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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Die Veamtenfrage in der Provinz Posen

in Anschluß an den sehr beachtenswerten Artikel "Unsre polnische
Frage" in Ur, 31 der Grenzboten möchte ich mir folgende Be¬
merkungen erlauben. Seit Monaten tauchen in der Tagespresse
Mitteilungen über Vorschläge der zuständigen preußischen Mini¬
sterien auf, den Gehalt der in der Provinz thätigen Beamten
zu erhöhen, aber überall begegnet man in Beamtenkreisen einem ungläubigen
Lächeln über die Ausführbarkeit dieser Gehaltsanfbesseruugspläue. Von manchen
Seiten hört man sogar über die Nutzlosigkeit einer etwaigen Aufbesserung
spotten, denn "was uus der Staat giebt, wird uns sofort von den Haus¬
wirten durch Mictstcigerung, von den städtischen Schul- und Kircheubehörden usw.
durch Erhöhung der Beitrüge und Abgaben genommen werden."

Die Grenzboten haben seit lange wiederholt ganz vorzügliche und von
hoher Sachkenntnis zeugende Artikel über "die Polenfrage" gebracht, aus
denen ich einige Stellen zum Verständnis meiner Vorschläge anführen möchte:
"Eine größere Zuwanderung in ein erobertes Gebiet findet nur dann statt,
wenn die wirtschaftlichen Bedingungen dafür sprechen, sonst wird die Zu¬
wanderung im wesentlichen auf Beamte und Soldaten beschränkt bleiben."

Unsre Vorfahren sind nicht aus idealen Gründen zur Besiedlung und
Germanisierung von Pommern, Brandenburg, Schlesien, Österreich usw. aus-
gezogen, sondern weil die wirtschaftlichen Bedingungen in den fremden Landes¬
teilen günstiger waren als in der alten Heimat. Das muß man im Auge
behalten, wenn man den heutigen germanischen Zuzug nach der Provinz Posen
leiten und fördern will. Kein Ansiedler, kein Fremder kommt hierher, weil
^ hier, einer idealen Regung seines Herzens folgend, das Deutschtum fördern
will, sondern es sind lediglich materielle Gründe, Aufbau einer selbständigen
Existenz, billigere Landpreise, zeitigere Anstellung, schnelleres und besseres Vor¬
wärtskommen usw., was maßgebend ist.

Noch vor wenig Jahren konnte mau auf Grund der in den Tages¬
zeitungen veröffentlichten Beamtenversetzungen genau verfolgen, wie z. B.
Juristen ihre erste Anstellung als Richter in der Provinz Posen annahmen,


Grenzboten IV 1902 48



Die Veamtenfrage in der Provinz Posen

in Anschluß an den sehr beachtenswerten Artikel „Unsre polnische
Frage" in Ur, 31 der Grenzboten möchte ich mir folgende Be¬
merkungen erlauben. Seit Monaten tauchen in der Tagespresse
Mitteilungen über Vorschläge der zuständigen preußischen Mini¬
sterien auf, den Gehalt der in der Provinz thätigen Beamten
zu erhöhen, aber überall begegnet man in Beamtenkreisen einem ungläubigen
Lächeln über die Ausführbarkeit dieser Gehaltsanfbesseruugspläue. Von manchen
Seiten hört man sogar über die Nutzlosigkeit einer etwaigen Aufbesserung
spotten, denn „was uus der Staat giebt, wird uns sofort von den Haus¬
wirten durch Mictstcigerung, von den städtischen Schul- und Kircheubehörden usw.
durch Erhöhung der Beitrüge und Abgaben genommen werden."

Die Grenzboten haben seit lange wiederholt ganz vorzügliche und von
hoher Sachkenntnis zeugende Artikel über „die Polenfrage" gebracht, aus
denen ich einige Stellen zum Verständnis meiner Vorschläge anführen möchte:
»Eine größere Zuwanderung in ein erobertes Gebiet findet nur dann statt,
wenn die wirtschaftlichen Bedingungen dafür sprechen, sonst wird die Zu¬
wanderung im wesentlichen auf Beamte und Soldaten beschränkt bleiben."

Unsre Vorfahren sind nicht aus idealen Gründen zur Besiedlung und
Germanisierung von Pommern, Brandenburg, Schlesien, Österreich usw. aus-
gezogen, sondern weil die wirtschaftlichen Bedingungen in den fremden Landes¬
teilen günstiger waren als in der alten Heimat. Das muß man im Auge
behalten, wenn man den heutigen germanischen Zuzug nach der Provinz Posen
leiten und fördern will. Kein Ansiedler, kein Fremder kommt hierher, weil
^ hier, einer idealen Regung seines Herzens folgend, das Deutschtum fördern
will, sondern es sind lediglich materielle Gründe, Aufbau einer selbständigen
Existenz, billigere Landpreise, zeitigere Anstellung, schnelleres und besseres Vor¬
wärtskommen usw., was maßgebend ist.

Noch vor wenig Jahren konnte mau auf Grund der in den Tages¬
zeitungen veröffentlichten Beamtenversetzungen genau verfolgen, wie z. B.
Juristen ihre erste Anstellung als Richter in der Provinz Posen annahmen,


Grenzboten IV 1902 48
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[0347] [Abbildung] Die Veamtenfrage in der Provinz Posen in Anschluß an den sehr beachtenswerten Artikel „Unsre polnische Frage" in Ur, 31 der Grenzboten möchte ich mir folgende Be¬ merkungen erlauben. Seit Monaten tauchen in der Tagespresse Mitteilungen über Vorschläge der zuständigen preußischen Mini¬ sterien auf, den Gehalt der in der Provinz thätigen Beamten zu erhöhen, aber überall begegnet man in Beamtenkreisen einem ungläubigen Lächeln über die Ausführbarkeit dieser Gehaltsanfbesseruugspläue. Von manchen Seiten hört man sogar über die Nutzlosigkeit einer etwaigen Aufbesserung spotten, denn „was uus der Staat giebt, wird uns sofort von den Haus¬ wirten durch Mictstcigerung, von den städtischen Schul- und Kircheubehörden usw. durch Erhöhung der Beitrüge und Abgaben genommen werden." Die Grenzboten haben seit lange wiederholt ganz vorzügliche und von hoher Sachkenntnis zeugende Artikel über „die Polenfrage" gebracht, aus denen ich einige Stellen zum Verständnis meiner Vorschläge anführen möchte: »Eine größere Zuwanderung in ein erobertes Gebiet findet nur dann statt, wenn die wirtschaftlichen Bedingungen dafür sprechen, sonst wird die Zu¬ wanderung im wesentlichen auf Beamte und Soldaten beschränkt bleiben." Unsre Vorfahren sind nicht aus idealen Gründen zur Besiedlung und Germanisierung von Pommern, Brandenburg, Schlesien, Österreich usw. aus- gezogen, sondern weil die wirtschaftlichen Bedingungen in den fremden Landes¬ teilen günstiger waren als in der alten Heimat. Das muß man im Auge behalten, wenn man den heutigen germanischen Zuzug nach der Provinz Posen leiten und fördern will. Kein Ansiedler, kein Fremder kommt hierher, weil ^ hier, einer idealen Regung seines Herzens folgend, das Deutschtum fördern will, sondern es sind lediglich materielle Gründe, Aufbau einer selbständigen Existenz, billigere Landpreise, zeitigere Anstellung, schnelleres und besseres Vor¬ wärtskommen usw., was maßgebend ist. Noch vor wenig Jahren konnte mau auf Grund der in den Tages¬ zeitungen veröffentlichten Beamtenversetzungen genau verfolgen, wie z. B. Juristen ihre erste Anstellung als Richter in der Provinz Posen annahmen, Grenzboten IV 1902 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/347>, abgerufen am 01.09.2024.