütze der Elisabeth Dittmann. Wie und wann ist nun diese brabantische Mütze, die in den Niederlanden schon gegen Ende des fünf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/512>, abgerufen am 01.09.2024.