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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Am Fuße des Hradschins

werden würde. Ein witziger oder doch dafür geltender Hausfreund hatte als ihre
wahrscheinlich nächste weibliche Arbeit ein gehäkeltes Futteral über den Vysoeciner
Kirchturmhelm bezeichnet.

Ihr Blick war ebenso scharf für krummbeinige Kinder, denen Kalk zugeführt
werden mußte, wie für schmutzige, denen es Seife zu verschreiben galt. Sie brachte
in Vysoeän und in Prag innerhalb ihrer nächsten Umgebung mehr zu stände, als
zwei kollegialisch organisierte Armenversorgungsnustalten unter gewöhnlichen Ver¬
hältnissen hätten leisten können, und doch war die Wohlthätigkeit nur einer ihrer
vielen Wirkungskreise. Sie lebte gesellig, denn der Fürst sah täglich Leute bei sich,
sie bekümmerte sich um das Hauswesen, hatte eine ausgebreitete Korrespondenz,
versorgte alle umliegenden Kirchen und Kapellen mit Paramenten, die sie zum Teil
selbst gearbeitet hatte, nahm, soweit ihre Wirkungssphäre reichte, als werkthätiges
Mitglied an allen frommen oder sonst vom Kaplan gutgeheißnen Vereinen teil,
und -- hierin lag das Merkwürdige -- trotz aller dieser Sorgen und Geschäfte
traf man sie nie anders als gemächlich, ohne Eile und zu behaglichster Aufnahme
jedes ihr entgegengebrachten Gesprächstoffs bereit. Sie schien, was man ihr sagte,
und was sie antwortete, als unentbehrliche Zuthat in das hineinzuarbeiten, was sie
gerade strickte, häkelte oder stickte, und dabei war doch das, was man ihr mitteilte,
in keiner Weise verloren. Sie vergaß nichts von dem, was sie gehört hatte, und ruhte
nicht, bis sie das abgestellt oder beschafft hatte, was es zu beschaffen oder ab¬
zustellen gab.

Komtesse Paula, die echte Tochter dieser so überaus rührigen Mutter, malte,
zeichnete, spielte Klavier, sang, häkelte, hörte die Messe, beichtete, fastete, ritt spazieren
oder spielte Lawn Tennis, als wenn das nnr so sein müßte, und als wenn die
Welt ein Billardtnch wäre, auf dem es nicht anders als glatt und eben hergehn
könne, da ihre liebe Mama darauf ohne Hast und ohne Unruhe ihre geräuschlosen
Bälle zu machen gewohnt war. Da Komtesse Punta jung, hübsch und anmutig
war, so gab sogar ihr Spiegel, mit dem ja Schneewittehens Stiefmutter meist ans
gespanntem Fuße gestanden zu haben scheint, ihr keinen Verdruß, und dieses be¬
hagliche Blütenleben, dem wir sonst meist nur um Ende gntansgehender Märchen
begegnen, hätte in ungetrübtem Glück noch eine gute Weile fortdauern können,
wenn nicht der von seiner Orientreise heimkehrende Graf Viktor ganz wider Willen
zu allerhand Unruhe und Unfrieden Veranlassung gegeben hätte.

Im Salon, wohin sich der Kaplan um die Nachmittagskaffeezeit begeben hatte,
"war" die Gräfin gerade bei den "letzten Malen rum" an einem wollnen Rock
mit breiter hochroter Kante, den sie für eine alte Tagelöhnersfrau und als Augen¬
weide für den tschechischen Farbensinn mit gewaltigen Holznndcln strickte, der Fürst
stand am Kamin, Graf Egon am Fenster, und Komtesse Paula war mit dem Ein¬
schenker und Herumreichen des Kaffees geschäftig.

Hatte ich Ihnen schou gesagt, fragte der Fürst, indem er bedächtig mit dem
Löffel in seiner Tasse herumrührte, hatte ich Ihnen schon gesagt, lieber Kaplan,'
daß mein Neffe mir aus Wien geschrieben hat, und daß er zugleich mit uns in
Prag eintreffen wird?

Der Fürst sagte das im allergleichgiltigsten Tone, obwohl er recht wohl wußte,
daß davon noch kein Sterbenswörtchen über seinen Mund gekommen war, und
obwohl er ahnte, daß er damit eine brennende Lunte in den Pulverturm warf.
Der Kaplan, der sofort an den Schrecken dachte, den diese Nachricht dem Prälaten
oben auf dem Berge und der Äbtissin am Fuße des Berges verursachen würde,
antwortete doch mit der größten Ruhe und Gelassenheit. Als ob es sich äußersten¬
falls um eine Nachricht über die Ernteaussichten in Südamerika handle, sagte er
kühl: Nein, aber ich wußte ja, daß Durchlaucht dieser Tage Nachricht von dem
Herrn Grafen aus Trieft oder Wien erwarteten. Ich hoffe, der Herr Graf ist wohl
und schreibt befriedigt von dem, was er gesehen und erlebt hat. -- Es wird gut
sein, dachte er bei sich, Joseph heute noch mit dieser Nachricht an den Prälaten


Am Fuße des Hradschins

werden würde. Ein witziger oder doch dafür geltender Hausfreund hatte als ihre
wahrscheinlich nächste weibliche Arbeit ein gehäkeltes Futteral über den Vysoeciner
Kirchturmhelm bezeichnet.

Ihr Blick war ebenso scharf für krummbeinige Kinder, denen Kalk zugeführt
werden mußte, wie für schmutzige, denen es Seife zu verschreiben galt. Sie brachte
in Vysoeän und in Prag innerhalb ihrer nächsten Umgebung mehr zu stände, als
zwei kollegialisch organisierte Armenversorgungsnustalten unter gewöhnlichen Ver¬
hältnissen hätten leisten können, und doch war die Wohlthätigkeit nur einer ihrer
vielen Wirkungskreise. Sie lebte gesellig, denn der Fürst sah täglich Leute bei sich,
sie bekümmerte sich um das Hauswesen, hatte eine ausgebreitete Korrespondenz,
versorgte alle umliegenden Kirchen und Kapellen mit Paramenten, die sie zum Teil
selbst gearbeitet hatte, nahm, soweit ihre Wirkungssphäre reichte, als werkthätiges
Mitglied an allen frommen oder sonst vom Kaplan gutgeheißnen Vereinen teil,
und — hierin lag das Merkwürdige — trotz aller dieser Sorgen und Geschäfte
traf man sie nie anders als gemächlich, ohne Eile und zu behaglichster Aufnahme
jedes ihr entgegengebrachten Gesprächstoffs bereit. Sie schien, was man ihr sagte,
und was sie antwortete, als unentbehrliche Zuthat in das hineinzuarbeiten, was sie
gerade strickte, häkelte oder stickte, und dabei war doch das, was man ihr mitteilte,
in keiner Weise verloren. Sie vergaß nichts von dem, was sie gehört hatte, und ruhte
nicht, bis sie das abgestellt oder beschafft hatte, was es zu beschaffen oder ab¬
zustellen gab.

Komtesse Paula, die echte Tochter dieser so überaus rührigen Mutter, malte,
zeichnete, spielte Klavier, sang, häkelte, hörte die Messe, beichtete, fastete, ritt spazieren
oder spielte Lawn Tennis, als wenn das nnr so sein müßte, und als wenn die
Welt ein Billardtnch wäre, auf dem es nicht anders als glatt und eben hergehn
könne, da ihre liebe Mama darauf ohne Hast und ohne Unruhe ihre geräuschlosen
Bälle zu machen gewohnt war. Da Komtesse Punta jung, hübsch und anmutig
war, so gab sogar ihr Spiegel, mit dem ja Schneewittehens Stiefmutter meist ans
gespanntem Fuße gestanden zu haben scheint, ihr keinen Verdruß, und dieses be¬
hagliche Blütenleben, dem wir sonst meist nur um Ende gntansgehender Märchen
begegnen, hätte in ungetrübtem Glück noch eine gute Weile fortdauern können,
wenn nicht der von seiner Orientreise heimkehrende Graf Viktor ganz wider Willen
zu allerhand Unruhe und Unfrieden Veranlassung gegeben hätte.

Im Salon, wohin sich der Kaplan um die Nachmittagskaffeezeit begeben hatte,
„war" die Gräfin gerade bei den „letzten Malen rum" an einem wollnen Rock
mit breiter hochroter Kante, den sie für eine alte Tagelöhnersfrau und als Augen¬
weide für den tschechischen Farbensinn mit gewaltigen Holznndcln strickte, der Fürst
stand am Kamin, Graf Egon am Fenster, und Komtesse Paula war mit dem Ein¬
schenker und Herumreichen des Kaffees geschäftig.

Hatte ich Ihnen schou gesagt, fragte der Fürst, indem er bedächtig mit dem
Löffel in seiner Tasse herumrührte, hatte ich Ihnen schon gesagt, lieber Kaplan,'
daß mein Neffe mir aus Wien geschrieben hat, und daß er zugleich mit uns in
Prag eintreffen wird?

Der Fürst sagte das im allergleichgiltigsten Tone, obwohl er recht wohl wußte,
daß davon noch kein Sterbenswörtchen über seinen Mund gekommen war, und
obwohl er ahnte, daß er damit eine brennende Lunte in den Pulverturm warf.
Der Kaplan, der sofort an den Schrecken dachte, den diese Nachricht dem Prälaten
oben auf dem Berge und der Äbtissin am Fuße des Berges verursachen würde,
antwortete doch mit der größten Ruhe und Gelassenheit. Als ob es sich äußersten¬
falls um eine Nachricht über die Ernteaussichten in Südamerika handle, sagte er
kühl: Nein, aber ich wußte ja, daß Durchlaucht dieser Tage Nachricht von dem
Herrn Grafen aus Trieft oder Wien erwarteten. Ich hoffe, der Herr Graf ist wohl
und schreibt befriedigt von dem, was er gesehen und erlebt hat. — Es wird gut
sein, dachte er bei sich, Joseph heute noch mit dieser Nachricht an den Prälaten


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[0504] Am Fuße des Hradschins werden würde. Ein witziger oder doch dafür geltender Hausfreund hatte als ihre wahrscheinlich nächste weibliche Arbeit ein gehäkeltes Futteral über den Vysoeciner Kirchturmhelm bezeichnet. Ihr Blick war ebenso scharf für krummbeinige Kinder, denen Kalk zugeführt werden mußte, wie für schmutzige, denen es Seife zu verschreiben galt. Sie brachte in Vysoeän und in Prag innerhalb ihrer nächsten Umgebung mehr zu stände, als zwei kollegialisch organisierte Armenversorgungsnustalten unter gewöhnlichen Ver¬ hältnissen hätten leisten können, und doch war die Wohlthätigkeit nur einer ihrer vielen Wirkungskreise. Sie lebte gesellig, denn der Fürst sah täglich Leute bei sich, sie bekümmerte sich um das Hauswesen, hatte eine ausgebreitete Korrespondenz, versorgte alle umliegenden Kirchen und Kapellen mit Paramenten, die sie zum Teil selbst gearbeitet hatte, nahm, soweit ihre Wirkungssphäre reichte, als werkthätiges Mitglied an allen frommen oder sonst vom Kaplan gutgeheißnen Vereinen teil, und — hierin lag das Merkwürdige — trotz aller dieser Sorgen und Geschäfte traf man sie nie anders als gemächlich, ohne Eile und zu behaglichster Aufnahme jedes ihr entgegengebrachten Gesprächstoffs bereit. Sie schien, was man ihr sagte, und was sie antwortete, als unentbehrliche Zuthat in das hineinzuarbeiten, was sie gerade strickte, häkelte oder stickte, und dabei war doch das, was man ihr mitteilte, in keiner Weise verloren. Sie vergaß nichts von dem, was sie gehört hatte, und ruhte nicht, bis sie das abgestellt oder beschafft hatte, was es zu beschaffen oder ab¬ zustellen gab. Komtesse Paula, die echte Tochter dieser so überaus rührigen Mutter, malte, zeichnete, spielte Klavier, sang, häkelte, hörte die Messe, beichtete, fastete, ritt spazieren oder spielte Lawn Tennis, als wenn das nnr so sein müßte, und als wenn die Welt ein Billardtnch wäre, auf dem es nicht anders als glatt und eben hergehn könne, da ihre liebe Mama darauf ohne Hast und ohne Unruhe ihre geräuschlosen Bälle zu machen gewohnt war. Da Komtesse Punta jung, hübsch und anmutig war, so gab sogar ihr Spiegel, mit dem ja Schneewittehens Stiefmutter meist ans gespanntem Fuße gestanden zu haben scheint, ihr keinen Verdruß, und dieses be¬ hagliche Blütenleben, dem wir sonst meist nur um Ende gntansgehender Märchen begegnen, hätte in ungetrübtem Glück noch eine gute Weile fortdauern können, wenn nicht der von seiner Orientreise heimkehrende Graf Viktor ganz wider Willen zu allerhand Unruhe und Unfrieden Veranlassung gegeben hätte. Im Salon, wohin sich der Kaplan um die Nachmittagskaffeezeit begeben hatte, „war" die Gräfin gerade bei den „letzten Malen rum" an einem wollnen Rock mit breiter hochroter Kante, den sie für eine alte Tagelöhnersfrau und als Augen¬ weide für den tschechischen Farbensinn mit gewaltigen Holznndcln strickte, der Fürst stand am Kamin, Graf Egon am Fenster, und Komtesse Paula war mit dem Ein¬ schenker und Herumreichen des Kaffees geschäftig. Hatte ich Ihnen schou gesagt, fragte der Fürst, indem er bedächtig mit dem Löffel in seiner Tasse herumrührte, hatte ich Ihnen schon gesagt, lieber Kaplan,' daß mein Neffe mir aus Wien geschrieben hat, und daß er zugleich mit uns in Prag eintreffen wird? Der Fürst sagte das im allergleichgiltigsten Tone, obwohl er recht wohl wußte, daß davon noch kein Sterbenswörtchen über seinen Mund gekommen war, und obwohl er ahnte, daß er damit eine brennende Lunte in den Pulverturm warf. Der Kaplan, der sofort an den Schrecken dachte, den diese Nachricht dem Prälaten oben auf dem Berge und der Äbtissin am Fuße des Berges verursachen würde, antwortete doch mit der größten Ruhe und Gelassenheit. Als ob es sich äußersten¬ falls um eine Nachricht über die Ernteaussichten in Südamerika handle, sagte er kühl: Nein, aber ich wußte ja, daß Durchlaucht dieser Tage Nachricht von dem Herrn Grafen aus Trieft oder Wien erwarteten. Ich hoffe, der Herr Graf ist wohl und schreibt befriedigt von dem, was er gesehen und erlebt hat. — Es wird gut sein, dachte er bei sich, Joseph heute noch mit dieser Nachricht an den Prälaten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/504>, abgerufen am 01.09.2024.