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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliche und UmnaszgMiches

jede Barbarei rechtfertigen. Im Namen der russischen Nationalität bestrebt sich
seit Jahrzehnten das Zarenreich, alle höhern Kulturen, die von "fremden" Be¬
völkerungen auf seinem Boden vertreten werden, auf das tiefere Niveau des Mos-
kowitertnms herabzuziehn, statt dieses emporzuheben, und alle die aristokratischen
Bildungen platt zu walzen zur einförmigen Ebne der russischen Demokratie, über
der dann einsam als einzige hohe Spitze die absolute Monarchie des Zarentnms
emporragt, ganz wie im Orient; im Namen der magyarischen Nationalität, der im
Reiche der Stephanskrone nur 46 Prozent der Bevölkerung angehören, drängt der
magyarische Staat Deutschen, Rumänen, Slowaken, Serben u. s. f. seine isolierte
Sprache auf; um ihrer nationale" Selbständigkeit willen stoßen die slawischen Stämme
Österreichs die deutsche Kultur von sich, ohne die sie doch gar nicht leben können.
Mit diesem "Nationalismus" verbindet sich hier also überall der Rückfall in die
Barbarei isolierter, kleiner Völkerschaften, die viel zu schwach dazu siud, eine eigne
Kultur aus sich heraus zu erzeugen, und deren Sprachen nicht nnr viel zu schwierig
sind, als daß sie von Fremden leicht gelernt werden könnten, sondern auch den
inner" Wert großer, weitverbreiteter Kultursprachen entbehren, die den Zutritt zu
eine reichentwickelten Litteratur eröffnen. Ohne die Kenntnis einiger moderner
Hauptspracheu ist man heute kein gebildeter Mensch im vollen Sinne; das Tschechische
oder Magyarische aber braucht niemand zu lernen, um ein gebildeter Mensch zu
sein. Das ist im Grunde der .Kern des modernen Völkerstreits im alten Österreich,
daß diese undeutschen Stämme für ihre Sprachen eine Gleichberechtigung fordern,
ans die sie kein inneres Recht haben.

Nun, wir Deutschen sind keine Tschechen und Magyaren und auch keine Russen,
wir sind ein großes selbständiges Kulturvolk vou etwa L8 Millionen Menschen
auf dein Erdball, von denen fünf Achtel im Deutschen Reiche vereinigt sind. Aber
auch wir dürfe" "icht vergessen, daß wir mit den übrigen Nationen Westeuropas
eine große Kulturgemeinschaft bilden und immer gebildet haben, daß wir mit ihnen
immer in regen:, geistigem Austausch gestanden haben, daß unsre Bildung auf der
gemeinsamen antiken Grundlage ruht. Es ist unser Stolz, daß wir diese verschiednen
Elemente uns innerlich angeeignet und sie nach unsrer Art umgebildet, zu Bestand¬
teilen unsrer Kultur gemacht haben; sie auszuscheiden, uns auf die "nationale"
Grundlage zurückzuziehn, wäre heute ganz unmöglich, denn diese Grundlage müßten
Wir in den Urwäldern und Blockhäusern des alten Germaniens suchen, und auch
dort würden wir schon römische Händler, römisches Gold und römische Kunst finden-
Alles, was unsre Bildung im Laufe zweier Jahrtausende an fremdem Gut in sich
aufgenommen hat, das gehört zu unsrer Kultur, das ist für uns nichts Fremdes
mehr. Darum erscheint uns heute das Bestreben, unsre Kunst "national" auszu¬
gestalten und die "antiklassische" Richtung unsrer führenden Künstler geradezu be-
denklich, wenn das alles mehr heißen soll, als das Bestreben, unsrer Eigentümlich¬
keit künstlerischen Ausdruck zu geben. Bei dem mangelhaft entwickelten Formensinn
der nordischen Völker -- und alle Kunst ist zunächst Scholle Form, oder sie ist gar
keine Kunst -- liegt die Möglichkeit uur zu nahe, daß unsre "nationale" Kunst ein¬
fach häßlich und plump, also barbarisch wird, weim sie sich lossagt vou dem Studium
einer reicher entwickelten, fvrmenschönen südländischen Kunst, und wenn unsre Litteratur
darauf verzichtet, Strahle" südländischen Lichts in unsern trüben Himmel einzulassen,
da"" wird sie abfallen von unsern größten Traditionen und uns keine Erhebung
bringen, sondern ein trübes Versinken in düstre pessimistische Lebensauffassung, wovon
wir schon reichlich genug haben.

Vollends gefährlich ist es, wenn nun gar auf dem Gebiete des Unterrichts,
vornehmlich des höhern Unterrichts, mit dem Schlagwort "national" operiert wird,
um die eine Richtung zu verwerfen, die andre als die einzig richtige oder wenigstens
weitaus bessere zu empfehlen. Dieses Schlagwort ist schon oft genug von den
"Realisten" als Sturmbock gegen das humanistische Gymnasium verwandt worden;
"weg mit dem Klassischen" ist auch sonst der Schlachtruf oft gewesen. Ein typisch^
und deshalb allgemein interessantes Beispiel für diesen Mißbrauch, aber schwer er-


Maßgebliche und UmnaszgMiches

jede Barbarei rechtfertigen. Im Namen der russischen Nationalität bestrebt sich
seit Jahrzehnten das Zarenreich, alle höhern Kulturen, die von „fremden" Be¬
völkerungen auf seinem Boden vertreten werden, auf das tiefere Niveau des Mos-
kowitertnms herabzuziehn, statt dieses emporzuheben, und alle die aristokratischen
Bildungen platt zu walzen zur einförmigen Ebne der russischen Demokratie, über
der dann einsam als einzige hohe Spitze die absolute Monarchie des Zarentnms
emporragt, ganz wie im Orient; im Namen der magyarischen Nationalität, der im
Reiche der Stephanskrone nur 46 Prozent der Bevölkerung angehören, drängt der
magyarische Staat Deutschen, Rumänen, Slowaken, Serben u. s. f. seine isolierte
Sprache auf; um ihrer nationale» Selbständigkeit willen stoßen die slawischen Stämme
Österreichs die deutsche Kultur von sich, ohne die sie doch gar nicht leben können.
Mit diesem „Nationalismus" verbindet sich hier also überall der Rückfall in die
Barbarei isolierter, kleiner Völkerschaften, die viel zu schwach dazu siud, eine eigne
Kultur aus sich heraus zu erzeugen, und deren Sprachen nicht nnr viel zu schwierig
sind, als daß sie von Fremden leicht gelernt werden könnten, sondern auch den
inner» Wert großer, weitverbreiteter Kultursprachen entbehren, die den Zutritt zu
eine reichentwickelten Litteratur eröffnen. Ohne die Kenntnis einiger moderner
Hauptspracheu ist man heute kein gebildeter Mensch im vollen Sinne; das Tschechische
oder Magyarische aber braucht niemand zu lernen, um ein gebildeter Mensch zu
sein. Das ist im Grunde der .Kern des modernen Völkerstreits im alten Österreich,
daß diese undeutschen Stämme für ihre Sprachen eine Gleichberechtigung fordern,
ans die sie kein inneres Recht haben.

Nun, wir Deutschen sind keine Tschechen und Magyaren und auch keine Russen,
wir sind ein großes selbständiges Kulturvolk vou etwa L8 Millionen Menschen
auf dein Erdball, von denen fünf Achtel im Deutschen Reiche vereinigt sind. Aber
auch wir dürfe» »icht vergessen, daß wir mit den übrigen Nationen Westeuropas
eine große Kulturgemeinschaft bilden und immer gebildet haben, daß wir mit ihnen
immer in regen:, geistigem Austausch gestanden haben, daß unsre Bildung auf der
gemeinsamen antiken Grundlage ruht. Es ist unser Stolz, daß wir diese verschiednen
Elemente uns innerlich angeeignet und sie nach unsrer Art umgebildet, zu Bestand¬
teilen unsrer Kultur gemacht haben; sie auszuscheiden, uns auf die „nationale"
Grundlage zurückzuziehn, wäre heute ganz unmöglich, denn diese Grundlage müßten
Wir in den Urwäldern und Blockhäusern des alten Germaniens suchen, und auch
dort würden wir schon römische Händler, römisches Gold und römische Kunst finden-
Alles, was unsre Bildung im Laufe zweier Jahrtausende an fremdem Gut in sich
aufgenommen hat, das gehört zu unsrer Kultur, das ist für uns nichts Fremdes
mehr. Darum erscheint uns heute das Bestreben, unsre Kunst „national" auszu¬
gestalten und die „antiklassische" Richtung unsrer führenden Künstler geradezu be-
denklich, wenn das alles mehr heißen soll, als das Bestreben, unsrer Eigentümlich¬
keit künstlerischen Ausdruck zu geben. Bei dem mangelhaft entwickelten Formensinn
der nordischen Völker — und alle Kunst ist zunächst Scholle Form, oder sie ist gar
keine Kunst — liegt die Möglichkeit uur zu nahe, daß unsre „nationale" Kunst ein¬
fach häßlich und plump, also barbarisch wird, weim sie sich lossagt vou dem Studium
einer reicher entwickelten, fvrmenschönen südländischen Kunst, und wenn unsre Litteratur
darauf verzichtet, Strahle« südländischen Lichts in unsern trüben Himmel einzulassen,
da»» wird sie abfallen von unsern größten Traditionen und uns keine Erhebung
bringen, sondern ein trübes Versinken in düstre pessimistische Lebensauffassung, wovon
wir schon reichlich genug haben.

Vollends gefährlich ist es, wenn nun gar auf dem Gebiete des Unterrichts,
vornehmlich des höhern Unterrichts, mit dem Schlagwort „national" operiert wird,
um die eine Richtung zu verwerfen, die andre als die einzig richtige oder wenigstens
weitaus bessere zu empfehlen. Dieses Schlagwort ist schon oft genug von den
„Realisten" als Sturmbock gegen das humanistische Gymnasium verwandt worden;
„weg mit dem Klassischen" ist auch sonst der Schlachtruf oft gewesen. Ein typisch^
und deshalb allgemein interessantes Beispiel für diesen Mißbrauch, aber schwer er-


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[0232] Maßgebliche und UmnaszgMiches jede Barbarei rechtfertigen. Im Namen der russischen Nationalität bestrebt sich seit Jahrzehnten das Zarenreich, alle höhern Kulturen, die von „fremden" Be¬ völkerungen auf seinem Boden vertreten werden, auf das tiefere Niveau des Mos- kowitertnms herabzuziehn, statt dieses emporzuheben, und alle die aristokratischen Bildungen platt zu walzen zur einförmigen Ebne der russischen Demokratie, über der dann einsam als einzige hohe Spitze die absolute Monarchie des Zarentnms emporragt, ganz wie im Orient; im Namen der magyarischen Nationalität, der im Reiche der Stephanskrone nur 46 Prozent der Bevölkerung angehören, drängt der magyarische Staat Deutschen, Rumänen, Slowaken, Serben u. s. f. seine isolierte Sprache auf; um ihrer nationale» Selbständigkeit willen stoßen die slawischen Stämme Österreichs die deutsche Kultur von sich, ohne die sie doch gar nicht leben können. Mit diesem „Nationalismus" verbindet sich hier also überall der Rückfall in die Barbarei isolierter, kleiner Völkerschaften, die viel zu schwach dazu siud, eine eigne Kultur aus sich heraus zu erzeugen, und deren Sprachen nicht nnr viel zu schwierig sind, als daß sie von Fremden leicht gelernt werden könnten, sondern auch den inner» Wert großer, weitverbreiteter Kultursprachen entbehren, die den Zutritt zu eine reichentwickelten Litteratur eröffnen. Ohne die Kenntnis einiger moderner Hauptspracheu ist man heute kein gebildeter Mensch im vollen Sinne; das Tschechische oder Magyarische aber braucht niemand zu lernen, um ein gebildeter Mensch zu sein. Das ist im Grunde der .Kern des modernen Völkerstreits im alten Österreich, daß diese undeutschen Stämme für ihre Sprachen eine Gleichberechtigung fordern, ans die sie kein inneres Recht haben. Nun, wir Deutschen sind keine Tschechen und Magyaren und auch keine Russen, wir sind ein großes selbständiges Kulturvolk vou etwa L8 Millionen Menschen auf dein Erdball, von denen fünf Achtel im Deutschen Reiche vereinigt sind. Aber auch wir dürfe» »icht vergessen, daß wir mit den übrigen Nationen Westeuropas eine große Kulturgemeinschaft bilden und immer gebildet haben, daß wir mit ihnen immer in regen:, geistigem Austausch gestanden haben, daß unsre Bildung auf der gemeinsamen antiken Grundlage ruht. Es ist unser Stolz, daß wir diese verschiednen Elemente uns innerlich angeeignet und sie nach unsrer Art umgebildet, zu Bestand¬ teilen unsrer Kultur gemacht haben; sie auszuscheiden, uns auf die „nationale" Grundlage zurückzuziehn, wäre heute ganz unmöglich, denn diese Grundlage müßten Wir in den Urwäldern und Blockhäusern des alten Germaniens suchen, und auch dort würden wir schon römische Händler, römisches Gold und römische Kunst finden- Alles, was unsre Bildung im Laufe zweier Jahrtausende an fremdem Gut in sich aufgenommen hat, das gehört zu unsrer Kultur, das ist für uns nichts Fremdes mehr. Darum erscheint uns heute das Bestreben, unsre Kunst „national" auszu¬ gestalten und die „antiklassische" Richtung unsrer führenden Künstler geradezu be- denklich, wenn das alles mehr heißen soll, als das Bestreben, unsrer Eigentümlich¬ keit künstlerischen Ausdruck zu geben. Bei dem mangelhaft entwickelten Formensinn der nordischen Völker — und alle Kunst ist zunächst Scholle Form, oder sie ist gar keine Kunst — liegt die Möglichkeit uur zu nahe, daß unsre „nationale" Kunst ein¬ fach häßlich und plump, also barbarisch wird, weim sie sich lossagt vou dem Studium einer reicher entwickelten, fvrmenschönen südländischen Kunst, und wenn unsre Litteratur darauf verzichtet, Strahle« südländischen Lichts in unsern trüben Himmel einzulassen, da»» wird sie abfallen von unsern größten Traditionen und uns keine Erhebung bringen, sondern ein trübes Versinken in düstre pessimistische Lebensauffassung, wovon wir schon reichlich genug haben. Vollends gefährlich ist es, wenn nun gar auf dem Gebiete des Unterrichts, vornehmlich des höhern Unterrichts, mit dem Schlagwort „national" operiert wird, um die eine Richtung zu verwerfen, die andre als die einzig richtige oder wenigstens weitaus bessere zu empfehlen. Dieses Schlagwort ist schon oft genug von den „Realisten" als Sturmbock gegen das humanistische Gymnasium verwandt worden; „weg mit dem Klassischen" ist auch sonst der Schlachtruf oft gewesen. Ein typisch^ und deshalb allgemein interessantes Beispiel für diesen Mißbrauch, aber schwer er-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/232>, abgerufen am 01.09.2024.