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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Am Se. Gotthard

sammeugehalteu durch die Markgenossenschaft, aus der die politische QorninumtÄS
Uroni-uz noch vor 1286 erwuchs, in kühne, weitschauende Unternehmer und
ausgreifende Politiker: an der Gotthardstraße und ihrer nördlichen Fortsetzung
über Luzern nach Basel bildete sich der Kern der Eidgenossenschaft, als ein "Pa߬
staat," natürlich nicht in dem Sinne, daß sie durch den Paß ins Leben gerufen
worden wäre (sie entstand vielmehr aus dem Streben der um den Vierwald-
stätter See liegenden Bauernlandschaften nach möglichster Freiheit), wohl aber
in dem Sinne, daß die neue Straße sie noch reger verband und sie auch für
die Nachbarn wichtig machte. Deshalb stand sie im Kampfe mit den Habs¬
burger", die die Erbschaft der Hohenstaufen anzutreten versuchten, auf der einen,
mit dem mächtig aufstrebenden Mailand auf der andern Seite. In noch nicht
einem Jahrhundert, zwischen 1291, dem ersten Bündnis der drei Waldstätte,
und 1388, dem Jahre des Sieges von Näfels, war die Eidgenossenschaft durch
den Beitritt von Luzern 1334, Zürich 1351, Glarus und Zug 1352, Bern 1353
(den acht alten Orten) fertig und eine Macht geworden, deren Bedeutung nicht
zum wenigsten auf der Beherrschung der Gotthardstraße beruhte. Bald griff
sie -- oder zunächst Uri --, von diesem Interesse geleitet, nach Süden hinüber.
Das Urserenthal, sicher voll Anfang an eine Markgenossenschaft und wie ein
geographisches, so auch ein politisches Ganze, erhielt 1382 vom König Wenzel
das Recht, seinen Landammann selbst zu wählen, und schloß 1419 ein "Burg¬
recht" mit Uri, woraus allmählich die Verschmelzung beider Landschaften er¬
wuchs. Das Livinenthal war etwa 1356 mailändisch geworden, aber 1403
nahm Uri es in Besitz, eroberte 1419 sogar Bellinzona, den Schlüssel des
Ticinothals, verlor es zwar wieder 1422 nach der Schlacht bei Arbedo, eroberte
es aber, von den übrigen Urkantonen unterstützt, 1599 zum zweitenmal und
unterwarf 1512 auch das übrige Tessin als Unterthanenlandschaft, in dem¬
selben Jahre, wo die Bündner, ebenso über die Paßhöhen südwärts hinaus-
greifend, Bornno, das Baldur und Chiavenna besetzten. Fortan also lag die
Gotthardstraße in ihrer ganzen Ausdehnung von Flüelen bis Bellinzona in
einer Hand; und so ist es bis heute geblieben. Aber die nationalen und
kirchlichen Verhältnisse wurden dadurch nicht berührt. Die Paßhvhe blieb
italienisch, wie sie auch noch heute zum Kanton Tessin gehört, und vou Mailand
aus ging dort die Errichtung einer Kapelle des heiligen Gotthard, des Bischofs
von Hildesheim 1038), der 1131 heilig gesprochen worden war und wie
anderwärts so auch in Mailand verehrt wurde, deshalb hier eine Kirche und
einen bürgerlich begangnen Festtag (4. Mai) hatte; daneben entstand ein HosM,
das zuerst 1331 erwähnt wird. Seit dieser Zeit verdrängte der Name des
deutschen Bischofs die alte Benennung des Passes; er gilt schon um tap
Jahr 1303.

(Fortsetzung folgt)




Am Se. Gotthard

sammeugehalteu durch die Markgenossenschaft, aus der die politische QorninumtÄS
Uroni-uz noch vor 1286 erwuchs, in kühne, weitschauende Unternehmer und
ausgreifende Politiker: an der Gotthardstraße und ihrer nördlichen Fortsetzung
über Luzern nach Basel bildete sich der Kern der Eidgenossenschaft, als ein „Pa߬
staat," natürlich nicht in dem Sinne, daß sie durch den Paß ins Leben gerufen
worden wäre (sie entstand vielmehr aus dem Streben der um den Vierwald-
stätter See liegenden Bauernlandschaften nach möglichster Freiheit), wohl aber
in dem Sinne, daß die neue Straße sie noch reger verband und sie auch für
die Nachbarn wichtig machte. Deshalb stand sie im Kampfe mit den Habs¬
burger», die die Erbschaft der Hohenstaufen anzutreten versuchten, auf der einen,
mit dem mächtig aufstrebenden Mailand auf der andern Seite. In noch nicht
einem Jahrhundert, zwischen 1291, dem ersten Bündnis der drei Waldstätte,
und 1388, dem Jahre des Sieges von Näfels, war die Eidgenossenschaft durch
den Beitritt von Luzern 1334, Zürich 1351, Glarus und Zug 1352, Bern 1353
(den acht alten Orten) fertig und eine Macht geworden, deren Bedeutung nicht
zum wenigsten auf der Beherrschung der Gotthardstraße beruhte. Bald griff
sie — oder zunächst Uri —, von diesem Interesse geleitet, nach Süden hinüber.
Das Urserenthal, sicher voll Anfang an eine Markgenossenschaft und wie ein
geographisches, so auch ein politisches Ganze, erhielt 1382 vom König Wenzel
das Recht, seinen Landammann selbst zu wählen, und schloß 1419 ein „Burg¬
recht" mit Uri, woraus allmählich die Verschmelzung beider Landschaften er¬
wuchs. Das Livinenthal war etwa 1356 mailändisch geworden, aber 1403
nahm Uri es in Besitz, eroberte 1419 sogar Bellinzona, den Schlüssel des
Ticinothals, verlor es zwar wieder 1422 nach der Schlacht bei Arbedo, eroberte
es aber, von den übrigen Urkantonen unterstützt, 1599 zum zweitenmal und
unterwarf 1512 auch das übrige Tessin als Unterthanenlandschaft, in dem¬
selben Jahre, wo die Bündner, ebenso über die Paßhöhen südwärts hinaus-
greifend, Bornno, das Baldur und Chiavenna besetzten. Fortan also lag die
Gotthardstraße in ihrer ganzen Ausdehnung von Flüelen bis Bellinzona in
einer Hand; und so ist es bis heute geblieben. Aber die nationalen und
kirchlichen Verhältnisse wurden dadurch nicht berührt. Die Paßhvhe blieb
italienisch, wie sie auch noch heute zum Kanton Tessin gehört, und vou Mailand
aus ging dort die Errichtung einer Kapelle des heiligen Gotthard, des Bischofs
von Hildesheim 1038), der 1131 heilig gesprochen worden war und wie
anderwärts so auch in Mailand verehrt wurde, deshalb hier eine Kirche und
einen bürgerlich begangnen Festtag (4. Mai) hatte; daneben entstand ein HosM,
das zuerst 1331 erwähnt wird. Seit dieser Zeit verdrängte der Name des
deutschen Bischofs die alte Benennung des Passes; er gilt schon um tap
Jahr 1303.

(Fortsetzung folgt)




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[0424] Am Se. Gotthard sammeugehalteu durch die Markgenossenschaft, aus der die politische QorninumtÄS Uroni-uz noch vor 1286 erwuchs, in kühne, weitschauende Unternehmer und ausgreifende Politiker: an der Gotthardstraße und ihrer nördlichen Fortsetzung über Luzern nach Basel bildete sich der Kern der Eidgenossenschaft, als ein „Pa߬ staat," natürlich nicht in dem Sinne, daß sie durch den Paß ins Leben gerufen worden wäre (sie entstand vielmehr aus dem Streben der um den Vierwald- stätter See liegenden Bauernlandschaften nach möglichster Freiheit), wohl aber in dem Sinne, daß die neue Straße sie noch reger verband und sie auch für die Nachbarn wichtig machte. Deshalb stand sie im Kampfe mit den Habs¬ burger», die die Erbschaft der Hohenstaufen anzutreten versuchten, auf der einen, mit dem mächtig aufstrebenden Mailand auf der andern Seite. In noch nicht einem Jahrhundert, zwischen 1291, dem ersten Bündnis der drei Waldstätte, und 1388, dem Jahre des Sieges von Näfels, war die Eidgenossenschaft durch den Beitritt von Luzern 1334, Zürich 1351, Glarus und Zug 1352, Bern 1353 (den acht alten Orten) fertig und eine Macht geworden, deren Bedeutung nicht zum wenigsten auf der Beherrschung der Gotthardstraße beruhte. Bald griff sie — oder zunächst Uri —, von diesem Interesse geleitet, nach Süden hinüber. Das Urserenthal, sicher voll Anfang an eine Markgenossenschaft und wie ein geographisches, so auch ein politisches Ganze, erhielt 1382 vom König Wenzel das Recht, seinen Landammann selbst zu wählen, und schloß 1419 ein „Burg¬ recht" mit Uri, woraus allmählich die Verschmelzung beider Landschaften er¬ wuchs. Das Livinenthal war etwa 1356 mailändisch geworden, aber 1403 nahm Uri es in Besitz, eroberte 1419 sogar Bellinzona, den Schlüssel des Ticinothals, verlor es zwar wieder 1422 nach der Schlacht bei Arbedo, eroberte es aber, von den übrigen Urkantonen unterstützt, 1599 zum zweitenmal und unterwarf 1512 auch das übrige Tessin als Unterthanenlandschaft, in dem¬ selben Jahre, wo die Bündner, ebenso über die Paßhöhen südwärts hinaus- greifend, Bornno, das Baldur und Chiavenna besetzten. Fortan also lag die Gotthardstraße in ihrer ganzen Ausdehnung von Flüelen bis Bellinzona in einer Hand; und so ist es bis heute geblieben. Aber die nationalen und kirchlichen Verhältnisse wurden dadurch nicht berührt. Die Paßhvhe blieb italienisch, wie sie auch noch heute zum Kanton Tessin gehört, und vou Mailand aus ging dort die Errichtung einer Kapelle des heiligen Gotthard, des Bischofs von Hildesheim 1038), der 1131 heilig gesprochen worden war und wie anderwärts so auch in Mailand verehrt wurde, deshalb hier eine Kirche und einen bürgerlich begangnen Festtag (4. Mai) hatte; daneben entstand ein HosM, das zuerst 1331 erwähnt wird. Seit dieser Zeit verdrängte der Name des deutschen Bischofs die alte Benennung des Passes; er gilt schon um tap Jahr 1303. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/424>, abgerufen am 01.09.2024.