Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.ReichsfmanztM und partikiilarismus einen Not in eine andre größere zu geraten," sei das Charakteristische der Lage, Sicher ist dieser Tadel unsers Neichsfinanzapparats nicht zu hart, und Erscheint schon deswegen die Zukunft der Finanzlage des Reichs un¬ ReichsfmanztM und partikiilarismus einen Not in eine andre größere zu geraten," sei das Charakteristische der Lage, Sicher ist dieser Tadel unsers Neichsfinanzapparats nicht zu hart, und Erscheint schon deswegen die Zukunft der Finanzlage des Reichs un¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0460" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239248"/> <fw type="header" place="top"> ReichsfmanztM und partikiilarismus</fw><lb/> <p xml:id="ID_2278" prev="#ID_2277"> einen Not in eine andre größere zu geraten," sei das Charakteristische der Lage,<lb/> verschärft durch die trübe Aussicht in die Zukunft, in den kommenden Jahren<lb/> dieselbe Schwierigkeit noch gesteigert, noch unentwirrbarer zu finden. Nicht daß<lb/> die Quellen der Einnahmen zur Zeit weniger stark flösse», sondern daß der<lb/> ganze komplizierte Apparat, der sie der Neichskcisse zuführe, im Begriff des<lb/> Versagens sei, und wiederum, daß dieses Versagen nicht durch eine vorüber¬<lb/> gehende Stockung in der Funktionierung, sondern durch die Untüchtigkeit des<lb/> Apparats selbst hervorgerufen werde, darin liege die besondre Bedeutung dieses<lb/> Defizits: „die Versorgung des Reichs mit den Mitteln, deren es zur Erfüllung<lb/> seiner verfassungsmäßigen Aufgaben bedarf, ist in Frage gestellt."</p><lb/> <p xml:id="ID_2279"> Sicher ist dieser Tadel unsers Neichsfinanzapparats nicht zu hart, und<lb/> die Beurteilung des thatsächlichen Notstands nicht zu düster. Wer in die Zu¬<lb/> kunft sieht, wird sich überzeuge» müsse», daß — auch abgesehen von der mög¬<lb/> lichst schleunigen Durchführung des Flotteubnuplcins — viel eher auf eine Zu¬<lb/> nahme der dringend nötigen Ausgaben des Reichs zu rechnen ist, als auf eine<lb/> Abnahme. Die in der letzten Zeit in manchen Neichsämtern beobachtete Spar¬<lb/> samkeit läßt sich nicht aufrecht erhalten ohne Schädigung der wichtigsten Auf¬<lb/> gaben. Und wenn man auch in der Belastung des Reichs mit dein Unterhalt<lb/> oder der Sulwentionicrnng neuer großartiger sozialer Institutionen etwas weniger<lb/> hastig vorzngehn braucht, als manche unsrer Svzialrcformer wünschen, so werden<lb/> leider für das Heerwesen Mehraufwendungen kaum zu vermeiden sein. Auf<lb/> keinen Fall darf die 1904 bevorstehende neue gesetzliche Behandlung der Prä¬<lb/> senzstürke der Armee nnter dem Druck der Neichsfinauzuvt leiden. Durch Be¬<lb/> schneiden der Ausgaben ist also nicht zu helfen, und wenn, was sehr wohl<lb/> denkbar ist, „im Fall eines außerordentlichen Bedürfnisses" — wo die Ver¬<lb/> fassung dies allein erlaubt — das Reich sich zu neuen Anleihen erschließen<lb/> müßte, so würde das zugleich zu geregelter Schuldeutilguug und zur Sicheruttg<lb/> dazu bestimmter dauernder Einnahme» zwingen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2280" next="#ID_2281"> Erscheint schon deswegen die Zukunft der Finanzlage des Reichs un¬<lb/> erträglich und gefährlich, so wird die Aussicht uoch trüber bei einem Blick in<lb/> die Vergangenheit. Niemals ist es den Staatsmännern lind Politikern im Deut¬<lb/> schen Reich uubeknunt gewesen, daß der Finanzapparat — so, wie er ist<lb/> nichts als ein provisorischer Notbehelf sei und über kurz oder laug versage»<lb/> müsse, und daß wer das Reich nicht als Provisorium behandeln wolle, ihm auch<lb/> einen definitiven Finanzapparat zu geben verpflichtet sei. Wissentlich hat mau<lb/> die Notlage entstehn lassen, wissentlich die aufrichtigen Freunde des Neichv<lb/> gehindert, ihr vorzubeugen, und wissentlich die dazu berufnen Neichsbeamten<lb/> zu einer Flickarbeit und zu einem aussichtslosen Fortwnrsteln veranlaßt, wofür<lb/> spätere Zeiten schwer Verständnis und Entschuldigung finden werden. Wie wird<lb/> man — Bundesrat und Reichstag — sich jetzt dazu stellen? Hat der bisher in dieser<lb/> Frage bethätigte böse Wille dem guten Willen Platz gemacht? Wer die innere<lb/> Politik in Deutschland bis auf deu heutigen Tag unbefangen und aufmerksam<lb/> verfolgt hat, kann das bezweifeln. Denn leider 'hat Dr. Köppe wahrscheinlich<lb/> Recht, wenn er sagt, der ausgesprochne „föderalistische" Zug, der seit der Lez<lb/> Franckenstein das öffentliche Leben im Reiche in zunehmender Weise durchwehe,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0460]
ReichsfmanztM und partikiilarismus
einen Not in eine andre größere zu geraten," sei das Charakteristische der Lage,
verschärft durch die trübe Aussicht in die Zukunft, in den kommenden Jahren
dieselbe Schwierigkeit noch gesteigert, noch unentwirrbarer zu finden. Nicht daß
die Quellen der Einnahmen zur Zeit weniger stark flösse», sondern daß der
ganze komplizierte Apparat, der sie der Neichskcisse zuführe, im Begriff des
Versagens sei, und wiederum, daß dieses Versagen nicht durch eine vorüber¬
gehende Stockung in der Funktionierung, sondern durch die Untüchtigkeit des
Apparats selbst hervorgerufen werde, darin liege die besondre Bedeutung dieses
Defizits: „die Versorgung des Reichs mit den Mitteln, deren es zur Erfüllung
seiner verfassungsmäßigen Aufgaben bedarf, ist in Frage gestellt."
Sicher ist dieser Tadel unsers Neichsfinanzapparats nicht zu hart, und
die Beurteilung des thatsächlichen Notstands nicht zu düster. Wer in die Zu¬
kunft sieht, wird sich überzeuge» müsse», daß — auch abgesehen von der mög¬
lichst schleunigen Durchführung des Flotteubnuplcins — viel eher auf eine Zu¬
nahme der dringend nötigen Ausgaben des Reichs zu rechnen ist, als auf eine
Abnahme. Die in der letzten Zeit in manchen Neichsämtern beobachtete Spar¬
samkeit läßt sich nicht aufrecht erhalten ohne Schädigung der wichtigsten Auf¬
gaben. Und wenn man auch in der Belastung des Reichs mit dein Unterhalt
oder der Sulwentionicrnng neuer großartiger sozialer Institutionen etwas weniger
hastig vorzngehn braucht, als manche unsrer Svzialrcformer wünschen, so werden
leider für das Heerwesen Mehraufwendungen kaum zu vermeiden sein. Auf
keinen Fall darf die 1904 bevorstehende neue gesetzliche Behandlung der Prä¬
senzstürke der Armee nnter dem Druck der Neichsfinauzuvt leiden. Durch Be¬
schneiden der Ausgaben ist also nicht zu helfen, und wenn, was sehr wohl
denkbar ist, „im Fall eines außerordentlichen Bedürfnisses" — wo die Ver¬
fassung dies allein erlaubt — das Reich sich zu neuen Anleihen erschließen
müßte, so würde das zugleich zu geregelter Schuldeutilguug und zur Sicheruttg
dazu bestimmter dauernder Einnahme» zwingen.
Erscheint schon deswegen die Zukunft der Finanzlage des Reichs un¬
erträglich und gefährlich, so wird die Aussicht uoch trüber bei einem Blick in
die Vergangenheit. Niemals ist es den Staatsmännern lind Politikern im Deut¬
schen Reich uubeknunt gewesen, daß der Finanzapparat — so, wie er ist
nichts als ein provisorischer Notbehelf sei und über kurz oder laug versage»
müsse, und daß wer das Reich nicht als Provisorium behandeln wolle, ihm auch
einen definitiven Finanzapparat zu geben verpflichtet sei. Wissentlich hat mau
die Notlage entstehn lassen, wissentlich die aufrichtigen Freunde des Neichv
gehindert, ihr vorzubeugen, und wissentlich die dazu berufnen Neichsbeamten
zu einer Flickarbeit und zu einem aussichtslosen Fortwnrsteln veranlaßt, wofür
spätere Zeiten schwer Verständnis und Entschuldigung finden werden. Wie wird
man — Bundesrat und Reichstag — sich jetzt dazu stellen? Hat der bisher in dieser
Frage bethätigte böse Wille dem guten Willen Platz gemacht? Wer die innere
Politik in Deutschland bis auf deu heutigen Tag unbefangen und aufmerksam
verfolgt hat, kann das bezweifeln. Denn leider 'hat Dr. Köppe wahrscheinlich
Recht, wenn er sagt, der ausgesprochne „föderalistische" Zug, der seit der Lez
Franckenstein das öffentliche Leben im Reiche in zunehmender Weise durchwehe,
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