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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Der Dichter der griechischen Aufklärung

Was das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern anlangt, so ist es
natürlich, daß die Eltern vor allem ihre Kinder lieben; von den Kindern ver¬
langt der Tragiker Ehrerbietung und Gehorsam gegen die Eltern, Fragen. 852
lautet:

Werfen wir nunmehr mit dem Verfasser unsers Buches einen Blick auf
die politischen Anschauungen des Euripides, so ist hier vor allem seine innige
Vaterlandsliebe hervorzuheben. Der Gedanke, daß dem Vaterlande die Treue
bis in den Tod gehalten werden muß, wird nicht nur oft ausgesprochen,
sondern auch wiederholt dramatisch durchgeführt. Seine attische Heimat preist
der Dichter in einem Chorliede der Medea und auch sonst als Sitz der Musen
und als Stätte der Weisheit, auf attischen Sagen beruht die Handlung des
Hippolytus, der Hiketiden, der Hercckliden und verschiedner Verlorner Dramen,
und in vielen andern Stücken werden heimatliche Mythen und Gebräuche, auch
wenn sie der Weltanschauung des Dichters widersprechen, mit Vorliebe und
mit Stolz mehr oder weniger ausführlich behandelt. Auch die demokratische
Verfassung Athens entspricht im wesentlichen dem politischen Ideal des Dichters,
wenn er auch keineswegs blind ist gegen ihre Fehler und Schwächen. Nament¬
lich wird die in Athen nach dem Tode des Perikles zum Schaden des Staates
immer mehr überHand nehmende Demagogie recht oft einer herben Kritik
unterzogen.

Das Leben unsers Tragikers füllt zum Teil in den langen und für
Athen so verderblichen peloponnesischen Krieg, und daraus wohl erklärt sich
seine tiefe Abneigung gegen den Krieg. Der Krieg ist ihm in jedem Fall ein
Übel; er soll nur geführt werden, wenn er sich gar nicht vermeiden läßt, dann
aber mit Kraft und Nachdruck. Dagegen werden die Segnungen des Friedens,
den der Dichter von ganzem Herzen herbeisehnt, gern von ihm gepriesen, am
schönsten in einem Chorlied des sonst Verlornen Kresphontes:


entstehenden sittlichen Konflikte für die Poesie entdeckt hat, und daß die hellenische Poesie nicht
viel mehr hat thun können, als von diesem seinem Schatze zu zehren. Es giebt wenig Dichter,
denen das weibliche Geschlecht so dankbar zu sein Grund hat."
Der Dichter der griechischen Aufklärung

Was das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern anlangt, so ist es
natürlich, daß die Eltern vor allem ihre Kinder lieben; von den Kindern ver¬
langt der Tragiker Ehrerbietung und Gehorsam gegen die Eltern, Fragen. 852
lautet:

Werfen wir nunmehr mit dem Verfasser unsers Buches einen Blick auf
die politischen Anschauungen des Euripides, so ist hier vor allem seine innige
Vaterlandsliebe hervorzuheben. Der Gedanke, daß dem Vaterlande die Treue
bis in den Tod gehalten werden muß, wird nicht nur oft ausgesprochen,
sondern auch wiederholt dramatisch durchgeführt. Seine attische Heimat preist
der Dichter in einem Chorliede der Medea und auch sonst als Sitz der Musen
und als Stätte der Weisheit, auf attischen Sagen beruht die Handlung des
Hippolytus, der Hiketiden, der Hercckliden und verschiedner Verlorner Dramen,
und in vielen andern Stücken werden heimatliche Mythen und Gebräuche, auch
wenn sie der Weltanschauung des Dichters widersprechen, mit Vorliebe und
mit Stolz mehr oder weniger ausführlich behandelt. Auch die demokratische
Verfassung Athens entspricht im wesentlichen dem politischen Ideal des Dichters,
wenn er auch keineswegs blind ist gegen ihre Fehler und Schwächen. Nament¬
lich wird die in Athen nach dem Tode des Perikles zum Schaden des Staates
immer mehr überHand nehmende Demagogie recht oft einer herben Kritik
unterzogen.

Das Leben unsers Tragikers füllt zum Teil in den langen und für
Athen so verderblichen peloponnesischen Krieg, und daraus wohl erklärt sich
seine tiefe Abneigung gegen den Krieg. Der Krieg ist ihm in jedem Fall ein
Übel; er soll nur geführt werden, wenn er sich gar nicht vermeiden läßt, dann
aber mit Kraft und Nachdruck. Dagegen werden die Segnungen des Friedens,
den der Dichter von ganzem Herzen herbeisehnt, gern von ihm gepriesen, am
schönsten in einem Chorlied des sonst Verlornen Kresphontes:


entstehenden sittlichen Konflikte für die Poesie entdeckt hat, und daß die hellenische Poesie nicht
viel mehr hat thun können, als von diesem seinem Schatze zu zehren. Es giebt wenig Dichter,
denen das weibliche Geschlecht so dankbar zu sein Grund hat."
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[0432] Der Dichter der griechischen Aufklärung Was das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern anlangt, so ist es natürlich, daß die Eltern vor allem ihre Kinder lieben; von den Kindern ver¬ langt der Tragiker Ehrerbietung und Gehorsam gegen die Eltern, Fragen. 852 lautet: Werfen wir nunmehr mit dem Verfasser unsers Buches einen Blick auf die politischen Anschauungen des Euripides, so ist hier vor allem seine innige Vaterlandsliebe hervorzuheben. Der Gedanke, daß dem Vaterlande die Treue bis in den Tod gehalten werden muß, wird nicht nur oft ausgesprochen, sondern auch wiederholt dramatisch durchgeführt. Seine attische Heimat preist der Dichter in einem Chorliede der Medea und auch sonst als Sitz der Musen und als Stätte der Weisheit, auf attischen Sagen beruht die Handlung des Hippolytus, der Hiketiden, der Hercckliden und verschiedner Verlorner Dramen, und in vielen andern Stücken werden heimatliche Mythen und Gebräuche, auch wenn sie der Weltanschauung des Dichters widersprechen, mit Vorliebe und mit Stolz mehr oder weniger ausführlich behandelt. Auch die demokratische Verfassung Athens entspricht im wesentlichen dem politischen Ideal des Dichters, wenn er auch keineswegs blind ist gegen ihre Fehler und Schwächen. Nament¬ lich wird die in Athen nach dem Tode des Perikles zum Schaden des Staates immer mehr überHand nehmende Demagogie recht oft einer herben Kritik unterzogen. Das Leben unsers Tragikers füllt zum Teil in den langen und für Athen so verderblichen peloponnesischen Krieg, und daraus wohl erklärt sich seine tiefe Abneigung gegen den Krieg. Der Krieg ist ihm in jedem Fall ein Übel; er soll nur geführt werden, wenn er sich gar nicht vermeiden läßt, dann aber mit Kraft und Nachdruck. Dagegen werden die Segnungen des Friedens, den der Dichter von ganzem Herzen herbeisehnt, gern von ihm gepriesen, am schönsten in einem Chorlied des sonst Verlornen Kresphontes: entstehenden sittlichen Konflikte für die Poesie entdeckt hat, und daß die hellenische Poesie nicht viel mehr hat thun können, als von diesem seinem Schatze zu zehren. Es giebt wenig Dichter, denen das weibliche Geschlecht so dankbar zu sein Grund hat."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/432>, abgerufen am 01.09.2024.