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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Der Hiegeszug des Kapitalismus

erner Sombarts Werk: Der moderne Kapitalismus
(Leipzig, Duncker und Humblot, 1902; 1, Band XXXIV und 669,
2, Band VIII und 646 Seiten) ist schon deswegen, weil es die
UnHaltbarkeit vieler herrschender Meinungen aufdeckt, so wichtig,
daß jeder Gebildete den Hauptinhalt kennen muß. Wir suchen
ihn unsern Lesern zu vermitteln, soweit es in den gezognen Grenzen möglich
ist, und heben besonders solche Ergebnisse der Forschungen des Verfassers
hervor, die mit unsern eignen bisherigen Ansichten im Widerspruch stehn.

Die Einleitung handelt von der Organisation der Wirtschaft, macht den
Unterschied von Betrieb und Wirtschaft klar, erläutert das Wesen der Fabrik
und lehrt, wie sich die verschiednen Wirtschaftsstufen, Wirtschaftsarten, Wirt¬
schaftsformen und Wirtschaftsperioden voneinander unterscheiden. Das Wesen der
Fabrik ist "die Objektivierung des Produktionsprozesses, seine völlige Loslösung
von den lebendigen Menschen, seine Übertragung auf ein System lebloser Körper."
Durch Maschinerie und wissenschaftliches Verfahren überwindet sie die quali¬
tative wie die quantitative Beschränktheit des individuelle" Arbeiters. "In
einem etwas kühnen Bilde gesprochen: die Fabrik ist das Werkzeug des kollek¬
tiven Gesamtarbeiters, mittels dessen er Kraft, Feinheit, Sicherheit, Schnelligkeit
über die Schranken des Organischen hinaus zu entwickeln vermag. Des Ge¬
samtarbeiters, der in der Fabrik allein noch waltet; denn das ist, negativ
ausgedrückt, Charakteristik^ der Fabrik, daß in ihr für irgend welche Ent¬
faltung individuell-persönlichen Wirkens kein Raum mehr ist. Deshalb stellt
die Fabrik die konsequenteste Durchbildung des Prinzips gesellschaftlicher Pro¬
duktion dar, ohne doch als die höchste Form der Betriebsanordnung überhaupt
gelten zu dürfen, die vielmehr in zwei Gestaltungen zu jeweils höchster Voll¬
endung gelangt: in Fabrik und Manufaktur." Die verschiednen Wirtschafts-
"reen lassen sich in zwei Hauptgruppen zusammenfassen, je nachdem sie der
Bedarfsdeckung oder dem Erwerb, der Reichtumsvermehrung dienen, chrema-
tistisch sind. "Daß natürlich alle Produktion am letzten Ende durch individuelle
Konsumtionsmöglichkeit beschränkt ist, also schließlich auch alle Produkte per¬
sönlichem. Bedarf dienen, ist selbstverständlich. Es ändert aber nichts an der


Grenzboten IV 1902 86


Der Hiegeszug des Kapitalismus

erner Sombarts Werk: Der moderne Kapitalismus
(Leipzig, Duncker und Humblot, 1902; 1, Band XXXIV und 669,
2, Band VIII und 646 Seiten) ist schon deswegen, weil es die
UnHaltbarkeit vieler herrschender Meinungen aufdeckt, so wichtig,
daß jeder Gebildete den Hauptinhalt kennen muß. Wir suchen
ihn unsern Lesern zu vermitteln, soweit es in den gezognen Grenzen möglich
ist, und heben besonders solche Ergebnisse der Forschungen des Verfassers
hervor, die mit unsern eignen bisherigen Ansichten im Widerspruch stehn.

Die Einleitung handelt von der Organisation der Wirtschaft, macht den
Unterschied von Betrieb und Wirtschaft klar, erläutert das Wesen der Fabrik
und lehrt, wie sich die verschiednen Wirtschaftsstufen, Wirtschaftsarten, Wirt¬
schaftsformen und Wirtschaftsperioden voneinander unterscheiden. Das Wesen der
Fabrik ist „die Objektivierung des Produktionsprozesses, seine völlige Loslösung
von den lebendigen Menschen, seine Übertragung auf ein System lebloser Körper."
Durch Maschinerie und wissenschaftliches Verfahren überwindet sie die quali¬
tative wie die quantitative Beschränktheit des individuelle» Arbeiters. „In
einem etwas kühnen Bilde gesprochen: die Fabrik ist das Werkzeug des kollek¬
tiven Gesamtarbeiters, mittels dessen er Kraft, Feinheit, Sicherheit, Schnelligkeit
über die Schranken des Organischen hinaus zu entwickeln vermag. Des Ge¬
samtarbeiters, der in der Fabrik allein noch waltet; denn das ist, negativ
ausgedrückt, Charakteristik^ der Fabrik, daß in ihr für irgend welche Ent¬
faltung individuell-persönlichen Wirkens kein Raum mehr ist. Deshalb stellt
die Fabrik die konsequenteste Durchbildung des Prinzips gesellschaftlicher Pro¬
duktion dar, ohne doch als die höchste Form der Betriebsanordnung überhaupt
gelten zu dürfen, die vielmehr in zwei Gestaltungen zu jeweils höchster Voll¬
endung gelangt: in Fabrik und Manufaktur." Die verschiednen Wirtschafts-
"reen lassen sich in zwei Hauptgruppen zusammenfassen, je nachdem sie der
Bedarfsdeckung oder dem Erwerb, der Reichtumsvermehrung dienen, chrema-
tistisch sind. „Daß natürlich alle Produktion am letzten Ende durch individuelle
Konsumtionsmöglichkeit beschränkt ist, also schließlich auch alle Produkte per¬
sönlichem. Bedarf dienen, ist selbstverständlich. Es ändert aber nichts an der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/291>, abgerufen am 01.09.2024.