Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmciszgel'liebes Schritts, wenn er wahr ist, freuen. In der Obstrnktions- und Tariffrage dirigiert Am ernstesten aber wird jetzt die Frage nach der Stellung des "Handels- Daß sich die Sozialdemokraten im deutschen Reichstage bis zur Höhe der Zwei Städte der Rheinprovinz. So lebhaft der heutige Großstädter Maßgebliches und Unmciszgel'liebes Schritts, wenn er wahr ist, freuen. In der Obstrnktions- und Tariffrage dirigiert Am ernstesten aber wird jetzt die Frage nach der Stellung des „Handels- Daß sich die Sozialdemokraten im deutschen Reichstage bis zur Höhe der Zwei Städte der Rheinprovinz. So lebhaft der heutige Großstädter <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0454" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239242"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmciszgel'liebes</fw><lb/> <p xml:id="ID_2260" prev="#ID_2259"> Schritts, wenn er wahr ist, freuen. In der Obstrnktions- und Tariffrage dirigiert<lb/> aber, wie gesagt, in dieser Presse noch ganz der Wadenstrümpflertaktstock.</p><lb/> <p xml:id="ID_2261"> Am ernstesten aber wird jetzt die Frage nach der Stellung des „Handels-<lb/> vertragsverems." Wir haben es nie glauben wollen, daß dieses scharf rechnende,<lb/> illusionsfreie, klarköpfige Orchester auf die Dauer diesem Taktstock gehorchen konnte und<lb/> lieber deu sozialdemokratischen Obstrnktivnsversuchen aktompagniercn, als der Regierung<lb/> im Kampf gegen die Extremen von rechts in annahmefähiger Weise eine Stütze<lb/> bieten würde. Muß man es jetzt dennoch glauben? Nach mehreren offiziellen Kund¬<lb/> gebungen des Vereins schien es fast so. Da war nichts als ödeste, abgestandenste<lb/> Wadenstrümpflerweisheit. Aber hoffentlich kommt jetzt etwas Gärung hinein, da<lb/> die Unhaltbarkeit und das Ungeschick der bisherigen Aktion bei zahlreichen Mit¬<lb/> gliedern eine lebhafte Opposition wachgerufen hat. Es ist die höchste Zeit, daß die<lb/> Herren Kommerzienräte ihre Taktik revidiere». Die Zukunft stellt ihnen, ihren<lb/> Fähigkeiten entsprechend, große Aufgaben. Es wäre schade, wenn sie sich mit der<lb/> freien Vereinigung blamiertem</p><lb/> <p xml:id="ID_2262"> Daß sich die Sozialdemokraten im deutschen Reichstage bis zur Höhe der<lb/> Leistungen der österreichischen und der italienischen Obstruttionisten versteigen werden,<lb/> ist nicht wahrscheinlich. Sie wären auch Narren, wenn sich thäte». Die ihnen vom<lb/> bürgerlichen Liberalismus heute nur zu reichlich gespendete Gunst wird ohnedies<lb/> nach der Blamage so ziemlich ins Gegenteil umschlagen. Sie haben allen Grund,<lb/> bescheiden zu sein, sich nicht so eklatant vor der öffentlichen Meinung ins Unrecht<lb/> zu setzen. Das Gefühl nimmt offenbar von Tag zu Tag zu, daß ihrem Treiben<lb/> schon viel zu lange viel zu viel Schonung erwiesen ist. So sehr wir immer den<lb/> Wunsch verdammt haben, daß durch Aufstandsversnche verführter Arbeiter Regierung<lb/> und Nation zu energischem Zurückweisen der dekadenten Anmaßung des Sozialisnius<lb/> veranlaßt werden mögen, eine bis aufs äußerste getriebne Obstruktion der demo¬<lb/> kratischen Reichstagsfraktion wäre wahrscheinlich eine Lehre von unschätzbar guter<lb/> Wirkung. Je toller diese Herren es treiben, um so besser.</p><lb/> <p xml:id="ID_2263" next="#ID_2264"> Zwei Städte der Rheinprovinz. So lebhaft der heutige Großstädter<lb/> sein steinernes Gefängnis verwünschen und so sehnsuchtsvoll er »ach Freiheit, Ruhe<lb/> und Natur lechzen mag — die moderne Großstadt bleibt ein Wunderwerk, das<lb/> kein Vernünftiger ans der Welt hinwegwünscht. Über der Natur steht der Menschen-<lb/> geist, und dessen Anlagen treibt nur der Druck der Not hervor. In das Ge¬<lb/> wimmel von ein paar hunderttausend auf engen Raum zusammengedrängter Mensche"<lb/> Ordnung zu bringen, ihre Bedürfnisse vom niedrigsten animalischen bis zum höchsten<lb/> Kulturbedürfuis zu befriedigen, den Streit ihrer widersprechenden Interessen z»<lb/> schlichten, das ist wahrlich leine Kleinigkeit. Es ist doppelt schwierig, wenn die<lb/> Einwohnerzahl so rasch wächst, daß die Einrichtungen, die man heute beschließt,<lb/> morgen, wenn sie fertig sind, schon nicht mehr genügen. Was man in unsrer Zeit<lb/> den sozialen Geist nennt, das ist nur eine neue Gestalt der alten Nächstenliebe,<lb/> aber eine sehr wichtige Spielart von ihr, sozusagen die Nötigung aller zur be¬<lb/> ständigen Ausübung dieser Tugend, die für den Hinterwäldler eine Verzierung bleibt,<lb/> mit der er sein Dasein aller fünf Jahre einmal schmückt, wenn er ans seinen ein¬<lb/> samen Streifzügen einen Menschen findet, der unter die Räuber oder in eine Grnve<lb/> gefallen ist, oder wenn ein Vertreter an seine Thür klopft. Nur der ungeheure<lb/> Druck, deu die Meuschcnnnhäufnng in einer Großstadt übt, vermochte den sozialen<lb/> Geist zu erzeugen, einen Gemeingeist, der sich uicht einmal auf die wahrlich ge-<lb/> nügend großen Aufgaben des eignen Gemeinwesens beschränkt, sondern, seiner wu -<lb/> schaftlichen Bedeutung in dem noch weit größern Organismus des modernen Staates<lb/> bewußt, um dessen Erhaltung mitwirkt. Das alles wird einem reclst klar, wenn<lb/> man einen ausführlichen Verwaltungsbericht liest, wie ihn Dr. Otto Brandt,<lb/> Geschäftsführer der Handelskammer zu Düsseldorf, im Auftrage dieser Stadt ver¬<lb/> faßt hat (Studien zur Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte der heav</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0454]
Maßgebliches und Unmciszgel'liebes
Schritts, wenn er wahr ist, freuen. In der Obstrnktions- und Tariffrage dirigiert
aber, wie gesagt, in dieser Presse noch ganz der Wadenstrümpflertaktstock.
Am ernstesten aber wird jetzt die Frage nach der Stellung des „Handels-
vertragsverems." Wir haben es nie glauben wollen, daß dieses scharf rechnende,
illusionsfreie, klarköpfige Orchester auf die Dauer diesem Taktstock gehorchen konnte und
lieber deu sozialdemokratischen Obstrnktivnsversuchen aktompagniercn, als der Regierung
im Kampf gegen die Extremen von rechts in annahmefähiger Weise eine Stütze
bieten würde. Muß man es jetzt dennoch glauben? Nach mehreren offiziellen Kund¬
gebungen des Vereins schien es fast so. Da war nichts als ödeste, abgestandenste
Wadenstrümpflerweisheit. Aber hoffentlich kommt jetzt etwas Gärung hinein, da
die Unhaltbarkeit und das Ungeschick der bisherigen Aktion bei zahlreichen Mit¬
gliedern eine lebhafte Opposition wachgerufen hat. Es ist die höchste Zeit, daß die
Herren Kommerzienräte ihre Taktik revidiere». Die Zukunft stellt ihnen, ihren
Fähigkeiten entsprechend, große Aufgaben. Es wäre schade, wenn sie sich mit der
freien Vereinigung blamiertem
Daß sich die Sozialdemokraten im deutschen Reichstage bis zur Höhe der
Leistungen der österreichischen und der italienischen Obstruttionisten versteigen werden,
ist nicht wahrscheinlich. Sie wären auch Narren, wenn sich thäte». Die ihnen vom
bürgerlichen Liberalismus heute nur zu reichlich gespendete Gunst wird ohnedies
nach der Blamage so ziemlich ins Gegenteil umschlagen. Sie haben allen Grund,
bescheiden zu sein, sich nicht so eklatant vor der öffentlichen Meinung ins Unrecht
zu setzen. Das Gefühl nimmt offenbar von Tag zu Tag zu, daß ihrem Treiben
schon viel zu lange viel zu viel Schonung erwiesen ist. So sehr wir immer den
Wunsch verdammt haben, daß durch Aufstandsversnche verführter Arbeiter Regierung
und Nation zu energischem Zurückweisen der dekadenten Anmaßung des Sozialisnius
veranlaßt werden mögen, eine bis aufs äußerste getriebne Obstruktion der demo¬
kratischen Reichstagsfraktion wäre wahrscheinlich eine Lehre von unschätzbar guter
Wirkung. Je toller diese Herren es treiben, um so besser.
Zwei Städte der Rheinprovinz. So lebhaft der heutige Großstädter
sein steinernes Gefängnis verwünschen und so sehnsuchtsvoll er »ach Freiheit, Ruhe
und Natur lechzen mag — die moderne Großstadt bleibt ein Wunderwerk, das
kein Vernünftiger ans der Welt hinwegwünscht. Über der Natur steht der Menschen-
geist, und dessen Anlagen treibt nur der Druck der Not hervor. In das Ge¬
wimmel von ein paar hunderttausend auf engen Raum zusammengedrängter Mensche"
Ordnung zu bringen, ihre Bedürfnisse vom niedrigsten animalischen bis zum höchsten
Kulturbedürfuis zu befriedigen, den Streit ihrer widersprechenden Interessen z»
schlichten, das ist wahrlich leine Kleinigkeit. Es ist doppelt schwierig, wenn die
Einwohnerzahl so rasch wächst, daß die Einrichtungen, die man heute beschließt,
morgen, wenn sie fertig sind, schon nicht mehr genügen. Was man in unsrer Zeit
den sozialen Geist nennt, das ist nur eine neue Gestalt der alten Nächstenliebe,
aber eine sehr wichtige Spielart von ihr, sozusagen die Nötigung aller zur be¬
ständigen Ausübung dieser Tugend, die für den Hinterwäldler eine Verzierung bleibt,
mit der er sein Dasein aller fünf Jahre einmal schmückt, wenn er ans seinen ein¬
samen Streifzügen einen Menschen findet, der unter die Räuber oder in eine Grnve
gefallen ist, oder wenn ein Vertreter an seine Thür klopft. Nur der ungeheure
Druck, deu die Meuschcnnnhäufnng in einer Großstadt übt, vermochte den sozialen
Geist zu erzeugen, einen Gemeingeist, der sich uicht einmal auf die wahrlich ge-
nügend großen Aufgaben des eignen Gemeinwesens beschränkt, sondern, seiner wu -
schaftlichen Bedeutung in dem noch weit größern Organismus des modernen Staates
bewußt, um dessen Erhaltung mitwirkt. Das alles wird einem reclst klar, wenn
man einen ausführlichen Verwaltungsbericht liest, wie ihn Dr. Otto Brandt,
Geschäftsführer der Handelskammer zu Düsseldorf, im Auftrage dieser Stadt ver¬
faßt hat (Studien zur Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte der heav
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