Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

meister hatte gehofft, daß man sich in die gegebne Lage finden werde, und das
wäre Wohl mich geschehn. Denn man empfand allerseits die Wohlthat der Eisenbahn¬
verbindung, und man sagte sich! Von nichts ist nichts, und wenn die Stadt den
Nutzen hat, kann sie auch Opfer bringen. Es wäre vielleicht alles ganz glatt ge¬
gangen, wenn nicht die verletzte Bürgertugend von Pfaffe und Genossen Rache
geschrieen hätte. Der Bürgermeister habe die Stadt an die Eisenbahn verraten und
verkauft, er sei Schuld nu dem unvermeidlichen Bankrott der Stadt; es fehlte nicht
viel, so Hütte man ihm vorgeworfen, daß er die Gelder veruntreut und im eignen
Nutzen verwandt hätte. Mindestens hatte er im allerhöchsten Grade pflichtwidrig
gehandelt. Im sozialen Blättchen wurden schon Kampfessignale geblasen und die
Zustände in Polkenroda als gänzlich verrottet und verfault dargestellt, und es würde
nicht eher besser werden, als bis dieser Bürgermeister da wäre, wo er hingehörte,
nämlich im Zuchthaus -- nämlich, setzte mau vorsichtigerweise hinzu, als Aufseher.
Der Bürgermeister beschwor seine Getreuen bei allem, was ihnen heilig sei, sich des
Versprechens, das sie ihm am Tage der silbernen Hochzeit gegeben hätten, zu er¬
innern und für die höchsten Güter des Vaterlands einzutreten. Wenn man den
andächtigen Mienen der Herren hätte glauben wollen, so waren sie alle bereit, der
Lüge und dem Wahne den Tod zu schwören. Am nächsten Tage lief ein Schreiben
des Herrn Stadtrats Sauerbrei ein, worin er sein Amt niederlegte. Und zugleich
bestätigte sich das Gerücht, er habe seine Fabrik an seinen Werkmeister Wachtel
verkauft und ziehe nach Loschwitz bei Dresden, um dort "vom Grün des goldnen
Lebensbaumes" zu zehren. Die Wahrheit war, daß er erkannt hatte, daß nach
Verlust des amerikanischen Marktes durch die Mac Kiuleh-Bill die Haudschuh-
iudnstrie gelähmt sei, und daß er als vorsichtiger Mann gut thue, sich beizeiten
aus der Affaire zu ziehn.

Damit fehlte dem Bürgermeister seine Hauptstütze, und da sich die andern
Mitglieder des Magistrats überaus lau zeigten und die Stadtverordneten fortfuhren,
deu Bürgermeister wegen der Eisenbahn zu ärgern und anzuklagen, so wurde die
Bürgerschaft eines Tags von der Nachricht überrascht, daß der Bürgermeister sein
Amt niedergelegt habe, um Direktor einer Kohlengrube zu werden.

Am andern Morgen steckte Herr Leißring wie immer seine" Kopf zum Fenster
hinaus, Herr Schlegelmilch wickelte seine Waren in die neuste Nummer des Tage¬
blatts, Herr Glimpf las die Notiz, daß der Bürgermeister abgebe, ohne in Er¬
regung zu kommen. Aber der Herr Oberpfarrer erkannte die Übermacht des Anti¬
christs und die Anzeichen des bevorstehenden Endes immer deutlicher, und der Herr
Rektor verbaute Pfaffe .junior, der übrigens auch ohnedies die Hiebe wohl ver¬
dient hatte.

Als der Bürgermeister abgegangen war, zerfiel die bürgermeistcrliche Partei.
Es war niemand da, der die Führung hätte übernehmen können. Der eine hatte
keine Zeit, und der andre hatte keinen Mut, und so traten denn Pfaffe und Ge¬
nossen die Herrschaft um, Pfaffe in der Stadtverordnetenversammlung, der Stadt¬
sekretär im Magistrat. Das neue Regiment kam sogleich zu der Überzeugung, daß
man, um eine tüchtige Kraft als Bürgermeister zu gewinnen, den Gehalt bedeutend
erhöhen müsse. Früher hatte man dem alten Bürgermeister sein Gesuch um co
paar hundert Mark Zulage rundweg abgeschlagen, jetzt ging die Vorlage glatt dnrch.
Denn ist es doch auch ein großer Unterschied, ob eine Vorlage von einem reaktionären
Magistrat zu Gunsten eines reaktionären Bürgermeisters eingebracht wird, oder
von einer Versammlung, die ans der Höhe der Zeit steht und sich ans die breiten
Schichten des Volks stützt. Die Konsequenz des Beschlusses war natürlich, daß
auch der Stadtsekretär eine ansehnliche Zulage erhielt. Der Stadtsekretär strich
seine Zulage schmunzelnd ein und sagte auf dem Heimwege zu seinem Freunde
Pfaffen Dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich.

Es kam zu der Neuwahl des Bürgermeisters. Zahllose Meldungen liefen ein.
viele befrackte Herren -- Fracks in allen Stilen und Lebensaltern - zogen hom-


meister hatte gehofft, daß man sich in die gegebne Lage finden werde, und das
wäre Wohl mich geschehn. Denn man empfand allerseits die Wohlthat der Eisenbahn¬
verbindung, und man sagte sich! Von nichts ist nichts, und wenn die Stadt den
Nutzen hat, kann sie auch Opfer bringen. Es wäre vielleicht alles ganz glatt ge¬
gangen, wenn nicht die verletzte Bürgertugend von Pfaffe und Genossen Rache
geschrieen hätte. Der Bürgermeister habe die Stadt an die Eisenbahn verraten und
verkauft, er sei Schuld nu dem unvermeidlichen Bankrott der Stadt; es fehlte nicht
viel, so Hütte man ihm vorgeworfen, daß er die Gelder veruntreut und im eignen
Nutzen verwandt hätte. Mindestens hatte er im allerhöchsten Grade pflichtwidrig
gehandelt. Im sozialen Blättchen wurden schon Kampfessignale geblasen und die
Zustände in Polkenroda als gänzlich verrottet und verfault dargestellt, und es würde
nicht eher besser werden, als bis dieser Bürgermeister da wäre, wo er hingehörte,
nämlich im Zuchthaus — nämlich, setzte mau vorsichtigerweise hinzu, als Aufseher.
Der Bürgermeister beschwor seine Getreuen bei allem, was ihnen heilig sei, sich des
Versprechens, das sie ihm am Tage der silbernen Hochzeit gegeben hätten, zu er¬
innern und für die höchsten Güter des Vaterlands einzutreten. Wenn man den
andächtigen Mienen der Herren hätte glauben wollen, so waren sie alle bereit, der
Lüge und dem Wahne den Tod zu schwören. Am nächsten Tage lief ein Schreiben
des Herrn Stadtrats Sauerbrei ein, worin er sein Amt niederlegte. Und zugleich
bestätigte sich das Gerücht, er habe seine Fabrik an seinen Werkmeister Wachtel
verkauft und ziehe nach Loschwitz bei Dresden, um dort „vom Grün des goldnen
Lebensbaumes" zu zehren. Die Wahrheit war, daß er erkannt hatte, daß nach
Verlust des amerikanischen Marktes durch die Mac Kiuleh-Bill die Haudschuh-
iudnstrie gelähmt sei, und daß er als vorsichtiger Mann gut thue, sich beizeiten
aus der Affaire zu ziehn.

Damit fehlte dem Bürgermeister seine Hauptstütze, und da sich die andern
Mitglieder des Magistrats überaus lau zeigten und die Stadtverordneten fortfuhren,
deu Bürgermeister wegen der Eisenbahn zu ärgern und anzuklagen, so wurde die
Bürgerschaft eines Tags von der Nachricht überrascht, daß der Bürgermeister sein
Amt niedergelegt habe, um Direktor einer Kohlengrube zu werden.

Am andern Morgen steckte Herr Leißring wie immer seine» Kopf zum Fenster
hinaus, Herr Schlegelmilch wickelte seine Waren in die neuste Nummer des Tage¬
blatts, Herr Glimpf las die Notiz, daß der Bürgermeister abgebe, ohne in Er¬
regung zu kommen. Aber der Herr Oberpfarrer erkannte die Übermacht des Anti¬
christs und die Anzeichen des bevorstehenden Endes immer deutlicher, und der Herr
Rektor verbaute Pfaffe .junior, der übrigens auch ohnedies die Hiebe wohl ver¬
dient hatte.

Als der Bürgermeister abgegangen war, zerfiel die bürgermeistcrliche Partei.
Es war niemand da, der die Führung hätte übernehmen können. Der eine hatte
keine Zeit, und der andre hatte keinen Mut, und so traten denn Pfaffe und Ge¬
nossen die Herrschaft um, Pfaffe in der Stadtverordnetenversammlung, der Stadt¬
sekretär im Magistrat. Das neue Regiment kam sogleich zu der Überzeugung, daß
man, um eine tüchtige Kraft als Bürgermeister zu gewinnen, den Gehalt bedeutend
erhöhen müsse. Früher hatte man dem alten Bürgermeister sein Gesuch um co
paar hundert Mark Zulage rundweg abgeschlagen, jetzt ging die Vorlage glatt dnrch.
Denn ist es doch auch ein großer Unterschied, ob eine Vorlage von einem reaktionären
Magistrat zu Gunsten eines reaktionären Bürgermeisters eingebracht wird, oder
von einer Versammlung, die ans der Höhe der Zeit steht und sich ans die breiten
Schichten des Volks stützt. Die Konsequenz des Beschlusses war natürlich, daß
auch der Stadtsekretär eine ansehnliche Zulage erhielt. Der Stadtsekretär strich
seine Zulage schmunzelnd ein und sagte auf dem Heimwege zu seinem Freunde
Pfaffen Dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich.

Es kam zu der Neuwahl des Bürgermeisters. Zahllose Meldungen liefen ein.
viele befrackte Herren — Fracks in allen Stilen und Lebensaltern - zogen hom-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0446" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/239234"/>
            <fw type="header" place="top"/><lb/>
            <p xml:id="ID_2220" prev="#ID_2219"> meister hatte gehofft, daß man sich in die gegebne Lage finden werde, und das<lb/>
wäre Wohl mich geschehn. Denn man empfand allerseits die Wohlthat der Eisenbahn¬<lb/>
verbindung, und man sagte sich! Von nichts ist nichts, und wenn die Stadt den<lb/>
Nutzen hat, kann sie auch Opfer bringen. Es wäre vielleicht alles ganz glatt ge¬<lb/>
gangen, wenn nicht die verletzte Bürgertugend von Pfaffe und Genossen Rache<lb/>
geschrieen hätte. Der Bürgermeister habe die Stadt an die Eisenbahn verraten und<lb/>
verkauft, er sei Schuld nu dem unvermeidlichen Bankrott der Stadt; es fehlte nicht<lb/>
viel, so Hütte man ihm vorgeworfen, daß er die Gelder veruntreut und im eignen<lb/>
Nutzen verwandt hätte. Mindestens hatte er im allerhöchsten Grade pflichtwidrig<lb/>
gehandelt. Im sozialen Blättchen wurden schon Kampfessignale geblasen und die<lb/>
Zustände in Polkenroda als gänzlich verrottet und verfault dargestellt, und es würde<lb/>
nicht eher besser werden, als bis dieser Bürgermeister da wäre, wo er hingehörte,<lb/>
nämlich im Zuchthaus &#x2014; nämlich, setzte mau vorsichtigerweise hinzu, als Aufseher.<lb/>
Der Bürgermeister beschwor seine Getreuen bei allem, was ihnen heilig sei, sich des<lb/>
Versprechens, das sie ihm am Tage der silbernen Hochzeit gegeben hätten, zu er¬<lb/>
innern und für die höchsten Güter des Vaterlands einzutreten. Wenn man den<lb/>
andächtigen Mienen der Herren hätte glauben wollen, so waren sie alle bereit, der<lb/>
Lüge und dem Wahne den Tod zu schwören. Am nächsten Tage lief ein Schreiben<lb/>
des Herrn Stadtrats Sauerbrei ein, worin er sein Amt niederlegte. Und zugleich<lb/>
bestätigte sich das Gerücht, er habe seine Fabrik an seinen Werkmeister Wachtel<lb/>
verkauft und ziehe nach Loschwitz bei Dresden, um dort &#x201E;vom Grün des goldnen<lb/>
Lebensbaumes" zu zehren. Die Wahrheit war, daß er erkannt hatte, daß nach<lb/>
Verlust des amerikanischen Marktes durch die Mac Kiuleh-Bill die Haudschuh-<lb/>
iudnstrie gelähmt sei, und daß er als vorsichtiger Mann gut thue, sich beizeiten<lb/>
aus der Affaire zu ziehn.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2221"> Damit fehlte dem Bürgermeister seine Hauptstütze, und da sich die andern<lb/>
Mitglieder des Magistrats überaus lau zeigten und die Stadtverordneten fortfuhren,<lb/>
deu Bürgermeister wegen der Eisenbahn zu ärgern und anzuklagen, so wurde die<lb/>
Bürgerschaft eines Tags von der Nachricht überrascht, daß der Bürgermeister sein<lb/>
Amt niedergelegt habe, um Direktor einer Kohlengrube zu werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2222"> Am andern Morgen steckte Herr Leißring wie immer seine» Kopf zum Fenster<lb/>
hinaus, Herr Schlegelmilch wickelte seine Waren in die neuste Nummer des Tage¬<lb/>
blatts, Herr Glimpf las die Notiz, daß der Bürgermeister abgebe, ohne in Er¬<lb/>
regung zu kommen. Aber der Herr Oberpfarrer erkannte die Übermacht des Anti¬<lb/>
christs und die Anzeichen des bevorstehenden Endes immer deutlicher, und der Herr<lb/>
Rektor verbaute Pfaffe .junior, der übrigens auch ohnedies die Hiebe wohl ver¬<lb/>
dient hatte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2223"> Als der Bürgermeister abgegangen war, zerfiel die bürgermeistcrliche Partei.<lb/>
Es war niemand da, der die Führung hätte übernehmen können. Der eine hatte<lb/>
keine Zeit, und der andre hatte keinen Mut, und so traten denn Pfaffe und Ge¬<lb/>
nossen die Herrschaft um, Pfaffe in der Stadtverordnetenversammlung, der Stadt¬<lb/>
sekretär im Magistrat. Das neue Regiment kam sogleich zu der Überzeugung, daß<lb/>
man, um eine tüchtige Kraft als Bürgermeister zu gewinnen, den Gehalt bedeutend<lb/>
erhöhen müsse. Früher hatte man dem alten Bürgermeister sein Gesuch um co<lb/>
paar hundert Mark Zulage rundweg abgeschlagen, jetzt ging die Vorlage glatt dnrch.<lb/>
Denn ist es doch auch ein großer Unterschied, ob eine Vorlage von einem reaktionären<lb/>
Magistrat zu Gunsten eines reaktionären Bürgermeisters eingebracht wird, oder<lb/>
von einer Versammlung, die ans der Höhe der Zeit steht und sich ans die breiten<lb/>
Schichten des Volks stützt. Die Konsequenz des Beschlusses war natürlich, daß<lb/>
auch der Stadtsekretär eine ansehnliche Zulage erhielt. Der Stadtsekretär strich<lb/>
seine Zulage schmunzelnd ein und sagte auf dem Heimwege zu seinem Freunde<lb/>
Pfaffen Dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2224" next="#ID_2225"> Es kam zu der Neuwahl des Bürgermeisters. Zahllose Meldungen liefen ein.<lb/>
viele befrackte Herren &#x2014; Fracks in allen Stilen und Lebensaltern - zogen hom-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0446] meister hatte gehofft, daß man sich in die gegebne Lage finden werde, und das wäre Wohl mich geschehn. Denn man empfand allerseits die Wohlthat der Eisenbahn¬ verbindung, und man sagte sich! Von nichts ist nichts, und wenn die Stadt den Nutzen hat, kann sie auch Opfer bringen. Es wäre vielleicht alles ganz glatt ge¬ gangen, wenn nicht die verletzte Bürgertugend von Pfaffe und Genossen Rache geschrieen hätte. Der Bürgermeister habe die Stadt an die Eisenbahn verraten und verkauft, er sei Schuld nu dem unvermeidlichen Bankrott der Stadt; es fehlte nicht viel, so Hütte man ihm vorgeworfen, daß er die Gelder veruntreut und im eignen Nutzen verwandt hätte. Mindestens hatte er im allerhöchsten Grade pflichtwidrig gehandelt. Im sozialen Blättchen wurden schon Kampfessignale geblasen und die Zustände in Polkenroda als gänzlich verrottet und verfault dargestellt, und es würde nicht eher besser werden, als bis dieser Bürgermeister da wäre, wo er hingehörte, nämlich im Zuchthaus — nämlich, setzte mau vorsichtigerweise hinzu, als Aufseher. Der Bürgermeister beschwor seine Getreuen bei allem, was ihnen heilig sei, sich des Versprechens, das sie ihm am Tage der silbernen Hochzeit gegeben hätten, zu er¬ innern und für die höchsten Güter des Vaterlands einzutreten. Wenn man den andächtigen Mienen der Herren hätte glauben wollen, so waren sie alle bereit, der Lüge und dem Wahne den Tod zu schwören. Am nächsten Tage lief ein Schreiben des Herrn Stadtrats Sauerbrei ein, worin er sein Amt niederlegte. Und zugleich bestätigte sich das Gerücht, er habe seine Fabrik an seinen Werkmeister Wachtel verkauft und ziehe nach Loschwitz bei Dresden, um dort „vom Grün des goldnen Lebensbaumes" zu zehren. Die Wahrheit war, daß er erkannt hatte, daß nach Verlust des amerikanischen Marktes durch die Mac Kiuleh-Bill die Haudschuh- iudnstrie gelähmt sei, und daß er als vorsichtiger Mann gut thue, sich beizeiten aus der Affaire zu ziehn. Damit fehlte dem Bürgermeister seine Hauptstütze, und da sich die andern Mitglieder des Magistrats überaus lau zeigten und die Stadtverordneten fortfuhren, deu Bürgermeister wegen der Eisenbahn zu ärgern und anzuklagen, so wurde die Bürgerschaft eines Tags von der Nachricht überrascht, daß der Bürgermeister sein Amt niedergelegt habe, um Direktor einer Kohlengrube zu werden. Am andern Morgen steckte Herr Leißring wie immer seine» Kopf zum Fenster hinaus, Herr Schlegelmilch wickelte seine Waren in die neuste Nummer des Tage¬ blatts, Herr Glimpf las die Notiz, daß der Bürgermeister abgebe, ohne in Er¬ regung zu kommen. Aber der Herr Oberpfarrer erkannte die Übermacht des Anti¬ christs und die Anzeichen des bevorstehenden Endes immer deutlicher, und der Herr Rektor verbaute Pfaffe .junior, der übrigens auch ohnedies die Hiebe wohl ver¬ dient hatte. Als der Bürgermeister abgegangen war, zerfiel die bürgermeistcrliche Partei. Es war niemand da, der die Führung hätte übernehmen können. Der eine hatte keine Zeit, und der andre hatte keinen Mut, und so traten denn Pfaffe und Ge¬ nossen die Herrschaft um, Pfaffe in der Stadtverordnetenversammlung, der Stadt¬ sekretär im Magistrat. Das neue Regiment kam sogleich zu der Überzeugung, daß man, um eine tüchtige Kraft als Bürgermeister zu gewinnen, den Gehalt bedeutend erhöhen müsse. Früher hatte man dem alten Bürgermeister sein Gesuch um co paar hundert Mark Zulage rundweg abgeschlagen, jetzt ging die Vorlage glatt dnrch. Denn ist es doch auch ein großer Unterschied, ob eine Vorlage von einem reaktionären Magistrat zu Gunsten eines reaktionären Bürgermeisters eingebracht wird, oder von einer Versammlung, die ans der Höhe der Zeit steht und sich ans die breiten Schichten des Volks stützt. Die Konsequenz des Beschlusses war natürlich, daß auch der Stadtsekretär eine ansehnliche Zulage erhielt. Der Stadtsekretär strich seine Zulage schmunzelnd ein und sagte auf dem Heimwege zu seinem Freunde Pfaffen Dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich. Es kam zu der Neuwahl des Bürgermeisters. Zahllose Meldungen liefen ein. viele befrackte Herren — Fracks in allen Stilen und Lebensaltern - zogen hom-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/446
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/446>, abgerufen am 01.09.2024.