Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.Homer und Mycene durch glückliche Zufälle gekommen. Das Kupfer wird weit häufiger gediegen ge¬ Einen Hauptunterschied der beiden Kulturen macht die Bestattungsweise Bei Homer erscheint die Seele nur so lange an den Leichnam gefesselt, Grenzboten IV 1902 3
Homer und Mycene durch glückliche Zufälle gekommen. Das Kupfer wird weit häufiger gediegen ge¬ Einen Hauptunterschied der beiden Kulturen macht die Bestattungsweise Bei Homer erscheint die Seele nur so lange an den Leichnam gefesselt, Grenzboten IV 1902 3
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0027" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/238815"/> <fw type="header" place="top"> Homer und Mycene</fw><lb/> <p xml:id="ID_54" prev="#ID_53"> durch glückliche Zufälle gekommen. Das Kupfer wird weit häufiger gediegen ge¬<lb/> funden als das Eisen, und nicht selten lagert Zinn daneben; vulkanisch zusammen¬<lb/> geschmolzenes Kupfer und Zinn hat den Menschen die erste Bronze, eine auf<lb/> demselben Wege entstandne Legierung des Kupfers mit Zink das erste Messing<lb/> geliefert. Auch zur Benutzung des Eisens muß den Menschen die Nntnr be¬<lb/> hilflich gewesen sein; es aus Eisenerzen zu gewinnen, daran können die ersten<lb/> Bearbeiter unmöglich gedacht haben. Sie müssen Meteoreisen oder, was wahr¬<lb/> scheinlicher ist, tellurisches Reiueisen gefunden haben. Nach den Zeugnissen<lb/> von Cook und Nordenskjöld haben die Eskimos solches, das sie in Basalt<lb/> finden. Nidgewah schließt, daß auch in diesem Falle Vulkane die Hüttenarbeit<lb/> besorgt haben, und daß es auch in Kärnten, Krain, Steiermark, sowie im<lb/> Jura, von wo die Eiseubenutzung um das Jahr 1400 v. Chr. ausgegangen<lb/> ist, große Massen solchen Eisens gegeben haben muß. Daß es jetzt keins<lb/> mehr giebt, darüber darf man sich nicht wundern, denn Eisenerze zu graben<lb/> wird man eben nicht eher angefangen haben, als bis der letzte Rest des ge¬<lb/> diegnen Eisens verbraucht war. Übrigens sind nach der Ansicht eines englischen<lb/> Naturforschers, N. S. Ball, den Ridgeway anführt, die Meteoriten auf keinem<lb/> andern Wege entstanden. Sie find irdischen Ursprungs; durch Vulkaucmsbrnche<lb/> in solche Höhen geschleudert, daß die Zentrifugalkraft lange Zeit überwiegt,<lb/> nähern sie sich in ihrer Kreisbewegung der Mutter Erde allmählich und werden<lb/> schließlich gezwungen, sich wieder mit ihr zu vereinigen. Zeugen der achäischen<lb/> Kultur haben die Ausgrabungen in den Alpen und nördlich von den Alpen,<lb/> namentlich die von Hallstatt zu Tage gefördert. Sie bezeugen die homerische<lb/> Kultur u. a. auch dadurch, daß die Wagenräder acht Speichen haben, während<lb/> das Rad der myeenischen Zeit vierspeichig ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_55"> Einen Hauptunterschied der beiden Kulturen macht die Bestattungsweise<lb/> ans. Die Mycener beerdigen, die Achäer verbrennen die Leichen. Die Sitte<lb/> der Leichenverbrennung konnte nur in einem holzreichen Lande entsteh«, und<lb/> das war Mitteleuropa, das alte Germanien. Aber diese natürliche Bedingung<lb/> der Sitte ist nicht ihr Entstehungsgrund gewesen; dieser liegt im verschiednen<lb/> Seelenglaubeu der Völker. Die meisten Völker, auch die Stammväter der<lb/> Griechen, glaubten, die Seele verweile in der Nähe der bestatteten Leiche.<lb/> Sie hielten die Seele für den sozusagen schwindsüchtiger Doppelgänger des<lb/> lebenden Menschen, schrieben ihr leibliche Bedürfnisse zu und versorgten sie des¬<lb/> halb mit Kleidung, Speise und Trank, und war es die eines Fürsten, auch mit<lb/> Weibern und Gefolge. Dn die Seele fortwirkte, und ihr Wirkungskreis an<lb/> den Leichnam gebunden war, so suchte man durch sorgfältige Bestattung die<lb/> Seelen von Königen und Heroen als Schützer und Helfer an das eigne Land<lb/> zu fesseln; die Leichname von Feinden, die man zu fürchten hatte, schaffte<lb/> man fort. Der Glaube an Spukgeister und der katholische Reliquienkult sind<lb/> Ausgeburten dieser Vorstellung.</p><lb/> <p xml:id="ID_56" next="#ID_57"> Bei Homer erscheint die Seele nur so lange an den Leichnam gefesselt,<lb/> als dieser unverbrannt daliegt, und so lange stellt man sich den Leichnam auch<lb/> noch als empfindend vor. Cieero hat (?uso. visx. I, 105) wahrscheinlich richtig<lb/> vermutet, daß Achill den Hektor zu peinigen glaubte, als er seine Leiche um</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1902 3</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0027]
Homer und Mycene
durch glückliche Zufälle gekommen. Das Kupfer wird weit häufiger gediegen ge¬
funden als das Eisen, und nicht selten lagert Zinn daneben; vulkanisch zusammen¬
geschmolzenes Kupfer und Zinn hat den Menschen die erste Bronze, eine auf
demselben Wege entstandne Legierung des Kupfers mit Zink das erste Messing
geliefert. Auch zur Benutzung des Eisens muß den Menschen die Nntnr be¬
hilflich gewesen sein; es aus Eisenerzen zu gewinnen, daran können die ersten
Bearbeiter unmöglich gedacht haben. Sie müssen Meteoreisen oder, was wahr¬
scheinlicher ist, tellurisches Reiueisen gefunden haben. Nach den Zeugnissen
von Cook und Nordenskjöld haben die Eskimos solches, das sie in Basalt
finden. Nidgewah schließt, daß auch in diesem Falle Vulkane die Hüttenarbeit
besorgt haben, und daß es auch in Kärnten, Krain, Steiermark, sowie im
Jura, von wo die Eiseubenutzung um das Jahr 1400 v. Chr. ausgegangen
ist, große Massen solchen Eisens gegeben haben muß. Daß es jetzt keins
mehr giebt, darüber darf man sich nicht wundern, denn Eisenerze zu graben
wird man eben nicht eher angefangen haben, als bis der letzte Rest des ge¬
diegnen Eisens verbraucht war. Übrigens sind nach der Ansicht eines englischen
Naturforschers, N. S. Ball, den Ridgeway anführt, die Meteoriten auf keinem
andern Wege entstanden. Sie find irdischen Ursprungs; durch Vulkaucmsbrnche
in solche Höhen geschleudert, daß die Zentrifugalkraft lange Zeit überwiegt,
nähern sie sich in ihrer Kreisbewegung der Mutter Erde allmählich und werden
schließlich gezwungen, sich wieder mit ihr zu vereinigen. Zeugen der achäischen
Kultur haben die Ausgrabungen in den Alpen und nördlich von den Alpen,
namentlich die von Hallstatt zu Tage gefördert. Sie bezeugen die homerische
Kultur u. a. auch dadurch, daß die Wagenräder acht Speichen haben, während
das Rad der myeenischen Zeit vierspeichig ist.
Einen Hauptunterschied der beiden Kulturen macht die Bestattungsweise
ans. Die Mycener beerdigen, die Achäer verbrennen die Leichen. Die Sitte
der Leichenverbrennung konnte nur in einem holzreichen Lande entsteh«, und
das war Mitteleuropa, das alte Germanien. Aber diese natürliche Bedingung
der Sitte ist nicht ihr Entstehungsgrund gewesen; dieser liegt im verschiednen
Seelenglaubeu der Völker. Die meisten Völker, auch die Stammväter der
Griechen, glaubten, die Seele verweile in der Nähe der bestatteten Leiche.
Sie hielten die Seele für den sozusagen schwindsüchtiger Doppelgänger des
lebenden Menschen, schrieben ihr leibliche Bedürfnisse zu und versorgten sie des¬
halb mit Kleidung, Speise und Trank, und war es die eines Fürsten, auch mit
Weibern und Gefolge. Dn die Seele fortwirkte, und ihr Wirkungskreis an
den Leichnam gebunden war, so suchte man durch sorgfältige Bestattung die
Seelen von Königen und Heroen als Schützer und Helfer an das eigne Land
zu fesseln; die Leichname von Feinden, die man zu fürchten hatte, schaffte
man fort. Der Glaube an Spukgeister und der katholische Reliquienkult sind
Ausgeburten dieser Vorstellung.
Bei Homer erscheint die Seele nur so lange an den Leichnam gefesselt,
als dieser unverbrannt daliegt, und so lange stellt man sich den Leichnam auch
noch als empfindend vor. Cieero hat (?uso. visx. I, 105) wahrscheinlich richtig
vermutet, daß Achill den Hektor zu peinigen glaubte, als er seine Leiche um
Grenzboten IV 1902 3
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